Iwan ist tot

"Daraufhin stürzten einige Leute in die Baracken der ukrainischen Wache, wo unter anderem auch der Ukrainer Iwan schlief, und erschlugen die Ukrainer mit Schaufeln."

Natürlich fragt man sich, wieso dieser selbe Zeuge vierzig Jahre später plötzlich in Iwan Demjanjuk jenen Iwan wiedererkennt, an dessen Tötung er — so seine Aussage 1947 — selbst mitgewirkt hatte ? Rosenberg erklärte dies in Jerusalem mit einem "Irrtum" : Er habe seinerzeit vom Tod jenes Iwan nur von Kameraden gehört. Außerdem, so deutete Rosenberg

132


          Ta t s a c h e n b e r i c h t.

                                  Wien,am 24.12.1947
Aufgenommen mit:
Elias R o s e n b e r g
geb.10.Mai 1924 in Warschau
Name des Vaters:Chaim,der Mutter:Rifka,geb.Ausländer
Vorkriegsadresse: Warschau,Geszia 25
dzt.:Auf dem Wege nach Palästina
                   -----------------
                Das Todeslager Treblinka.

Ich war bis zum Jahre 1942 in Warschau,wo die ersten
Aussiedlungen am 15.Juli 1942 begannen.Auch ich kam mit
meiner Mutter und drei Schwestern am 20.August zum Transport-
wohin wussten wir vorläufig noch nicht.Mit diesem Transport
fuhren 6000 Menschen u.zw.bestand die Zugsganitur aus 60
Waggons,so dass in einem Waggon hundert Menschen hinein
mussten.Der Transport ging,wie wir im Verlaufe der Fahrt
merkten,in das berüchtigte Todeslager Treblinka.Es war dies
ein Lager ca.83 km von Warschau entfernt,mitten in einem
Wald.Das Lager bedeckte  anfangs eine Fläche von ungef.4
Quadrat km und lag ganz einsam.Das nächste Dorf war ca.
1 km vom Lager entfernt,es hiess Kutaski Vulka Wiginowska.
Das Lager wurde im Jahre 1941 von Juden errichtet die die
dazu nötige Fläche ausroden mussten.Die Juden wurden später
getötet.
      Obwohl der Ort zu den wir erst fuhren-er hiess Malkin
nur 80 km von Warschau,unserem Ausgangspunkt entfernt war,
dauerte die Fahrt ca.11 Stunden,da wir einen riesigen
Umweg machten,wahrscheinlich,damit die Leute nicht wüssten
wohin sie befördert würden.Wie erwähnt,fuhren wir zuerst
nach dem Ort Malkin,2 bis 3 km vom eigentlichen Lager
Treblinka entfernt und wurden dann zu je zwanzig Waggons
auf einem Nebengeleise nach dem Hauptlager befördert.
      Kaum waren wir im Lager angekommen,als uns SS-Männer
und ukrainische Polizisten mit Peitschen aus den Waggons jag-
ten und wir uns,in Reihen geordnet,Männer und Frauen
getrnnt mit unserem Gepäck auf die  Erde setzen mussten.
Vor unserem Eintreffen war bereits eine unübersehbare
Menschenmenge versammelt die ebenso wir wir warten mussten.
Wie wir später erfuhren,auf den Tod.Nach einiger Zeit
kamen zwei SS-Leute,der eine hiess Franz,ein SS-Oberscharf-
führer,auf den Namen des zweiten kann ich nicht mehr be-
sinnen.Ich erinnere mich,dass er "Lalke"/Puppe/ gennant,
da er sehr hübsch war.Dieselben deuteten mit ihren Peit-
schenstielen auf einzelne Männer,die sich in eine besondere
Gruppe stellen mussten.Ich möchte erwähnen,dass es strenge
verboten war,auch nur ein Wort zu reden.Um so mehr wunderte
es mich,als mir plötzlich jemand zuflüsterte:"Nimm einen
Besen und rette Dich ." Ich wusste anfangs nicht was das
bedeuten sollte,doch fasste ich instinktiv einen in
meiner Nähe stehenden Besen und begann die Waggons,aus denen
wir ausgeladen wurden,zu kehren.Auch meinen neben mir
sitzenden Onkel veranlasste ich,das Gleiche zu tun,obwohl
er sich anfangs weigerte.Inzwischen hatte die SS Leute ihre
Sortierung beendet und hatten etwa dreissig Mann aus dem
ganzen Transport ausgesucht.Wir stellten uns nun unbemerkt
dazu.Als sich nun herausstellte,dass zwei Mann zu viel bei
der Gruppe waren,begannen die SS-Leute zu brüllen und wild
mit der Peitsche um sich zu schlagen.                ./.

                                     [gez. Eliau Rosenberg]

Dok. 12 : Die beachtenswerte Schilderung des Hauptbelastungszeugen Elias Rosenberg : "Iwan den Schrecklichen" kannte bzw. nannte er 1947 nicht, und der Iwan vom Todeslager wurde beim Aufstand getötet.

133


                         -2-

Plötzlich riefen sie:"Im Laufschritt ins Lager."Wir setzen
uns in Bewegung und liefen,so schnell wir konnten,den uns
gewiesenen Weg.Dies alles geschah,ohne dass von einen von
uns ein Wort gesprochen wurde.Währen wir so ins Lager
liefen,sah ich Berge von Gold und Geld auf einem Haufen zu-
sammengeschlichtet,weiters grosse Mengen von Schuhen und
Kleidern jeder Grösse.An einer Wand war ein riesiges Plakat
angebracht,auf dem ungefähr folgendes stand:"Achtung
Warschauer Wenn man ankommt,geht man ins Bad,erhählt dort
frische Wäsche und kommt in ein anderes Lager"-Wir wurden
zu einem haufen Schuhe gejagt und hatten die Aufgabe die-
selben zu sortieren,da sich darunter Männer-Frauen und
Kinderschuhe befanden und gleichzeitig nachzusehen,ob darin
nicht Irgendwelche Wertsachen verstect seien.Ich hatte damals
keine Ahnung woher diese Sachen stammen.Ich hatte mit meiner
Mutter und meinen Schwestern verabredet,dass wenn wir von
einander getrennt werden würden,wir zu demselben Mann in
Warschau schreiben würden,der uns jeden dann verständigen
sollte,dass und wo wir lebten.Ich fragte daher einen Mann,
den ich im Vorbeigehen sah,wo meine Mutter und Schwestern
seien könnten.Er machte eine wegwerfende Handbewegung und
bedeutete mir,dass sie in den Tod gingen.Ich konnte nicht
weiter fragen,da ich sonst Gefahr lief,von einem der ukrainischen
Polizisten die das ganze Lager überwachten,erschossen zu
werden.Wir mussten von 8 bis 18  Uhr arbeiten,dann wurden
wir wieder in das Lager gejagt,wo wir uns bei einer Küche
um Essen anstellen mussten.Die meisten von uns hatten keinen
Hunger,da wir uns im Laufe des Vormittages,natürlich ohne
Wissen der Ukrainer,an weggeworfenen Lebensmittel sattge-
gessen hatten.Wir wollten nur trinken und stellten uns daher
bei einen Brunnen an,der auf dem Platz vor der Küche stand.
Der Brunnen war ca.dreissig Meter tief und stank bestialisch.
Wie wir von Lagerinsassen,die schon einige Zeit in Treblinka
waren,erfuhren,hatten sich in diesen Brunnen Menschen gestürzt
deren Leichen natürlich im Wasser verwesten und diesem ekelhaf-
ten Geruch verursachten.Nicht weit von diesem Ort bemerkte
ich eine Grube,ca sechzig Meter lang,sieben bis acht Meter
breit und vier Meter tief die halbvoll mit Leichen war.Diese
Grube führte,wie ich später erfuhr,den Namen "Lazarett" und
es wurden jene Leute dort erschossen,die nicht aebeiten
konnten,oder krank waren.Zu diesem Zwecke kam ein SS-Mann in
weissen Kittel und sagte,dasssich die Kranken melden sollten,
da sie in ein"Lazarett" kämen.Tatsächlich meldeten sich eine
Anzahl Menschen,die natürlich annahmen,dass sie in ein Spital
geschickt werden würden.Der SS-Mann führte sie dann abseits
und horchte sie mit einem Steteoskop ab,während ein zweiter
die Opfer in den Kopf schoss.Auch wenn man bemerkte,dass
während der Arbeit zwei Juden miteinander sprachen,kamen
dieselben ins Lazarett.Dies alles erfuhr ich jedoch erst
am Abend des selben Tages.Ich hatte inzwischen noch immer
keine Ahnung,was mit den vielen Menschen geschah,die nach
Treblinka kamen.In der Nähe unseres Platzes,waren Baracken
eingerichtet,in dennen sich die Menschen Männer und Frauen
in eigenen Baracken,vollständig entkleiden mussten.Aus diesen
Baracken führte je ein schmaler Weg,die sich zum sogenannten
Schlauch vereinigten,wo dann Frauen und Männer gemeinsam
durch ein grosses Tor in das Gebäude geführt wurden,dass die
"Badeanstalt" gennant wurde.Bis zu diesem Tor reichte das
sogenannte erste Lager.Was sich im zweiten Lager abspielte,da-
von hatten die Menschen des ersten Lagers keine Ahnung,da es
streng verboten war,in die Nähe der Abgrenzungen zu kommen.
                                                   ./.
                                     [gez. Eliau Rosenberg]

