GRABERT – VERLAG – TÜBINGEN
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Schirmer , Gerhart:
Sachsenhausen – Workuta; Zehn Jahre in den Fängen der Sowjets / Gerhart Schirmer
Tübingen: Grabert. – 1992
ISBN 3-87847-126-2
© 1992 by Grabert-Verlag, Postfach 1629, W-7400 Tübingen
Printed in Germany
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Es ist in den letzten Jahren kaum ein Tag vergangen, an dem nicht in den Medien – sei es Fernsehen, Presse oder Hörfunk – gegen das Deutschland der Zeit vor 1945 berichtet wurde, als wären alle Deutschen jener Zeit vom Satan befallen gewesen – mit Ausnahme der Emigranten und Widerstandskämpfer, und dies waren fast alle, glaubt man den vielen Berichten.
Bleiben nur zwei Fragen: Wieso gab es nach der Zerstörung Hitler- Deutschlands als der angeblichen Symbiose des Bösen nach Meinung und Lehre der ehemaligen Sieger weitere Kriege (man nennt über 150) mit wiederum Millionen Toten? Und als zweite Frage, ob nur den Deutschen eine Schuld zukommt, oder andere Völker am Krieg auch ihr Teil zu verantworten haben, richtiger: hätten, denn Kriegsverbrechen der Alliierten werden nach dem Londoner Protokoll vom 12 9. 1944 nicht geahndet.
Um der Wahrheit willen – die übrigens das letzte Wort haben wird – sei deshalb jeder Gedanke geachtet, der auch die Gegenseite beleuchtet. Dies – mit Betonung auf Wahrheit – wird im folgenden Bericht von Oberst der Bundeswehr a. D. Gerhart Schirmer vorgebracht. 1913 in Chemnitz geboren, meldete sich Schirmer nach dem Abitur 1932 zur Sächsischen Landespolizei, von der er 1935 zur Luftwaffe übertrat.
1939 war er Kompanie-Chef beim Fallschirmjägerregiment 2 und nahm als solcher bei den Einsätzen in Holland und Griechenland teil, worauf er das Ritterkreuz erhielt. Es folgte Einsatz in Kreta und Rußland. 1942 übernahm er ein Bataillon im Fallschirmjägerregiment 5 mit Einsatz in Nordafrika. Danach war er wieder in Rußland, wo er ab Februar 1944 Kommandeur des Fallschirmjägerregiments 16 war. Im November 1944 erhielt er das Eichenlaub zum Ritterkreuz.
Gegen Ende des Krieges geriet er als Oberstleutnant und Ia einer Fallschirmjäger-Ausbildungsdivision am 5. 5. 1945 in Hamburg-Blankenese in englische Gefangenschaft. Die englischen Offiziere der 7. Panzer-
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Division kannten Schirmer von Tunesien her, so daß die Wiederbegegnung achtungsvoll war. Englische Ausweise ließen auf baldigen Weg in die Heimat hoffen. Aber Gefangenschaft und Flucht wechselten zu erneuter Gefangennahme mit anschließender Flucht. In Walsrode geriet er erneut in englische Gefangenschaft, der er aber wieder mit einer kleinen Fluchtgruppe entkam.
Mitte Mai trennten sich die Wege der Kameraden, und Gerhart Schirmer schlug die Richtung in seine Heimat Sachsen ein, guten Glaubens, daß der Waffenstillstand nach Völkerrecht verbindliche Gültigkeit habe. Er kam bis Tangermünde (nördlich Magdeburg). Hier griffen ihn die Sowjets, denen Waffenruhe und Völkerrecht bourgeoise, westliche Floskeln waren. Wiederum als Kriegsgefangener kam er unter strenger Bewachung auf einen Lkw-Transport in Richtung Osten und wurde in das ehemalige und nun unter Leitung des sowjetischen KGB stehende Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert. Damit begann die Passion von Gerhart Schirmer, die ihn nach Workuta brachte.
Nach seiner Heimkehr aus der Gefangenschaft im Januar 1956 traf er nach knapp 11 Jahren seine Familie wieder. Hier trat er nach einer Erholungszeit der Bundeswehr bei. Als Kommandeur übernahm er eine Fallschirmjägerbrigade und wurde später als Oberst Höherer Kommandeur der Heeresflieger. Bei einer Befragung nach seiner Lebensdevise war seine Antwort: »Arbeite für Deine Familie und Dein Volk nach besten Kräften. Behalte stets Ehre, Treue und Anstand.«
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Eng ist die Zelle, doch noch enger vielleicht die freie Welt? Ist es nicht unser Volk, das geschunden und verraten neben uns auf den Pritschen und im Gang liegt?
Alexander Solschenizyn, Der Archipel GULAG, Ende 2. Teil
Wiederholt wurde ich gebeten, die Vorgänge während der 10 ½ Jahre, die ich in sowjetischer Gefangenschaft verbrachte, schriftlich festzuhalten. Ein Buch zu schreiben – wie heute jeder Star seine Memoiren schreibt – habe ich stets abgelehnt, weil ich mich nur ungern so intensiv mit dieser schweren, stets lebensbedrohenden, mitunter auch nur mit Humor, Ironie, Wagemut und eisernem Willen durchzustehenden langen Zeit beschäftigen mag.
Hier komme ich der Bitte eines jungen Wissenschaftlers nach, der mir klargemacht hat, daß einiges von meinem Wissen »für alle Zeiten aufbewahrt« werden müsse.
Zum KL Sachsenhausen, in das ich nach meinem Absetzen von den Engländern und der Gefangennahme durch die Sowjets Ende Mai 1945 eingewiesen wurde, ist zunächst ein kurzer Rückblick angebracht: Als die sowietischen Armeen die Oder überschritten hatten und sich Berlin näherten, setzten etwa Mitte April 1945 die damaligen Machthaber die Lagerinsassen des KL Sachsenhausen – etwa 4500 Männer und einige Frauen – von Oranienburg-Sachsenhausen (nördlich Berlin) zu Fuß nach Nordwesten in Marsch mit dem Befehl, Schleswig Holstein zu erreichen. Die Marschkolonne kam in mehreren Tagesmärschen nur bis in den Raum Pritzwald (zwischen Berlin und Schwerin). Dort setzten sich die Wachmannschaften ab, und die Inhaftierten waren frei. Unter diesen befanden sich auch Georg Kohn – führender Jude von Berlin – und
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Richard Großmann – ein Mann des »20. Juli«. Sie waren in einem Dorf und meinten, es wäre gut, eine Bescheinigung über ihre KL-Haft zu haben. So besorgten sie sich Zivilkleidung und Fahrräder, behielten aber die KL-Kleidung mit Nummer, und strampelten in zwei oder drei Tagesfahrten zurück zum KL Sachsenhausen.
Inzwischen hatten die sowjetischen Streitkräfte Ende April 1945 Oranienburg erreicht. Das Lager Sachsenhausen (s. Anl. 1) übernahmen sofort NKWD-Verbände (grüne Mützen). Zur Pflege und Versorgung der etwa 150 Kranken waren auch 50 gesunde Inhaftierte zurückgeblieben. Die Leitung dieser Menschen und des Lazarettes übernahm Dr. med. Fritz Hirschfeld (bis zu seiner Inhaftierung im November 1942 Führer der Juden Großberlins) zusammen mit einem zweiten Arzt. Alle diese Insassen blieben ausnahmslos bis 1948/49 im Lager.
Als nun Kohn und Großmann in Sachsenhausen ankamen, hatten die Sowjets bereits begonnen, das Lager neu zu füllen.
Beide wurden eingelassen und nach einiger Zeit einem sowjetischen Vernehmungsoffizier vorgeführt. Sie schilderten einzeln ihre Vorgeschichte. Zuerst Kohn. Als er sagte, er sei Jude, antwortete der Vernehmungsoffizier: »Du Jude, hier richtig, rein! «Großmann berichtete über sich. Der Vernehmungsoffizier: »Was, Du Widerstand gegen Diktatur, rein!« So befanden sich beide in bekannter Umgebung und blieben, Kohn bis 1948, Großmann mit Umweg über Workuta bis 1956 in Haft.
Etwa 200 Menschen, die dort schon unter dem NS-Regime waren, saßen also wieder bei den Sowjets in diesem Lager. Diese Unglücklichen konnten im Laufe der Jahre Vergleiche zwischen beiden Regimes anstellen. Sie fielen sehr zugunsten der Braunen aus – sehr! Mit Dr. Hirschfeld, Georg Kohn und Richard Großmann wurde ich im Lager eng befreundet. Sehr oft haben wir Erfahrungen ausgetauscht. Die Freundschaft hatte Bestand. Nach meiner Rückkehr aus der Sowjetunion im Januar 1956 haben wir die Verbindung neu geknüpft. Dr. Hirschfeld übergab mir 1964 eine schriftliche Erklärung, in der er bestätigt, daß das Leben unter sowjetischem Regime noch quälender und härter war als unter Hitler.
Diese Erklärung ist in meinem Besitz. (s. Anlage 2) Alle drei Freunde sind gestorben.
Aus den Wiedergutmachungsakten dieser Herren muß die Richtigkeit meiner Angaben zu ersehen sein. Im übrigen lebt die Gattin von Dr. Hirschfeld noch in Waldshut, jene von Georg Kohn noch in München.
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Durch meine Bekanntschaft mit dem Leiter des Lazarettes, Dr. Hirschfeld, erfuhr ich, (s. auch Anlage 3) daß die Sterblichkeit im Lager ab Winter 1945/46 sehr hoch lag. So waren in der Baracke 19, in der ich bis Frühjahr 1946 lebte, bei einer Belegung von 180 Mann schon 160 gestorben – verhungert. Die freien Plätze wurden sofort durch Neuzugänge wieder belegt. Die Neuzugänge wurden oft beliebig in Berlin aufgegriffen. So wurden dreimal – so oft ist mir genau bekannt – Straßenbahnen in Berlin angehalten und alle Insassen bis auf Kinder ins Lager gebracht. Der Bestand an Häftlingen betrug im inneren Dreieck des Lagers ab Herbst 1945 stets etwa 12 000 Häftlinge, darunter mehr als 1000 Frauen, die in gesonderten Baracken untergebracht waren.
Der Zusammenhalt war begrenzt, die Spitzel – weil gut genährt – bald bekannt. Ständig wurden Gerüchte verbreitet: z. B. in 14 Tagen kommen alle heim. Nie trat es ein. Es wurde geglaubt, weil die NS-Vorgänger die Gefangenen zu Anfang (1933–1935) kaum länger als 3 bis 6 Monate, später meist nur 3 Jahre eingesperrt ließen. Durch diese Gerüchte wurden die Insassen neben dem Hunger psychisch schwer belastet. Wer sich aufgab, war innerhalb 100 Tagen tot.
Ab Herbst 1945 wurden in der Vorzone ostwärts des inneren Dreiecks die »Schwarzen« gesammelt. Das waren Offiziere und Feldwebel, die von den Westmächten entlassen waren und trotz Warnung durch Offiziere der alliierten Armeen in ihre Heimat nach Mitteldeutschland gingen, dort aufgegriffen und von den Sowjets wieder eingesperrt wurden. »Schwarze« deshalb, weil die Wehrmachtmäntel dieser Soldaten von den Amerikanern und Engländern vor der Entlassung schwarz gefärbt worden waren.
Das Lager unterstand intern einer deutschen Lagerkommandantur. Lagerkommandant war ein Major i. G., der dieses Amt wegen seiner russischen Sprachkenntnisse und seines Organisationstalentes inne hatte. Von dort erfuhr ich unter anderem, daß in Transporten von etwa 2000 Mann diese Soldaten gen Osten abgingen. Ihre Gesamtzahl wird auf 10 000 geschätzt. Die Sterblichkeit dieser 2. Zone war geringer, weil die Verpflegung etwas besser war als in der 1. Zone (inneres Dreieck – siehe Anlage 1).
Als 1945 die Sterblichkeit zunahm, wurde ein Leichenkommando gebildet. Es leitete Leo Zimmermann – ein Berliner, sein Stellvertreter hieß Otto Knabe. Er kam aus dem Harz. Nachts wurden die im Leichenkeller
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aus der Westecke der Zone 1 zusammengetragenen Verhungerten verladen, und die ersten etwa 1500 Toten aus dem Lager gefahren und in Massengräbern etwa 10 km außerhalb des Lagers in einem Wald (Schmachtenhagener Forst) vergraben. Da diese Gräber von Zivilpersonen entdeckt und mit Blumen geschmückt worden waren, wurden etwa ab Januar 1946 die Leichen, weitere 23 000, in der Nordostecke des Lagers in Massengräbern zu je 600 vergraben. Heute soll dort eine Kaserne der Volksarmee stehen.
Die Sterblichkeit war im Winter 1946/47 am höchsten, täglich bis zu 120 Menschen in Zone 1 und 2.
Ich habe ab Winter 1945/46 bei Dr. Riesack (stammte aus dem Ruhrgebiet), bei Professor Bockhacker (stammte aus Gummersbach) und Dr. Hirschfeld im Lazarett gearbeitet. Meine Schlafstatt war im Sprechzimmer Dr. Hirschfelds oberhalb des Leichenkellers. Da ich mit Leo Zimmermann gute Verbindung hatte, ebenso mit dem Schriftführer des Lazarettes, der auch die Listen der Gestorbenen führte, konnte ich bis Januar 1950 genau Buch führen. Ich kam auf 23 600 Tote, wobei die ersten etwa 1500 Toten von Zimmermann gezählt worden sind.
Über den Bau einer Gaskammer und Erschießungs-Anlage im Oktober/November 1945 durch acht Gefangene, unter denen auch ich war, liegt eine notariell beglaubigte Eidesstattliche Erklärung vor (Anlage 4). Kurz beschrieben war die »Gaskammer« eine Duschbaracke mit 25 Brauseköpfen an der Decke. Es sollte der Anschein erweckt werden, daß darin die Vergasung vorgenommen sei. Daran wurde von uns eine Extrakammer angebaut mit einem Durchbruch, vor dem der Delinquent saß mit dem Gesicht zur gegenüberliegenden Seite, um von hinten den Genickschuß zu empfangen. So jedenfalls mußte der Vorführer erzählen. Das war unser Fritz Dörrbeck, der als Dolmetscher dieses Theater spielen mußte, weil er – in Rußland geboren – perfekt russisch sprach.
Was waren das nun für Menschen, die von den Sowjets als »politische Gefangene« in den Lagern eingesperrt wurden? Ich will mich auf Sachsenhausen beschränken: Zunächst außer den bereits erwähnten 200 »alten« Insassen zum Beispiel: Vorstandsvorsitzender der AEG Elfe (wurde früher entlassen, da man ihn brauchte), Kammergerichtspräsident Dr. Werner Gardiewski, Heinrich George, Professor Nerz (Fußballverband), viele Ärzte, Juristen, Offiziere, Unteroffiziere, Bürgermeister, Bauernführer und Handwerksmeister. Aber das war der kleinere Teil. Die
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Masse waren Männer und wenige Frauen, die sich nach dem Mai 1945 in der neugegründeten SPD, CDU und FDP (LDP) in gutem Glauben engagierten. Nicht die Führenden dieser Parteien – die waren von den Sowjets ausgesucht. Die Kleinen waren es, vor allem die – meist SPD-Leute –, die sich der Zusammenfassung von SPD und KPD in die SED widersetzten. Oft genügte dann eine Bemerkung darüber für die Verhaftung.
Was sind das für Menschen, die heutzutage stets nur von den »Nazi-KZ-Lagern« reden, aber kein Wort finden für ihre eigenen Landsleute, die zu Tausenden in den Sowjetlagern verhungert sind, alles Deutsche, die sich für die Belange der Parteien der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft wirklich und unter Gefahr eingesetzt hatten! Hier in der Bundesrepublik von Wertegemeinschaft zu sprechen, ist billig. Gedenkt vielmehr der Opfer unter den Sowjets in Mitteldeutschland!
Der Westen im allgemeinen und die Bundesrepublik Deutschland im besonderen wären gut beraten, sich jeglicher Beflissenheit gegenüber dem Osten zu hüten, zumal kritische Vorsicht intensivere Ost-West-Beziehungen nicht ausschließen, sondern Voraussetzung für eine sinnvolle Kooperation sind.
Wer den in Mitteldeutschland von 1945–1949 erbrachten Opfergang von Hunderttausenden vergißt, unterschlägt oder als »Aufrechnung« betrachtet, für den gilt das Wort: Wer die Wahrheit kennet und saget sie nicht, der bleibt ein ehrlos erbärmlicher Wicht. Wieviele nämlich in den GPU-Kellern erschlagen wurden, weiß eigentlich niemand – vielleicht der Kreml.
