Die Feuerbestattung ist möglicherweise älter als die Erdbestattung. Im Alten Rom war sie ein Vorrecht der Reichen. Da die ersten Christen den ärmeren Bevölkerungsschichten angehörten, war die Erdbestattung die allgemein übliche Form der Bestattung in christlichen Ländern und blieb es bis in die Neuzeit. Karl der Große hatte 785 im Edikt von Paderborn die Einäscherung von Leichen bei Todesstrafe verboten, da er die Feuerbestattung als heidnischen Brauch betrachtete.
Die Feuerbestattung war bis ins 19. Jahrhundert verpönt. Jacob Grimm hielt am 21. 11. 1849 in Berlin eine aufsehenerregende Vorlesung »Über das Verbrennen von Leichen«, und 1876 wurden am 1. Europäischen Bestattungskongreß in Dresden die ersten Richtlinien für die Verbrennung »von menschlichen Leichen in dezenter Weise« erarbeitet. Die katholische Kirche verbot 1886 die Verbrennung von Leichen und verschärfte 1892 die Bestimmungen »bei Exkommunikation« (cod. jur. can. 1339). Trotzdem entstanden ab 1876 (Mailand und Washington) in Europa und Nordamerika Krematorien.
Erst 1963 hat die katholische Kirche die Einäscherung von Leichen akzeptiert (»Sie verbietet indessen die Feuerbestattung nicht« can. 1176 §3). Ein pikantes Detail: Gegen den Bürgermeister der Stadt Wien wurde ernstlich eine Klage vor dem (österreichischen) Verfassungsgerichtshof erhoben, als er das 1922 von Clemens Holzmeister erbaute Wiener Krematorium in Betrieb nehmen ließ. Heutzutage werden in Europa rund ein Viertel der Verstorbenen kremiert, in den USA etwa 30 Prozent. In Asien beträgt die Kremierungsrate - schon religionsbedingt - rund 90 Prozent.
Da die heutigen Vorschriften die Beobachtung des Kremierungsvorganges auch durch die nächsten Angehörigen im Regelfall verbieten,1 nur bei »Nachweis eines wissenschaftlichen Interesses« gibt es Ausnahmegenehmigungen, umgibt die Einäscherung die Aura des Geheimnisvollen. Noch dazu gibt es aus jüngerer Zeit »nahezu keine Literatur über dieses Thema«, was schon 1985 einen Diplomanden verblüfft hat, wie er im Vorwort zu seiner Diplomarbeit vermerkt hat.2 In der Tat ist festzustellen, daß in den öffentlichen Bibliotheken Bücher zu diesem Thema, obwohl in den Karteien noch verzeichnet, verschwunden sind. Ein Mysterium? Ein Grund mehr, einmal über dieses Thema zu schreiben.
Bis zur Einführung der elektrischen Verbrennungsöfen, die eine sehr gute Energiebilanz haben und schadstoffarm arbeiten, wurden die Verbrennungsöfen mit Steinkohle, Koks und Erdgas betrieben.
Diese Öfen waren sogenannte »Muffelöfen«. Beim Muffelöfen berühren die Flammen nicht den Leichnam. Muffelöfen werden auch zum Brennen in der Keramikherstellung verwendet, bei der ja auch die direkte Flammeneinwirkung dem Endzweck zuwiderlaufen würde. Die Muffel wird vorgeheizt, dann wird der Leichnam eingeschoben, und dann wird weiter aufgeheizt. Der eingeschobenen Leiche wird zunächst das Wasser durch die in der Muffel entstehende Heißluft entzogen. Nachdem der Leichnam dehydriert ist, entzündet er sich von selbst, da die Entzündungstemperatur der getrockneten Reste unter der Heißlufttemperatur liegt.
Es muß darauf geachtet werden, daß die Temperatur 1000°C nicht überschreitet, da dann die Verbrennung möglichst vollständig ist und völlig ausgeglühte weiße Asche gewonnen wird. Zwar ginge die Verbrennung bei höheren Temperaturen etwas schneller vor sich, doch die Knochen wurden hart und schwarz werden.
Die Abgase werden durch einen Rekuperator (Wärmerückgewinnung im Gegenstromprinzip) geleitet und dann mit etwa 200°C durch den Fuchs, einen liegenden längeren Abgaskanal, zum Schornstein geleitet. Den Schornstein verlassen sie mit geringer Übertemperatur gegenüber der Außenlufttemperatur.
Die Verbrennung erfolgt staub- und geruchsfrei.3 Deswegen sind die vielen Berichte von »Zeitzeugen«, die in der Nähe bestimmter Krematorien den Geruch von »verbrennendem Fleisch und verbrennenden Haaren« wahrgenommen haben wollen, als unrichtig zu bezeichnen.
Der vorletzte Absatz legt nachvollziehbar dar, daß jedermann, der jemals »meterlange Flammen« aus koksbefeuerten Krematoriumskaminen hat schlagen sehen, einer Sinnestäuschung unterlegen sein muß oder bloß ein »Hörensagenzeuge« ist. Diese Aussage kann der Verfasser als kompetenter Sachkundiger mit baupraktischer Gewißheit machen.