134


                          - 3 -

Ich sah ebenfalls Menschen in die "Badeanstalt" gehen und
beobachtete sie eine Weile,ob ich nicht Bekannte darunter
sehen würde.Es war ein drückend heisser Tag und als einige
der Frauen nach Wasser  riefen,ging ich mit einer Menagescha-
le voll Wasser auf sie zu um ihnen etwas Erleichterung zu
verschaffen.Plötzlich hörte ich hinter mir einen erschreckten
Ausruf:"Er geht in den Tod."und schon sah ich einen Ukrainer
auf mich zukommen,ich entging mit knapper Not einem Hieb
über den Kopf.Ich hatte keine Zeit mehr,zu fragen was es
eigentlich für Bewandtnis mit der ganzen Angelegenheit hätte,
da wir gleich wieder zur Arbeit getrieben wurden.Ich musste wie-
der Kleidungsstücke sortieren und auf Wertsachen achten.Ein
Bekannter,der schon längere Zeit im Lager war,führte mich
zur Lagergrenze,die aus einer Hecke von gepflanzten Bäumen
bestand und so dicht war,dass man nicht sehen konnte,was
ausserhalb derselben geschah und führte mich zu einer versteckt
gelegenen Lücke,wo sich uns ein eigenartiges Bild bot;Wir sahen
hunderte Menschen vollkommen nackt in einem Kreis gehen,wohin
sahen wir nicht.Als ich meinen Kameraden fragend anblickte,
flüsterte er mir zu,dass diese Menschen alle in den Tod gingen
.Mehr konnte er mir nicht sagen,da er das selbst nicht wusste.
Wir mussten am ersten Tage unseres Aufenthaltes bis sechs Uhr
Abends arbeiten,dann kehrten wir wieder ins Lager zurück.Von
dem Transport,mit welchem wir kamen,waren schon keine Menschen
mehr zu sehen,ich wusste auch nicht,wohin sie gekommen waren
da wir ja nicht sprechen durften.Plötzlich,als die Arbeiter
versammelt waren,hiess es:"Alles antreten."Ein genauer Stand
war damals nicht bekannt,da ständig neue Menschen ankamen und
in das zweite Lager geschickt wurden,sowie auch zahlreiche
einfach niedergeschossen wurden.Als wir angetreten waren,
stürzte plötzlich aus unseren Reihen ein ca.fünfundzwanzig
jähriger Mensch heraus und stiess einem vor uns stehenden
SS-Mann namens "Max",ein Messer in die Brust.Wie wir später
erfuhren,war der Jude ein argentinischer Staatsbürger,der sich
beim Einmarsch der Deutschen zufällig in Warschau befannd
und so auch in unseren Transport eingeteilt wurde.Er wurde
sofort überwältigt und von einem SS-Mann in die Augen geschos-
sen,er starb bald darauf unter furchtbaren Schmerzen.
Sofort entstand ein ungeheurer Tumult im Lager und wir wurden
im schnellstem Tempo auf einen grossen Platz gejagt.Manche die
nicht so schnell laufen konnten,wurden von den anderen die
von den Kolbenschlägen der SS angetrieben,einfach niedergetre-
ten.SS-Mann "Lalke"befahl,dass sich alles in einer Reihe
aufstellen müsse,dann lies er den Ober-Capo namens Galeski
vortreten und begann,ihn wild mit Schlägen zu traktieren.Er
schrie dass im Lager Verbrecher wären und dies ihm nicht ge-
meldet würde.Wenn etwas derartiges nochmals vorkomme,würde
auch der Ober-Capo erschossen werden.Darauf suchte er sich
10  Männer aus und tötete sir vor den angetretenen Lager-
insasen durch Schüsse in die Augen.Die Leichen blieben auf dem
Platze liegen.Wir mussten dann in die Baracken gehen,die
über Nacht versperrt wurden.In den Baracken befanden sich keine
Betten,nur Sand war aufgestreut,auf den sich die Menschen
hinwarfen,müde und schmutzig wie sie waren.An diesem Tage war
der Vorabend des Versöhnungsfestes und einige fromme Juden
fingen an,zu beten und zu weinen.Ich hörte noch,während ich
in tiefen traumlosen Schlaf vorfiel,lange ihr Gebet-murmeln.
Dies war mein erster Tag im Lager Treblinka....
          Gewöhnlich war um vier Uhr Früh Morgenappel und die
Menschen wurden sofort zur Arbeit getrieben.Dies erwarteten
wir auch am nächsten Tage,doch nichts dergleichen geschah.Es

                               [gez. Eliau Rosenberg]

135


                        - 4 -

Es wurde sieben Uhr und die Menschen,die bei den schmalen Luken
der Baracken hinaussahen bemerkten,wie ihnen die Ukrainer
die ausserhalb Wache hielten,bedeuteten,dass die erschossen
würden.In der Baracke herrschte begreiflicherweise eine
furchtbar schlechte Luft,da man die Fenster nicht öffnen konn-
te und viele besonders ältere Menschen,wurden ohnmächtig.
Dieser Zustand dauerte bis ungefähr halb zehn Uhr vormittags.
Plötzlich der ganze Stab der SS Leute und die ukrainischen
Bewachungsmannschaften in unser Lager.Wir mussten sämtlich
in einer Reihe antreten,die Leute die zum persönlichen Dienst
der SS zur Verfügung standen,wie Stiefelputzer,Pferdeknechte
und dgl.,dies waren ca.sechzig Mann standen abseits.Um
unsere Gruppe herum waren Ukrainer mit schussbereiten Geweh-
ren postiert.Auf dem Platze des Lagers standen ca.800 Mann,
stramm in einer Reihe ausgerichtet.Der SS-Mann Lalke trat vor
und rief den Ober-Capo Galeski.Er suchte genau zweihundert
Mann heraus,die zur Seite treten mussten,knapp vor mir machte
er mit dem Zählen halt,sodas ich- wie sich später heraus-
stellte zu meinem Glück-nicht mehr dabei war.Er führte die
Menschen hinter das Lager und kurze Zeit darauf hörte man
schiessen.Der "Racheakt" war beendet.Da der SS-Mann Max an
diesem Tage starb,erhielt ausserdem das ganze Lager drei
Tage lang kein Essen.Nach dem Morgenapell mussten wir sofort wie-
der an die Arbeit.
        Als ich wieder beim Sortieren der Kleider beschäftigt
war kam ein SS-Scharführer,namens "Mathias" und verlangte
"dreissig Freiwillige für eine leichte Arbeit".Da ich fürchte-
te,dass wir bestraft werden würden,wenn wir und nicht melde-
ten,stellte ich mich zu der Gruppe der Freiwilligen und ver-
anlasste auch meinen Onkel dazu,das Gleiche zu tun.Wir wurden
im Laufschritt in die Richtung gejagt,in der die zum Tode
Bestimmten gegangen waren.Da wir nun der  Meinung sein mussten
dass uns das selbe Schicksal bevorstand,wie denen die vor
uns den gleichen Weg gegangen waren,erfasste uns ein eisiger
Schreck und einige von uns zögerten,weiterzulaufen.Doch von
den Kolbenhieben der SS vorwärts getrieben stürzten wir weiter
bis zu einer grünen Hecke.Plötzlich wurde vor uns,ein bisher
verborgenes ca-zwei Meter hohes Tor geöffnet,durch das wir
hindurch liefen.Wir standen im Lager II,dem sogenannten
Todeslager.
        Das erste was sich unseren Blicken bot,war ein Ge-
bäude,erbaut aus rohen Ziegeln,etwa in der Form einer hohen
Scheune.Wie ich später erfuhr waren das die Gaskammern,in
denen ungezählte Menschen eines schrecklichen Todes starben.
In diesem Gebäude waren drei Abteilungen,ungefähr so gross,
wie ein normales Wohnzimmer.Die Erde und die Hälfte der
Wände waren von Roten Steinfliessen bedeckt,damit das Blut
nicht sehen sollte,das öfters an den Wänden klebte.An der
Decke war ein kleines Fenster angebracht,luftdicht ver-
schlossen,dass man nicht öffnen konnte und durch das der
Mann blicken konnte,der die Gaszufuhr regelte.An der Decke
war ausserdem noch eine Brause,zu der jedoch keine Wasser-
leitung führte.Da es in den Kammern sehr dunkel war,konnte man
nicht sehen,dass entlang den Wänden einige Röhren mit einem
Durchschnitt von etwa fünf Zentimeter liefen,durch die Gas-
es handelte sich um die Auspuffgasse eines einzigen Diesel-
motores-in die Kabine geleitet wurde.In eine Kammer wurden
vierhundert Menschen gepresst.Da sie wegen des furchtbaren
Raummangels sich nicht einmal bewegen konnten.,war es nicht
möglich,dass sie umfielen,oder sich irgendwie zur Wehr setz-
ten.Die Ukrainer waren interessiert,soviel Menschen als
möglich bei einer "Partie" in die Gaskammer zu jagen,da sie
                                                        ./.
                                [gez. Eliau Rosenberg]

136


                       - 5 -

dann weniger Gas benötigten und die Opfer auch früher er-
stickten.In der Regel wurde das Gas durch ca.20 Minuten
hindurch in die Kammern geleitet und dann noch eine Vier-
telstunde gewartet,bis das letzte Röcheln der Sterbenden
nicht mehr zu hören war.Zu den Kammern führte der schon
erwähnte "Schlauch" aus dem ersten Lager,der links und
rechts von Bäumen umzäunt war,so dass man ausserhalb nicht
sehen konnte,was in dem schmalen Gang vorging.Auf dem
Wege zur Badeanstalt war eine kleine Bude in der ein SS-
Mann und ein Ukrainer standen.Dieselben befahlen den
vorübergehenden Menschen,die Hände in die Höhe zu heben
und sahen nach,ob sie doch noch nicht irgendwelche Wert-
sachen bei sich hätten.Es wurde ihnen versprochen,dass sie
dieselben nach dem Bad wieder zurückerhielten.An einem
Tischchen in dieser Bude sass ein Ukrainer namens "Iwan"
der durch seine ganz besondere Bestialitätgefürchtet war.
Seine Aufgabe war es,das Gas aufzudrehen,sowie die elektri-
schen Turbinen zu überwachen.Nachdem die Menschen in die
einzelnen Kabinen hineingedrängt wurden,so dass unmöglich
ein Mensch Platz darin gehabt hätte,wurde eine schwere
eichene Türe,die mit Filzeinlagen hermetisch abgedichtet
war,zugedrückt und mit zwei Balken,die quer davor ge-
hängt wurden,versperrt,so dass es unmöglich war,sie
aufzubringen.Dann liess Iwan das Gas ein.Dieser Ukrainer
hatte eine besondere Freude daran,Menschen zu verletzen,
besonders auf Frauen hatte er es abgesehen.Er pflegte alte
Juden die ihm nicht gefielen Nase und Ohren abzuschneiden
stach Frauen mit einem Säbel in die Schenkel und in die
Geschlechtsteile,vergewaltigte junge Frauen und hübsche
Frauen oder Mädchen.Wenn jemand ganz von uns nicht nicht
ganz so arbeitete,wie es ihm passte,fiel er mit einem
grossen Eisenrohr über ihn her und spaltete ihm den Schä-
del,oder verstümmelte ihn mit einem Messer.Er liebte es
Menschen mit dem Kopf zwischen zwei enggespannte Drähte
zu zwängen und sie dann zu schlagen,sodass die Unglücklichen,
die sich unter Schmerzen wanden,die seine Schläge verur-
sachten,sich dabei selbst erwürgten.Iwan war der einzige
Ukrainer,dem es gestattet war,ohne besondere Bewilligung
in das naheliegende Dorf zu gehen,von wo er sich Schnapps
und Esswaren holte.Er hatte einen Mithelfer namens Nikolai
welcher ebenfalls viel Unheil enrichtete.
       Da man durch das Fenster,das an der Decke der Gas-
kammer angebracht war,nicht sehen konnte ob die Menschen
schon tot wären,stellten sich bei jeder Vergasung zwei
Deutsche an eine nur von aussen sichtbare Falltüre und
horchten solange,bis man drinnen keinen Laut mehr verneh-
men konnte.Dann wurden die Falltüren schnell geöffnet und
die Leichen der Vergasten herausgeholt.Da wir ziemlich
nahe den Falltüren standen,wurden einige von uns durch den
herausströmenden Rauch vorübergehend betäubt und drohten
auch teilweise vor Entsetzen über das sich ihnen bieten-
de Bild ohnmächtig zu werden.Sie wurden jedoch durch die
Peitschenhiebe der wachhabenden SS rasch wieder zum Bewusst-
sein gebracht.Die Leichen der Ermordeten waren furchtbar
anzusehen.Die Körper waren stark aufgedunsen,die Haut grau-
weisslich und löste sich leicht,so dass sie oft in Fetzen
herunterhing.Die Augen waren herabgequollen und die Zunge
hing aus dem Mund.
        Unsere Aufgabe war es nun,die Toten auf Holztragen
im Laufschritt zu einer etwa hundertzwanzig Meter langen,
fünfzehn Meter breiten und sechs Meter tiefen Grube zu
schleppen,                                             ./.
                                 [gez. Eliau Rosenberg]