Zwei Vorfälle sind besonders interessant: Im Herbst 1947 wurde ich in den »Steinbau« befohlen. Dort empfing mich ein loyaler NKWD-Hauptmann, bot mir Essen, Trinken, Zigaretten und die sofortige Freilassung an. Ich war erstaunt und sehr bescheiden. Der Hauptmann, er war jünger als ich, schilderte mir in brauchbarem Deutsch: Man müsse nun wieder deutsche Truppen aufstellen und brauche mich für die Fallschirmtruppe – allerdings in anderer Form als bei uns früher. Er redete lustig, ließ mich essen, ich futterte, aber hörte mit hellwachen Sinnen zu. Ich merkte – um es kurz zu sagen –, ich solle eine Speznaz-Truppe aufstellen helfen. Nach zwei Stunden lehnte ich, hier aus Gesundheitsgründen, genauso ab wie am 7. 5. 1945 in Hamburg-Dammtorkaserne das Angebot eines englischen Sicherheitsmajors, mit meinem Stab zusammen sofort das
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Kommando über die Hamburger Landespolizei zu übernehmen. England wird den Namen dieses Majors kennen.
Oft habe ich mich später gefragt, warum ich diese zwei so lukrativen Angebote eigentlich abgelehnt habe. Es war wohl nur das richtige Gespür für eine Haltung, die nicht stets auch zweckmäßig ist. So ist eben alles vorbestimmt: »Man hat es oder hat es nicht.«
Ab Oktober 1949 begannen die Sowjets mit Entlassungen. Stets wurden etwa 50 bis 100 Namen aufgerufen. Fröhlich strebten die Gerufenen zum Tor der Vorzone. Wir wissen heute, daß die meisten dieser Trupps entlassen wurden, manche Trupps aber auch in ostzonale Gefängnisse transportiert worden sind. Diese Männer und Frauen machten einen schlechten Tausch. Von der Zone 1 aus war leider nicht zu beobachten, was draußen geschah. Um Mitte Dezember 1949 war nur noch das eine Bataillon unter Herrn Weber da. Aber das Aufrufen und damit wohl auch die Entlassungen gingen in kleineren Gruppen weiter. Da geschah etwas Merkwürdiges: Es erfolgten Neueingänge, Trupps so um die 10 bis 15 Mann, alle gut genährt.
Bald wußten wir: Es waren die Leichenkommandos und Männer der inneren Lagerverwaltung anderer Lager. Von Buchenwald, Neubrandenburg und Dost kamen ein bis zwei Mann, die dort nach 1945 Vergasungsanlagen eingebaut hatten. Ab Mitte 1950 hatte sich das Lager noch mehr geleert. Dafür waren aus den zehn anderen Lagern der Ostzone die »Sondertrupps« da. Schon hier begann der Austausch des Wissens um die Verlustziffern. Wir haben sie uns gut eingeprägt: Es starben von Mai 1945 bis Ende 1949 in den sowjetischen KZ – meist verhungert – etwa:
Sachsenhausen/Oranienburg | 24 600 |
Buchenwald | 21 000 |
Bautzen | 16 000 |
Hohenschönhausen | 9 000 |
Ketschendorf | 19 000 |
Jamlitz | 12 000 |
Neubrandenburg | 18 000 |
Mühlberg | 9 000 |
Torgau | 12 700 |
Dost | 18 400 |
Schwerin | 3 500 |
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Aus den Gesprächen mit den Leidensgenossen der anderen Lager ergaben sich folgende Erfahrungen: Der NKWD sorgte sowohl in den Gefängnissen als auch in den Lagern für beständigen Austausch der Häftlinge in den Zellen und Baracken. Dadurch wurde verhindert, daß die zusammenlebenden Häftlinge miteinander vertraut wurden. Auf diese Weise kam man auch mit einem Menschen zusammen, der für den NKWD spitzelte und alle Gespräche weitergab.
Fluchtpläne wurden so rechtzeitig erkannt oder durch Trennung zerschlagen. Andererseits kam man so – auch schon vor der Entlassung – immer wieder einmal mit einem Mitgefangenen zusammen, von dem man einst getrennt worden war.
Nach der Rückkehr von Heimkehrern wurde ermittelt, daß gleichzeitig zu den Bauten von Vergasungs- bzw. Erschießungsanlagen in der Sowjetzone auch in den Westzonen nach Kriegsende solche Anlagen gebaut worden sind. Warum nun haben die Siegermächte diese Anlage etwa gleichzeitig in den von ihnen weitergeführten KZ einbauen lassen? Das mußte doch einen Sinn haben. Ich habe keinen anderen gefunden, als den, daß diese Siegermächte dem deutschen Volk eine weit überhöhte Zahl von Morden aufbürden wollten. Oder welche Erklärung gibt es sonst dafür? Hier will ich festhalten, unter welchen Mühen und Opfern diese oben genannten Zahlen festgehalten worden sind.
Die Ernährung im Lager Sachsenhausen – nur von dem kann ich verbindlich aussagen – war unzureichend. Nach einigen Monaten waren die meisten wirklich am Verhungern. Es gab nur wenige, deren Verdauung so arbeitete, daß sie mit den etwa 800 Kalorien – 300 g schlechtes Brot, fast kein Fleisch und Fett – auskommen konnten. So gab es zum Beispiel den Dr. Wernicke, bis 1945 Oberbürgermeister von Stendal, oder Forstmeister Heinicke aus den Wäldern südostwärts Berlins, die bewußt verhungerten und vorher noch ihre Essensportionen etwa 14 Tage an andere, ihnen erhaltenswert erscheinende Männer abgaben.
Die Registrierung der Gestorbenen konnte nur nachts in den Leichenkellern erfolgen. Dr. med. Fritz Hirschfeld – Augenarzt –, der – wie schon erwähnt – von Herbst 1938 bis Herbst 1942 Führer der Juden Berlins war – ein Vorgänger von Herrn Galinsky also –, übergab mir die am 22. 6. 1964 erstellte Erklärung (Anlage 2), Sie ist aufschlußreich und offenbart, daß die Inhaftierung unter den Sowjets noch quälender und härter war als unter dem NS-Regime.
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Dazu noch: Das Sonderstandesamt der Bundesregierung in Arolsen veröffentlichte am 16. 1. 1984: »In Sachsenhausen starben von 1933 bis April 1945 5012 Inhaftierte.« Zählt man hierzu noch den sonstigen Anteil (Differenz von 282 077 zu 373 468) hinzu – also rund ein Drittel –, so ergibt das etwa 7000 Tote in 12 Jahren (Anlage 5).
Unter den Sowjets starben in Sachsenhausen in 4 ½ Jahren 24 600 Menschen. Das ergibt eine neunmal höhere mittlere Sterbezahl pro Jahr unter den Sowjets als vor 1945. Das ist keine Aufrechnung, sondern eine Feststellung! Wir sollten diesen Leidensweg der Deutschen ab Mai 1945 nicht verschweigen und ständig unterschlagen und nicht nur immer von der im Verhältnis weit geringeren Zahl von Opfern der NS-Diktatur sprechen. Im übrigen sagte mir Dr. Hirschfeld schon im Lager: »Zudem seien nie mehr als 10 Prozent der Insassen in Sachsenhausen zur Hitlerzeit Juden gewesen. Die anderen waren zum großen Teil aus strafrechtlichen Gründen Inhaftierte.«
Sinnigerweise am 30. 1. 1950 kam der Restbestand von uns aus Sachsenhausen in das Gefängnis Lichtenberg in Ostberlin. Die erste Etappe ging hiermit zu Ende. Dabei ist aber noch folgendes bemerkenswert: In der Vorzone von Sachsenhausen wurde mein Trupp (etwa 50 Mann) offiziell entlassen, mit Papieren und aller Habe, die bei Inhaftierung abgenommen worden war. Die Pforte zur Hauptstraße wurde geöffnet. Dort standen zwei Lastwagen und viele GPU-Leute. Man bat uns aufzusteigen, um uns in die Stadt zu bringen, fuhr jedoch ins Gefängnis Lichtenberg, wo wir recht formvollendet erneut verhaftet wurden.
Nun saßen wir zu viert acht Monate in einer Zelle, die normalerweise für einen Häftling vorgesehen war. Damit hatten wir viel Zeit, über die Ereignisse in Sachsenhausen nachzudenken und uns viel einzuprägen. Folgendes sei aus dieser Zeit festgehalten: Niemals wurden Angehörige der Verstorbenen des KL Sachsenhausen benachrichtigt oder durfte einer ein Lebenszeichen nach draußen geben.
Und niemals habe ich gehört, daß ein Volksvertreter oder ein Regierungsmitglied der 200 000 Toten gedenkt, die durch die GPU in Mitteldeutschland umkamen. So viele sind es bestimmt gewesen. Über die Folterungen, Morde und Schikanen in den Hunderten von GPU-Kellern in Mitteldeutschland sträubt sich mir Hirn, Hand und Feder. Fanatische Nationalsozialisten waren nur wenige unter den Opfern; fast
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alles waren brave Deutsche, die nur ihre Pflichten erfüllt haben. Was sind das für Opportunisten, die all die Leiden und Qualen verschweigen? Fällt auch dies »Vergessen« unter »Aufrechnung« und »Vergangenheitsbewältigung«?
Über Lichtenberg kann ich mich kurz fassen: Erste Vernehmung im März 1950. Sieben bis acht weitere folgten. Zweimal wurde ich nackt zur Vernehmung gebracht. Es war immer ein und derselbe etwa 40jährige Hauptmann des NKWD mit einer Dolmetscherin, die mäßig deutsch sprach.
Die Fragen (oft unter Drohungen) waren stets dieselben: Ich sei hoher Dienstgrad in der NSDAP gewesen, was ich guten Gewissens verneinte, da ich nie Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen war. – Ich hätte gemordet. Natürlich habe ich auf sowjetische Soldaten geschossen. – Ich hätte die Sowjetunion verwüstet. Natürlich habe ich vor allem 1944 Befehl zu Brückensprengungen gegeben. – Schließlich: Ich sei Spion. – Hätte ich ein unbedachtes Wort gesagt, so wäre mir die Todesstrafe sicher gewesen, die, wie ich später erfahren habe, immer in Brest-Litowsk vollzogen wurde.
Doch ich hatte Glück. Ende August 1950 stand ich vor drei Offizieren und wurde nach der »Ossowoje Sowerschtschanie« (Besondere Verfügung) zu dreimal 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Es dauerte fünf Minuten. Ein DIN-A-5-Papier wurde in russischer Sprache verlesen, die ich damals noch nicht verstand.–
Ich kam dann in eine große Zelle mit etwa 20 schon Verurteilten, darunter Dr. Krämer aus Jugenheim (Baden). In Ungewißheit über unser künftiges Schicksal, bis auf die Gewißheit, daß wir Sibirien oder ähnliches zu erwarten hatten, konnte ich nun in einem Rückblick folgende Erfahrungen über die Sowjets festhalten: Die Sowjets kannten nur die wenigen Deutschen aus dem Berliner Raum, mit denen ehemals ihre Botschaft und auch die Führer ihrer kommunistischen Partei zusammengearbeitet hatten. Manch einer war durch deren Spionage festgesetzt worden.
Was da aber allgemein im Lager Sachsenhausen eingepfercht wurde, waren mit ganz wenigen Ausnahmen normale Bürger, viele Kleinbürger, die nur durch Denunziation von Deutschen den Sowjets in die Hände gelangten. Dies muß festgehalten werden! Verrat und böswillige Anzeige war der hauptsächlichste Verhaftungsgrund. Ein Anlaß konnte immer gefunden werden.
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Das Ziel der Verhaftungen war Vernichtung. Ein kleiner Offizier sagte mir einmal im Lazarett in Sachsenhausen: »Schießen dürfen wir nicht mehr, wir schießen jetzt mit Wasser!« Er meinte die fürs Überleben ungenügende Wassersuppe. Den Ausspruch sollten wir uns merken.
So starb zum Beispiel das Lager Sachsenhausen in der Zeit von Herbst 1945 bis Ende 1949 zweimal komplett aus, bei einer durchschnittlichen Belegung mit 12 000 Menschen, darunter 1000 Frauen. Mit Dr. Hirschfeld habe ich nach meiner Entlassung einmal gerechnet, es mag 1962 gewesen sein: Damals verzeichnete das Internationale Rote Kreuz 300 000 Tote in den KLs der NS-Zeit (siehe Anlage 4). Später hat das Sonderstandesamt der Bundesregierung im Jahre 1984 insgesamt 380 000 Tote registriert (siehe Anlage 5).
In den GPU-Kellern und Lagern des NKWD sind von Sommer 1945 bis Herbst 1949 mindestens 200 000 Deutsche umgekommen. Das ist – auf die Jahre umgerechnet, in welchen die NS-Konzentrationslager existiert haben – die doppelte Todeszahl in den sowjetischen Lagern im Vergleich zu den Todeszahlen in der Zeit des Nationalsozialismus. Wo bleibt da die »Einmaligkeit«? Vor allem ist zu bedenken, daß die Sieger noch 3 Millionen im Osten, eine Million im Westen und Million Deutsche durch Terror-Luftangriffe umgebracht haben. Es ging also den Sowjets und damit den »Siegern« um Mord, um die Dezimierung der deutschen Bevölkerung!
Und die psychische Belastung, so schreibt Dr. Hirschfeld – immerhin ein Vorgänger von Herrn Galinski als Führer der Berliner Juden – war unter den Sowjets noch quälender und härter als unter dem Hitlerregime (s. Anlage 2).
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Nach dem zermürbenden Warten der Ungewißheit im Gefängnis Lichtenberg von etwa drei Wochen wurden wir auf einem Berliner Bahnhof in Spezialwaggons (Schnellzugwagen, in jedem Abteil 12 Mann) verladen und nach Brest-Litowsk gebracht. Immer wieder war ich mit Männern zusammen, mit denen Erfahrungen und Wissen ausgetauscht werden konnten.
In Brest gab es etwa drei bis vier Tage Aufenthalt in einem sehr großen Gefängnis. Dann ging es weiter mit der Bahn nach Moskau. Dort saßen wir auch ein paar Tage in der Ljubljanka, dann ging die Fahrt bis Wologda und schließlich nach Workuta, nördlich des Polarkreises am westlichen Rand des Urals (siehe Anlage 6, Skizze Berlin-Workuta), immer in den umgebauten Schnellzugwagen (12 Mann im Abteil, bei nassem Brot und gesalzenem Fisch).
Zeit, Fahrtgeschwindigkeit und Fahrrichtung wurden beobachtet, so daß der geographisch Kundige ungefähr verfolgen konnte, wo man sich etwa befand. Die Wachmänner (bis auf einen) haben uns nie gesagt, wohin wir fuhren oder woher wir kamen.
Mitte Oktober 1950 fand ich mich mit weiteren rund 300 Mann in der Peresilka (Durchgangslager) von Workuta in der Tundra wieder. Ab Mitte November wurde es für drei Monate Dämmerung und Nacht. Noch ahnte ich nicht, daß diese gottverlassene, aber von Hunderttausenden von Zwangsarbeitern in Barackenlagern bevölkerte Gegend meine Heimat für fast fünf Jahre werden sollte. Aber eines war mir auf der Fahrt klar geworden: Jetzt mußt du schnellstens – willst du überleben – Russisch lernen, und ich fand gute Lehrer – Juden.
Wir waren nun in die nordöstlichste Ecke von Europa und damit auch in eine grandiose Landschaft der arktischen Tundra versetzt. Die etwa 1500 km lange Eisenbahnlinie hierher, die von Wologda über Kotlas, Inta und Uchta nach Workuta führte, war unter sehr großen Opfern durch Häftlinge gebaut worden. Das Gebiet im Nordosten von Kotlas wird von
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der Petschora, einem Fluß doppelt so breit wie der Rhein, durchströmt. Deshalb nennt sich dieses Gebiet Petschora-Becken. Es wurde früher nur von Komis dünn besiedelt, einem Volksstamm der finno-ugrischen Sprachgruppe, auch Syrjänen genannt. Dort war nun ein Riesen-Strafgebiet mit etwa zwei Millionen Zwangsarbeitern zur Kohle- und Holzgewinnung.
In der sowjetischen Planwirtschaft, die zwangsweise unrentabel sein mußte, war die gesamte Rohstoffgewinnung nur mit Zwangsarbeitern zu machen. Damaliger »Lohn«, das heißt die Kosten für Essen, Kleidung und Wohnen, betrug täglich 1 DM des damaligen Wertes, also – da 12 Stunden gearbeitet wurde bei einem freien Tag im Monat – ein Stundenlohn unter 0,10 DM. Hinzu kamen allerdings die Kosten der vielen »Bewacher« und Funktionäre.
