Auch diese Handschrift wurde von Prof. Bernard Mark entziffert. Er schreibt in seiner Einleitung (1):
Die im Sommer 1952 auf dem Terrain von Krematorium III ausgegrabene jüdische (jiddische) Handschrift hat die Form eines Schulhefts von 9,5 mal 15,5 cm und enthält 58 Seiten (29 Blätter), wovon 21 beschrieben sind,- der Rest der Seiten ist leer. Vier Seiten betreffen die Beschreibung einiger Ereignisse im Lager Belzec während der Jahre - wie der Autor angibt - 1940-1941; auf den weiteren siebzehn Seiten befindet sich der in den Jahren 1943-1944 in Auschwitz geschriebene Text. Das letzte im Text figurierende Datum ist der 26. November 1944. Wer der Autor war, ist nicht bekannt. Wie aus dem Texte ersichtlich ist, war er ein alter Auschwitzer Häftling und Mitglied des Sonderkommandos,- er stammte aus einem Kreis orthodoxer Juden, wovon seine Ehrfurcht vor geistlichen Personen zeugt (...) Der in vorliegender Publikation veröffentlichte Text umfasst die Gesamtheit dieser Notizen, mit Ausnahme von vier Seiten, welche Belzec betreffen und keinerlei Bedeutung für das Auschwitzer Thema haben.
Gerade die ersten vier Seiten, die uns die Herausgeber vorenthalten, wären von allergrösstem Interesse gewesen. Wir hätten dann mehr über das rätselhafte Lager Belzec erfahren, in dem der Geschichtsschreibung nach 600'000 Juden ermordet wurden (2), ohne dass freilich irgendwo in der Literatur auch nur der Name eines einzigen dieser ermordeten Juden erwähnt würde. Da nur ein einziger Jude jenes Schreckenslager überlebte - ein Rudolf Reder, der in den fünfziger oder frühen sechziger Jahren starb (3) -, wären einige Informationen über Belzec mehr als willkommen gewesen. Besonders faszinierend wäre die Frage gewesen, wie der unbekannte Autor 1940/1941 Ereignisse in einem Lager schildern konnte, das erst im März 1942 gegründet wurde (4). Doch es hilft nichts, wir müssen uns mit einigen der denkwürdigen Geschehnisse begnügen, die der anonyme Verfasser in Auschwitz erlebte (4):
Als die Transporte aus Bedzin und Sosnowiec eintrafen, war darunter ein Rabbiner in vorgerücktem Alter. Ein enger Kreis wusste, dass sie zum Tode fuhren. Der Rabbiner ging in den Auskleideraum und dann in den Bunker, indem er tanzte und sang. Er hat einen rühmlichen Tod für seinen Glauben gefunden (...)
Dies geschah inmitten des Sommers [das Jahr wird nicht genannt]. Man brachte 200 Menschen, junge ungarische Juden, zum Erschiessen. Sie zogen sich im Hof von Krematorium II nackt aus. Allen rasierte man zwei gekreuzte kahle Streifen auf den Kopf Dann kam der Mörder Oberscharführer Mussfeld [gemeint ist Erich Muhsfeldt] und hiess sie zum Krematorium III hinübergehen. Vom Tor des einen Krematoriums zum anderen führt eine 60 Meter lange Chaussee unweit des Öffentlichen Wegs. Er stellte das ganze Kommando als Spalier auf, um die nackten Juden zu bewachen, damit sie nicht auf dem Wege auseinanderliefen. Und so trieb man sie vollkommen nackt, wie Hammel, indem man sie während des ganzen Wegs mit Knüppeln auf die Köpfe schlug. Angetrieben wurden sie vom Kommandoführer und einem deutschen Capo. Auf der anderen Seite pferchte man sie in einen kleinen Raum, und führte sie dann einzeln zum Erschiessen.
