ZUR DEUTSCHEN AUSGABE

Über fünf Jahrzehnte seit seinem Schritt ins Dunkel der Geschichte schien - mit einer Unterbrechung - der Mann Heinrich Müller, Chef der Geheimen Staatspolizei (GESTAPO), vergessen, sieht man einmal von den Ereignissen des Jahres 1963 ab, als man sein vermeintliches Grab in Berlin öffnete und dort drei Skelette fand, von denen keines mit dem des Gesuchten identisch war.

Dann die Schlagzeile am 17. Juli 1995 in FOCUS: »Die Entführung von Himmlers Vollstrecker - Exklusiv: Prager Agenten holten den für tot erklärten Gestapo-Chef Müller aus Argentinien - Ex-Minister lüftet Moskauer Staatsgeheimnis«.

Abseits der Sensationspresse waren jedoch die sogenannten Müller-Dokumente längst sichergestellt und die Veröffentlichung dieser Papiere in unserem Haus wurde seit Monaten sorgfältig vorbereitet. Es dürfte kaum außer Zweifel stehen, daß der FOCUS-Beitrag mehr zur Desinformation als zur Information beitragen sollte.

In einem kleinen Kreis von Deutschen hatte ich 1965 die Gelegenheit Otto Skorzeny in Pretoria im Deutschenklub wiederzusehen. Er sprach in diesem Kreis natürlich nicht nur über die Befreiung Mussolinis, auch der Name Heinrich Müllers, des gefürchteten »Gestapo-Müllers«, fiel. Skorzeny deutete an, daß Müller in den Vereinigten Staaten beruflich tätig sei. Anfang der 70er Jahre besuchte Hans Ulrich Rudel wieder einmal den Verlag. Auch er machte damals einen Hinweis auf Heinrich

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Müller. Ein in Spanien heute noch lebender Gewährsmann berichtete dieser Tage, daß beide Männer fraglos um Aufenthalt und Wirken des vormaligen Gestapo-Chefs informiert waren.

Auch der Autor dieses Buches, Gregory Douglas, besuchte Heinrich Müller in der zweiten Hälfte der 60er Jahre und führte ein längeres Gespräch mit ihm. Gregory Douglas kann und wird das gegebenenfalls vor Gericht aussagen.

Zumindest ist dem FOCUS-Beitrag insoweit zuzustimmen, daß es außer Frage steht, daß Heinrich Müller das Ende in der Reichshauptstadt überlebt hat. In diesem Buch erzählt Müller u.a. seine eigene Version, wie und auf welch abenteuerliche Weise es ihm gelang, in die Schweiz zu entkommen.

Daß die in diesem Buch aufgearbeiteten Gespräche stattgefunden haben, wird nicht nur von amerikanischer Seite bestätigt; auch ehemalige Mitarbeiter aus dem BND-Bereich, die noch zu Zeiten Reinhard Gehlens dort arbeiteten, versicherten mir glaubhaft, es sei zutreffend, daß der Kontakt zwischen Müller und den amerikanischen Diensten über Pullach, dem späteren BND, geknüpft worden sei.

Somit gibt es an der Tatsache dieser Gespräche, die sich über mehrere Wochen hinzogen, keine Zweifel. Dokumente und eine Fülle von umfangreichen Aktenordnern und Faszikeln bestätigen dies. Die Müller-Papiere sind als Quelle für die Forschung von besonderem Gewicht.

Hat aber Müller den Amerikanern stets die ganze Wahrheit gesagt? Diese Frage ist nicht zu beantworten. Müller wußte sehr wohl um den ausbrechenden Kalten Krieg und er wußte auch, daß er für den amerikani-

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sehen Geheimdienst von allergrößtem Wert war, hatte er doch über den Krieg hinaus zahlreiche Verbindungen jenseits des 1945 niedergegangenen Eisernen Vorhangs aufrecht erhalten und wertvolle Dokumente und Akten sicherstellen können. So scheute er sich gewiß nicht, einmal den amerikanischen Gesprächspartnern unangenehme Tatsachen zu vermitteln, andererseits durch vielleicht etwas aufgebauschte Geschichten seinen eigenen Wert noch zu steigern. In diesem Zusammenhang sei auf den Bericht seines Verschwindens aus Berlin verwiesen. Wollte hier Müller Spuren verwischen?