Die Stadt Workuta selbst, am gleichnamigen Fluß (Nebenfluß der Ussa, diese der Petschora) gelegen, hatte damals etwa 50 000 Einwohner, 1989 schon 101 000, die bis auf die Führungskräfte und Wachmannschaften der NKWD alle »verbannt« waren. Rings um die Stadt waren 40 Straflager angeordnet (siehe Anlage 7, Skizze Workuta und Übersicht der Arbeitsplätze), von denen die meisten an einen Kohlenschacht grenzten, in dem die Lagerinsassen in zwei Schichten zu je 12 Stunden arbeiteten. Zwei Lager waren je einem Kohlekraftwerk, zwei Frauenlager einer Ziegelei zugeordnet. Insgesamt waren nach meiner Erkenntnis und Schätzung etwa 100 000 Strafgefangene in den Lagern von Workuta untergebracht. Die Ernährung war wesentlich besser als in Sachsenhausen. Man wollte ja auch harte Arbeit von den Häftlingen. Das möge aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie sehr dürftig war. (Über die Verpflegung wird ausführlich in den »Anmerkungen zu Workuta« berichtet; der Verlag)
Das alles habe ich natürlich erst im Laufe der Zeit erfahren können. Zunächst (bei der Ankunft Anfang November 1950) beeindruckte die einbrechende Winternacht, die bis Mitte Februar dauerte, die reine Luft, die einfach faszinierenden Nordlichter, die den schon hochliegenden Schnee in unbeschreibliche, wechselnde Farben tauchten, die relative Freundlichkeit der Lagerführung und die wenig barsche Bewachung. Wir alle – Häftlinge und Bewacher – waren am Ende der Welt. Dies spürte man an allen Ecken.
Der Aufenthalt in der Peresilka dauerte nur wenige Tage, die der Besinnung dienen konnten. Dann ging es truppweis zu den einzelnen Schächten. Es mögen etwa 300 bis 400 Mann gewesen sein, die in Trupps
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von 10 bis 30 Mann abmarschierten. Ich war bei einem größeren Trupp, zusammen mit lauter Sowjetmenschen und einem englisch sprechenden Ausländer, der sich sehr zurückhielt. Aber ein Jude war dabei, der das gut verständliche »jiddische« Deutsch sprach. Ihm schloß ich mich an. Wir liefen gar nicht weit zum Lager 1 »Kapitalnaja«, dem größten Lager und dem größten Schacht im Raume Workuta. Das Lager lag nahe am Bahnhof an einem leichten Hang zur Workuta hin, etwa 50 Baracken mit wohl 5000 Mann Belegung. Der Schacht selbst lag etwas oberhalb, vielleicht 800 m vom Lager entfernt.
Die Kohle, die hier gefördert wurde, war an sich zu jung, brüchig und der Schacht sehr stark methangashaltig. Sehr starke Ventilation war notwendig, um überhaupt im Schacht über 12 Stunden arbeiten zu können. Ich wurde einer Brigade (12 Mann) zugeteilt, von denen keiner Deutsch verstand. Jede Möglichkeit habe ich genutzt, russische Worte aufzufangen. Erst nach vielen Tagen traf ich einen Deutschen, der schon länger im Lager war. Er brachte mich mit weiteren vier Deutschen zusammen. Man muß aber bedenken: 30 Minuten Anmarsch, 12 Stunden Arbeitszeitunter Tage vor Ort, duschen, sammeln, 30 Minuten Rückmarsch ins Lager, und dann erst Essen in der Eßbaracke. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Da waren 15 Stunden schnell weg, der Körper müde und ruhebedürftig. Zeit für Gespräche und die Lust hierzu waren gering. Die Tage verliefen recht eintönig und gleichmäßig. Der Körper mußte viel, das Hirn wenig leisten. Da hatte der Geist Gelegenheit, viel zu registrieren.
Deshalb zunächst die besonderen Erlebnisse.
1. Der vorgenannte Jude sprach mich an, er war gut gesonnen, intelligent und bereit, meinen Sprachkenntnissen auf die Beine zu helfen. Fast täglich trafen wir uns, wenn auch nur vielleicht 20 bis 30 Minuten. Er brachte mir wichtige Vokabeln bei und klärte mich über folgendes auf: Die Lager werden intern beherrscht von den Platnois. Die Masse der Gefangenen war aus politischen Gründen eingesperrt. Die Platnois aber waren Verbrecher, meist mit »lebenslänglich« bestraft, also Männer, die nichts zu verlieren hatten. Sie hatten innerhalb der Lager eine strenge Hierarchie aufgebaut und beherrschten die Lager gänzlich. Sich mit ihnen gut zu stellen war überlebenswichtig. Nachdem der die Anwesenheit kontrollierende Sergeant mich in meiner Baracke einmal mit Podpolkownik (Oberstleutnant) angeredet hatte und bald bekannt war, daß ich deutscher
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Fallschirmjäger-Regimentskommandeur gewesen war, hatte ich bei allen – auch bei den Platnois – einiges Ansehen. Trotzdem: Zurückhaltung war lebenswichtig.
2. So wurde ich mit Fürst Tscherbatschow zusammengebracht, der seit 1919 in Lagern saß und jetzt im Kapitalnaja (Hauptschacht) die innere Kleiderkammer verwaltete, er mag 1950/51 etwa 60 Jahre alt gewesen sein.
Er hatte es in seiner Kleiderkammer schön warm, war meist allein und freute sich, wenn ich ihn besuchte. Er sprach leidlich deutsch und gut französisch. Er war zur Zeit des Zaren Ordonnanzoffizier am Hofe gewesen und berichtete, daß es ihm und einem zweiten Offizier 1917 gelungen sei, die Zarentochter Anastasia auf abenteuerliche Weise an die russisch-finnische Grenze zu bringen. Sie sei gesund entkommen. Das wisse er – Fürst Tscherbatschow – genau. Später – nach der Heimkehr – habe ich vom Prozeß um Anastasia erfahren. Zur Klärung konnte meine Aussage nicht beitragen, und Fürst Tscherbatschow lebte in Workuta im Lager, für die Welt unerreichbar. Geschichtsforscher mögen der Aussage von Fürst Tscherbatschow nachgehen.
3. Mit den wenigen Deutschen kam ich relativ selten zusammen. Einer, Helmut Budach, er war junger Gefreiter in einer Division der Waffen-SS gewesen, schlug vor, wir mögen einen Fluchtversuch wagen. Bald stellte ich fest, daß er keine Ahnung hatte, wo wir waren.
Trotzdem habe ich mich mit der Frage ernsthaft befaßt. Flucht war nur so möglich, daß man noch in einer Zeit, in der es einige Stunden Nacht gab (von Mitte Mai bis Ende Juli war es immer hell) die Sperrzonen überwand, in den Sommer hineinmarschierte und bis zum Winter das Baltikum erreichte. Dort konnte man auf Freunde hoffen. Und da viele Balten (mehrere Zigtausend) dort im Norden in den Lagern saßen, waren auch Adressen zu erhalten. Ich konstruierte auch aus einer Flasche, einem Korken, Draht und einer am Lautsprechermagnet (in jeder Baracke befanden sich Lautsprecher, die ununterbrochen Musik und Durchsagen brachten und erst abends mit der Nationalhymne verstummten) magnetisch gemachten Nadel einen Kompaß, der ganz gut funktionierte. Aber die Ernährungsfrage war nicht zu lösen. Ein sich zur deutschen Gruppe zählender Elsässer namens Devrient muß aber unsere Überlegungen irgendwie weitergegeben haben. Alle wurden im Sommer 1951 eingesperrt. Ich nicht. Das ist die Methode des NKWD: den Gefährlichsten
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nicht einsperren und ihn deshalb bei den Eingesperrten als Verräter kennzeichnen. Eine billige, aber nicht immer funktionierende Methode.
4. Im Winter 1951/52 suchte die Lagerleitung einen Elektriker. Ich meldete mich und wurde genommen. Fortan hatte ich es leichter. Einmal wurde ich mit meinem lächerlichen Vorrat an elektrischen Ersatzteilen zum Glawni-Natschalnik des Lagers und Schachtes (Direktor) gebracht – begleitet von zwei Posten mit Maschinenpistolen. Das Licht brannte nicht in seiner Wohnung. Die Einrichtung der Direktorenwohnung ist beschreibenswert: Schrank, Tisch, Regal, zwei Stühle, drei weitere Sitzgelegenheiten, die aus Fässern halbseitig in halber Höhe ausgesägt und mit Sitzfläche versehen waren; und noch einiges mehr.
Die Zuleitung bestand, wie überall, aus Blankdraht, der an kleinen Isolatoren ins Haus und dann zur Zimmermitte führte. Die Reparatur war einfach: Der Schalter, der einen Draht unterbrach, war gebrochen, Dankbar erhielt ich als Lohn eine große Möhre, durfte mich setzen und die Möhre verspeisen. Die Familie schaute fröhlich zu, wie ich knabberte.
5. Ein Platnoiboß warnte einen Mitgefangenen (ich weiß die Nation nicht mehr), der in einer rein russischen Brigade als Zimmermann arbeitete: »Deine Brigade schlägt Dich in der nächsten Schicht tot – Du hast als Nicht-Russe die beste und leichteste Arbeit.« Die Brigade fuhr also ein. Der Delinquent empfing an der Schachteinfahrt Beil und Säge. Die neun Russen arbeiteten an drei Stellen je zu Dritt als Hauer. Er ging und tötete mit dem Beil alle neun. Nach Schichtende fuhr er allein aus und wurde sofort zum Politoffizier gebracht. Er erzählte seine Geschichte. Reaktion des Politoffiziers: Er stand auf, haut ihm auf die Schulter und rief: »Tschelowek – sie da, ein Kerl!« Damit war die Sache erledigt.
Asiatische Logik. Natur-Logik-gänzlich anders als die abendländische! Darüber habe ich später im Schacht 40 viel mit dem hochintelligenten Dr. Ing. Goldberg (Jude) – vor der Inhaftierung Chef des Moskauer Elektrizitätswesens – gesprochen und bei ihm viel Interessantes lernen dürfen. Es gibt nicht nur »eine« Logik, nicht nur »eine« Kultur, es gibt – je nach dem Standpunkt – mehrere. Aber es kann keine Multilogik und keine Multikultur geben. Jeder Mensch und jedes Volk hat nur »seine« Logik, nur »seine« Kultur. Gemisch führt nie zu etwas Gutem.
6. Im Frühjahr 1952 wurde ich eines Tages zum Politoffizier – in eine abgesetzte Steinbaracke befohlen. Eine hübsche Slawin begrüßte mich, bot Tee und Zigaretten an, war liebenswürdig und fragte nach meiner
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fliegerischen Laufbahn. Ich habe recht genau berichtet, wußte ich doch aus Lichtenberg, daß die Sowjets von mir beinahe mehr wußten, als ich selbst. Dann bekam ich eine gute Fleischmahlzeit.
Erst als ich gegessen hatte, stellte sie mir die Frage, ob ich wohl noch Blindflug beherrsche. Ich war sehr vorsichtig und habe es weder klar bejaht noch verneint. Nach einer Weile erschien ein Oberst Petrowsky und fragte sehr konkret, ob ich mir zutraue, mit einer zweimotorigen Maschine nach Finnland zu fliegen – über das Eismeer und über die Halbinsel Kola – etwa bei Charlowka – hinweg. Die Maschine habe genug Flugzeit – also ausreichend Treibstoff –, um die Strecke zu überbrücken. Ein gutes Angebot! Aber solche Angebote kannte ich schon: 1945 in Hamburg durch die Engländer und 1947 durch die Sowjets in Sachsenhausen. Nach einigem Zögern – zum Zeitgewinn – habe ich geantwortet, dies könnte ich nicht mehr, das wäre wohl der sichere Tod für alle Insassen. Bald war die Unterredung beendet, und 10 Tage später marschierte ich mit fünf oder sechs anderen zum Schacht 40, etwa 5 km nach Norden. Inzwischen konnte ich einige Worte russisch und verstand fast alles, was gesprochen wurde.
7. Im Schacht 40 traf ich Freund Richard Großmann wieder, der das KL Sachsenhausen schon unter den Nationalsozialisten kannte, und lernte den vorseitig erwähnten Juden, Dr. Ing. Goldberg, über Großmann kennen.
Goldberg sollte mein Denken stark beeinflussen und mir eine Menge von Erkenntnissen vermitteln. Er vervollkommnete meine Sprachkenntnisse und gab mir viele Einblicke in die russische Seele, in die durch die lange Mongolenherrschaft gespaltene Denkweise der Russen. Kurz gesagt, er vermittelte mir folgendes: »Es stimmt nicht immer, aber meist: Ein Russe, der mongolischen Körperbau hat, denkt indogermanisch, und ein indogermanisch aussehender Russe denkt mongolisch.« Eine lebenswichtige Erkenntnis, die unsere Politiker sehr interessieren sollte. Goldberg schrieb mir eine Stellungnahme zu meiner Verurteilung an die zentrale Lagerverwaltung in Syktywkar (Hauptstadt der Komi ASSR, auf halbem Wege nach Wologda), obwohl Besitz von Papier und Schreibgerät streng verboten war. Seinen Entwurf, die Zweitschrift, habe ich gerettet.
Gern würde ich ihm danken, aber wo finde ich ihn, sollte er noch leben? Dr. Goldberg berichtete mir damals auch sehr genau und ausführlich über die Tatsache, daß die Sowjets in der Zeit von November 1939 bis zum Juni
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1941 mindestens 1,4 Millionen Juden als Arbeitskräfte aus dem Raume Lemberg in die Industriezentren am und ostwärts des Urals transportiert haben. Dies sei oft mit Einverständnis der Juden geschehen, die Angst und Sorge vor den Polen hatten. Diese Tatsache, über die Dr. Goldberg mir sehr viele Einzelheiten berichtete, erscheint auch wieder in dem Buch von Walter N. Sanning, Die Auflösung des osteuropäischen Judentums (Grabert-Verlag, Tübingen 1983).
Diese 1,4 Millionen Juden, die von den Sowjets nach Osten transportiert wurden, sind in der Deutschland angelasteten Zahl angeblich ermordeter Juden genauso enthalten wie die vielen Juden, die beim deutschen Vorstoß gen Osten aus Galizien und anderen Teilen Westrußlands geflohen sind. Vielleicht findet ein Österreicher Gelegenheit, Herrn Wiesenthal zu bitten, nach diesem in Moskau bekannten jüdischen Dr. Ing. Goldberg zu forschen. Er könnte noch leben, vielleicht ist er über Wien in den Westen gekommen. Gern würde ich ihm für seine Freundschaft und Unterstützung Dank sagen.
8. Ich war wieder im Schacht 40 als Elektriker tätig, wo ich über Großmann, der in der Küche arbeitete, hin und wieder einen Zuschlag bekam. Es ging mir – den Umständen entsprechend – ganz gut. Doch dann kam der 17. Juni 1953, der Aufstand in der DDR, worauf viele Deutsche nach Workuta kamen. Und im Juli 1953 begann der große Streik in Workuta. Die Sowjets schlossen messerscharf: »Den haben die Deutschen organisiert.« Reiner Unfug natürlich. Wir hatten hierzu weder die notwendige Zahl noch irgendeinen Einfluß, denn nur ein ganz geringer Prozentsatz der Lagerinsassen bestand aus Deutschen.
Nachdem die Wachmannschaften den Streik zusammengeschossen hatten (es gab einschließlich der nach Verwundung Gestorbenen einige hundert Tote), wurden die vermeintlichen Rädelsführer, darunter auch ich, aus den Streiklagern geholt und in einem Strafnoi-Lager gesammelt. Danach kam ich mit 39 anderen in eine Zelle von 6 m x 4 m, wobei ich nicht weiß, in welchem Lager diese Zelle lag, jedenfalls in Workuta. Ein Jahr verbrachten wir, 40 Mann in zwei Etagen liegend, ohne uns zu waschen, zu rasieren, Haare zu schneiden. Den Bau durften täglich je zwei Mann nur für Minuten verlassen, um den Fäkalien-Kübel zu leeren.
Ich lag hier neben einem Russen. Es dauerte viele Wochen, bis wir das gegenseitige Mißtrauen überwunden hatten. Dann wußte ich, daß mein Nachbar vor seiner Verhaftung Kommandeur der Kriegsakademie in
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Leningrad gewesen war. Er war eingesperrt worden, weil er dort äußerte, daß der sowjetische Generalstab noch mehr von der deutschen Operation und Taktik übernehmen müsse. Diese Auffassung aber war »Verunglimpfung der Sowjetunion«.