137


                        - 6 -

in der schon,als ich in das Todeslager kam,Zehntausende von
Leichen lagen.Die normale Last für zwei Mann,d.h. für eine
Trage,war ein erwachsener Toter.War der Tote besonders
leicht,oder ein Kind so musste man zwei nehmen.Wenn einer
der bewachenden SS-Leute bemerkte,dass man dies nicht tat,
so mussten die zwei Mann,die dieses "Verbrechen"begingen,
zurückgehen,die doppelte Last nehmen und im Laufschritt
zur Grube zurückkehren,wo sie erschossen wurden und gleich
gemeinsam mit den Toten in die Grube kamen.Auf dem Wege von
der Gaskammer zur Grube mussten wir ein Spalier von SS-
Leuten und Ukrainern durchlaufen,von denen jeder,mit einer
Peitsche bewaffnet,wild auf uns einschlug.Man musste stramm
gehen,um nicht unter der Wucht der Schläge umzufallen,sonst
wäre es um einen geschehen.Am Rande der Grube stand ein
Deutscher,ca.32 Jahre alt,mit einem weissen Rock bekleidet
der darauf achtete,dass man die Leichen richtig in die Grube
warf.Das heisst,die Toten mussten,wenn sie auffielen,aus-
gestreckt liegen bleiben und durften nicht etwa herumkollern
oder weiterrollen.Fielen sie nicht gut auf,dann bekamen sie T
Träger fünfundzwanzig Peitschenhiebe.Hatten die Träger ihr
Werk gut beendet,mussten sie,zum grössten Gaudium der
zusehenden Wachen,wie Pferde zurückgallopieren.
        Hinter der Rampe,die von den Falltür n aus der
Gaskammer führte,standen in Abständen von ungefähr 10
Schritten "Dentisten" die die Aufgabe hatten,den Leichen
Goldzähne oder Zahnbrücken mit einem kleinem Hammer aus dem
Munde zu schlagen.Diese wurden in eine bereitstehende Schüssel
mit Wasser geworfen.Wenn die Schüssel voll war,wurde das
Gold in Pakate geordnet und in das erste Lager geschickt.
Diese Arbeit mussten wir wenn ein Transport kam,von vier
Uhr Früh bis zwölf Uhr Nachts machen,meistens ohne Pause,von
denen Schlägen der Ukrainer und der SS angetrieben.Viele
besonders ältere Personen,brachen zusammen,doch mussten
sie,wollten sie nicht das Schicksal derer teilen,die sie tru-
gen sich aufraffen und weiterarbeiten.
         Wenn sie besonders grosser Transport kam,musste die
ganze Lagermannschaft,also auch die jenigen,die nicht ständig
mit dem Leichentragen beschäftigt waren,ausrücken und sich
an der Arbeit beteiligten.Da nicht genügend Tragen vorhanden
waren,mussten wir die Leichen oft auf der schulter schleppen
was natürlich doppelt anstrengend war.Zu der Grube die
damals ca.dreihundert Meter von den Kammern entfernt war es
wurden später noch andere Gruben ausgehoben liefen wir ebenso
wie mit den Holztragen.Wenn wir mit unserer Arbeit fertig
waren,mussten wir,so wie wir waren,in die Baracken und wurden
dort über die Nacht eingesperrt.Während er ersten drei Mona-
te meines Aufenthaltes in Treblinka begingen jede Nacht fünf-
zehn bis zwanzig Menschen Selbstmord durch Erhängen,weil sie
das furchtbare Leben und die ständige Ungewissheit nicht mehr
ertragen zu kÖnnen glaubten.Die Menschen pflegten sich auf ei-
ne Bank zu stellen,ihren Lederriemen mit einer Schlinge an
einem Querbalken der Decke zu befestigen,ihren Kopf durch
die Schlinge zu stecken und dann einen Kameraden zu ersuchen
die Bank wegzustossen,um sich nicht selbst töten zu müssen.
Wenn jemad bei Nacht aufstehen musste,um auszutreten,musste
er sich vorsichtig,die Hände vors Gesicht haltend,durch die
Hütte tasten,um nicht an einen der Aufgehängten zu stossen.
Später wurde beim Frühapell von einem Deutschen verordnet
dass diese Selbstmorde aufhören müssten und es wurden zwei
Juden dafür eingesetzt,die für die Einhaltung dieses Befehles
verantwortlich gemacht wurden.Sie wurden von der Tagesarbeit
befreit und mussten,..s Nachts Wache halten,um die Menschwn
                                                     ./.
                                   [gez. Eliau Rosenberg]

138


                          - 7 -

zu verhindern Selbstmord zu begehen.Wenn sie ihrer Pflicht
nicht nachkammen,wurden sie entweder fürchterlich geschlagen
und dann ihres Amtes enthoben,oder sie wurden selbst gehenkt.
          Es gab sehr viele fromme Juden im Lager,merkwürdiger-
weise zeigten die Deutschen kein Interesse daran,die Leute
beim Beten zu stören,im Gegenteil,sie ermöglichten ihnen sogar
die Errichtung einer koscheren Küche.Einer der SS-Leute,ein
Unterscharführer,der "Rosche" gerufen wurde,pflegte die Be-
tenden zu verspotten: "Warum betet ihr:Euer Gott wird Euch
nichthelfen,ihr seht doch,was hier vorgeht."
          Die Lagermannschaften des Lagers I und II in Treblin-
ka bestanden aus ca.dreissig deutschen SS-Männern und hundert-
zehn Ukrainern.In der Zeit von September bis November 1942
kam jeden Tag ein Transport /4-11.000 Mann/ von Warschau und
Czenstochau an.Ausserdem erinnere ich mich an folgende
Transporte:zwei Transporte von bulgarischen Juden im Sommer
1943 a3.000 Mann,zwei Transporte mit Österreichischen Juden
a 1.000 bis 1.500 Mann,welchen man erzählt hatte sie würden
zur Arbeit geschickt /sie erhielten Lebensmittel und wurden
überhaupt während der Fahrt besser behandelt/ in Treblinka
angekommen,wirden sie alle vergast und in ein Massengrab ge-
worfen,ein Transport holländischer Juden 1.000 Mann,3 tsche-
chische Transporte zu je 4.000 Mann,von denen man eine Gruppe
zur Arbeit herausnahm,vier deutschen Transporte im Jahr 1942
a 1.000 Mann und ungefähr zehn Transporte rusischer Juden
aus Weissrussland und der Ukraine.Von Warschau allein sind ei-
eine Viertel Million,vom Distrikt Czenstochau 150.000
Juden in Treblinka ums Leben gekommen.Nach Angaben der SS-
Wachen in Treblinka sind insgesamt zweieinviertel bis zwei-
einhalb Millionen Juden dort vergast worden.
          Unter den angekommenden waren zwei zu je siebzieg
Zigeunern.Während bei einem Transport von 5-6.000 Juden
eine normale Besatzung von 50 Ukrainern notwendig war,um die
nötige Ruhe aufrechtzuerhalten,rückten bei diesem Transporten
sämtliche Wachposten der SS und Ukrainer aus,um die Zigeuner
zu überwältigen.Dieselben wehrten sich mit allen Kräften die
ihnen zugefügten Misshandlungen und beinahe wäre es ihnen
geglückt,aus dem Lager auszubrechen.Ihr tod war furchtbar,es
dauerte fast eine volle Stunde,bis sie in den Gaskammern er-
stickten.
          Ich erinnere mich an einen Vorfall,der kurz nachher
passierte.Aus Grodek kam im März 1943 ein Transport von 6.000
Menschen,die grösstenteils bereits wussten,was ihnen bevor-
stand.Von diesem Transport fassten ca.dreissig junge Menschen
den Entschluss, zu flüchten.Sie zerissen den Schlauch und
verstreuten sich im ganzen Lager.Ihre Verfolgung wurde na-
türlich sofort aufgenommen und die Wachposten schossen wie
wild hinter ihnen her.. Zehn Mann wurden erschossen:den übe-
rigen zwanzig gelang es der SS einzufangen.Sie wurden in die
Gaskammern gestossen,doch wurde ihnen strafweise kein Gas ein-
gelassen,sondern Chlorokalk in die Kammer geworfen,der sich
nur langsam zersetzte.Es dauerte volle vierundzwanzig Stunden
bis man ihr Röcheln nicht mehr hörte.
           Kurze Zeit darauf wurden neue Gaskammern gebaut,in
denen bis zu 12.000 Menschen Platz hatten.Um möglichst wenig
Gas zu verbrauchen,wurden die Kabinen sehr niederig gebaut,
so dass ein grösserer Mensch nur gebückt in ihnnen stehen
konnte.Es kam manchmal vor,dass die in den grösseren Kabinen,
wo die leichten Gase grösstenteils an die Decke strömten,
                                                         ./.
                                   [gez. Eliau Rosenberg]

139


                       - 8 -

einzelne Kinder am Leben blieben.Die kleinen wurden zur
Grube geführt und von den Wachposten erbarmungslos nieder-
geknallt. Es kam dabei des öfteren vor,dass der wachthabende
Deutsche einfach zu faul war,seine Pistole herauszuziehen.Er
rief daher einen ukrainischen Wachposten zu sich und befahl
diesem ,die Juden zu erschiessen.Im Sommer 1943 geschah es
einmal,dass einer der Leichenträger beim öffnen der Gaskammer
seine Cousine,ein fünfzehnjähriges Mädchen erkannte,die noch
am Leben war.Das Mädchen war ganz ruhig,sie war sich vollko-
mmen bewusst,was ihr bevorstand.Der Leichenträger meldete die-
sen Vorfall seinem Vorarbeiter und ersuchte ihn,irgend et-
was zu unternehmen,dass das Mädchen am Leben bleibe.Der Vor-
arbeiter meldete dies dem Ober-Capo des Lagers,einem Wiener
namens Singer,der seinerseits dem Chef,SS-Scharführer Karl
Pötzinger darüber Bericht erstattete.Der Scharführer führte d
das Mädchen weg und erschoss es eigenhändig.Er sagte,dass er
ihr nicht helfen könnte.
        Während der Zeit meines Aufenthaltes in Treblinka
fanden vereinzelte Fluchtversuche statt,die jedoch gewöhnlich
mit Misserfolgen endeten.Im November 1942 organisierte man
einen grösseren Flucht versuch.Mann begann in unserer Baracke
in der 250 Mann auf grossen Pritschen,12 für die Gesunden
und zwei Krankenpritschen schliefen,in einer Ecke den Boden
aufzureissen und einen Graben auszuschaufeln.Man führte von
diesem weg einen unterirdischen Gang bis zur Umzäunung das
Lagers,der an dieser Stelle ca.fünf Meter entfernt war.Der
Plan wurde anfangs von einer kleinen Gruppe erdacht und
durchgeführt,ohne dass die anderen davon Kenntnis hatten,später
aber wussten es  beinahe alle Barackeninsassen und hatten die
Absicht,ebenfalls die Gelegenheit auszunützen.Es war geplant
um 12 Uhr nachts zu gehen.Gerade an diesem Tag fiel der
erste Schnee.Ich schlief gerade über dem Loch,ohne jedoch e
etwas von der Sache zu wiesen.Man ersuchte mich, meinen
Schlafplatz zu wechseln und erst später kam ich darauf,warum .
Um zwölf Uhr waren alle bereit und die ersten Menschen stie-
gen in den Gang ein.Wir anderen schickten uns an,ihnen zu fol-
gen,als wir plötzlich draussen Schüsse hörten und annehmen
mussten,dass etwas fehlgegangen sei.Wir erfuhren später,dass
einer der Flüchtlinge,ein gewisser Moische mit seinem Mantel
an dem Stacheldraht hängengeblieben war.Das Gerausch des
zerreissenden Mantels hatte ein in der Nähe befindlichen
Ukrainer auf den Fliehenden aufmerksam gemacht und er feuerte
einen Schuss auf sie ab,der das ganze Lager alarmierte.Den
fünf Menschen die aus dem Lager geflohen waren,gelang es je-
doch fürs erste,zu entkommen.Wir anderen beeilten uns unser
Lager aufzusuchen und uns schlafend zu stellen.Nach kurzer
Zeit wurde zum Apell gerufen,alle Leute von uns wurden von
einem SS-Hauptsturmführer /Ein langer Mensch mit Brillen/aus
den Baracken geholt und abgezählt.Es stellte sich heraus,dass
fünf Häftlinge fehlten und es wurde eine Streife ausgeschickt,
sie zurückzubringen.
         Um neun Uhr am nächsten Tage kehrte diese Streife
mit vieren de r  Flüchtlinge zurück,die auf einen Wagen ver-
laden waren.Einer war tot,die anderen drei wiesen puren schwe-
ren Mishandlungen auf und waren an Händen und Beinen auf das
Grausamste gefesselt.Die Lebenden ebenso wie die Tote wurden
vom Wagen herab in den Schnee gelegt und zwei Ukrainer zur
Bewachung neben sie gestellt.Nachdem die Deutschen weggegan-
gen waren ,erlaubten uns die Ukrainer ,den Gefesselten Wasser
zu bringen und dabei erzählten uns diese die Geschichte ihrer
                                                      ./.
                                   [gez. Eliau Rosenberg]