Auch das in diesem Band nicht veröffentlichte Kapitel über die angebliche Flucht Adolf Hitlers am 26. April 1945 aus der brennenden Reichshauptstadt wirft manche Fragen auf. Die Publizierung ist daher auf den zweiten Band der Veröffentlichung der Müller-Papiere verlegt worden, auch wenn in einigen Aussagen und Akten darauf Bezug genommen wird.

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In unserem Verlagshaus sind im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Publikationen mit Dokumenten erschienen, deren Echtheit von interessierter Seite bezweifelt wurde. Diese Thesen wurden gerne von Persönlichkeiten verbreitet, die sich jedoch nicht scheuten, die sogenannten Hitler-Tagebücher zunächst als echt zu klassifizieren, um schon wenige Tage später feststellen zu müssen, daß sie auf eine ebenso raffinierte wie plumpe Fälschung hereingefallen waren. Daß diese Tagebuch-Geschichte auch noch einen nachrichtendienstlichen Hintergrund haben kann, sei nur am Rande vermerkt.

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So wurde von der etablierten Historikerschaft z.B. behauptet, der sogenannte Hauptbericht Ribbentrops A 5522 vom 28.12.1937 habe nicht existiert, er wäre im Nürnberger Prozeß von entscheidender Bedeutung gewesen, aber schließlich wurde er doch noch gefunden und in unserem Haus publiziert.

In diesen Rahmen fällt auch die geradezu gespenstische Geschichte, die der Journalist Fritz Hesse erstmals 1952 veröffentlichte. Damals wurde er als Märchenerzähler abgefertigt. 25 Jahre später wurden die Dokumente gefunden und der Verlag konnte mit wissenschaftlicher Absicherung der Dokumente erneut von Hesses nächtlichem Gang zu Horace Wilson am Vorabend des Kriegsausbruches 1939 berichten.

Als dann die Eichmann-Aufzeichnungen unter dem Titel »Ich, Adolf Eichmann« 1979, herausgegeben von Dr. Rudolf Aschenauer, publiziert wurden, wurde uns mehrfach vorgehalten, diese Unterlagen seien nicht echt. Niemand konnte jedoch das Gegenteil beweisen, auch nicht ermittelnde Behörden. An der Authentizität der Dokumente konnte niemand vorbei. Das Buch wird inzwischen auch von der etablierten Historikerzunft zitiert.

Und als schließlich die Demjanjuk-Dokumentation erschien, hielten gewisse Kreise Autor und Verleger für verrückt. Letztendlich hat diese Veröffentlichung Dem-janjuk jedoch das Leben gerettet. Mit gefälschten Dokumenten wollte man den Mann an den Galgen bringen.

Ein weiteres Beispiel: die Katyn-Lüge. Jahrzehntelang wurde den Deutschen insbesondere von den Sowjets vorgehalten, sie seien für die Massaker von Katyn verantwortlich. Nach Erscheinen unserer Dokumentation »Die Wahrheit von Katyn«, die auf unwiderlegbaren

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Beweisen und Dokumenten fußte, konnten einige hundert Exemplare auf geheimen Wegen in das noch kommunistische Polen geschleust werden. Es sollte dann nur noch Monate dauern, bis auch die Katyn-Lüge platzte und die Sowjets ihre Verantwortung für dieses Verbrechen eingestehen mußten. Auch diese Richtigstellung ist heute historisches Allgemeingut geworden.

Einen ähnlichen Weg wie die Müller-Papiere nahm 1978 das Manuskript »Das Geheimnis der Roten Kapelle«, das von mir herausgegeben wurde und auf nachrichtendienstlichem Material fußt, das uns zugespielt wurde. Auch damals wurde die Glaubwürdigkeit dieses Dokumentes in Zweifel gezogen. Heute ist dieses Buch zu einem Klassiker zur Geschichte der »Roten Kapelle« geworden. Ich bin nach sorgfältigster Recherche sicher, daß die Veröffentlichung der Müller-Aussagen zu einem Sturm des Widerspruchs führen wird. Schon heute sei jedoch den voreiligen und vorlauten Kritikern gesagt, daß Autor und damit auch der Verlag im Vorfeld der Veröffentlichung alle Maßnahmen ergriffen haben, damit einerseits sichergestellt ist, daß die Authentizität der Dokumente - nicht der Aussage - nicht in Zweifel gezogen werden kann und daß zum anderen diese Unterlagen und Akten so aufbewahrt sind, daß sie vor unberechtigtem Zugriff oder gar der Zerstörung sichergestellt sind.