Er sagte auch, daß es möglich sei, daß seine Haft nur ein Vorwand sein könne, um ihn als Gefangenen in seiner körperlichen und seelischen Widerstandsfähigkeit zu prüfen. Dies sei üblich, wenn ein Sowjet-Mensch bestimmte höhere Funktionen nach dieser Prüfung einnehmen solle. So war es auch tatsächlich, wie ich einige Jahre später, schon Oberst der Bundeswehr, erfahren habe: Dieser General wurde später Generaloberst im sowjetischen Heer.
9. Nach genau einem Jahr kamen wir aus diesem Bunker heraus. In dieser Beziehung sind die Sowjets auf Tag und Stunde exakt. Wir sahen aus wie Affen. Ein Politoffizier schaute uns an und meinte dann, diese Affen zu begleiten, sei zu schade für den Konvoi (die begleitenden Soldaten), und schickte uns in die nahegelegenen Schächte 1 und 11. Ich kam in Schacht 11, der als Strafschacht eingerichtet wurde. Dort lernte ich Johann Urwich kennen. Er war Rumäniendeutscher und wirklich ein Organisator des Streiks gewesen. Er hat zwei treffende Bände über seine Erlebnisse geschrieben: Ohne Paß durch die Sowjetunion. Diese Bücher zu studieren, kann ich nur empfehlen. Es stimmt darin jeder Satz (siehe Buchhinweis im Nachwort).
10. Im Schacht 11 erhielt ich dann 1954 von einem Ostpreußen eine Gefangenenpostkarte, da dieser nicht wußte, wohin er sie schreiben solle. Mir stand keine zu. Ich schrieb die Karte in die Heimat im Herbst 1954 – es war das erste Lebenszeichen seit September 1945, und die Karte erreichte ihr Ziel. Das war wichtig, weil dadurch die Bundesregierung einen Beweis hatte, daß ich in der Sowjetunion noch lebte. So konnte Adenauer uns Männer und Frauen bei seinem ersten Besuch in Moskau freikämpfen. Welche Schwierigkeiten er dabei hatte, ist geschichtsbekannt.
11. Zur Frage, ob es in der Sowjetunion heute noch deutsche Kriegsgefangene gibt, ist ein wichtiger Vorgang von Bedeutung: Die Sowjets unterhielten in der Tundra sogenannte Basen, in denen die Komis ihre Renntiere als Fleisch ablieferten und dafür Salz, Zucker und Mehl erhielten. Die Karelofinnen waren wohl die einzigen, die die Sprache der Komis verstanden und sprachen. Zur Sprachgruppe der Komis gehören die Finnen wie auch die Esten und Ungarn. So kam deshalb aus dem
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Schacht 40, als Gefangener abgeordnet, ein Mann namens Rea zu solchen Basen. Er lebt sicher nicht mehr.
Wir hatten erfahren, daß im Kolymagebiet im fernen Osten der Sowjetunion im Land der Jakuten (siehe Anlage 9) noch viele Deutsche seien. Dort ist eines der Gebiete für die Goldgewinnung der Sowjetunion. Wir wollten Verbindung dorthin knüpfen, machten einen Kassiber (heimliches Schreiben zwischen Gefangenen) wasserdicht fertig, und Rea versprach, die Komis zu bitten, dorthin – nach Kolyma – mit Renntierschlitten zu fahren (über eine Entfernung von 4500 km). Es gelang. Die Komis hassen die Russen wie die Pest und tun alles, um ihnen zu schaden. Wir hatten nach 16 Monaten die Antwort aus Kolyma: 30 000 Deutsche seien dort, meist Flieger, Waffen-SS, U-Boot-Leute. Der Kassiber war echt und von zwei bekannten Männern unterzeichnet. Diesen Antwort-Kassiber haben Rechtsanwalt Dr. Hans Leo (er war während des Krieges Stabsoffizier der Reserve im IC-Stab des OB West in Paris und wohnte nach unserer Entlassung ab 1957 in Hamburg 21, Hofweg 69) und Botschaftsrat Otto Grüning (nach Entlassung wieder im Auswärtigen Dienst beamtet, in Teheran ab 1957 und später in Kairo bis zu seiner Pensionierung Mitte der 70er Jahre, dann in Berlin-West), entgegengenommen und bis nach Deutschland durchgerettet. Ich war inzwischen in der 40-Mann-Zelle und damit von Dr. Leo und Otto Grüning getrennt.
12. Wir drei sind mit unserem Wissen um die 30 000 Deutschen in Kolyma zunächst am 27. Juni 1956 gemeinsam beim Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes – Dr. Heinrich Seitz (1952–61) – in Bonn gewesen. Ich selbst habe auch ein langes Gespräch mit dem Hauptgeschäftsführer des Roten Kreuzes, Dr. Wagner, geführt. Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes hat uns für den kommenden Tag beim Außenminister der Bundesrepublik, Herrn von Brentano, angemeldet. Wir konnten dort vortragen, fanden aber keine Unterstützung. Herr von Brentano äußerte sich abschließend: »Wenn die sowjetische Regierung sagt, sie habe keine Deutschen mehr, so sehe ich keine Möglichkeit einer Maßnahme für diese Männer, die da angeblich noch in Kolyma sind.« Wir waren über diese Haltung sehr enttäuscht. Aber solche lahme Haltung muß man leider bei Angehörigen der Deutschen Regierung – gleich von welcher Partei – immer wieder feststellen.
So schrieb ich zum Beispiel auch 1989 an Außenminister Genscher
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wegen »Katyn« und der Aufschrift unter dem Denkmal in Warschau. Der Herr Außenminister ließ antworten: »Er wisse nichts Genaues, aber er werde diese Angelegenheit im Auge behalten!« Inzwischen gibt es hervorragende Bücher über die unglaublichen Vorgänge von Katyn. – Doch nochmals zurück nach Workuta.
13. Als Adenauer in Moskau war, haben die Sowjets die Gespräche im Kreml in das Lager 11 in Workuta übertragen. Da die Sowjets zunächst und praktisch bis zum Schluß bei der Behauptung blieben, sie hätten keine Deutschen mehr, sank bei uns natürlich die Stimmung auf den Nullpunkt. Dies war beabsichtigt. Daß später, nach Adenauers Ankündigung, sofort heimzufliegen, die Sowjets Adenauer wieder aufsuchten und die Rückkehr derjenigen zusagten, für deren Verbleib in der Sowjetunion Adenauer Beweise hatte (angekommene Kriegsgefangenenpost), das wurde natürlich nicht mehr in das Lager übertragen.
Gerade bei diesem Vorgang wird deutlich, daß die GPU sehr gut mit psychologischen Mitteln umzugehen versteht. Eiserne Nerven sind im Umgang mit diesen Leuten notwendig. Mit den meist weinerlichen, zartbesaiteten Männern unserer Parlamentarier ist gegenüber diesen harten Burschen nichts zu gewinnen. Dies kann jetzt wieder beobachtet werden beim Umgang unserer Bonner Verantwortlichen mit dem Stasi und seiner Führung. Milliarden hat die Stasi-Führung zur Seite gebracht, und niemand sieht Mittel und Wege, diesen Männern das üble Handwerk zu legen. Vergessen wir nicht: Die Sowjets und vor allem der KGB schickt Leute, die später Verantwortung tragen sollen, erst ein bis drei Jahre als Gefangene in die härtesten Lager, um die psychische und physische Widerstandsfähigkeit zu testen!
Nach Adenauers Rückreise und der Zusage der Sowjets, uns in die Heimat zurückzuschicken, ging es uns besser. Bald wurden wir herausgelöst und in Uchta, Inta und später in Suchobeswodnoje (übersetzt: »Trocken ohne Wasser«) versammelt. Wie wir wissen, kamen so nochmals mehr als 10 000 Deutsche aus der Sowjetunion durch Adenauers Diplomatie frei.
Die anderen, zum Beispiel die in Kolyma, mußten ausharren. Sie wurden von Bonn einfach abgeschrieben. Der Film Soweit die Füße tragen! beruht auf echtem Vorgang. Die zwei Durchgekommenen aus Kolyma haben die Richtigkeit des Inhaltes unseres Kassibers bezeugt. Eine Stellungnahme von Bonn blieb aus. Neuere Bemühungen unter
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nahm ich ab 3. November 1991 in dieser menschlichen Frage (siehe Anlage 10).
Im Jahre 1958 – also nach Rückkehr der Deutschen, die alles überlebt hatten (2 Millionen Kriegs- und politische Gefangene sind ab 1942 bis 1956 in der Sowjetunion gestorben, hier wurden sie meist als »vermißt« geführt) – flog übrigens der Hauptschacht in Workuta in die Luft – Methangasexplosion –, die wir ständig befürchtet hatten. 800 Tote gab es. Die Presse berichtete damals verspätet und sehr knapp.
Soviel zu dem Schicksal von Deutschen. Aber auch das Schicksal der Finnen und der Balten, der Ukrainer und Kosaken sollte nicht in Vergessenheit geraten. Finnland wurde schon 1939 von der Sowjetunion angegriffen. Eine Kriegserklärung der Westmächte zur Wahrung des Völkerrechts an die Sowjetunion blieb aus. Tausende von Finnen starben später im Petschoragebiet. Die Balten, vor allem Esten und Letten, wurden zu vielen Tausenden verschleppt und fanden sich ebenfalls im Petschoragebiet oder in anderen Straflagergebieten der Sowjetunion wieder.
Den Diktator dieser Sowjetunion, Stalin, nannten die US-Amerikaner aber »den guten Onkel Joe«!
Den Bischof von Riga, »Silke«, traf ich im Schacht 11 in Workuta 1954. Er berichtete mir, daß die GPU extra eine Schule aufgebaut habe, in der sie bewährte GPU-Leute als Popen ausbildet, die sicher noch heute Dienst tun (als Pope natürlich!) Die Ukrainer wurden zu Hunderttausenden eingesperrt. Hierüber sagt Johann Urwich in den schon genannten Büchern sehr viel aus. Ist es verwunderlich, wenn die Ukrainer nicht mehr viel mit »Moskau« im Sinne haben? In den Monatszeitschriften Mut und Nation und Europa berichtet Wolfgang Strauß, der auch in Workuta die Segnungen des Kommunismus erleben durfte, oft sehr gut über die heutige Lage vor allem auch in der Ukraine. Das Außenministerium sollte diese Stellungnahmen lesen. Hier spricht ein wirklicher Kenner der Lage.
Nun zum Schluß: Der Kommunismus hat abgewirtschaftet. Noch aber sind grundsätzliche Entscheidungen für eine langfristige Lösung mit dem Ziel eines dauerhaften Friedens nicht gefallen. Also warten wir wachsam ab und hoffen, daß es in übersehbarer Zeit in den deutschen Ländern Regierungen geben wird, die vorwiegend deutsche Interessen zu vertreten bereit sind und nicht nur nach Wohlstand und Wohlgefallen gegenüber dem Ausland trachten, die also ihren Eid »zum Wohle des deutschen Volkes« ernst nehmen.
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Ich hatte das Glück, zehneinhalb Jahre in sowjetischen Gefängnissen, Internierungs- und Zwangsarbeitslagern zu überleben und wieder in die Heimat und zu meiner Familie zurückkehren zu dürfen. Ich denke an die Tausende von Toten, die ich sterben sah. Sie liegen meist in Massengräbern. Etwa 20 000 liegen in der Vorzone des Lagers Sachsenhausen (siehe Anlage 1). Auf das Gräberfeld habe ich mehrere deutsche Stellen hingewiesen, aber Lidice und andere Worte übertönen die an unseren deutschen Landsleuten begangenen Verbrechen.
Niemand – auch nicht die Bundesanwaltschaft – fühlt sich für die Feststellung der Grabstätte, die zugleich Gedenkstätte sein müßte, zuständig. Dieses traurige Verhalten der deutschen Regierung, ihrer Ministerien und Dienststellen gegenüber Deutschen, die letztendlich – wie Heinrich George – für Deutschland starben, besteht bis zum heutigen Tag.
Abgeschlossen am 12. August 1991
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Die Workuta ist ein Nebenfluß der Ussa, diese der Petschora (1789 km lang) zum nördlichen Eismeer. Das gibt einen ungefähren Eindruck vom Ausmaß der Flüsse des Landes.
Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts entdeckten russische Geologen im Workuta-Becken (zwischen nördlichem Eismeer und Polarzone am Westrand des Urals) in geringer Tiefe Steinkohle. Der damalige Zar Alexander I. (1801–1825) lehnte jedoch eine Errichtung von Bergwerken mit der Begründung ab, daß man in diese menschenfeindliche Gegend niemanden schicken könne, auch keine Verbannten.
Stalin, der »gute Onkel Joe«, sah dies anders: Er ließ 1939/1940 wie von Urwich beschrieben, eine Eisenbahnlinie nach Workuta bauen und deportierte dorthin Sträflinge zur Zwangsarbeit.
Kohle wurde mit zunehmender Industrialisierung lebenswichtig, besonders für das von Workuta versorgte Industriegebiet von Leningrad, was beim Streik 1953 von größter Bedeutung war. Es ist hier nicht die Aufgabe, eine Geschichte des GULAG aufzuzeigen, vielmehr soll der Leser einen ungefähren Begriff der Lebensverhältnisse bekommen, in denen Gerhart Schirmer mit vielen anderen deutschen Männern und Frauen dort hungern, frieren und dabei noch arbeiten mußte. Die Umstände mögen von Lager zu Lager unterschiedlich gewesen sein, waren jedoch im wesentlichen gleich.
Den Tagesablauf in einem Schachtlager – es gab auch Ziegeleien (Kirpitschnaja) vorwiegend von Frauenlagern – hat Gerhard Schirmer treffend geschildert. Einen freien Tag (Wichardnoi) gab es je nach Lager ein- bis dreimal im Monat; da schlief man oder besuchte Kameraden. Bei schlechtem Wetter traf man sich auf der Pritsche (Narre) beim Kipjatok (heißes Wasser mit Zucker, ganz köstlich), das gab dann die »Narren«-Gespräche vom Essen über die Heimat bis zu Goethes Faust.
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In das Bad (Banja) ging die Brigade (10–12 Mann) alle 10 Tage. Ein Holzkübel mit etwa fünf Liter heißem Wasser – kaltes gab es mehr als genug – mußte reichen. Anschließend wurde alles Körperhaar rasiert. – In der Banja wurde monatlich der Wäschewechsel vorgenommen.
Kleidung: Außer Leinenunterwäsche über das ganze Jahr gab es im Winter eine wattierte Jacke (Tilegreka). ebenso Mantel (Buschlat), Hose, Mütze (Schapka) und Fausthandschuhe, dazu Filzstiefel (Walinki). Im Sommer Mütze, Jacke und Hose aus Leinen und Schuhe mit Fußlappen.
Verpflegung: Morgens (vor der Arbeit) und abends (nach der Arbeit) in der Eßbaracke (Stallowaja) je nach erfüllter Arbeitsnorm eine entsprechende Menge (Kessel genannt): 1 = schlechte Arbeit, 2 = erfüllte Norm, 3 = gute Arbeit, Norm über 150% erfüllt; ebenso Brot (chleb), je nach Kessel 300 g, 900 g bis 1200 g. Außerdem Sauerkraut-(Kapusta)Suppe und Nährmittelbrei bzw. Grütze (Kascha) mit Öl 0–5g, 10g, 15–20g (aus einem Fingerhut mit Kelle). In einem Tagebuch wurde notiert: »1953: Fast 3 Monate gibt es Nudelsuppe (das heißt einige wenige Nudeln schwimmen in heißem Wasser und als »Kascha« 250 g geschälte Haferkörner, zwar gekocht, weich, aber noch ganz«. – Fisch (Riba): ein Stück gekocht oder kleine, gesalzene, wie Sprotten.
Zucker (Sachar) gab es alle zehn Tage 350 bis 600 g nach der Norm. Als Ausnahme (schwerer Arbeitseinsatz bei Frost) gab es auch einmal einen Löffel Kaviar. An ein Stückchen Fleisch entsinnt sich ein Tagebuch einmalig zu einem Festtag (Oktoberrevolution oder 1. Mai). Suppe und Brei erhielt man im Blechnapf (Miski), den Holzlöffel (Loschka) hatte jeder selbst.
Fühlte man sich krank (bolnoi), mußte man vor (!) der Arbeit zum Fiebermessen (Mundmessung) in die Krankenbaracke (Stationar). War es ernsthaft (o wie schön, dann brauchte man nicht raus), konnte man in der Baracke bzw. im Lager bleiben. Bei Krankheit (Gelbsucht, Distrophie oder dergleichen) wurde man ins Stationar eingewiesen (bei Gelbsucht zum Beispiel, bis die Augen nicht mehr gelb waren).