140


                           - 9-

Flucht und Festnahme.Es war ihnen gelungen,das nahe Dorf
zu erreichen.Dort beabsichtigten sie einen Wagen zu kaufen
und mit diesem als Bauern getarnt,die Umgebung des Lagers
zu verlassen.Im Dorf angekommen gelang es ihnen einen Wagen
zu verschaffen,so beschlossen sie dort zu übernachten.Sie
kauften sich etwas Branntwein und da sie durch die lange
Enthaltsamkeit im Lager an das Trinken nicht mehr gewohnt
waren,befanden sie sich alle in leicht angetrunkenem Zu stande.
Sie gingen in eine Scheune schlafen.Dort wurden sie von den Deut-
schen  gefunden die einfach ihren Spuren im Schnee gefolgt wa-
ren.Als sich die Deutschen der Scheune näherten,versuchten die
Juden nochmals zu fliehen,aber nur einem einzigen  gelang
es zu entkommen,die anderen wurden von den Deutschen gestellt.
Einer der sich besonders energisch zur Wehr gesetzt hatte,
wurde erschossen,einer namens Moische kämpfte ebenfalls
tapfer um sein Leben und riss einen deutschen Zugführer vom
Pferd herunter,wurde aber dann von den Ukrainern überwältigt.
Die anderen beiden ergaben sich kampflos.So wurden alle ins
Lager zurückgebracht und in den Schnee gelegt.Dann wurden
sie auf Befehl der Deutschen,die fürchteten,dass sie noch vor
ihrer Hinrichtung sterben würden,in die Gaskammern getragen
und dort auf den Boden gelegt.Dann wurde zum Apell befohlen.
Die drei Flüchtlinge wurden vor unseren Augen gehenkt.Moische,
der als letzter gehenkt wurde,Rief noch unter dem Galgen
stehend:"Es lebe das jüdische Volk." Als Mechale in die Grube
geworfen wurde fiel aus seiner Tasche ein kleines Gebetbuch.
Jemand hob es auf und gab es dem Vorarbeiter/ein gewisser
Salamon/,der später immer nach dem Buche vorbetete.Nach diesem
Versuche gab es kein Entlaufen mehr.
         Anfangs 1943 kam der Reichsführer der SS,Himmler,
zu uns auf Besuch.Wir wurden damals alle in die Baracken
gesperrt und konnten nur durch die Fensterlucken beobachten,
wir Himmler dessen Namen wir von den ukrainischen Wachposten
erfuhren,von einem Stab höherer SS-Leute umgeben,durch das
Lager schritt.Die SS-Leute hatten alle ihre Maschinenpistolen
schussbereit in den Händen.Nachdem Himmler das Lager besich-
tigt hatte,gab er den Befehl,sämtliche Leichen die in der
Grube lagen zu verbrennen.Es wurden nun verschiedene Versuche
gemacht,diese Arbeit rationell durchzuführen.Zu diesem Zweck
legte man zwei Schienen paralell nebeneinander auf die Erde
und schlichtete nun die Leichen,die mit Baggern aus der Grube
gehoben wurden,dieselben wie Holzscheiter übereinander.Es kam
dabei öfters vor ,dass die Leichen,besonders von frischen
Toten nicht gut brannten und wir sie daher mit Benzin über-
schütten mussten.Neben den Feuern standen Juden mit Heugabeln
die die herabfallenden Leichenstücke in das Feuer werfen
mussten.
         Einmal ereignete es sich,das bei einer Vergasung
eine Mutter mit drei Kindern,drei an der Zahl,am Leben
blieben.Man schleppte die Frau heraus und der wachhabende
Scharführer machte Anstalten,die Frau zu erschiessen,doch die
Kinder wollten dies nicht zulassen und schrien dass man sie
vor ihrer Mutter töten solle.Es war ein furchtbarer Anblick,
obwohl wir an furchtbares gewöhnt waren,kamen uns die Tränen
in die Augen.Sogar einige der umstehenden Wachposten  zeigten
so etwas wie menschliche Rührung.Der Scharführer stand un-
schlüssig mit der Pistole in der Hand und wusste nicht was er
tun solle.Instinktiv drückte er die Waffe ab und raf zuerst die
Mutter,dann ihre Kinder.Sie wurden gleich ins Feuer geworfen.
          Ein SS-Mann namens Hermann,sein Zuname ist mir nicht
mehr in Erinnerung,hatte eine besondere Lieblingsbeschäftigung.
                                                    ./.
                                 [gez. Eliau Rosenberg]

141


                        - 10 -

Er zündete sich ein Feuer an und suchte sich eine Be-
sonders dicke Frau unter den Leichen heraus,die man dann
zu seinem Standort tragen musste.Er warf die Leichen ins
Feuer und konnte nun stundenlang zusehen,wie sie langsam
verkohlte.
          Wir hatten zu jener Zeit nur eine Feuerstelle
und das war natürlich zu wenig,da wir nicht mehr als
hundert Leichen täglich verbrennen konnten.Man holte aus
dem Nachbarlager Sabibo einen SS-Oberscharführer namens Hebert
P l o s s,der die Arbeit neu organisierte.Er erichtete
fünf bis sechs Feuerstellen ein und führte auch eine neue
Art des Schlichtens durch.Er erwähnte kurze Zeit nach seiner
Ankunft bei einem Apell,dass ,wenn wir den ersten Tag tausend
Leichen,den zweiten zweitausend,und den dritten dreitausend
Leichen verbrennen würden wir den kommenden Sonntag arbeits-
frei hätten und auch mehr zu essen bekämen./Unsere Tages-
ration bestand damals aus einem Viertellaib Brot,einem Lö-
ffel Marmelade und Rübensuppe zu Mittag.Wenn grössere
Transporte ankamenerhielten wir jeweils noch Zuteilungen
aus den gefundenen Lebensmitteln./Da die vorarbeiter die
Aufgabe hatten,die Leichen zu zählen und die Zahl an den
Ober-Capo weiterzuleiten,veranlassten wir diese,jedesmal
eine grössere anzugeben,als wir tatsächlich verbrannten.Ge-
zähltx  wurden nur die Köpfe ,die meist von Rümpfen
getrennt waren.So arbeiteten wir 10 Tage lang.Nach dieser Z
Zeit kamen zwei neue Bagger ins Lager und zu ihrer Bedienung
zwei SS-Leute,die sich durch besonderen Sadismus auszeichne-
ten.So liessen sie,als sich die schaufeln des Baggers in
ungefähr dreissig Meter Höhe befanden,Leichenteile auf die
Köpfe der arbeitenden Juden fallen.Sie unterhielten sich
glänzend dabei,wenn einer der Getroffenen bewusstlos zu
Boden fiel.Kam er nicht bald zu sich so musste er ins Feuer
geworfen werden.
        Um diese Zeit kamen dreizehn Mädchen ins Lager,von
denen sechs in einer Wäscherei beschäftigt waren,drei in
einer Küche wo bisher nur ein Bursche arbeitete,eine nahm
sich der Lagerarzt als "Asistentin" und die anderen wurden
unter den verschiedenen Capos zum "Privatgebrauch"aufgeteilt.
Die Deutschen erlaubten überdies jedem Capo,die Mädchen
von sechs bis zehn Uhr Abends zu "besuchen".
        Im März oder April 1943 kam in unser Lager ein
Tschechischer Jude namens Zielo,der vor dem Kriege
Tschechischer Offizier gewesen war.Bevor er zu uns kam
war er im ersten Lager als Vorarbeiter beschäftigt gewesen,
mit ihm kam auch noch ein polnischer Jude,namens Adolf,der
in Palästina gewesen war und auch in der französischen
Fremdenlegion gedient hatte.Diese beiden brachten uns die
Nachricht,dass im ersten Lager ein Aufstand organisiert würde.
Später wurden beide auch bei uns Vorarbeiter und begannen,
in unserem Lager ebenfalls die Menschen für einen Massen-
aufstand vorzubereiten.Durch Arbeiter,die den Schlauch
saubermachen mussten,wurde die Verbindung mit dem ersten
Lager aufgenommen.Jede Nacht wurde in den Baracken über die
Organisation des Aufstandes gesprochen.Beinahe die gesamte
Lagermannschaft mit Ausnahme der Capos und der Mädchen
wussten davon.
        Als Tag des Aufstandes wurde der zweite August 1943
festgesetzt.Wir alle wurden in Gruppen zu je fünf Mann mit
einem Verantwortlichen eingeteilt.Jede Gruppe hatte ihre
besondere Aufgabe,die entweder darin bestand,einen bestimmtenx
                                                       ./.
                               [gez. Eliau Rosenberg]