4us einem gewissen Lager wurde eine Gruppe ausgemergelter, abgezehrter Juden gebracht. Sie zogen sich im Freien aus und gingen einzeln zum Erschiessen. Sie waren schrecklich ausgehungert und flehten, ihnen im letzten Augenblick, solange sie noch leben, ein Stückchen Brot zu geben. Man brachte viel Brot; die Augen dieser Leute, die vom langwierigen Hunger tief eingesunken und erloschen waren, entflammten jetzt mit wildem Feuer in rasender Freude, und sie ergriffen mit beiden Händen die ganzen Brotscheiben und verschlangen sie gierig, während sie gleichzeitig die Stufen direkt zum Erschiessen gingen. Sie waren dermassen vom Anblick und Geschmack des Brotes geblendet, dass ihnen der Tod leichter wurde. So versteht der Deutsche, Menschen zu quälen und ihren Seelenzustand zu beherrschen. Man muss hinzufügen, dass diese Juden kaum vor ein paar Wochen von zu Hause losgerissen worden waren.
Gegen Ende des Jahres 1943 ereignete sich folgender Vorfall. Man brachte aus der Umgegend 164 Polen, darunter 12 junge Frauen, alle Mitglieder einer geheimen Organisation. Es langten eine Reihe von SS-Persönlichkeiten an. Gleichzeitig führte man einige hundert holländische Juden, Häftlinge aus dem Lager, zum Vergasen. Eine gewisse junge Polin hielt in der Gaskammer, vor allen nackt ausgezogenen Anwesenden, eine ganz kurze, aber feurige Rede, worin sie die Naziverbrechen und die Bedrückung brandmarkte und folgendermassen schloss: «Wir werden jetzt nicht sterben, uns wird die Geschichte unseres Volkes verewigen, unser Wollen und unser Geist werden leben und aufblühen, das deutsche Volk wird so teuer für unser Blut bezahlen, wie wir es uns nur vorstellen können; weg mit dem Barbarentum in Form des Nazideutschlands! Es lebe Polen!» Daraufhin wandte sie sich an die Juden des Sonderkommandos: «Denkt daran, dass auf euch die heilige Pflicht der Rache für uns Unschuldige ruht. Erzählt unseren Brüdern, unserem Volke, dass wir bewusst und voller Stolz unserem Tode entgegen gehen. » Darauf knieten die Polen auf der Erde nieder und sprachen feierlich ein Gebet, in einer Stellung, die auf alle einen ungeheuren Eindruck machte, dann erhoben sie sich und sangen gemeinsam im Chor die polnische Nationalhymne, die Juden sangen die Hatikwa. Das gemeinsame grausame Schicksal verschmolz an diesem abgelegenen verfluchten Ort die lyrischen Töne der verschiedenen Hymnen in ein Ganzes. Mit tiefbewegter Herzlichkeit drückten sie auf diese Weise ihre letzten Gefühle und ihre Hoffnung sowie den Glauben an die Zukunft ihres Volkes aus. Dann sangen sie noch gemeinsam die Internationale. Während des Gesanges kam das Auto des Roten Kreuzes angefahren; das Gas wurde in die Kammer geworfen, und alle gaben ihren Geist unter Gesang und Extase auf, von der Verbrüderung und Verbesserung der Welt träumend (...)
Es war Pascha (das jüdische Osterfest) im Jahre 1944. Es kam ein Transport aus Vittel in Frankreich. Darunter befanden sich eine Menge hochangesehener jüdischer Persönlichkeiten und auch ein Rabbiner aus Bayonne, der Rabbi Mosze Friedman seligen Angedenkens, einer der grössten wissenschaftlichen Autoritäten des Polnischen Judentums, eine seltene Patriarchengestalt. Er entkleidete sich zusammen mit allen anderen. Daraufhin kam ein gewisser Obersturmführer. Der Rabbi ging auf ihn zu, hielt ihn an der Uniformklappe fest und sagte auf deutsch: «Ihr gemeinen, grausamen Mörder der Menschheit, glaubt doch nicht daran, dass es euch gelingen wird, unser Volk auszurotten, das jüdische Volk wird ewig leben und wird nicht von der Arena der Weltgeschichte abtreten. Aber ihr, ihr niederträchtigen Mörder, ihr werdet sehr teuer für jeden unschuldigen Juden mit zehn Deutschen bezahlen, und ihr werdet nicht nur als Macht vergehen, sondern auch als eigenes Volk. Es wird der Zahltag kommen, das vergossene Blut wird nach seiner Bezahlung rufen. Unser Blut wird nicht ruhen, solange nicht der brennende Zorn der Vernichtung sich über euer Volk ausgiessen und euer tierisches Blut vernichten wird. » Er sprach diese Worte mit starker Löwenstimme und grosser Energie. Darauf setzte er seinen Hut auf und rief mit grossem Enthusiasmus: «Schema Israel!» Und mit ihm zusammen schrien alle Anwesenden: «Schema Israel!», und ein ungewöhnlicher Enthusiasmus tiefsten Glaubens durchdrang alle. Dies war ein ungewöhnlich erhabener Augenblick, wie es keinen ähnlichen in einem Menschenleben gibt und der die ewige Seelenkraft des Judentums bestätigte (...)