In bestimmten Zeitabschnitten kam eine Gesundheitskommission. Der Gefangene trat nackt vor eine Ärztin; diese bestimmte nach Fülle bzw. Schlaffheit des hinteren Körperteils die Arbeitskategorie: untertage (im Schacht) oder übertage oder Innenarbeit bzw. Barackendienst. Die Zwangsarbeiter übertage kamen je nach Brigade zum Barackenbau, Abladekommando (Baumstämme, Zement und Kalk, Schlacke, Kies),
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ins Sägewerk oder in die Tischlerei. Schlimm waren die Außenarbeiten beim Straßenbau, bei Kanalisation oder Baufundamenten: im Winter bei bis 36° C Frost (maximal gab es 50° C minus, aber da fiel die Außenarbeit weg) mit stumpfer Hacke (Kirka) hartgefrorene Gruben ausheben oder im Sommer bis 30° C Hitze mit Mückenplage zähen Lehm wie Gummi mit der Schaufel stechen.
Die Gefangenen waren in Baracken zu etwa 100 Mann untergebracht. Auf 2 m breiten doppelstöckigen Pritschen lagen sechs Mann. Strohsäcke gab es nicht, Unterlage war die eigene Hose, zugedeckt wurde mit der Jacke, wenn sie nicht im Trockenraum hing. Nachts wurden die Baracken abgesperrt. Das Absperren der Baracken fiel nach dem Streik 1953 weg, wie sich dann die Lebensverhältnisse allgemein etwas besserten. Es gab für die Arbeit einige Kopeken (Pfennige), wofür man sich – das grenzte wirklich an Weihnachten – Bulotschki (Bouletten) oder Piroggen kaufen konnte, natürlich auch Machorka oder Papirossi. Doch das Wichtigste: Ausländer – also auch die Deutschen – durften monatlich eine Karte schreiben und Post und Pakete empfangen.
Zwei Dinge müssen noch erwähnt werden: In seiner Niederschrift berichtet Gerhart Schirmer, daß die Sowjets auch willkürlich aufgegriffene Passanten nach Sachsenhausen einlieferten. Doch wurden auch Personen verhaftet, die das Pech hatten, den gleichen Namen einer bekannten oder gesuchten Persönlichkeit zu haben. So ging es Dr. Arno Busch aus Mecklenburg, der mit dem obersten Parteirichter der NSDAP Dr. Buch verwechselt wurde – das entnahm Dr. Busch jedenfalls den Verhören – da er Rechtsanwalt und Notar war. Als Krankenpfleger in Sachsenhausen betreute er Heinrich George bis zu dessen Tod und kam wohl nach Workuta, weil er zu viel wußte.
Zum Streik in Workuta im Juli 1953 ist bemerkenswert, daß er von so weittragender Bedeutung war, daß als Chef der Moskauer Kommission der Armeegeneral Maslenikow, u. a. Stellvertreter des Innenministers und Vertreter des Zentralkommitees der Sowjet-Union, mit dem Generalstaatsanwalt der Sowjet-Union R. A. Rudenko (bekannt vom IMT Nürnberg) entsandt wurde. Hierüber zu berichten, würde zu weit führen. In Urwichs Buch Ohne Paß durch die UdSSR wird hierüber genau berichtet. (Verlag Vereinigung der Freien Rumänen in Deutschland e. V., 2 Bde., München 1982) Hier werden die Verhältnisse in Workuta und die Geschichte dieser Stadt vor allem in Band 2 auf den Seiten 98–104
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beschrieben, wobei auch mehrfach Oberstleutnant Gerhart Schirmer erwähnt wird.
Abschließend sei bemerkt, daß in dieser Niederschrift russische Wörter phonetisch und in deutscher Schrift wiedergegeben sind, denn wer kann schon cyrillisch, und daß diese »Anmerkungen« nach fast 40 Jahren aus der Erinnerung nicht vollständig sein können. Aber der Leser möge einen Eindruck für das Wesentliche des dortigen damaligen Lebens von Tausenden Gefangener erhalten und darf froh sein, wenn er eine solche Prüfung nicht ablegen mußte.
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Der folgenden Aussage des Autors sei vorausgeschickt: Einem Mann wie Gerhart Schirmer, dessen Wahlspruch sein Leben lang (1993 wird er 80 Jahre alt) lautete: »Arbeite für Deine Familie und für Dein Volk«, der im Völkerringen des Zweiten Weltkrieges als tapferer Offizier und Truppenkommandeur ausgezeichnet und vom Gegner geachtet wurde, der bei entwürdigenden Umständen in sowjetischer Gefangenschaft und Zwangsarbeit seine Ehre und den Anstand bewahrte und der – wieder in der Heimat – sich erneut als Offizier und Kommandeur in den Dienst des deutschen Volkes stellte, so einem Mann steht es zu, über dem Kleingeist der habgierigen Masse, den engstirnigen Parteien und den nach Korruption, sex und crime sensationslüsternen Medien zu stehen und Tabus aufzugreifen, wozu Mut, Wissen und vor allem Überzeugungskraft gehören, wie Ezra Pound sagt: »Wenn ein Mann nicht bereit ist, für seine Überzeugung ein Risiko einzugehen, dann taugt entweder die Überzeugung nichts, oder der Mann taugt nichts.«
Wenn die zur Zeit staatstragende Partei in ihrem Wahlslogan schreibt: »Wir sind für Ehrlichkeit in der Politik!« und das Grundgesetz im Artikel 5 die »Meinungsfreiheit« verbürgt, dann muß das Recht auf die Freiheit der Meinung, wenn sie Ehrlichkeit und Wahrheit entspricht, Geltung haben und diese Meinung geäußert werden dürfen, sonst – um mit Shakespeare zu sprechen – »ist etwas faul im Staate . . .«
Daß nach dem Krieg, besonders nach der Währungsreform, andere Maßstäbe als Volk und Heimat gesetzt wurden, daß gleichlaufend mit der reeducation, der Umerziehung, statt dem Wir der Gemeinschaft das Ich des Gesellschafters, statt Pflicht nur Rechtsforderungen und vor dem Dienst der Verdienst ausschlaggebend wurde, das hat das deutsche Volk – früher Kern des Abendlandes – aus dem Gleichgewicht gebracht und
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dem Staat einen Billionenberg an Schulden. Diese Überlegungen hat Gerhart Schirmer auch durchdacht, ihre Darlegung würde aber hier zu weit führen. Lesen wir im folgenden die Abhandlung von Gerhart Schirmer, die wir »Fragen und Antworten« nennen.
Mir ist bekannt, daß eine Kurzfassung eines von mir 1984 vor Freunden gehaltenen Vortrages wiederholt photokopiert worden und so in einer mir unbekannten Zahl von Photokopien vorhanden ist.
Zur Vorgeschichte: 1966 machte Herr Petersen, MdB, bei dem von mir geführten Stabe des Heeresfliegerkommandos des II. Korps eine Wehrübung (siehe Anlage 11). 1983 sprach mich Herr Petersen an und bat mich um schriftliche Darlegung meiner Haltung zur Frage der Judenmorde im Dritten Reich. Daraufhin habe ich die Ziffern 1 bis 9 (s. unten) zusammengestellt und ihm übersandt. Später teilte er mir mit, er habe vom Kanzler Kohl den Auftrag, zusammen mit Herrn Elie Wiesel den Bau des Holocaust-Museums in Washington, USA, vorzubereiten, und habe hierfür eine Summe von 350 Millionen DM vom Kanzler zur Verfügung. Er werde deshalb zu meinen Ausführungen und Fragen nicht Stellung nehmen.
Den Inhalt dieses Schreibens von 1984 an Herrn Petersen benutzte ich dann als Grundlage meines an sich frei gehaltenen Vortrages vom Jahr 1984.
Vorab: Ich verharmlose und relativiere nichts. Im Interesse unseres Volkes, unserer eigenen Kinder und Enkel sollte aber nach der Wahrheit in unserer Vergangenheit geforscht werden. Echter Friede entsteht nur durch Gerechtigkeit, und diese ist auf Wahrheit gegründet.
Zwei Fragen belasten das deutsche Volk besonders: die Kriegsschuldfrage und die Frage der Judenmorde. In der Gegenwart kommen die Frage der 250 000 jährlich im Mutterleib getöteten deutschen Kinder und – sozusagen als Ersatz hierfür – die Ausländerfrage hinzu.
Als langjähriger Soldat war ich zunächst nur an der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges und damit an der Kriegsschuldfrage interessiert. Darüber gibt es inzwischen sehr viel Literatur von Historikern des In- und Auslandes, insbesondere kann man wohl jetzt nach dem Buch von Viktor Suworow (Der Eisbrecher) davon ausgehen, daß der Angriff auf die Sowjetunion ein Präventivkrieg war und damit ein Befreiungsschlag gegen eine tödliche Bedrohung ganz Europas aus dem Osten.
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Bei der geistigen Auseinandersetzung mit dieser Frage stieß ich immer wieder auf die Frage der Judenmorde. Nicht nur in den Massenmedien werden wir fast täglich mit diesen Verbrechen konfrontiert. Die Frage begann mich deshalb besonders zu bewegen, weil ich in einem langen und bewegten Leben erfahren konnte:
Der Deutsche ist im Grunde gutmütig, duldsam, selbst leidensfähig und neigt nicht dazu, Menschen zu quälen. Im Kriege waren Frauen und Männer tapfer, dabei immer fair. Die Ausnahme bestätigt die Regel. Dem Ausland gegenüber ist der Deutsche eher zuvorkommend, solange er sich nicht schamlos übervorteilt fühlt. Die Umerziehung mag vielleicht eine Werteverschiebung bewirkt haben.
Warum sind hier also Dinge geschehen, die nicht zu verantworten sind, und in welchem Ausmaß? Das Ausmaß ist wichtig, obgleich immer gesagt wird, dies sei unwichtig. Vom Ausmaß und seiner Begründung hängt sehr viel ab – nicht nur die Zahl der Täter. Auch kann bei der Beurteilung der Vorgänge die Vorgeschichte – das heißt also das Geschehen von 1914 bis 1941 – nicht unberücksichtigt bleiben.
Nur wer die Geschichte kennt, hat einen Schlüssel für richtiges Handeln in der Zukunft. Schlagworte aber können den wirklichen Lauf der Geschichte nie erfassen. Dabei ist nichts schlimmer als falsche Fragestellungen in der Geschichte. Falsche Antworten werden korrigiert. Falsche Fragestellungen in der Forschung fressen sich fest wie eine Bremse. Wie kam es zum Antisemitismus in Deutschland?
Zunächst: Antisemitismus gab es wiederholt und bei vielen Völkern. Das Wort Pogrom stammt zum Beispiel aus Rußland. Warum? Es muß Gründe geben. Bei anderen Völkern will ich sie hier nicht untersuchen.
Die »Revolution« 1918/19 lag oft genug in den Händen von Juden, nicht nur im Ausland (Rußland, Ungarn, usw.), auch in Deutschland, besonders die bayerische Räterepublik (Frühjahr 1919) wurde von Juden (Eisner, Mühsam, Landauer, Levine-Nissen, Axelrod usw.) geleitet. Als die Freikorps München angriffen, erschoß die »Räterepublik« Geiseln, darunter Prinz von Thurn und Taxis und Gräfin Hella von Westarp.
Alles das und vieles mehr – die Skandale um Kutisker, Barmat, Hirsch – hat zwar Vorbehalte, aber noch keinen Antisemitismus in Deutschland erzeugt. Man lese hierzu Hitlers Mein Kampf, besonders den Abschnitt über das Judentum ab Seite 327. Im übrigen war der Antisemitismus – historisch belegt – in Österreich ausgeprägter: in Wien lebten immerhin
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200 000 Juden. Hitler importierte ihn ins Reich, fand aber auf Grund der Lage in Berlin, Leipzig und anderen Gro8städten – und auf Grund der jüngsten Vergangenheit – offene Ohren. Über die Kriegsschuldlüge des Ersten Weltkrieges wußten alle Deutschen damals genau, daß Deutschland den Krieg nie gewollt hatte, sondern auf Grund der Vertragstreue zu Habsburg – leider – hineingezogen worden war. Die untragbaren Reparationen, als Auswirkungen des »Versailler Vertrages«, die Arbeitslosigkeit und daneben das Wohlleben vor allem auch der Kriegsgewinnler in den Jahren von 1920–1932 trugen zu den »offenen Ohren« bei.
Schon 1932 erfolgte die erste, am 24. 3. 1933 die zweite Kriegserklärung des Weltjudentums (siehe Daily Express vom 24. 3. 1933) an Deutschland. Der 12-Stunden-Boykott der Nationalsozialisten gegenüber jüdischen Geschäften am 1. 4. 1933 war Reaktion auf diese zweite Kriegserklärung – keine Aktion! Warum werden diese Kriegserklärungen jetzt verschwiegen?
Am Tage der Gründung der NSDAP, am 24. 2. 1920, wurde im § 4 des Programmes beschlossen: »Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer Deutschen Blutes ist.« § 5 fordert dann: Der Jude sollte »als Gast« in Deutschland leben. Dieses war in der Weimarer Republik genehmigt worden. Kein Wort von Vernichtung oder Ausrottung. Auch die Nürnberger Blutschutzgesetze von 1935 enthalten keinen Hinweis für Vernichtungsabsicht.
Der Präsident der Staatszionistischen Organisation, Georg Kareski, schrieb am 23. 12. 1935: »Ich habe seit vielen Jahren eine reinliche Abgrenzung der kulturellen und menschlichen Beziehungen zweier miteinander lebender Völker als Voraussetzung für ein konfliktfreies Zusammenleben angesehen. Die Nürnberger Gesetze scheinen mir ganz in dieser Richtung zu liegen.« Im übrigen förderte das Deutsche Reich die Auswanderung, bis in den Krieg hinein, ab Kriegsbeginn sogar verstärkt.
Obgleich durch die offizielle Kriegserklärung des Weltjudentums (Weizmann) an das Deutsche Reich vom 6. 9. 1939 – die dritte – eine sofortige Internierung aller Juden in Deutschland völkerrechtlich vielleicht gerechtfertigt gewesen wäre, erfolgte sie nicht.
Ab 1940 hat die Reichsführung der SS eingehend die Gründung eines Judenstaates auf der Insel Madagaskar geprüft und propagiert. Erst als am 5. 5. 1942 die Engländer diese zu Frankreich gehörende Insel durch militärischen Überfall besetzten, scheiterte der Plan.
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Auch das sogenannte »Wannsee-Protokoll« – ein zweifelhaftes Dokument (dessen 16. Ausfertigung in verschiedener Fassung veröffentlicht ist) – enthält kein Wort von Vernichtung.
Im übrigen wollte damals kein Staat die deutschen Juden aufnehmen. Allein darüber könnte ein Buch geschrieben werden. Die Historikerin Dr. Arendt (Jüdin) schreibt in ihrem Buche Eichmann in Jerusalem: »Diese Rolle der jüdischen Führer bei der Zerstörung des eigenen Volkes ist für Juden zweifellos das dunkelste Kapitel in der ganzen Geschichte.«
Auch Martin Buber (bedeutender jüdischer Philosoph, 1878–1965) klagt an! Und niemals hätte die Evakuierung der Juden in den Osten so durchgeführt werden können, ohne die Hunderttausende von Helfern in allen Staaten, die von Deutschland besetzt waren. Nur diese konnten angeben, wer Jude und wo er zu finden war. Und warum ließen alle alliierten Sieger erst nach dem Kriege Gaskammern in den ehemaligen KLs einbauen? So unter anderem die Amerikaner in Dachau.
Hat dafür einer nur eine plausible Erklärung? Jedenfalls hatte ich persönlich das »Vergnügen«, im russischen Lager Oranienburg (Sachsenhausen) im November 1945 eine – bis dahin nicht vorhandene – Gaskammer und Erschießungsanlage mit anderen Häftlingen zusammen einzubauen (siehe Eidesstattliche Erklärung im Anhang 4). Hier sollten die Alliierten gefragt werden, warum sie dies taten!
Zur Zahl der gestorbenen und auch getöteten Juden: Ob es den Amerikanern recht wäre, wenn wir behaupteten, in Dresden sind nicht 250 000, sondern 2,5 Millionen umgekommen, im Bombenkrieg nicht 2,1 Millionen, sondern 21 Millionen?
Ob es den Tschechen gefiele, wenn wir behaupteten, bei der Vertreibung sind nicht 250 000, sondern 3 Millionen Deutsche erschlagen worden? Würden es die Polen hinnehmen, wenn wir behaupteten, nicht 2 Millionen, sondern 20 Millionen sind durch die Vertreibung umgekommen? So geht es also nicht. Nur die Wahrheit hilft, die Zukunft zu meistern.