142


                         - 11 -

SS-Mann oder Ukrainer zu überwältigen und zu töten,oder
den Draht der Umzäunung aufzuschneiden,die Baracken zu ver-
brennen,die Gaskammern zu zerstören etc.Als Zeit war sechzehn
Uhr festgelegt worden,das Signal sollte aus dem ersten Lager
kommen und sollte in der Explosion einer Handgranate bestehen
die um punkt 16 Uhr in die deutsche Messe des ersten Lagers ge-
worfen werden sollte.Im Lager II befanden sich ca.fünfzehn
SS-Leute und acht Ukrainer.Die acht Ukrainer waren  Posten,
die um das Lager und auf Tür.men aufgestellt waren.Je eine
Fünfergruppe wurde da u bestimmt,sich zu einem Turm zu bege-
ben und den Ukrainer herunterzulocken,und zwar so dass man
ihnen wie dies öfters geschah,ein zwanzig Dollarstück zeigten
sollte,worauf er gewöhnlich herunterkam,um mit dem Juden
über Geschäfte zu verhandeln./Für den Preis von zwanzig
Dollar erhielt man etwas Wurst,hundert Zigaretten,einen Laib
Brot und etwas Schnaps./Andere wieder hatten die Aufgabe die
Drähte zu zerschneiden,die um das Lager gezogen waren und
sich in den Besitz sämtlicher Waffen und Munition zu setzen
Es war,wie schon erwähnt geplant,dass beide Lager das
Zeichen der um 16 Uhr im ersten Lager explodierenden Gra-
nate losschlagen sollten.Die ganze Aktion konnte maximal
eine halbe Stunde dauern.Nach dieser Zeit,d.h.von sechzehn
Uhr dreissig bis einundzwanzig Uhr Abends sollten die gut
deutschsprechenden Lagerinsassen die Telephone besetzt
halten und die nötigen Weisungen an die nächstliegenden Lager
geben,damit kein Argwohn unter den SS-Leuten erregt würde.
In der Dunkelheit sollte dann die gesamte Lagerbesatzung,be-
kleidet mit deutschen Uniformen,wie ein Regiment geschlossen
aus dem Lager marschieren und auf deutschen Wehrmachtsautos,
die in der Nähe stationiert waren,in eindrittes Lager in
Treblinka,dass ein Straflager war und ca.1.000 Sträflinge hatte
fahren um dieses zu befreien.
         Es war um diese Zeit drückend heiss  und wegen der
Hitze und des ekelrregenden Geruchen,den die vielen Leichen,
die bereits in Verwesung waren,verbreiten,wurde von drei Uhr
morgens bis zwei Uhr nachmittags gearbeitet und wir dann in
unsere Barakken eingesperrt,sodass es nicht mehr möglich ge-
wesen wäre,um vier Uhr nachmittags den Aufstand durchzuführen.
Zu diesem Zwecke gab uns einer der Organisatoren des Aufstan-
des den Auftrag,nicht sämtliche Leichen in unserer Arbeits-
schicht zu verbrennen,sondern sie neben dem Feuer liegen zu
lassen.Der Auftrag wurde ausgeführt,trotzdem wir von den
Capos furchtbare Schläge erdulden mussten.Nachdem alles in
die Baracken gegangen war,ging der Mann,der uns den Auftrag
gegeben hatte,zu einem SS-Mann namens Pötzinger und ersuchte
ihn,dass er mit einer Gruppe von dreissig Mann im Laufe des
Nachmittags die restlichen Leichen verbrennen dürfe,wenn er
und seine Gruppe dafür doppelte Brotrationen erhielten.Der
SS-Mann stimmte dem sehr gefreut zu und gab den Befehl,
dass sämtliche Leute dieser Gruppe doppeltes Mittagessen er-
halten sollten.So war es möglich,dass dreissig Mann sich
ausserhalb des Lagers befanden und ausserdem die Baracken am
Nachmittag offen blieben.Wir erhielten dazu noch die Erlaubnis
zum Brunnen zu gehen und uns Wasser zu holen.Beim Brunnen
stand als Bewachung ein Ukrainer.
          Um halb vier Uhr nachmittags bereitete sich alles
zum Aufstand vor,das heisst die Leute packten,soweit sie im
Besitze derselben waren,ihre Habseligkeiten zusammen.Nachdem
dies geschehen war,legten sich alle nieder und stellten sich
schlafend.Im Lager herrschte vollkommende Stille,die Nerven
waren zum Zerreissen gespannt,alles wartete auf das Signal zum
Aufstand.                                            ./.
                                [gez. Eliau Rosenberg]

143


                           - 12 -

So wurde es dreiviertel vier Uhr.Plötzlich hörten wir durch
die Stille einen Schuss und kurz darauf die Explosion einer
Handgranate vom ersten Lager.Wir wussten nicht was wir im
Anfang tun sollten,da es noch eine Viertelstunde vor der
verabredeten Zeit war.Da stürzte auch schon einer der Wasser-
träger zur Baracke und schrie: "Revolution in Berlin." dies
war das Zeichen.Es erhob sich ein ungeheurer Tumult,die Leute
stürzten aus den Baracken heraus und wussten nicht was sie im
Anfang tun sollten,da die Führer des Aufstandes momentan nicht
zux sehen waren.Der Ukrainer ,der beim Brunnen stand versuchte
zu schiessen,doch kam er nicht mehr dazu,daher vorher im
Brunnen verschwand.Daraufhin stürzten einige Leute in die
Baracken der ukrainischen Wache,wo unter anderem auch der
Ukrainer Iwan  schlief und erschlugen die Ukrainer mit Schaufeln.
Diese hatten Nachtdienst gehabt und waren deshalb besonders
müde,sodas sie nicht schnell genug erwachten.Andere Leute lie-
fen,nur mit Schaufeln und Gabeln bewaffnet,zu den andern
Deutschen und Ukrainern,die noch an einigen Punkten des Lagers
stationiert waren und überwältigten diese nach kurzem Hand-
gemenge.Dies geschah alles in sehr kurzer Zeit während man
aus dem ersten Lager ununterbrochenes Schiessen hörte.Es war
nicht der Plan gewesen,alle Besatzungsmannschaften auf einfache
Weisen zu töten,doch herrschte zu diesem Zeitpunkt eine derar-
tige Verwirrung,dass die Leute eigentlich nicht mehr wussten,
was sie tun sollten.Nachdem dies vollbracht war,liefen alle
Leute zu den Lagergrenzen,die mit Drahtfallen umzäunt waren.
Dies wussten wir jedoch vorher nicht,da wir nur die Tarnung,
d.h.Bäume und Sträucher in zwei Reihen angeordnet sahen.Drei-
hundert von der Lagergrenze entfernt,war bereits der Wald.Die
meisten Leute versuchten in diesen zu gelangen und gerieten
dabei in die Drahtfallen aus  denen sie nicht befreit werden
konnten und durch die heranrückenden Deutschen aus dem dritten
Lager,dem Straflager,einzeln abgeschossen wurden.Aus dem
zweiten Lager,dem sogenannten "Totenlager" gelang es nur mir und x
zwei anderen Kameraden,lebend in den Wald zu gelangen.
Aus dem ersten Lager retteten sich ungefähr zwanzig Menschen,
alle anderen wurden erschossen.Das war das Ende des Aufstandes.
Wie sich später herausstellte,war das verfehlte Signal auf
folgende Ursache zurückzuführen:Der Chef des ersten Lagers,ein
SS-Mann namens Kiwe bemerkte,wie die Leute,die beim Sortieren
der Goldsachen beschäftigt waren,sich Gold in einem Säckchen
versteckten.Er rief einem Mann zu sich,zog seinen Revolver und
tötete ihn durch einen Schuss.Dies sah der Mann,der die Hand-
granate zu werfen hatte und verlor die Nerven.Er warf die
Granate auf den Mörder,der durch die Explosion in Stücke
gerissen wurde.Dies geschah um dreiviertel vier Uhr.Wäre es
um eine viertelstunde später gewesen,so wären 1.500 Menschen
am Leben geblieben.


Aufgenommen:                              Unterschrift:
      [gez. T. Friedmann]
                                     -------------------------

                                       [gez. Eliau Rosenberg]

144


an, handele es sich möglicherweise um ein "Mißverständnis"; denn das Gespräch im Jahre 1947 sei von der einen Seite auf Jiddisch, von der anderen auf Polnisch geführt worden.

Doch da jener Iwan im sogenannten "Totenlager", einem nur fußballfeldgroßen Komplex des Lagers von Treblinka, aktiv war, zu dem die anderen Häftlinge keinen Zutritt hatten, kann Rosenberg die "falsche Todesmeldung" nur von einem jener zwei anderen Kameraden erfahren haben, die mit ihm aus dem "Totenlager" fliehen konnten; aber Rosenberg kann diesen falschen Berichterstatter nicht nennen. Auch wirft dies die Frage auf, weshalb sich jetzt plötzlich sechs oder sieben ehemalige Häftlinge aus Treblinka an Iwan erinnern können — wenn doch nur insgesamt drei aus dem "Totenlager" geflohen sind ? Und wie das Vernehmungsprotokoll von 1947 eindeutig beweist, wurde das Gespräch zwischen Rosenberg und Tuviah Friedmann auch nicht auf Polnisch oder Jiddisch geführt, sondern zumindest in deutscher Sprache protokolliert — und so auch von Rosenberg unterschrieben.

Der Kronzeuge Rosenberg ist offenbar ein problematischer Zeuge, sowohl für die Anklage — als auch für die Verteidigung. Denn während die Verteidigung in ihm einen Zeugen sieht, der sich heute falsch erinnert, muß die Anklage beweisen, daß sich dieser Zeuge 1947 geirrt hat. Die Verteidigung ist im Vorteil, denn noch lebt Tuviah Friedmann. Doch als Friedmann davon erfuhr, daß er als Zeuge für das 1947 geführte Gespräch auftreten soll, erklärte er, er werde dann lieber in die USA auswandern. Zur Erläuterung gab Friedmann an, er werde von jüdischen Glaubensgenossen sogar bei seinem Leben bedroht, sollte er bestätigen, was Rosenberg 1947 eindeutig ausgesagt hat — daß nämlich jener Iwan von Treblinka schon seit 1943 nicht mehr am Leben ist. (077)

Das Problem mit Rosenberg ist, daß er möglicherweise nie die Wahrheit gesagt hat. Denn "neue Gaskammern, in denen bis zu 12 000 Menschen Platz hatten", hat es in Treblinka nie gegeben. Die Bagger, die zeitweise in Treblinka stationiert waren, sind im Fotoalbum des ehemaligen Treblinka-Kommandanten Kurt Franz zu sehen. Daß ihre "Schaufeln an die dreißig Meter [das entspricht der Höhe eines zwölfstöckigen Hochhauses] in den verrauchten Himmel von Treblinka ragten", ist gewiß eine nicht geringe Übertreibung, wenn man sich diese Photos be-

145


trachtet. Aber was bleibt dann von der Behauptung Rosenbergs aus dem Jahre 1947, die Baggerführer von der SS "unterhielten sich glänzend dabei", wenn sie aus "ungefähr 30 Meter Höhe Leichenteile auf die Köpfe der arbeitenden Juden fallen" ließen und "wenn einer der Getroffenen" davon "bewußtlos zu Boden fiel."

Aus anderen Darstellungen geht hervor, daß es die Deutschen sehr darauf abgesehen hatten, den Todesgang in die Gaskammern möglichst ruhig zu organisieren. In einer Zeugenaussage ist sogar von Blumen die Rede, die die Deutschen in den sogenannten "Schlauch" gepflanzt hatten, um die Todeskandidaten von der Harmlosigkeit dessen zu überzeugen, was sie am Ende des Ganges erwartete. Wieso passen zu diesem Vorhaben dann "Vergewaltigungen junger Frauen und hübscher Mädchen" durch "Iwan, der das Gas einließ" ? Wieso durfte ein Ukrainer Panik stiften, wenn die Deutschen doch einen möglichst reibungslosen Massenmord begehen wollten ?

Der "Holocaust" wird durch seine eigenen Zeugen erschüttert

Rosenberg ist eine Gefahr sowohl für die Anklage als auch für die Verteidigung, je nachdem, welche Aussage man ihm glaubt. Aber er wird natürlich zur Gefahr für alles, was man über den Holocaust weiß : Seine Aussagen, die wesentlich aus Unwahrheiten, Übertreibungen und Widersprüchen bestehen, sind allzu geeignet, Zweifel am ganzen Holocaust zu erwecken.

Andere Zeugen, die in Jerusalem behaupteten, "Iwan den Schrecklichen" in John Demjanjuk wiederzuerkennen, trugen noch dazu bei : so ein Zeuge, der lebhaft schilderte, wie Iwan Demjanjuk vor der Gaskammer Frauen mit seinem Bajonett noch Fleischstücke abgeschnitten habe — denn jeder Soldat weiß, daß man mit einem Bajonett nicht einmal ein Stück Brot abschneiden kann. Zudem besaßen die Männer von Trawniki, die in Treblinka eingesetzt wurden, überhaupt keine Bajonette.