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Die Gespräche zwischen Müller und seinen amerikanischen Partnern wurden im September/Oktober 1948 geführt. Normalerweise fanden die Unterredungen jeweils morgens und nachmittags statt, wurden durch

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gemeinsame Mahlzeiten unterbrochen und gelegentlich nach dem Abendessen noch fortgeführt.

An den Gesprächen nahm neben Heinrich Müller ein amerikanischer Wortführer teil, der manchmal durch einen oder sogar einen zweiten US-Teilnehmer verstärkt wurde. Zwei Stenographen führten das Protokoll. Die stenographischen Notizen erfolgten in deutscher Sprache und wurden später ins Englische zur Verwendung der Amerikaner übersetzt. Müller erhielt sowohl eine deutsche als auch eine englische Ausfertigung, um etwaige Verbesserungen vorzunehmen. Alle Gespräche haben eine durchgehende Signatur MU 13-75-96, sowie Nummer des Bandes sowie Zeit und Ort der Aufzeichnung. Alle Gespräche fanden in Heinrich Müllers Hans in der Schweiz statt. Das vorliegende Buch basiert auf der englischen Transcription, die Müller mit Tinte korrigierte.

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Die jeweils am Ende aufgeführten Aktennummern enthalten die jeweiligen Band- und Seitenzahlen der Transkriptionen. Diese wurden auf amerikanischen Papier, Größe 8 1/2 x 14 gefertigt.

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Sir Alexander Cadogan hat einmal moniert, daß in der gängigen Geschichtsschreibung die Bedeutung der Geheimdienste unterschätzt wird. Ihre Wichtigkeit, so der Ständige Unterstaatssekretär im Britischen Foreign Office (1938 - 1946) sei das fehlende Bindeglied in fast allen Geschichtsabhandlungen. Die Aussagen Müllers

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aus dem Jahre 1948 sind fraglos eine entscheidende Quelle, die erhebliche Lücken der Forschung zur Geschichte des Dritten Reiches schließen wird.

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Bedauerlicherweise mußten in der deutschen Ausgabe zu manchen Fragenkomplexen sowohl Aussagen Müllers, als auch Kommentare des Verfassers, dem Rotstift zum Opfer fallen. Angesichts des immer schwankender werdenden Rechtsbodens in Deutschland, konnten und mußten diese Streichungen - auf die im Text hingewiesen wird - erfolgen, um die Gesamtvcröffentlichung nicht zu gefährden. Einzelnen Aussagen und Wertungen Müllers insbesondere hinsichtlich einiger Personen schließt sich der Verlag nicht in jedem Fall an.

Autor und Verlag hoffen jedoch, mit diesem Band soviel an historischem Schutt beiseite zu räumen, daß in dem für 1996 vorgesehenen zweiten Band diese Lücken geschlossen werden können.

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Jene aber, die sich nicht der historischen Wahrheit, wie immer sie auch aussehen mag, verpflichtet fühlen, seien an das Wort des gewiß unverdächtigen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel erinnert, der am 26.7. 1990 bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele sagte: »Geschichtsfälschung rettet die Freiheit nicht! - Sie bedroht sie«.

Wer klaren Blickes und mit kritischem Sachverstand die deutsche Lage seit einem Jahrzehnt überprüft, wird zu dem Ergebnis gelangen, daß die geistige Freiheit zwi-

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sehen Alpen und Nordsee, zwischen Oder und Rhein, gefährdeter denn je ist. Die Freiheit der Geschichtsschreibung, die Freiheit von Forschung und Wissenschaft, stehen auf dem Prüfstand. Sie sind nach Havel in hohem Maß bedroht. Auch dieses Buch wird eine Nagelprobe in dieser sich zuspitzenden Entwicklung sein.

Dr. Gert Sudholt

Berg im Sommer 1995

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