Heute noch könnte die Bundesregierung durch eine Kommission die (ungefähre) Zahl der Judenvernichtung rekonstruieren lassen.
Ich habe zu diesen Judenmorden etwa hundert Fragen untersucht. Hier nur einige wenige davon:
1. Ich selbst wurde im Oktober/November 1945 zusammen mit anderen Gefangenen dazu gezwungen, in dem von den Sowjets weitergeführten KL Oranienburg bei Berlin an einer bis dahin nicht vorhande
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nen Vergasungsanlage und einer betonierten Genickschußanlage mitzubauen. Darüber habe ich eine notariell beglaubigte, eidesstattliche Erklärung abgegeben. Ein solcher Einbau einer Vergasungs- und Erschießungsanlage erfolgte im übrigen nach Kriesgende in der sowjetischen Besatzungszone in den Lagern Sachsenhausen, Buchenwald, Dost und Neubrandenburg, die schon KLs im Dritten Reich waren.
Nun wird man fragen, woher diese Kenntnisse?
Doch zunächst zum Einbau der Vergasungsanlage in Oranienburg: Hieran haben acht Leute gearbeitet. Darunter der als Sohn eines deutschen Wissenschaftlers 1904 in Rußland geborene Dipl.Ing. Fritz Dörbeck – später ab etwa 1970 Verkaufsdirektor von AEG-Telefunken in Ulm –, der fließend russisch sprach. Dieser mußte nach Fertigstellung die Anlage ab Frühjahr 1946 sowjetischen Besuchergruppen vorführen und dabei erklären, daß in dieser Anlage die Nazis etwa 100 000 Menschen vergast und in der Genickschußanlage Hunderte erschossen hätten. Mehrere russische Offiziere stellten aber damals fest, daß der Beton ganz neu war und entsprechende Spuren fehlten. Das führte selbst bei diesen Offizieren zu Mißtrauen über die Echtheit. Damals hat mir Dörbeck nach jeder Führung berichtet.
Und wie kamen die im ersten Kapitel, Seite 12, genannten Zahlen zu meiner Kenntnis?
Als die Lager im Herbst 1949 aufgelöst und viele Häftlinge entlassen wurden, kamen viele in ordentliche Gefängnisse. Die aber, die bei den Leichenkommandos und bei den Bauarbeiten für die Vergasungsanlagen gewesen waren, wurden aus allen Lagern der Sowjetzone in Oranienburg versammelt und später nach sogenannter Verurteilung nach Rußland gebracht. So konnten wir alle unser Wissen austauschen. Über meinen zehnjährigen Aufenthalt in sowjetischen Lagern habe ich vorstehend berichtet.
Zu den Leichenkommandos: In allen Lagern bestand ein Leichenkommando aus Gefangenen. Diese Kommandos mußten alle Gestorbenen nackt auf einen LKW-Anhänger verladen und in den Vorzonen in Kalkgruben – meist 600 Leichen in einer Kalkgrube – eingraben. In Sachsenhausen waren das in der schlimmsten Zeit (Winter 1946/47) bis 120 Leichen täglich. Die hohen Verluste ersetzten die Lagerleitungen sofort durch Neuzuführungen – oft willkürlich im Lande aufgegriffene Männer und Frauen. Durch die Zusammenführung dieser Kommandos
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im Herbst 1949 vermochten wir alle Zahlen und Maßnahmen auszutauschen, festzuhalten und nach Rückkehr aus Rußland zusammenzustellen.
2. Warum verschweigt man beharrlich die jüdische Kriegserklärung an Deutschland, veröffentlicht im Daily Express am 24. 3. 1933? Die Handlungen und Anordnungen der Reichsregierung vom 1.4. 1933 waren lediglich eine Reaktion darauf. Wenn sich aber die Juden selbst bereits 1933 als mit Deutschland im Kriegszustand befindlich erklärten, so ist ihre Inhaftierung dann im Krieg selbst (erst 1942 begonnen) völkerrechtlich gerechtfertigt. Die Amerikaner haben 1942 nach Kriegsbeginn mit Japan fast 2 Millionen Japaner interniert – völlig zu Recht.
3. Nahum Goldmann schreibt in seinem 1978 erschienenen Buch Das jüdische Paradox auf Seite 263: »Aber nach dem Kriege gab es 600 000 jüdische KZ-Überlebende, die kein Land aufnehmen wollte!« Warum hat man angeblich aus dem ganzen von uns besetzten Gebiet trotz größter Transportschwierigkeiten Juden zur Vergasung nach Auschwitz gebracht, während man in deutschen KLs 600 000 Juden leben läßt?
4. Wieso verschweigt die Bundesregierung beharrlich die Zahl der Wiedergutmachungsanträge, nach meiner Forschung 4,5 Millionen, allein 720 000 in Westberlin. Antragsteller oder Angehörige mußten doch also noch leben. Ich habe mehrere führende Politiker in Bonn und Berlin angeschrieben, diese Zahlen angegeben und nach der Richtigkeit gefragt. Von keinem habe ich eine Widerlegung dieser Zahlen erhalten können. Manche hüllen sich in Schweigen, manche antworten ausweichend und nichtssagend. Keiner widerlegt. Keiner klärt auf.
5. Warum verschweigt man dem deutschen Volk die Arbeit des Sonderstandesamtes der Bundesregierung und des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes in Arolsen? Arolsen kann nur knapp 400 000 KL-Tote (einschließlich aller normal Verstorbenen) bestätigen. Seit 1984 darf Arolsen Zahlen nicht mehr veröffentlichen (siehe Anlage 5).
6. Wie kommt es – und warum wird verschwiegen –, daß das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bei der Bilanz des Grauens, einer Zusammenstellung aller Opfer des Zweiten Weltkrieges, die Anzahl aller in KLs und Gefängnissen umgekommener Opfer rassischer und politischer Verfolgung mit 300 000, davon 200 000 Juden in Deutschland angibt? Dabei hatten die Vertreter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, welche bis Ende 1944 die KLs regelmäßig
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besuchten, sich darin frei bewegen und nach Belieben jeden Gefangenen unter vier Augen sprechen können. Der Bericht kann in Genf eingesehen werden.
7. Wohin verschwanden – bisher unauffindbar (die etwa 5000 Opfer von Katyn haben wir im weiten Rußland gefunden) – die oft genannten 6 Millionen Opfer, wenn weder ein Massengrab noch Aschenberge zu finden sind? Jeder Krematoriumsdirektor kann Auskunft geben, wieviel Energie zur Verbrennung eines Gestorbenen erforderlich ist. War die für soviele Millionen notwendige Energiemenge für Deutschland von 1942 bis 1945 überhaupt aufbringbar?
8. Wie und wer kann folgende Zahlen unter einen Hut bringen? Das jüdische Committee Bureau of the Synagogue Council of America gibt an: 1939 befanden sich in den je von Deutschland kontrollierten Gebieten 5,3 Millionen Juden. Dabei ist zunächst völlig unklar, wieviele davon noch kurz vor oder nach unserer Besetzung fliehen konnten. Sanning behauptet in seinem 1983 erschienenen Buch Die Auflösung des osteuropäischen Judentums, daß die Sowjets von Oktober 1939 bis Juni 1941 etwa 1,4 Millionen Juden nach Osten abtransportiert haben. Diese Zahl ist mir bereits von mehreren von Stalin inhaftierten russischen, vorher führenden Juden, mit denen ich das Glück hatte, eng befreundet zu werden, 1952/53 in Workuta bestätigt worden. Von amtlicher jüdischer Seite werden in den von Deutschland besetzten Gebieten 5,3 Millionen Juden genannt. Nahum Goldmann bestätigt: 600 000 Juden haben überlebt. Wiedergutmachungsanträge haben 4,5 Millionen Juden beantragt, davon eine mir unbekannte Zahl an Juden, sicher aber wohl 3 Millionen. Man verschweigt obendrein, daß bei einer Lebenserwartung von 72 Jahren – im Kriege war sie aus mehreren Gründen viel geringer – 1/6 der Menschen in 12 Jahren auf natürliche Weise sterben, also auch der Juden. Von welcher Zahl soll man da 1/6 berechnen?
9. Schwierig ist der Komplex Auschwitz. Aber warum verschweigt man, daß in der Combat Chronologie der Air Forces in World War II in den National Archives in Washington nachzulesen ist: Auschwitz wurde aus der Luft angegriffen:
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Wer die Wirkung solcher Luftgroßangriffe auf völlig ungeschützte, riesige Industriewerke und Lager kennt, weiß, wieviele Opfer diese Angriffe gekostet haben. Im übrigen sind dort auch die Luftaufnahmen, die vor und nach jedem Angriff gemacht worden sind, einzusehen. Sie sprechen deutliche Sprache. (Weiteres auch bei Martin Gilbert, Auschwitz und die Alliierten, 1982).
Warum ist der letzte Kommandant von Auschwitz, Richard Baer, der keine Massenmorde »gestehen« wollte und konnte, in seiner Zelle, wo ihn wenige Tage vorher seine Frau gesund und hoffnungsvoll (wegen eines erwarteten Freispruches) gesehen hatte, urplötzlich gestorben?
Und warum ist der Besitz manches Buches wie im Mittelalter und in einer Diktatur in der Bundesrepublik verboten? Warum muß mancher Druck in deutscher Sprache im Ausland erfolgen und warum erscheinen zu früher Stunde vier mit Maschinenpistolen bewaffnete Kriminalbeamte in meiner Wohnung und durchsuchen – anständig im übrigen – mein ganzes Hause nach einem Buch? Warum? Ist es ein Verbrechen, ein Buch zu besitzen?
Bei diesen neun gestellten Fragen will ich es bewenden lassen. Antworten auf diese und etwa 100 weitere von mir untersuchte Fragen zu geben, ist hier nicht der Raum. Meine mir vorliegenden Dokumente und Unterlagen würden Bände füllen. Doch eines möchte ich fordern:
Adenauer hatte den Mut, durch eine große Untersuchungskommission die Vertreibungsverbrechen und dabei die Verbrechen der Sowjets während ihres Vordringens bis zur Elbe prüfen und in einem achtbändigen Werk festhalten zu lassen. Dieses Werk durfte in der Zeit der sozialliberalen Koalition unter Brandt und Schmidt – wo blieb da die Liberalität? – nicht vertrieben werden. Erst Innenminister Zimmermann konnte die Wiederveröffentlichung erreichen.
Darin wurde – nun unanfechtbar – festgehalten, daß und wie 2,3 Millionen Deutsche beim Einmarsch der Sowjets und bei der Vertreibung umgekommen sind, oft genug viehisch ermordet, wie ich es bei der Rückeroberung von Nemmersdorf/Ostpreußen im Oktober 1944 selbst sehen mußte.
Warum aber betreibt die Bundesregierung nicht ebenso eine Klarstellung der Zahl der Judenmorde? Noch ist dies an Hand vieler Unterlagen leicht möglich. Noch leben auch Zeugen. Vor allem die Wiedergutmachungsakten können vieles aufklären helfen.
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Aber die Bundesregierung verhindert sogar eine Klärung dieser Frage durch Verweigerung jeder Auskunft selbst an historisch interessierte Personen. Dabei hat der deutsche Steuerzahler etwa 100 000 Millionen DM Wiedergutmachung gezahlt. Wäre die Regierung nicht bei dieser ungeheuren Summe denen, die dieses Geld aufgebracht haben, Aufklärung schuldig? Und die Presse? Sonst ruft sie bei jeder Million nach Aufklärung, welches Theater ist wegen der Flick-Millionen-Spenden entstanden. Warum werden 100 000 Millionen DM verschwiegen? Hat man in Bonn Angst, vielleicht vor den Juden? Ich kann mir nicht denken, daß selbst der geschäftstüchtigste Jude über die Klärung des Schicksals seiner Mitjuden verärgert sein könnte.
Leider wird in der Judenmordfrage viel verschwiegen; mit dem Bau einer Vergasungs- und Erschießungsanlage im KL Sachsenhausen im Oktober/November 1945 fing dieses Thema in meinem Erleben an.
Auch von der eigenen Regierung – gleich welcher Partei – bekommt man keine klare und eindeutige, also zweifelsfreie Antwort. Deshalb ist es mir nicht möglich, die genannten Zahlen – die uns Deutschen in Wort, Schrift und Fernsehen täglich vorgehalten werden – ohne weiteres hinzunehmen.
Da aber diese Frage genau geklärt werden muß, wie die Kriegsschuldfrage und die Frage der Vertreibungsverbrechen, forsche ich weiter, trotz törichten Maulkorbgesetzes – mit erstaunlichen Ergebnissen.
Als ich diese Fragen 1986 dem Bundeskanzleramt vorlegte, kam die Antwort, daß die Klärung dieser Fragen Sache der Historiker sei. Natürlich habe ich erneut geschrieben und festgestellt, daß die Historiker ohne die von der Bundesregierung unter Verschluß gehaltenen Akten von Arolsen und aller Wiedergutmachungs-Akten, die vielleicht bei den Regierungspräsidien und Landesregierungen liegen, nicht klärend arbeiten könnten und außerdem in Sorge sein müßten, wegen solcher Arbeit bestraft zu werden. Daraufhin stellte das Bundeskanzleramt den Briefwechsel ein. Antwort blieb aus. Mir ist solches Verhalten unverständlich.
Da die Bundesregierung beständig auf der bekannten Zahl von Judenmorden besteht, wird sie doch Gründe dafür haben. Warum kommen diese nicht auf den Tisch? Oder fehlen die Beweise doch? Dann aber sollten Regierung, Presse und Funk mit der Schuldzuweisung an unser Volk endlich aufhören.
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Die Wahrheit des Inhalts der vorstehenden Niederschrift kann von noch lebenden Leidensgenossen bezeugt werden. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollkommenheit, denn das Thema Sachsenhausen wie auch Workuta würde Bände füllen. Hier empfehlen wir dem Leser die Lektüre von Alexander Solschenizyn Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch (dtv-Band 1524 oder Knaur-Band 190) und Archipel Gulag (Scherz-Verlag) sowie Johann Urwich-Ferry Ohne Paß durch die UdSSR, (zu beziehen bei Johann Urwich, Weitlstr. 149, D-8000 München 50). Zum Studium des Themas »Schauprozesse und Strafrecht in der UdSSR« empfiehlt sich der Roman des jüdischen Schriftstellers und Exkommunisten Arthur Koestler (geb. 5. 9. 1905) Sonnenfinsternis (Scherz-Verlag, Bern–Stuttgart–Wien 1960).
Das Nachdenken über beide Lager, besonders aber über Workuta, wird von unterschiedlichen Empfindungen bestimmt: ob man wirklich Hunger hat oder einmal bloß nicht ganz satt, sprich »voll«, geworden ist, ob man von 50° Kälte nur liest oder sie spüren muß, und ob man eine Purga (arktischer Schneesturm) auf dem Bildschirm sieht oder ob diese im Erleben den Atem wegnimmt. – Die politischen Wandlungen werden auch die mörderischen Zustände in den vormals sowjetischen Straf- und Arbeitslagern geändert haben. Doch ist es hier wie bei jeder Geschichtsbetrachtung, daß man sich in die Zeit des Geschehens hineindenken muß, wenn man ein Urteil finden will.
Dem Verfasser lag mit dieser Niederschrift auch eine Frage am Herzen: Sind in Kolyma noch Deutsche vergessen worden, deren Existenz geleugnet wird, weil sie kein politisches Interesse mehr bilden? So denke jeder ehemalige Kriegsgefangene daran, daß er vielleicht nur Glück hatte, nicht in ein Lager im fernen Osten verladen worden zu sein, wo es nachweislich (!) Kriegsgefangenenlager gab. Zu diesen Schweigelagern muß wiederholt gesagt werden, daß in diesem Raum die Goldgruben
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Rußlands von wirtschaftlich höchster Brisanz liegen, deren Förderung den Goldpreis der Welt mitbestimmte. Daß dies ein Staatsgeheimnis war, versteht sich von selbst. Deshalb ist nicht nur die Bundesregierung und das Internationale Komitee des Roten Kreuzes gefordert, sondern jeder Deutsche, der vielleicht noch Hoffnung haben darf, daß der Mann oder Bruder lebt und im fernsten Sibirien auf Freiheit wartet und hofft. Warum aber die Vergangenheit aufwühlen, die als Erinnerung nur Schmerzen verursacht? Diese Frage ist wohl berechtigt, jedoch am falschen Platz. So höre man erst mit den Greuelfilmen und Schauermärchen auf, die fast täglich in Wort und Bild uns Deutschen einseitig als »Vergangenheitsbewältigung« beeindrucken sollen; »beeindrucken«, also einen Druck ausüben sollen, wobei oft die eine Lüge von der nächsten übertroffen wird.