146


Lange bevor John Demjanjuk unter dem Verdacht, "Iwan der Schreckliche" zu sein, von den USA an Israel ausgeliefert wurde, versuchten seine amerikanischen Verteidiger, diesen offenkundigen Widerspruch in den Aussagen Rosenbergs durch ein persönliches Gespräch mit dem Zeugen aufzulösen. Aber Rosenberg, der nach seiner ersten Aussage nach Palästina ausgewandert war, ließ erklären, er dürfe mit keinem Verteidiger Demjanjuks sprechen.

Obgleich von Treblinka, dem KZ, buchstäblich nichts übriggeblieben ist, nicht einmal ein Gramm Asche jener mehr als einer Million Menschen, die hier, nach Aussagen Rosenbergs, stündlich zu Zehntausenden vergast worden sind, gibt es drei mögliche Zeugenkreise : Die überlebenden Opfer, die überlebenden Täter und schließlich die polnische Zivilbevölkerung, die in unmittelbarer Nähe des Lagers wohnte.

Ein Zeuge aus Katalonien

Am 7. März 1986, unmittelbar nachdem das Bild des an Israel ausgelieferten John Demjanjuk weltweit verbreitet und auch im spanischen Fernsehen gezeigt worden war, verbreitete die Nachrichtenagentur UPI : "Ein 85jähriger Überlebender des Konzentrationslager von Treblinka erklärte, er sei sicher, daß John Demjanjuk nicht mit dem todbringenden "Iwan der Schreckliche" identisch sei."

"Ich habe dieses Gesicht noch nie gesehen"

Joaquin Garcia Ribes hatte während des spanischen Bürgerkrieges auf Seiten der Republikaner gekämpft, war nach der Niederlage seiner Kriegspartei nach Frankreich geflohen, dort interniert und beim Einmarsch der Deutschen in deutschen Gewahrsam übernommen worden. Man transportierte ihn schließlich, im Februar 1943, nach Treblinka, wo er nach eigenen Angaben beim Bau der offenen Leichenverbrennungsanlagen beteiligt war. So hatte er natürlich auch Gelegenheit, die ukrainischen Wachmänner im KZ kennenzulernen, aber das Bild von John Demjanjuk, das Anfang 1986 weltweit verbreitet wurde, erinnert ihn an keinen von ihnen : "Ich habe dieses Gesicht", sagte er, "noch nie gesehen." Sollte John Demjanjuk aus Cleveland/Ohio in den Vereinigten Staaten tatsächlich von einem israeli-

147


schen Gericht verurteilt werden, weil er "Iwan der Schreckliche" von Treblinka sei, will sich der inzwischen 85jährige Joaquin Garcia Ribes, wie er androhte, selbst das Leben nehmen, denn er habe Treblinka — durch Flucht aus dem Lager — nicht überlebt, nur, um neue Ungerechtigkeiten zuzulassen.

Es steht sogar in Büchern

Seit Kriegsende befaßt sich übrigens der alte Herr immer wieder und eingehend mit den Schrecken der Vergangenheit, vor allem mit Treblinka. Er sammelt möglichst alle Publikationen, die über Treblinka erschienen sind und findet sich in fünf Büchern bestätigt. Denn auch dort heißt es, "Iwan der Schreckliche" sei in Treblinka von Häftlingen umgebracht worden. Joaquin Garcia Ribes ist sich in diesem Punkt mit allen Buchautoren und auch dem Kronzeugen Rosenberg aus dem Jahre 1947 völlig einig : "Er starb am 2. August 1943, als die Juden im Lager rebellierten." Doch als einer dieser Buchautoren, Berger, nach der "Aufdeckung" John Demjanjuks gefragt wurde, erklärte er plötzlich, was aus seinem Buch nicht hervorgeht : es handele sich bei seinem Buch mehr um eine "romanhafte Darstellung" als um Dokumentation.

Schwierigkeiten mit der Objektivität

Die Vermischung freier Phantasie mit Tatsachen spielt in allen Verfahren gegen NS-Gewaltverbrecher eine Rolle. Dr. Albert Rückerl, jahrelang Leitender Staatsanwalt bei der Zentralstelle der deutschen Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, in seinem Buch über NS-Vernichtungslager im Spiegel deutscher Strafprozesse :

Für die Vernichtung von Millionen Menschen in Todeslagern wie Treblinka, Belzec und Sobibor gebe es unter den Opfern kaum noch Zeugen. So kam aus dem Lager Belzec "nur ein Überlebender" heraus. Aus dem Lager Chelmo waren es nur "vier Überlebende." Rückerl : "Bei einem Aufstand in Sobibor gelang etwa hundert von ihnen die Flucht. Das Kriegsende erlebten etwa fünfzig. Von den Häftlingen des Vernichtungslagers Treblinka, die sich ebenfalls bei einem Aufstand befreien konnten, überlebten etwa vierzig." (078) Wenn es wirklich "etwa vier-

148


zig" waren, kann Rosenberg, der als Kronzeuge der Anklage im Prozeß gegen Demjanjuk antreten soll, 1947 nicht die Wahrheit gesagt haben, denn er spricht von nur drei Überlebenden. Aber wie viele dieser Überlebenden leben auch heute noch ?

"Tötungsvorgang nicht beobachtet"

Dabei ist zu berücksichtigen, daß das sogenannte "Totenlager" nur ein Teil des Gesamtkomplexes von Treblinka war. Wer im Lager I lebte, konnte die Vorgänge im sogenannten Lager II, wo die Gaskammern und Leichenvernichtungsanlagen waren, gar nicht beobachten. Das sogenannte "Totenlager" war durch einen Erdwall, den sogenannten "Schlauch", außerdem durch Stacheldraht mit dichtem Blattwerk und Geflecht bewußt und hermetisch gegen Einblick von außen geschützt.

Bis heute gibt es nicht einmal übereinstimmende Skizzen des Lagers. Die auf der folgenden Seite abgebildete Skizze wurde einer polnischen Publikation entnommen.

Gar keine Vergasungsanlagen ?

So erklärten später vor deutschen Gerichten einige Zeugen sogar, sie hätten in Treblinka weder eine Gaskammer gesehen, noch überhaupt von ihrer Existenz gewußt. Die deutsche Justiz erklärte sich diese Aussagen mit dem Umstand, daß es neben dem KZ Treblinka seit Herbst 1941 auch noch ein Zwangsarbeitslager Treblinka gab, in dem zeitweise bis zu 1800 Polen und Juden inhaftiert waren. Es war offenbar ein reines Arbeitslager, von dem aus Arbeitseinsätze durchgeführt wurden, auch im KZ, denn beide Lager lagen nur wenige Kilometer voneinander entfernt, so daß es, so Rückerl, "zwischen beiden Lagern eine gewisse Wechselbeziehung gab". Häftlinge hingegen, "die an den Vernichtungsanlagen arbeiteten, wurden selbst vernichtet" — so daß einige Zeugen, die als Treblinka-Überlebende auftreten, niemals im KZ Treblinka gewesen waren und andere, die dort waren, nie einen Blick in das eigentliche "Totenlager" werfen konnten.

149


Dok. 13 : Bis heute gibt es nicht einmal übereinstimmende Skizzen des Lagers. Diese Skizze wurde einer polnischen Publikation entnommen.

150


"Durch Wasserdampf getötet"

Der Mangel an wirklichen Zeugen führte dazu, daß das Vernichtungslager Sobibor beispielsweise dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal überhaupt nicht bekannt war. Als Polen den Versuch machte, den "Komplex Sobibor" in das Verfahren einzuführen, wurde dies zurückgewiesen, weil man von der Existenz eines solchen Lagers nicht überzeugt war — und die polnischen Angaben erwiesen sich auch noch als falsch, was Treblinka anbelangte. So hieß es im polnischen Bericht auf Grund einer Zeugenaussage, dort seien Juden "sowohl durch Gas als auch heißen Wasserdampf" getötet worden, aber dafür gab es "keine Bestätigung". Laut Staatsanwalt Rückerl beruhte die These vom Einsatz von Wasserdampf auf der Aussage eines Zeugen, der "den eigentlichen Tötungsvorgang nicht beobachtete." (079)

Der Einfluß von Wiedergutmachungsverfahren

Als 1966 das Schwurgericht in Hagen den sogenannten "Sobibor-Prozeß" abschloß, bei dem 127 Zeugen, auch aus Israel und den USA, auftraten, hieß es in der Urteilsbegründung, man habe bei der Bewertung der vielen Zeugenaussagen "erhebliche Schwierigkeiten" gehabt, die sich vor allem daraus ergaben, "daß die Vorgänge über 22 Jahre zurückliegen und daß das Erinnerungsvermögen der meisten Zeugen dadurch beeinträchtigt war." Es sei schon "an sich schwierig, Einzelheiten einer Fülle von leidvollem und schrecklichem Geschehen über fast ein Vierteljahrhundert noch sicher in Erinnerung zu tragen", aber dies treffe ganz besonders auf Zeugen zu, die selbst keine "unbeteiligten Beobachter" waren : "Schließlich war zu berücksichtigen, daß viele der jüdischen Zeugen in eigenen oder fremden Wiedergutmachungsverfahren Affidavits oder eidesstattliche Versicherungen abgegeben haben und daß sich dadurch einige Zeugen in einigen Fällen auf unwahre Behauptungen festgelegt haben könnten, an deren Korrektur ihnen nicht gelegen war". (080)

Zeugentourismus ?

"Hinzu kommt", so heißt es in der Hagener Urteilsbegründung, "daß sich die meisten in Israel lebenden Zeugen dort gele-

151


gentlich treffen und Erinnerungen austauschen. Dadurch kann es möglich sein, daß sie später Selbsterlebtes und Gehörtes vermischen." Beobachter anderer Kriegsverbrecherprozesse haben auch festgestellt, daß sich bestimmte Zeugen immer wieder zu Wort melden. Es hat sich ein regelrechter "Zeugentourismus" entwickelt : Gruppen von Zeugen haben sich gebildet, die mehrfach in immer derselben Zusammensetzung um die Welt reisen, dabei gemeinsam in Hotels wohnen und sich durch ständigen Meinungsaustausch in ihren Aussagen aneinander angleichen und dabei die Annehmlichkeiten derartiger Gratisreisen mitnehmen. In einem deutschen Strafverfahren gegen den ehemaligen Leiter der Gestapo-Dienststelle im jugoslawischen Jesenice, Clemens Druschke, weigerten sich viele Zeugen, sogar das gemeinsam bewohnte Hotel in Heidelberg zu verlassen, denn in der Heimat hatte man sie vor der Möglichkeit gewarnt, sie könnten als lästige Zeugen gegen die Verbrechen des Faschismus in der Bundesrepublik Deutschland vergiftet oder auf andere Weise getötet werden. Wie sich dann während des langen Gerichtsverfahrens herausstellte, hatten sich die Zeugen, wahrscheinlich unbewußt, auf die These geeinigt, daß Druschke in Slowenien eine ähnliche Rolle wie Adolf Eichmann gespielt hatte. Doch am Schluß konnte dem "Eichmann Sloweniens" kein einziger Mord nachgewiesen werden, was zu seinem Freispruch führte. (081)

Der "Treblinka-Prozeß"

Mit solchen Schwierigkeiten hatte die deutsche Justiz auch zu kämpfen, als man 1959 mit der Bearbeitung des "Treblinka-Komplexes" begann. Wie während dieses sehr langen Verfahrens vom Gericht festgestellt wurde, gab es in Treblinka "neunzig bis einhundertundzwanzig Ukrainer, die in der Hauptsache Aufgaben beim Wachdienst wahrzunehmen hatten, aber auch in einem gewissen Umfang bei den Tötungsaktionen." Sie standen, wie die "Arbeitsjuden" im Lager, natürlich unter deutscher Aufsicht; an der Spitze eines jeden Zuges stand ein Volksdeutscher

152


— eine Maßnahme, die erforderlich war, weil Reichsdeutsche sich mit den fremdvölkischen Wachmännern kaum verständigen konnten. Wie das Gericht weiterhin feststellte, versahen die Ukrainer vornehmlich Wachdienst, auch bei Kommandos außerhalb des Lagers, und wirkten bei der Ankunft der Gefangenen an der Eisenbahnrampe mit — Vorgänge, die alle außerhalb des sogenannten "Totenlagers" stattfanden. Bis auf "wenige Ausnahmen" beschränkte sich die Aufgabe dieser ukrainischen Wachmänner auf solche Aufsichts- und Wachfunktionen außerhalb des "Totenlagers".