Es geschah Ende des Jahres 1943. Man brachte einen Transport, der sich ausschliesslich aus Kindern zusammensetzte. Sie stammten aus Schulen in Litauen, wo man sie aus dem mütterlichen Hause in Abwesenheit der Väter, die bei der Arbeit waren, zu den Autos abgefangen hatte. Der Kommandoführer schickte sie in den Entkleidungsraum, um die kleinen Kinder auszuziehen. Und da steht ein kleines Mädchen von fünf Jahren und zieht sein einjähriges Brüderchen aus. Einer aus dem Kommando nähert sich, um es zu entkleiden. Das Mädchen ruft laut.- «Weg du jüdischer Mörder! Lege deine mit jüdischem Blut befleckte Hand nicht auf mein schönes Brüderchen! Ich bin jetzt sein gutes Mütterchen, und es wird auf meinen Armen mit mir zusammen sterben.» Daneben steht ein ungefähr sieben- oder achtjähriger Knabe und lässt sich folgendermassen hören: «Du bist ein Jude und führst solche geliebten Kinder ins Gas - nur darum, damit du selbst leben kannst? Ist dir dein Leben unter dieser Mordbande wirklich mehr wert als das Leben so vieler jüdischer Opfer? (...)
Hauptscharführer Mohl [gemeint ist Otto Moll] stellte die Leute zu Vieren auf, einen nach dem anderen in gerader Linie und mit einer Schussserie durchschoss er sie alle. Wenn einer seinen Kopf zur Seite bog, warf ihn Mohl lebendig in das flammende Grab der Verstorbenen (...)
Oder der Scharführer Forst. Der stand bei vielen Transporten im Tor des Entkleidungsraums und betastete das Geschlechtsorgan jeder jungen Frau, die nackt in die Gaskammer vorbeiging. Es kamen auch solche Fälle vor, dass deutsche SS-Männer jeden Grades ihren Finger in das Geschlechtsorgan von jungen, hübschen Mädchen steckten (...)
Am 14. Oktober wird zum Abbruch der Wände von Krematorium IV geschritten. Diese Arbeit führen die Mitglieder des Sonderkommandos aus. Am 20. Oktober bringt man mit zwei kleine Taxis und einem Gefängnisauto Häftlingsdokumente, wie Karthoteken, Totenscheine, Anklageakten usw. zum Verbrennen.
Heute, den 25. November, wird mit der Demontage von Krematorium II begonnen, daraufhin folgt die Demontage von Krematorium HI. Eigenartig, dass man vor allen den gegenventilatorischen Motor sowie die Rohre demontiert und sie nach (anderen) Lagern - nach Mauthausen und Gross-Rosen - schickt. Da dies zum Vergasen von Menschen in grösserem Ausmasse dient, da es in den Krematorien IV und V überhaupt keinen solchen Mechanismus gab, lässt es die Vermutung aufkommen, dass man auf dem Terrain jener Lager ebensolche Punkte zur Vernichtung der Juden anlegen wird.
Ich bitte alle meine verschiedenen und im Lauf der Zeit vergrabenen Beschreibungen und Notizen mit der Unterschrift J.A.R.A. [der Sinn dieser Abkürzung ist laut Kommentator Mark unklar] zu sammeln. Sie befinden sich in verschiedenen Schachteln und Gefässen auf dem Terrain des Hofes von Krematorium III, und auch zwei grössere Beschreibungen, die eine mit dem Titel «Aussiedlung», die in einem Grab unter einem Knochenhaufen auf dem Terrain von Krematorium II liegt, und die Beschreibung mit dem Titel «Oswiecim», die zwischen den eingeebneten Knochen auf der Südwestseite desselben Hofes liegt. Später habe ich dieses abgeschrieben und ergänzt und habe es einzeln in der Asche des Terrains von Krematorium III eingegraben. Ich bitte, alles zusammen zu ordnen und unter dem Titel «Inmitten des grauenvollen Verbrechens» zu veröffentlichen.