Früher oder später muß jeder das Wort von Hermann Claudius beherzigen: »Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, sondern wir müssen uns nach ihr richten.« So seien alle Historiker und Politiker an die Verpflichtung unserer Hymne gemahnt, die nicht nur ein Lippenbekenntnis sein darf: »EINIGKEIT und RECHT und FREIHEIT für das DEUTSCHE VATERLAND.«
Anmerkung zu Seite 20: Am 11. 5. 1992 kam in der Südwestpresse ein Artikel mit der Überschrift »Anastasias Schicksal geklärt – Zarentochter mit übriger Familie identifiziert«, wonach einem Bericht der Londoner Zeitung Sunday Times zufolge in einem Grab bei Jekaterinenburg die Skelette von Zar Nikolaus II. und seiner Familie mit Leibarzt, zwei Dienern und dem Koch gefunden worden seien. Es entspräche den Berichten über die damaligen Vorgänge der Ermordung der Zarenfamilie. Oberst a. D. Gerhart Schirmer wurde hierzu um Stellungnahme gebeten: Das Zusammentreffen mit Fürst Tscherbatschow wurde nicht wegen der Zarentochter Anastasia geschildert, sondern um aufzuzeigen, mit welcher Brutalität die Bolschewisten den Zaren und seine Getreuen verfolgt haben, daß seine alten Anhänger – soweit nicht sofort liquidiert – bis in die 50er Jahre in Kerker und Lagerhaft blieben.
Was die Grabfunde betrifft, so sagt die Zahl der Skelette nicht viel aus, denn wie bei einer Gefangenenkolonne der Roten Armee ein Ausfall durch einen willkürlich aufgegriffenen Passanten ergänzt wurde, um wie vieles leichter konnte eine Leiche hingelegt worden sein, nur um eine Gruppe zahlenmäßig vollständig erscheinen zu lassen.
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818 Tegernsee, den 22. VI. 64
Mein lieber Gerhard!
Anbei Gewünschtes. Leider habe ich keine Schreibmaschine hier, sonst müsstest Du so freundlich sein und es tippen lassen, falls es besser ist. Falls es inhaltlich nicht genügend sein sollte, schreibe es mir bitte.
Ich hoffe Dich u. Familie gesund und zufrieden, und daß wir uns bald wieder sehen. Ich habe mich gut erholt und fühle mich wohl und munter. Am 27. VI. gehts wieder heimwärts an die Arbeit. Wann und wohin werdet Ihr gehen? Ich hoffe von Dir zu hören, lieber Gerhard, und bin mit herzlichen Grüßen für Dich u. Empfehlungen für Deine verehrte Frau Gemahlin u. den Herrn Sohn stets Dein Fritz Hirschfeld.
Inhalt des beigefügten Schreibens:Konzentrationslager Sachsenhausen, ein Schandfleck des 20. Jahrhunderts, eingerichtet unter dem Naziregime, fortgeführt nach 1945 durch die Sowjets. Die Insassen während der Gewaltherrschaft Hitlers waren politisch Andersdenkende und Juden. Bei den Sowjets gab es unter den »politisch Festgehaltenen«, wie sie sie nannten, keinerlei Gruppen, die unter politischen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten festgesetzt wurden, sondern die Auswahl war eine willkürliche unter allen Schichten der Bevölkerung, auch dem Alter nach von 14 Jahren bis Mitte der Siebziger.
Das Leben im Lager war hart, sehr hart sowohl bis 1945, wie nachher bis 1950. Jeder sehnte sich danach in ein Arbeitskommando eingeteilt zu werden, da dadurch die Verpflegung etwas besser wurde. Die Rationen waren bis 1945 etwas reichlicher. Es herrschten infolgedessen unter den Sowjets von 45–50 vielmehr Infektionskrankheiten, vor allem die Tuberkulose breitete sich schnell aus, wie auch infectiöse Leberkrankheiten, u.s.w. Die Zahl der Toten war infolgedessen von 45–50 im Lager sehr hoch, Beerdigungen in Massengräbern – Kalkgruben – ohne Kennzeichen, ohne Benachrichtigung der Angehörigen.
Zwar sind die Vergleiche immer etwas relatives, eines ist aber sicher, der Aufenthalt in Sachsenhausen von 1945–50 unter den Sowjets war noch quälender und härter als unter dem Hitlerregime.
Dr. med. Fritz Hirschfeld
Facharzt für Augenkrankheiten
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Gummersbach
Karlstraße 10
Oktober 54
Dr. Bockhacker, Werner
– Professor –
Herrn
Woldemar Beiersdorf
Adolfstraße 8
Hamburg
Lieber Herr Beiersdorf! Auf Ihre Bitte hin gebe ich Ihnen – zunächst nur Ihnen – die folgende Erklärung ab.
Die angegebenen Zahlen habe ich vor der Entlassung aus Sachsenhausen mit den Doktores Hirschfeld, Risack, Clausnitzer, Priebe und Loeser abgestimmt. Ich war von Anfang 46 bis Mitte 49 Chefarzt des Krankenreviers des von den Sowjets übernommenen KL Sachsenhausen. Ich selbst war als Chirurg tätig. Alle Bestecke, Verbandsstoffe, Medikamente u. die Einrichtung stammten aus der Zeit vor Mai 1945. Die Bestände waren groß und wurden erst ab 1948 dürftig nachgeschoben.
Die Mortalität war besonders in den Wintern 45/46 und 46/47 sehr hoch. Jan./ Feb. 47 starben etwa 120 bis 150 täglich (I. + II. Zone).
Zu den Zahlen:
In der Zeit vor meiner Übernahme des Geschäftes des Chefarztes sollen etwa 3500 gestorben (verhungert) sein. Diese Zahl gaben Zimmermann u. Knabe (Leichenkdo) an. Begraben im Lager und außerhalb in einem Wald.
Ab Anfang 46 starben bis Juli 48 etwa 16 500. Die Zahl stammt aus nächtlichen Zählungen durch Andres + Schirmer, bestätigt – mit geringem Unterschied – durch Zimmermann + Clausnitzer.
Die Mortalität nahm nach dem Besuch des Lagers durch eine Kommission aus Moskau (1 General, 1 Oberst, 2 Ärzte) etwa im Frühjahr 48 durch Erhöhung der Lebensmittelübergabe von etwa 900 Kalorien auf 1500 Kal. pro Tag/Person ab.
Nachdem Schirmer u. Michalowski im Juli 48 im Karzer u. dann Sperrbaracke eingeliefert waren, liegen keine genauen Angaben mehr vor.
Die Gesamttodeszahl kann deshalb nur etwa angegeben werden und müßte zwischen 23 000 und 25 000 liegen.
Ich bitte Sie, diese Aussage erst nach 1965 (etwa) zu verwenden.
Mit den besten Grüßen an die Gattin u. die Kinder
gez. Ihr Bockhacker
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Nachdem ich mich in der zweiten Hälfte des September 1945 etwa zehn Tage lang in einem GPU-Gefängnis in der Burg Tangermünde befunden hatte, wurde ich in den ersten Oktobertagen 1945 in das von den Sowjets weiter geführte KZ Oranienburg (Baracke 19) eingeliefert.
... Nach etwa vierzehn Tagen wurde ich in den »Steinbau« gebracht und dort zusammen mit weiteren sieben Gefangenen dem Politoffizier des Lagers, dem Oberstleutnant Kolowantienkow vorgeführt. Wir erhielten von ihm den Auftrag, eine Bauarbeit in der sogenannten Vorzone des Lagers durchzuführen. Unter den sieben anderen Gefangenen befand sich Dipl.-Ing. Fritz Dörbeck. Er war der Sohn eines deutschen Geologen, der etwa 1905 von der zaristischen Verwaltung in den Raum Wladiwostock verpflichtet worden war, um dort geologische Forschungen zu betreiben. Dörbeck ist dort aufgewachsen und sprach fließend russisch. 1918 kehrte die Familie Dörbeck über China nach Deutschland zurück. Nach seiner Entlassung im Jahre 1956 wurde Fritz Dörbeck Verkaufsdirektor der AEG-Telefunken in Ulm, mit ihm war ich bis zu seinem Tode im Jahre 1982 eng befreundet.
Unter den sieben Gefangenen befand sich außerdem ein Emil Klein. Bei ihm handelte es sich um einen Sudetendeutschen, der auch fließend tschechisch und etwas russisch sprach. Er führte die Aufsicht über unsere Bauarbeiten und verschwand nach Abschluß der Arbeiten aus dem Lager. Wir vermuteten damals, daß dieser Klein der Vertrauensmann der Sowjets war.
Weiterhin gehörten zu den sieben anderen vier Bauarbeiter und ein Klempner. Ihre Namen habe ich nicht mehr in Erinnerung.
Mitte Oktober 1945 wurden wir an die Baustelle geführt. Dort befand sich in der sogenannten Vorzone des Lagers ein großes Duschbad mit Vorraum. Das Duschbad war etwa 8 m x 10 m lang, darin befanden sich fünfundzwanzig Duschen. Im Vorraum befanden sich etwa fünfzig Kleiderhaken.
Als wir dort ankamen, lag bereits Material für die Bauarbeiten bereit. Nach Weisung von Klein wurden jetzt von uns von außen Leitungsrohre an das Wassernetz angeschlossen. Außen an der Wand wurden Sperrhähne angebracht. Erst jetzt merkte als Erster Dipl.-Ing. Dörbeck, worum es bei diesen Arbeiten anscheinend ging.
Wir bauten nämlich an das Bad eine weitere Betonzelle von etwa 4 m x 2 m mit einem Durchbruch zu dem Vorraum des Duschbades... Der neue Durchbruch vom Vorraum zum neugebauten sogenannten »Erschießungsraum« war etwa 20 cm breit. Es sah so aus, als ob der zu erschießende Delinquent auf dem Auftritt gestanden hätte mit Blick zur Betonwand, und als ob der Schütze im Vorraum einen Genickschuß gezielt hätte ausführen können.
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Die Bauarbeiten dauerten etwa vierzehn Tage lang. Dipl.-Ing. Dörbeck und ich meldeten uns, – nachdem wir erkannten, was da gebaut wurde, – beim Politoffizier und verweigerten die Weiterarbeit. Der Politoffizier, Oberstleutnant Kolowantienkow, unterhielt sich – oft energisch – mit Dörbeck etwa fünfzehn Minuten lang in russischer Sprache. Dörbeck gab mir später den Inhalt in Deutsch zur Kenntnis. Er sagte mir, der Politoffizier habe gesagt, daß wir sofort erschossen würden, wenn wir nicht weiterarbeiten oder auch nur ein Wort über die Arbeit verlieren würden. Der Politoffizier habe weiter gesagt, daß wir ja im übrigen eine gute Verpflegung erhielten (was stimmte), und daß er – Dörbeck – später sowjetischen Besuchergruppen die Anlage erklären solle. Der Politoffizier habe noch gesagt, daß wir auch zukünftig gut behandelt und verpflegt werden würden. Da wir die Fertigstellung der Anlage sowieso nicht verhindern konnten, erschien es uns sinnvoll, weiter zu arbeiten und dabei alles zu erfahren, was da gemacht wurde.
Nach Fertigstellung, etwa Ende Oktober 1945, wurde Dipl.-Ing. Dörbeck allein zu dem Politoffizier gebracht und erhielt genaue Anweisung, welche Erklärungen er den sowjetischen Besuchergruppen abgeben sollte. Er hatte etwa folgendes zu sagen: Diese Anlage, von den Nazis erbaut, diene der Vernichtung von Juden und sowjetischen gefangenen Offizieren. Täglich seien etwa zweihundert Menschen vergast und etwa fünfundzwanzig erschossen worden. Dies habe von 1942 bis 1945 (April) angedauert.
Etwa vom Dezember 1945 bis Ende 1947 wurden wöchentlich im Durchschnitt zwei Führungen von je dreißig bis vierzig sowjetischen Männern (meist Soldaten und GPU-Leute) und Frauen von Dörbeck durchgeführt. Oft waren Offiziere dabei, die selbst ganz offen Zweifel an dem Alter der Anlage äußerten, weil sie erkannten, daß der Beton neu war, daß Einschüsse an der Betonwand fehlten, und daß die Blutspuren (rote Farbe) sehr gering und nicht überzeugend waren.
Dörbeck hat mir nach jeder Führung berichtet. Er ist gestorben. Seine drei Kinder leben in den USA. Seine Lieblingstochter Marlene Philipps, 3 – Idlewild – Circle, Fort-Walten, Beach Florida, 32 548 USA, wird sicher über diese Vorgänge unterrichtet sein.
Dörbeck und ich wurden nach Auflösung des KZ Oranienburg im Januar 1950 zuerst in das Gefängnis Lichtenberg (Berlin) und im September 1950 nach Workuta im nördlichen Ural gebracht.
Rastatt, den 16. 12. 86
gez. Gerhart Schirmer
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31.12.1982 | vom 1.1.1983 bis 31.12.1983 |
insgesamt bis 31.12.1983 |
|
---|---|---|---|
Auschwitz | 53 606 | 27 | 53 633 |
Bergen-Belsen | 6 851 | — | 6 851 |
Buchenwald | 20 671 | — | 20 671 |
Dachau | 18 451 | — | 18 451 |
Flossenbürg | 18 330 | — | 18 330 |
Groß Rosen | 8 355 | — | 8 355 |
Lublin | 7 245 | 426 | 7 671 |
Mauthausen | 78 823 | 1 | 78 824 |
Mittelbau | 7 463 | — | 7 462 |
Natzweiler | 4 431 | — | 4 431 |
Neuengamme | 5 706 | — | 5 706 |
Ravensbrück | 2 128 | 2 | 2 130 |
Sachsenhausen | 5012 | — | 5012 |
Stutthof | 11 237 | 1 065 | 12 303 |
Theresienstadt | 27 260 | 344 | 27 604 |
Verschiedene | 4 643 | — | 4 643 |
280 212 | 1 865 | 282 077 |
Zahl der Karteikarten in der Hauptkartei des Sonderstandesamtes über registrierte KL-Sterbefälle beim Sonderstandesamt und anderen Standesämtern zum 31. 12. 1983 : 373 468
(einschließlich Hinweiskarten für
Arolsen, den 16. 01. 1984
Der Standesbeamte
gez. Butterweck
51
52
53
Arbeitsplatz | Nr. | Belegzahlen (ca.) |
---|---|---|
Kapitalni | 1 | 17000/18000 |
Waggon-Reparatur | a/1 | 1000/1500 |
Lockreparatur | b/1 | 800/1000 |
Schacht | 9/10 | 5000/6000 |
Schacht | 11 Verw. 9/10 | 2000/2500 |
Kühlhaus | dito | 1000 |
Bergtechnik | dito | 2000/1000 |
San-Gorodok 1 | dito | 800/1000 |
Teh. Flughafen | dito | 500/800 |
E.-Werk 1 | 1000/1200 | |
E.-Werk Innen-Dienst Teh. | 800 | |
E.-Werk Außen-Dienst Teh. | 1000/1200 | |
Stroi-cont Lag. Flughafen Verw. | 800/1000 | |
Stroi-cont Lag. Stadion | 1200/1500 | |
Schacht | 2 | 3000/3500 |
Schacht | 3 | 4000/4500 |
Schacht | 4 | 4000/4500 |
Schacht | 5 | 3500/4000 |
Schacht | 6 | 4500/5000 |
Brücken-Eisenbahn | Verw. 6 | 1000/1500 |
Steinbruch | dito | 1000/1500 |
Schacht | 7 | 4800 |
Schacht | 12/14/16 | 6000/7000 |
Brücken-Bau am Fluß Workuta | Verw. 12/14/16 | 2000/2500 |
Brücken-Bau am Fluß Itschiga | dito | 2000/2500 |
Steinbruch am Fluß Workuta | dito | 1000/1500 |
E.-Werk 2 | E.-Werk | 1000/1200 |
E.-Werk Innen u. Außen | dito | 1000/1200 |
Schacht | 29 | 4500/5000 |
Schacht | 28 | 3500/4000 |
Schacht | 30 | 3500/4000 |
Schacht | 31 | 3500/4000 |
Schacht | 32 | 3500/4000 |
Schacht in Bau | 33 | 1500/2000 |
Schacht in Bau | 34 | 1500/2000 |
Schacht in Bau | 35 | 1500/2000 |
Schacht in Bau | 36 | 1500/2000 |
54
Schacht in Bau | 37 | 1500/2000 |
Schacht in Bau | 38 | 1500/2000 |
Schacht in Bau | 39 | 1500/2000 |
Schacht in Bau | 41 | 1500/2000 |
Schacht 50/70 % | 15 | 1500/2000 |
Schacht 50/70 % | 20 | 1500/2000 |
Schacht 50/70 % | 21 | 1500/2000 |
Schacht 50/70 % | 22 | 1500/2000 |
Schacht 50/70 % | 23 | 1500/2000 |
Schacht 50/70 % | 24 | 1500/2000 |
Schacht 50/70 % | 41a | 1500/2000 |
Schacht | 8 | 6000/8000 |
Schacht | 8.-Rudnik | 5000/6000 |
Schacht | 17 | 4000/5000 |
Schacht | 18 | 4000/5000 |
Schacht | 19 | 4000/5000 |
Schacht | 25 | 4000/5000 |
Schacht | 26 | 4000/5000 |
Schacht | 27 | 4000/5000 |
Schacht | 40 | 6000/7000 |
Ziegelei 1 | Frauenlager | 3500/4000 |
Ziegelei 1 Nebenlager 1 + 2 | Männerlager | 1000/2000 |
Ziegelei 2 | Frauenlager | 3500/4000 |
Ziegelei 2 Nebenlager 1 + 2 | Männerlager | 1000/2000 |
Zementfabrik | Männerlager | 2000/3000 |
Steinbruch | Männerlager | 2000/3000 |
San Gorodok-Lager f. Mutter/Kind | Frauenlager | 1000/1500 |
San Gorodok 2 | Männerlager | 800/1000 |
Peresilka + Artisten-Lager | Männer- u. Frauenlager | 500/800 |
Stroikontor-Lager Stadt 1 | Männerlager | 1000/1500 |
Stroikontor-Lager Stadt 2 | 1000/1500 | |
San Gorodok Röntgen-Lager | 500 | |
Steinbruch-Lager Stadtselbstverwaltung | 500/800 | |
Steinbruch-Lager für 8-R8, 40 | 500/800 |
Chef der Verwaltung NKWD-MWD-MGB = KGB: Generalmajor Diriwenko
Verwaltungsleiter der MGB-MWD: Oberstleutnant Wodopjakow
(nach Urwich)
55
56–57
3. November 1991
Schirmer, Gerhart
Oberst d. Bundeswehr a. D.