Die deutsche Justiz zeigte wenig Interesse an diesen "Ukrainern", aber sie wurden mehrfach von jüdischen Zeugen erwähnt. Bis heute ist nicht einmal geklärt, ob die fremdländischen Wachleute in den Konzentrationslagern auf polnischem Boden wirklich Ukrainer waren : in Auschwitz gab es mit Sicherheit keine Ukrainer, dafür aber einige Polen.

Wenn man davon ausgeht, daß eine kleine Minderheit der Wachmänner, die in Trawniki ausgebildet wurden, später in die Konzentrationslager von Belzec, Sobibor und Treblinka abkommandiert wurden, ist interessant, was zu dieser Frage der ehemalige Kommandant von Trawniki, Streibel, aussagte :

In Trawniki habe es Weißrussen, Letten, Esten und Ukrainer gegeben. Während die Angehörigen baltischer Nationen in Trawniki eigene Einheiten hatten, seien die Ukrainer mit Leuten aus Weißrußland vermischt gewesen, denn die Deutschen machten keine großen Unterschiede. Die Dienstverpflichtungen, die die Wachmänner in Trawniki unterschreiben mußten, seien in Russisch und Deutsch, aber nicht in Ukrainisch verfaßt gewesen. Man habe auch Listen von "Russen, Ukrainern, Esten und anderen" verfaßt. Man kann dieser Aussage entnehmen, daß es in Trawniki Wachmänner aus vielen Ostnationen und sehr viele Dokumente gab, auf denen ihre Namen verzeichnet waren. Leider legt die Anklage gegen Demjanjuk kein einziges dieser Dokumente vor, von denen man weiß, daß sie existiert haben, sondern mit dem angeblichen Dienstausweis nur ein Dokument, an dessen Art sich überhaupt keiner erinnern kann.

Die bunte nationale Zusammensetzung von Trawniki war kein Zufall, denn man warb die Wachmänner überwiegend aus Kriegsgefangenenlagern ab. Einige wurden aus der Zivilbevöl-

153


kerung rekrutiert. In Lagern, in denen Männer für Trawniki angeworben wurden, befanden sich Angehörige aller "Sowjet-Nationen", und wie Streibel auch bekundete, meldete sich in manchen Kriegsgefangenenlagern die ganze Mannschaft. Zwar wußte keiner, wohin es gehen würde und für welche Zwecke sie von den Deutschen angeworben wurden, aber alle hatten die Hoffnung, so schnell wie möglich der Kriegsgefangenschaft entgehen zu können.

Bei der Auswahl folgten die Deutschen gewissen Kriterien. Sie bevorzugten, wie Streibel auch angab, "deutschsprachige Männer", mit denen man sich schnell verständigen konnte. Das waren in der Regel Volksdeutsche aus der Sowjetunion, die in der Sowjetarmee Dienst getan hatten. Sie erhielten in Trawniki auch leitende Aufgaben und höhere Ränge als die Ukrainer, die meist kein Wort Deutsch verstanden und einfache Wachmänner blieben. Verächtlich nannte man sie "Askaris" oder sogar "Kalmücken" — obgleich es Angehörige asiatischer Völker in Trawniki nicht gegeben zu haben scheint. Darin kommt die Verachtung zum Ausdruck, die viele Deutsche für ihre Hilfswilligen an den Tag legten.

Das zweite Kriterium war, daß man Männer bevorzugte, die irgendeinen besonderen Grund hatten, Stalin und die Sowjetunion zu hassen; denn die Männer in Trawniki wurden ja nicht für Wachdienste in Konzentrationslagern, sondern zur Partisanenbekämpfung ausgebildet. So zog man Sowjetbürger vor, deren Verwandte in der Sowjetunion umgekommen oder nach Sibirien verschleppt worden waren. Wer Stalins GULAG-System haßte, war in Trawniki besonders willkommen.

Drittens bevorzugten die Deutschen aus praktischen Gründen Männer, die bereits einen Dienstrang in der Sowjetarmee gehabt hatten; denn sie waren es gewöhnt, auf Kommandos zu hören. Wer mehrere Kriterien erfüllte, hatte die größten Chancen — beispielsweise Karl Schäfer, ein Volksdeutscher, der in der Sowjetarmee schon Unteroffizier gewesen war.

Die nationale Zugehörigkeit spielte eine untergeordnete Rolle. Natürlich gab es viele Ukrainer in Trawniki, denn die Ukraine war das erste Opfer des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion, so daß überdurchschnittlich viele Ukrainer in deutsche Gefangenschaft geraten waren. Außerdem haßten die Ukrainer fast alle das Sowjetregime. Aber sie galten bei den Deut-

154


schen auch als äußerst unzuverlässig, weil sie "oft desertierten", wie Streibel angab : eine Folge des Umstandes, daß sie sich befreit fühlten, von den Deutschen aber als "Askaris" behandelt wurden.

In Trawniki gehörten sie zur untersten Kategorie. Der Zeuge Schäfer : Volksdeutsche durften gemeinsam mit den deutschen Offizieren in einer Kantine essen, aber nur, wenn sie in der Lagerverwaltung arbeiteten wie er selbst. Andere Volksdeutsche kommandierten die fremdländischen Wachleute, durften die Kantine der deutschen Lageroberschicht aber nicht betreten. Die ersten fremdländischen Wachmänner, die in Trawniki ankamen, mußten ihre Schuhe noch selbst aus Stroh flechten; ihre Unterkünfte waren zunächst kaum besser als im Kriegsgefangenenlager.

Wie ein anderer deutscher Zeuge angibt, der in Trawniki in der Verwaltung arbeitete, waren die fremdländischen Wachmänner für die Deutschen "alle Russen", ganz gleich, welcher Nation sie wirklich angehörten. Zwar nannte sich Kurt Franz, der einige dieser Wachmänner im Konzentrationslager von Treblinka kommandierte, Chef "der Ukrainer", aber er sagt heute, er habe nie gewußt, ob es wirklich Ukrainer oder vielleicht Russen waren. Er erinnert sich nur, daß die Unterführer weder Russen noch Ukrainer, sondern Volksdeutsche waren, von denen einige rein deutsche Namen trugen. Andere trugen russische Vor- oder Spitznamen. Mehrere Zeugen bestätigen : "Für uns hießen sie alle Iwan."

Wer ist Iwan ?

Während des Treblinka-Verfahrens, das sich naturgemäß mit dem Hauptverbrechen, nämlich der Vergasung von "mindestens 700 000" Menschen in Treblinka beschäftigte, wurden auch einige wenige Ukrainer erwähnt, die offenbar im sogenannten "Totenlager" tätig waren. Wurden Häftlinge in das Gebäude getrieben, in dem sich die Gaskammern befanden, standen, so ein Zeuge, an beiden Seiten des Einganges je ein Ukrai-

155


ner. Ein Zeuge meinte, daß auch im Motorenraum, in dem der Panzermotor stand, ein Ukrainer gearbeitet hätte, denn er hörte den deutschen Zuruf : "Iwan, gib Wasser !", was für den Ukrainer der Befehl gewesen sei, den Motor anzuwerfen, der die tödlichen Gase ausströmte. Aber für die deutschen Wachmänner und Kommandoführer waren alle Ukrainer "Iwan", ganz gleich, wie sie hießen — und wie dieser Iwan aussah, der in der Gaskammer arbeitete, konnte auch dieser Zeuge nicht sagen. Übrigens wurden die Angaben dieser Zeugen über die Zahl der Gaskammern vom deutschen Gericht nicht akzeptiert — die Zeugen berichteten von zehn Gaskammern, aber das Gericht legte sich schließlich auf sechs fest — und natürlich war keine Gaskammer so groß, daß sie, wie der Kronzeuge Rosenberg gegen Demjanjuk behauptet, 12 000 Menschen fassen konnte. Das Gericht ging von höchstens 700 aus.

Obgleich viele der in den zwei Treblinka-Verfahren Angeklagten nur der Beihilfe zum Mord für schuldig befunden wurden, blieb die Frage nach dem eigentlichen Massenmörder, nämlich jener Person, die den Gasmotor bedient hatte, völlig offen, und sie wurde auch eher am Rande behandelt. Zu den "beschworenen und glaubhaften" Zeugen gehörte auch, laut Urteil, der "Hafenlagerist Ros.", eine im schriftlichen Urteil benutzte Abkürzung, die auf den heutigen Kronzeugen gegen Demjanjuk, Elias Rosenberg, hinweist. Wie schon 1947 wußte Zeuge Rosenberg auch in den deutschen Treblinka-Verfahren offenbar nichts über einen "Iwan den Schrecklichen" oder gar über Iwan Demjanjuk. Da viele bezichtigte Personen nicht vor dem deutschen Gericht erschienen und stattdessen untergetaucht waren, wurde und wird nach ihnen weiter gefahndet. Aber zu diesen Verdächtigen, nach denen weiter gefahndet wurde, gehört kein Ukrainer. Die vielen Zeugenaussagen wiesen den ukrainischen Wachmännern zwar oft grausame Neben-, aber keine Schlüsselrollen in Treblinka zu. Vor allem konnte keiner der Zeugen eine Beschreibung dieser Ukrainer liefern.

"Wissenschaftliche Erkenntnisse" — je nach Standpunkt

Erst viel später erschien unter dem Titel Nationalsozialistische Massentötung durch Giftgas ein Buch, dessen gemeinsame

156


Autoren der Leitende Staatsanwalt Dr. Rückerl, Eugen Kogon (Der SS-Staat) und H. Langbein sind. Zum Mitautor Langbein ist zu sagen, daß er als Sekretär eines Komitees der Lagerinternierten mit Sitz in Wien als Zeuge und Sachverständiger selbst an mehreren Kriegsverbrecherprozessen teilgenommen hat; viele Erkenntnisse über die deutschen KZ, die inzwischen weltweit akzeptiert werden, gehen auf seine Schilderungen zurück. Er war vor dem Kriege Kommunist geworden und gab nach 1945 eine Zeitschrift im Auftrag der sowjetischen Besatzungstruppen in Österreich heraus. Wie er nach seinem Bruch mit dem Kommunismus erklärte, glaubte Langbein bis zu seiner politischen Gesinnungswandlung daran, daß die polnischen Offiziere, die im Wald von Katyn ermordet wurden, Opfer des deutschen Faschismus seien, und er verteidigte diese These mit "wissenschaftlichen Argumenten" auch gegen andere ehemalige Lagerkameraden, die schon sehr früh der Ansicht waren, der Massenmord von Katyn gehe auf sowjetisches Konto. Heute ist er ihrer Ansicht, aber dies ändert nichts daran, daß sich sein Urteil erst änderte, als sich seine politische Gesinnung änderte — nur einer von mehreren Gründen, solchen Quellen über die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg mit etwas Vorsicht zu begegnen.