Wir gehen jetzt zur Zone. Die 170 übriggebliebenen Männer Wir sind sicher, dass sie uns in den Tod führen werden. Sie haben 30 Leute ausgewählt, die im Krematorium V bleiben
Heute ist der 26. November 1944.
Anmerkungen zur Zeugenaussage
1) Hefte von Auschwitz, Sonderheft 1, Handschriften von Mitgliedern des Sonderkommandos, Verlag Staatliches Museum Auschwitz, 1972, S. 115.
2) Während hinsichtlich der anderen «Todesfabriken» stark divergierende Opferzahlen genannt werden, sind sich alle Autoren über die rund 600'000 Opfer von Belzec einig (z. B. Enzyklopädie des Holocaust, S. 180).
3) Rudolf Reder verfasste 1946 einen Bericht über seine Lagererlebnisse, der den Titel Belzec trägt (publiziert in Krakau). Ihm zufolge wurden in Belzec drei Millionen Juden ermordet. Reders Buch wird in Carlo Mattognos Il rapporto Gerstein. Anatomia di un falso (Sentinella d'Italia, 1985, S. 129 ff.) einer kritischen Würdigung unterzogen.
4) Enzyklopädie des Holocaust, S. 178.
5) Wie Anmerkung 1, S. 118 ff.
Der Text ist vom psychologischen bzw. psychiatrischen Standpunkt aus vielleicht interessant, vom historischen aus weniger. Hier die wenigen relevanten Informationen, die wir ihm entnehmen können:
1) Die Krematorien IV und V wiesen keine Gaskammern auf. Dies steht im Widerspruch zur gesamten Literatur.
2) Aus dem K II und dem K III wurden «die gegenventilatorischen Motore sowie die Rohre» demontiert, damit man sie nach Mauthausen und Gross-Rosen senden konnte, dies liess «die Vermutung aufkommen, dass man auf dem Terrain jener Lager ebensolche Punkte zur Vernichtung der Juden anlegen wird». An die Existenz einer Gaskammer in Gross-Rosen glaubt von allen Werken, die wir konsultiert haben, nur die Enzyklopädie des Holocaust (S. 569); die Gaskammer von Mauthausen wird u. a. von Kogon/Langbein/Rückerl erwähnt (S. 245), nicht aber von Hilberg.
Der Rest des Textes enthält Wahnvorstellungen phantastischer oder sadistischer Art, die in der Holocaustliteratur äusserst häufig anzutreffen sind. Die nackten Juden, die auf dem Weg zur Vergasung noch gequält und geprügelt werden, tauchen beispielsweise in den Erzählungen über Treblinka immer wieder auf (siehe u. a. Alexander Donat, The death camp Treblinka, Holocaust Library, 1979, S. 32 ff.). Die Schiesskünste des Herrn «Mohl», der mit einer einzigen Kugel vier Juden umlegt, finden ihre Entsprechung in der Mär vom «Willhelm Tell von Auschwitz», der Juden Gegenstände vom Kopf schoss.
Zu der Episode von der nackten jungen Polin, die in der Gaskammer eine flammende Rede an die anderen Todgeweihten hält, schreibt Wilhelm Stäglich: «Das ist nun wahrlich eine rührende Geschichte und eine geradezu feierliche ‹Vergasung›! Nur schade, dass sie so völlig unwahrscheinlich klingt und das ‹Sterben unter dem Gesang der Internationale› recht eindeutig die kommunistische Quelle dieser Geschichte verrät. Und dass ausgerechnet die Juden die Polen rächen sollten, ist geradezu makaber, wenn man bedenkt, dass die Polen zu den schlimmsten Judenverfolgern der Geschichte gehören - das Deutschland der zwanziger Jahre ‹verdankte› diesem Umstand im wesentlichen seine Ostjuden - und dass noch nach dem deutschen Zusammenbruch im Jahre 1945 in Polen schwerste Judenpogrome stattfanden. Im übrigen wurden der ‹Chronik› zufolge die Juden ja mit vergast. Wie sollten sie also Rache nehmen?» (S. 131).
Warum haben uns die Verantwortlichen des Auschwitz-Museum diesen dummdreisten Unfug aufgetischt? Verfügen sie wirklich über keine überzeugenderen Beweise für den Gaskammervölkermord?
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