Rheinaustraße 12
7580 Bühl-Vimbuch
Herrn
Bundesminister der Justiz
Dr. Kinkel
5300 Bonn
Verehrter Herr Minister!
Da ich hörte, daß etwa am 18./19. 11.91 zwei russische Minister, darunter der Justizminister, zu Ihnen kommen werden, trage ich Folgendes vor: Am 27. 6. 56 sind Herr Dr. Otto Grüning, nach Rückkehr aus der Sowjetunion Botschaftsrat in Kabul, Teheran und Kairo, inzwischen gestorben, Herr Dr. Hans Leo, nach Rückkehr Rechtsanwalt in Hamburg 21, Hofweg 69, inzwischen gestorben, und ich bei dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes, damals Dr. Wagner, und bei dem Herrn Präsidenten des DRK gewesen, der uns bei dem Herrn Außenminister v. Brentano anmeldete, dem wir am 28. 6. 56 vortrugen:
Wir befanden uns 1952 im Lager 40 in Workuta. Mit Hilfe eines Karelo-Finnen namens Rea konnten wir über die nördlich von Chalmer-Yu lebenden Komis (Eskimos) einen Kassiber nach Kolyma bringen lassen. 1953 kam die Antwort, daß im Gebiet Kolyma (Goldsuche) etwa 30 000 Deutsche – ehemalige Soldaten – ausgesucht junge Leute – in Zwangsarbeitslagern leben. Nach mehrmaliger Auskunft von Friedland sind von dort keine Entlassungen erfolgt. Zwei sind als Flüchtige im Iran angekommen – »So weit die Füße tragen« hieß ein in den 60er Jahren nach deren Schilderung gedrehter Fernsehfilm.
Da nach menschlichem Ermessen dort noch einige Hundert am Leben sein müssen, bitte ich als letzter »Kundiger« um Hilfe für diese Männer.
Die Situation hat sich geändert. Damals sagte uns Herr von Brentano, er könne nichts tun, da die Sowjets sagen, sie hätten keine deutschen Zwangsarbeiter mehr.
Vielleicht kann heute bei harter Verhandlung etwas erreicht werden.
Da ich selbst alt und krank bin, kann ich nicht nach Bonn kommen, stehe aber für genaue Auskunft zur Verfügung.
Nach meiner und meiner Kameraden Meinung ist dieser Fall wohl noch wichtiger als der Fall Honecker
Ihr gez. G. Schirmer
58
8. Dezember 1991
An den Bundeskanzler
der Bundesrepublik Deutschland
Herrn Dr. Helmut Kohl
Bundeskanzleramt
5300 Bonn
Verehrter Herr Bundeskanzler!
Da Sie Ihren Sohn diese Weihnachten wieder bei sich haben durften, bin ich sicher, daß Sie sich an Ihre Gefühle, Ihr Denken und Handeln für Ihren Sohn noch gut erinnern.
Ich darf Ihnen versichern, daß die inneren Bindungen unter Soldaten, die für einander eintraten, ähnlich denen zwischen Vater und Sohn sind.
Deshalb meine Bitte an Sie persönlich:
Am 3. 11. 91 schrieb ich an den Herrn Bundesjustizminister den als Photokopie beigefügten Brief. Bis heute blieb ich ohne Antwort. Mir ist solches Ignorieren unverständlich. Wenn ich mich an den falschen, nicht zuständigen Minister gewandt habe, so wäre doch wohl eine Ab- oder Weitergabenachricht denkbar. Ich bitte Sie, Herr Bundeskanzler, sich dieses Falles anzunehmen. Es geht um Menschen, nicht um Material.
Ihr sehr ergebener
gez. G. Schirmer
Anlage: Schreiben an den Herrn Bundesjustizminister vom 3. 11. 91
59
22. Januar 1992
An Herrn
Bundesminister der Justiz
Verehrter Herr Minister!
Nachdem ich auf meinen handschriftlichen Brief vom 3. November 1991 keine Antwort erhalten habe, muß ich annehmen, daß mein Schreiben in Verstoß geraten ist. Ich erlaube mir daher, auf die Sache zurückzukommen und Ihnen das genannte Schreiben – diesmal in maschinenschriftlicher Fassung – in der Anlage erneut per Einschreiben mit Rückschein vorzulegen.
Ich darf doch wohl hoffen und bitten, daß mein Anliegen mit der Sorgfalt und der Ernsthaftigkeit bearbeitet wird, die in dieser leidvollen Angelegenheit angebracht sind.
Ich darf Ihnen ergänzend mitteilen, daß ich nunmehr beabsichtige, mein Schreiben auch dem Institut für Zeitgeschichte in München und der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle in Ingolstadt zur Kenntnis zu bringen.
Indem ich Ihrer geschätzten Antwort entgegensehe, mit vorzüglicher Hochachtung
gez. G. Schirmer
Anlage: Maschinenschriftliche Fassung meines Schreibens vom 3. 11. 1991
27. Januar 1991
An den Bundeskanzler
der Bundesrepublik Deutschland
Verehrter Herr Bundeskanzler!
Nachdem ich auf meinen handschriftlichen Brief vom 28. Dezember 1991 keine Antwort erhalten habe, muß ich annehmen, daß mein Schreiben in Verstoß geraten ist. Ich erlaube mir daher, auf die Sache zurückzukommen und Ihnen das genannte Schreiben – diesmal in maschinenschriftlicher Fassung – in der Anlage erneut per Einschreiben mit Rückschein vorzulegen. Ich darf doch wohl hoffen und bitten, daß mein Anliegen mit der Sorgfalt und der Ernsthaftigkeit bearbeitet wird, die in dieser leidvollen Angelegenheit angebracht sind.
Ich darf Ihnen ergänzend mitteilen, daß ich nunmehr beabsichtige, mein Schreiben auch dem Institut für Zeitgeschichte in München und der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle in Ingolstadt zur Kenntnis zu bringen.
Indem ich Ihrer geschätzten Antwort entgegensehe, mit vorzüglicher Hochachtung
gez. G. Schirmer
Anlagen: Maschinenschriftliche Fassung meines Schreibens vom 28. 12. 91 Schreiben an den Herrn Justizminister vom 3. 11. 91
60
4. Februar 1992
Bundeskanzleramt
Herrn
Gerhart Schirmer
Rheinaustraße 12
7580 Bühl-Vimbuch
Sehr geehrter Herr Schirmer,
ich danke Ihnen für Ihr Schreiben an den Bundeskanzler vom 28. Dezember 1991.
Zuständiger Fachminister innerhalb der Bundesregierung für die von Ihnen angesprochene Thematik ist der Bundesminister der Justiz.
An ihn habe ich daher Ihre Eingabe weitergeleitet.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag gez. Surrer
7. Februar 1992
An den Bundeskanzler
der Bundesrepublik Deutschland
Herrn Dr. Helmut Kohl
Bundeskanzleramt
5300 Bonn
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!
Am 3. 11. 91 habe ich mich in einer ernsten, sehr bedrückenden Angelegenheit, in der es um Hunderte von Menschenleben geht, an Ihren Justizminister gewandt, da ich ohne Antwort blieb – und bis heute geblieben bin –, habe ich unter Vorlage einer Photokopie meines Schreibens an Herrn Dr. Kinkel mich am 28. 12. 91 in einem sehr persönlichen Brief an Sie, Herrn Bundeskanzler, gewandt.
Am 22. 1. 92 erlaubte ich mir, Herrn Kinkel an diesen Vorgang zu erinnern, mit Schreiben vom 27. 1. 92 schrieb ich erneut an Sie.
Gestern erhielt ich das oben angegebene Schreiben des Bundeskanzleramtes. Nach Kenntnisnahme wußte ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Ich hätte nicht geglaubt, daß es im Bundeskanzleramt einen Menschen geben kann, der zu einer so ernsten Sache eine so törichte Antwort geben kann. Ich bitte um Mitteilung, ob von Bonn Unterstützung in dieser Sache zu erwarten ist.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr gez. G. Schirmer
61
10. Februar 1992
Dr. Klaus Kinkel
Bundesminister der Justiz
Sehr geehrter Herr Schirmer!
Vielen Dank für Ihre Schreiben vom 3. November 1991 und 22. Januar 1992. Ihr Schreiben vom November ist hier nicht in Vergessenheit geraten, sondern war Gegenstand verschiedener Auskunftsersuchen meines Hauses an andere Bundesressorts.
Innerhalb der Bundesregierung sind für Kriegsgefangene das Bundesministerium des Innern und das Auswärtige Amt zuständig. Ich habe deshalb die zuständigen Ressorts um Mitteilung gebeten, welche Erkenntnisse dort über die von Ihnen angesprochene Problematik vorliegen und was zur Aufklärung unternommen werden könnte. Eine Antwort ist bisher noch nicht eingegangen.
Ich bitte Sie deshalb um Verständnis, daß ich Ihnen noch keine konkreteren Auskünfte erteilen kann, und hoffe, Ihnen bald näheres mitteilen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Klaus Kinkel
19. Februar 1992
Der Bundesminister der Justiz
Sehr geehrter Herr Schirmer!
Ihr Schreiben an den Herrn Bundeskanzler vom 28. Dezember 1991 ist dem Bundesministerium der Justiz zuständigkeitshalber zugeleitet worden.
Wie Ihnen der Bundesminister der Justiz Dr. Klaus Kinkel bereits mit Schreiben vom 10. Februar 1992 mitgeteilt hat, ist Ihr Schreiben vom November hier nicht in Vergessenheit geraten. Die Auskunftsersuchen an das Bundesministerium des Innern und das Auswärtige Amt sind jedoch bisher noch ohne konkrete Ergebnisse geblieben. Im Bundesministerium des Innern liegen keinerlei Erkenntnisse über den von Ihnen mitgeteilten Sachverhalt vor. Aufgrund der zunehmenden Desintegration innerhalb der früheren Sowjetunion ist mit Verzögerungen bei Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt zu rechnen, da unter Umständen die deutsche Botschaft in Moskau beteiligt wird.
Ich bitte Sie deshalb um Verständnis, daß eine abschließende Beantwortung Ihrer Schreiben derzeit noch nicht möglich ist.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag gez. Tappert
62
26. August 1966
Lieber Herr Oberst!
Vielen Dank für Ihren freundlichen Brief vom 24. August, den ich zu Hause vorfand, als ich von meinem Urlaub zurückkam.
Wie wir aus der Presse erfahren haben, werden wir in der nächsten Woche mit dem Verteidigungsminister und dann auch mit dem Verteidigungsausschuß zusammenkommen. Sie wissen aus vielen Gesprächen, die wir beide geführt haben, daß ich voll mit Ihnen und Ihren Anschauungen übereinstimme – dennoch bin ich Ihnen dankbar, daß Sie sie noch einmal in diesem Brief zusammengefaßt haben. Selbstverständlich behandle ich Ihr Schreiben vertraulich.
Für heute freundliche Grüße
Ihr gez. Peter Petersen
14. Oktober 1985
Lieber Herr Schirmer,
bitte entschuldigen Sie, daß ich erst heute dazu komme, mich bei Ihnen für Ihre Ausarbeitung zu bedanken.
Wie Sie wissen, wird jedes Buch dreimal geschrieben, bis es fertig ist; ich habe den Eindruck, daß bei Ihrer Ausarbeitung einiges besser begründet werden muß. Lassen Sie mich ganz hart einige Fragen stellen und Anregungen geben (ich habe Ihre Ausarbeitung abschreiben lassen und lege Ihnen eine Kopie bei, damit Sie den Zusammenhang noch einmal sehen).
Zu Punkt 1 auf Seite 2:
Sie müssen bitte ausführlicher schildern, wie das war mit den Vergasungsanlagen, die Sie aufzubauen hatten. Ich würde vorschlagen, daß Sie das so wie einen Erlebnisbericht machen. Sie wurden also verhaftet, in ein von Hitler gebautes KZ nach Oranienburg gebracht und mußten dort so und soviel Stunden am Tag oder unter solchen und solchen Bedingungen arbeiten und dann mußten Sie offenbar irgendwelche Gestelle aufbauen. Woher wissen Sie, daß das Vergasungsanlagen waren? Haben Sie sich darüber mit Ihren Kameraden unterhalten? Sie merken, worauf ich hinaus will. Dann schildern Sie, daß Sie nach ’56 »stellte ich fest ...« Wie haben Sie das festgestellt, daß zur gleichen Zeit in allen KZs des Reichsgebietes diese Anlagen von deutschen Gefangenen eingebaut wurden? Wer hat Ihnen das erzählt?
Zu Punkt 2:
Wie lautete die jüdische Kriegserklärung vom 24. 3. 33?
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Herr Schirmer, wir wollen nicht im Stil der Nationalzeitung Behauptungen oder Anschuldigungen in den Raum stellen, sondern bei allen Persönlichkeiten, die ich in dem Buch zu Wort kommen lasse, zählen nur persönliche Erfahrungen und Erlebnisse. Schauen Sie sich bitte daraufhin Ihre Ausarbeitung noch einmal durch. Daß ich weder mit der Tendenz noch mit dem Inhalt Ihrer Ausarbeitung übereinstimme, tut nichts zur Sache. Sobald wir soweit sind, werde ich versuchen, Sie Punkt für Punkt zu widerlegen. Aber selbstverständlich werde ich Ihnen alles vor Drucklegung des Buches noch einmal vorlegen.
Für heute, freundliche Grüße
Ihr
gez. Peter Petersen
22. Oktober 1985
Lieber Herr Schirmer,
vielen Dank für Ihre Ausführungen vom 20. dieses Monats. Ich habe sie wieder abschreiben lassen und lege eine Kopie bei. Ebenfalls beigefügt finden Sie die erste Kopie und die Übersetzung des Daily Express für Ihre Unterlagen.
Dies nur in Eile, für heute freundliche Grüße
Ihr
gez. Peter Petersen
Anlage
6. November 1985
Lieber Herr Schirmer,
bitte entschuldigen Sie, daß ich mich erst heute wieder melde. Ich habe Ihre Notizen noch einige Male gelesen und bin zu dem Schluß gekommen, daß das Kapitel »Schirmer« nicht in mein Buch paßt. Die Auseinandersetzung mit Ihren Thesen und die Beantwortung Ihrer Fragen würde ein eigenes Buch füllen und wir sind soweit auseinander in Auffassung und Bewertung, daß so ein Kapitel das Konzept, das ich jetzt von meinem Buch habe, sprengen würde.
Ich verspreche Ihnen aber, ein Exemplar meines Buches – falls und wenn es erscheint – zu schicken.
Vielen Dank für Ihre Mühe, freundliche Grüße auch an Ihre Frau,
Ihr
gez. Peter Petersen
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Für diese elektronische Auflage wurden die folgenden Korrekturen vorgenommen :