"Subjektive Einstellung"

Langbein gibt — in seinem Buch über Menschen in Auschwitz — sogar selbst zu, daß er zu den Ereignissen, die er schildert, eine "subjektive Einstellung" hat und daß er sogar Gründe habe, sich zu "rechtfertigen". Denn Langbein gehörte nach eigenem Bekenntnis im KZ zu den "privilegierten" Gefangenen. Als "Sekretär eines SS-Führers" gehörte er zur "Oberschicht der Lagerprominenz", der Hunger beispielsweise unbekannt war.

Die "Lagerprominenz" und die SS

Da Langbein "während der ganzen Zeit, in der Menschen massenweise ermordet wurden", Schreiber des Standortarztes von Auschwitz, Dr. Eduard Wirths, war, der sich an Selektionen beteiligte, also darüber entschied, wer als arbeitsfähig galt und deshalb nicht ins Gas geschickt werden sollte und der "auch nicht der Versuchung widerstehen konnte, das für den Tod be-

157


stimmte Menschenmaterial für Versuche zu mißbrauchen" ist Langbein bei ehemaligen Haftkameraden offenbar in Verdacht geraten, als Angehöriger der Lagerprominenz selbst an dessen Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Deshalb versucht Langbein, seinen KZ-Vorgesetzten Dr. Wirths in eher günstigem Licht erscheinen zu lassen : Er schildert ihn als eine tragische und sogar sympathische Persönlichkeit. Dr. Wirths, so Langbein, habe sein Amt "widerwillig" ausgeübt, sei gegenüber Häftlingen menschlich und sogar "freundlich" gewesen und habe sogar versucht, sich mit kranken Polen auf Polnisch zu unterhalten. Wirths — der sich nach Kriegsende in britischer Haft erhängte — sei, so Langbein, äußerst pflichtbewußt, aber immer darum bemüht gewesen, "das Schlimmste zu verhindern". (082)

"Gut" und "böse"

Dies sind einige Gründe, weshalb man auch sogenannten Sachverständigen mit Skepsis entgegentreten muß, vor allem, wenn diese "subjektive Gründe" haben, die Ereignisse in den KZ so oder so zu schildern.

Zur "Lagerprominenz" gehörte übrigens auch der andere Autor des Buches über Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas, Eugen Kogon. Auch er war Sekretär eines KZ-Lagerarztes. Auf der einen Seite hatten solche "Lagerprominenten" natürlich mehr Einblick als gewöhnliche Häftlinge. Aber auf der anderen Seite war dies mit Funktionen verbunden, in denen man, wenn auch aus Not, selbst mitschuldig werden konnte. Vor allem bei Langbein ist die Tendenz erkennbar, Personen, zu denen man nicht in direktem Kontakt stand, als besonders böse und schrecklich, aber SS-Männer, denen man selbst diente, als eher sympathisch erscheinen zu lassen.

"Gerüchte", "Irrtümer" und "Fehler"

Langbein weiß selbst um die Schwierigkeiten einer objektiven Darstellung subjektiv durchlebter Erfahrungen und kriti-

158


siert deshalb — andere Autoren, die vielfach Falsches über die KZ in die Welt gesetzt hätten : Vieles, was in KZ-Darstellungen steht, sei nur "Gerücht", "Irrtum" oder "falsch". Er zitiert Zeugen, die in Kriegsverbrecherprozessen auftraten, die sich nicht einmal darüber schlüssig werden konnten, wann sie verhaftet oder ins KZ eingeliefert wurden — wenn überhaupt. Außerdem komme es immer wieder zu "fanatischen politischen Fixierungen" : Kommunisten, so meint jetzt der Exkommunist Langbein, seien besonders "subjektiv"; er bezichtigt den polnischen Untersuchungsrichter Jan Sehn, der die großen Auschwitz-Prozesse vorbereiten half, schwerer Irrtümer. Nur sind alle jene Gerüchte, Irrtümer, Fehler und sogar Lügen inzwischen in die Weltliteratur über die KZ eingegangen, zum "Allgemeinwissen" geworden, das sich dann in amerikanischen Fernsehfilmen über die "German Nazis" niederschlägt — die mit der Wahrheit kaum mehr zu tun haben.

Langbein geht in seinen Büchern über die deutschen KZ gleichfalls nur am Rande auf die Rolle der ukrainischen Wachmannschaften in diesen Lagern ein : in seinem umfassenden Buch Bericht aus Auschwitz und anderen Konzentrationslagern werden die Ukrainer gar nicht erwähnt. In seinem Buch Nicht wie die Schafe zur Schlachtbank zitiert er den anderen Autor, Eugen Kogon : "Frechheit, Faulheit und Unkameradschaftlichkeit" der Ukrainer in den Lagern habe es ihnen "nicht mehr ermöglicht, in führende Stellungen zu gelangen."

Verdächtige Ukrainer

"Ukrainische Hilfswachen" waren so korrupt, daß sie sogar Waffen an Häftlinge verkauften — mit denen die Insassen von Treblinka dann den Aufstand durchführen konnten. Langbein zitiert auch den Autor Stanislaw Nogaj, der in seinem "Tagebuch" beschreibt, wie sich in einem anderen Lager ukrainische Wachen mit den Häftlingen zu einem riskanten Aufstandsplan verbündeten. Auch dies wirft Zweifel auf die Behauptung, die deutsche SS in Treblinka habe es einem solchen Ukrainer überlassen, den Gasmotor zu bedienen : Zumindest hätten die Deutschen dann dafür gesorgt, daß dieser wichtigste Zeuge bei der Vergasung von Hunderttausenden Menschen das Lager nicht überlebt hätte.

159


Ein Zeuge nennt "Iwan Demjanjuk"

Auch der von Langbein zitierte jüdische Zeuge Goldfarb beschreibt die Ukrainer als Wachen, die beim Entladen der Güterwaggons halfen : "Auf dem Weg zu den Gaskammern standen an beiden Seiten des Zaunes Deutsche mit Hunden. Die Deutschen schlugen mit Peitschen und Eisenstangen auf die Menschen ein. Die Deutschen trieben die rennenden Opfer mit Rufen an." Von den Ukrainern ist auch hier nicht die Rede — wie in anderen Zeugenaussagen, allerdings mit einer für den "Fall Demjanjuk" sehr wichtigen Ausnahme. Denn auf Seite 180 des zitierten Buches von Langbein wird der Zeuge Goldfarb mit folgenden Worten zitiert :

"Mit einem Schwert bewaffnet"

"Am Eingang der Gaskammer standen die zwei Ukrainer Iwan Demjanjuk und Nikolai, der eine mit einer Eisenstange, der andere mit einem Schwert bewaffnet. Auch sie trieben die Menschen mit Schlägen hinein . . . Sobald die Gaskammern voll waren, schlossen die Ukrainer die Türen und starteten die Maschine." (083)

Woher solche Erkenntnisse ?

Sieht man von der Skepsis gegenüber subjektiven Zeugenaussagen ab, zu der Langbein selbst rät, stellen sich in Zusammenhang mit dieser Behauptung viele Fragen. Denn auf Seite 162 desselben Buches heißt es : "Die Eingänge waren hinter einer speziellen Trennwand angelegt." Wie konnte der Zeuge Goldfarb dann sehen, wer die Menschen in die Gaskammern trieb ? Wieso kam ein ukrainischer Wachmann, dessen Bewaffnung streng vorgeschrieben war, in den Besitz eines "Schwertes" ? Und vor allem : ukrainische Wachmänner pflegten sich den Häftlingen nicht mit Visitenkarte oder Namen vorzustellen. Wie konnte der Zeuge Goldfarb schon im KZ erfahren haben, daß der "mit einem Schwert bewaffnete Ukrainer" den Nachnamen Demjanjuk trug ?

In der Zeitung gelesen

Wir könnten selbst die Antwort auf diese Frage geben : Der

160


Zeuge Goldfarb hat den Namen Demjanjuk nicht im KZ, sondern viele Jahre nach Kriegsende erfahren — als John Demjanjuk in Cleveland/Ohio bereits öffentlich bezichtigt wurde, "Iwan der Schreckliche" gewesen zu sein. Da konnte man den Namen Demjanjuk in allen Zeitungen lesen — so auch der Zeuge Goldfarb, der einfach verwechselte, woran er sich wirklich erinnerte — und was er zusätzlich in Zeitungen gelesen hatte. Jeder Richter kennt dieses Problem der "Synthese" zwischen Eigenerlebtem und später Erfahrenem.

Der einzige Zeuge widerruft

Aber der Zeuge Avraham Goldfarb enthebt uns der Mühe. Denn am 29. März 1986, nachdem John Demjanjuk bereits als vermeintlicher "Iwan von Treblinka" an Israel ausgeliefert worden war, erschien in der Jerusalem Post ein Artikel unter der Frage : "War Demjanjuk "Iwan der Schreckliche" ?", ein Artikel, in dem nicht nur die Zeugenaussage von Elias Rosenberg aus dem Jahre 1947 zitiert wird — derzufolge "Iwan der Schreckliche" nämlich längst tot ist. Hier heißt es auch :

"Letzte Woche erreichte das Holocaust-Forschungszentrum der Bar-Ilan-Universität eine weitere Zeugenaussage, derzufolge "Iwan der Schreckliche" schon beim Häftlingsaufstand getötet wurde. Diese Aussage stammt von Avraham Goldfarb aus den späten sechziger Jahren; inzwischen ist er gestorben."

Der Verteidigung längst bekannt

Somit hat der einzige Zeuge, der jemals den Namen Iwan Demjanjuk in Zusammenhang mit "Iwan dem Schrecklichen" erwähnt hatte (oder haben soll !), selbst erklärt, daß "Iwan der Schreckliche" von Treblinka den Häftlingsaufstand von 1943 nicht überlebt hat. Die Jerusalem Post nach dieser Enthüllung : "Die in Haifa und an der Bar-Ilan-Universität entdeckten Zeugenaussagen erwecken den Eindruck, daß Demjanjuk nicht der wahre "Iwan der Schreckliche" ist." Was die Jerusalem Post entweder nicht weiß oder einfach verschweigt : Die Verteidigung Demjanjuks hatte die Zeugenaussage des Elias Rosenberg aus dem Jahre 1947 längst in Händen und wies schon während der langen Auslieferungsprozeduren in den USA darauf hin, daß der Belastungszeuge Rosenberg in Wirklichkeit einer der wich-

161


tigsten Entlastungszeugen für John Demjanjuk war. Aber mit ungewöhnlicher Großzügigkeit ging das mit der Auslieferung befaßte US-Gericht über solche Hinweise hinweg — und half dadurch, vollendete Tatsachen zu schaffen, die John Demjanjuk zum Unheil gereichen können, ganz unabhängig davon, ob er "Iwan der Schreckliche" war oder einfach das Opfer einer Verwechslung oder sogar einer reinen Erfindung geworden ist. Denn wie will man mit Anstand einen "Fall" wieder aus der Welt schaffen, in den von Anfang an sehr viel Propaganda und politische Absichten investiert wurden, die mit dem ehemaligen Arbeiter bei den Ford-Werken von Ohio, John Demjanjuk, offenbar nicht das geringste zu tun haben ?

162


Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Zum nächsten Abschnitt
Zum vorhergehenden Abschnitt
Zurück zum Archiv