Koks ist ein kurzflammiger Brennstoff, die Flammen können definitionsgemäß (Vorschrift!) niemals auch nur bis zur Leiche reichen. Lediglich unter dem Aspekt der Brennstoffersparnis waren »gegen eine zeitweise Zuleitung von Generatorgasen in den Leichenverbrennungsraum Bedenken nicht zu erheben«.4
Es interessiert auch die Frage, wie lange ein Einäscherungsvorgang gedauert hat. Bei Koksöfen dauerte neben der Anheizzeit die Einäscherung der ersten Leiche etwa 2,5 Stunden, die der folgenden Leichen etwa 1,5 Stunden. Der Brockhaus 1954 gibt 90-100 Minuten an, was ein guter Mittelwert ist.
Nach jeder Einäscherung muß eine kurze Abkühlphase eingehalten werden, da ansonsten die folgende eingeschobene Leiche sich beim Einschieben spontan entzünden kann. Daher sind erdgasbefeuerte Krematorien »schneller«, ohne heißer sein zu müssen, da man eine Erdgasfeuerung im Gegensatz zu einer Koksfeuerung ja einfach abdrehen kann.
Der Brennstoffverbrauch ist stark schwankend, dies ist bauart- und betriebsbedingt, außerdem abhängig vom Heizwert des Sarges und der Konstitution der Leiche. Medikamentös kontaminierte5 und besonders magere Leichen (»stubborn« [hartnäckige] lt. Ivan Legace, Direktor des Bow Valley Krematoriums in Calgary, Alberta, Kanada) brauchen lange zur Verbrennung und haben einen hohen Energiebedarf.
Das »Hochheizen« und die erste Leiche brauchen 150-350 kg Koks, die zweite 50-100 kg, die dritte bis fünfte 40-80 kg; danach ist der Beharrungszustand des Ofens erreicht, und es kann mit 30-50 kg pro Leiche im Dauerbetrieb gerechnet werden. Als Beispiel sei das Berlin-Wilmersdorfer Krematorium genannt, das in den dreißiger Jahren täglich durchschnittlich 12 Leichen eingeäschert und im Durchschnitt 35 kg pro Einäscherung benötigt hat, dies zuzüglich zum Heizwert des Holzsarges. Wenn man also gelegentlich irgendwo liest, daß bestimmte Krematorien pro Einäscherung nur 3,5 kg Koks verbraucht haben sollen, so ist eine solche Angabe mit Gewißheit in das Reich der technischen Märchen zu verweisen. Naturgesetze haben zwar leider keine Strafbestimmungen, können aber nicht übertölpelt werden.
Bei Anwendung von schon in der Unterrealschule zu erwerbenden Grundkenntnissen der Physik ist folgende Rechnung aufzustellen:
Leichengewicht 70 kg, Wassergehalt 45,5 kg,
Einschubtemperatur 20°C, Siedepunkt des Wassers 1 00°C,
Verdampfungswärme zum Übergang von Wasser von 100°C in Wasserdampf von 100°C, also zur Änderung des Aggregatszustandes: etwa 540 kcal/kg,
Energiebedarf, um bloß das Körperwasser zum Verdampfen zu bringen: 45,5 [(100-20) + 540] = ca. 28 000 kcal,
Heizwert von Koks: ca. 7 000 kcal/kg,
Koksbedarf 28 000: 7 000 = 4 kg - das heißt, allein um das Wasser aus dem Körper auszutreiben, ist die Energie von vier Kilo Koks netto, also ohne sonstige Verluste und Wirkungsgrade kleiner 1, notwendig. Dagegen ist eine Kremierung mit modernen Elektroofen mit einem Energieaufwand von lediglich 45 KWh möglich.3
Die Einäscherung von Leichen war und ist insbesondere seit der Einführung der Elektroofen eine durchaus pietätvolle und hygienische und vor allem in Ballungsräumen wegen des sparsamen Platzbedarfs der Urnengräber eine zu empfehlende Art der Bestattung.
Anmerkungen
1 »Betriebsordnung für Feuerbestattungsanlagen«, Runderlaß vom 5. 11. 1935 IV D 11020/3995 des Reichs- und Preußischen Ministers für Inneres.
2 Johann Tatzl, Krematorien und Friedhofsgestaltung, Diplomarbeit, Technische Universitat Graz, 1985.
3 Neufert, Bauentwurfslehre, Ullstein, Berlin 1962, S. 423: »Friedhofe, Krematorien«.
4 Verfügung des Preußischen Innenministeriums vom 24.0ktober 1924.
5 bis zwei Stunden: Angabe von Dir. Panhofer (Grazer Bestattung).
Weitere Literatur:
Fritz Schumacher, Feuerbestattung, Gebhardt's Verlag, Leipzig 1939.
Feuerungstechnik, XXI. Jahrgang 1933, Heft 8, S. 109ff; Heft 9, S. 123-128.
Carlo Mattogno, Die moderne Leicheneinäscherung, Rom 1993.
Gesundheits-Ingenieur, Jahrgänge 1935-1943.
Jacob Grimm, Über das Verbrennen von Leichen, Druckerei der Akademie der Wissenschaften, Berlin 1850.