Einführung |
Die Soldaten im Zwielicht der Politik
Die Agitation gegen die Wehrmacht
Die Angriffe gegen die Wehrmacht, die 1945 bis 1990 lediglich sporadisch auftraten und einzelne betrafen, eskalierten nach der Wiedervereinigung Deutschlands zu Pauschalattacken. Obwohl sich der Sozialismus als eine menschenfeindliche Ideologie und die UdSSR als ein Zentrum des Mordens und der Unterdrückung entpuppt hatten, überlebten einige sozialistische Anschauungen den Zusammenbruch des Ostblocks und kamen als Heilsbotschaften in den Westen. Sie lassen sich terminologisch festmachen. Als Bezeichnung für die Niederlage des Deutschen Reiches 1945 war jenseits des Eisernen Vorhangs der Ausdruck "Befreiung" vorgeschrieben. Seit ein paar Jahren gilt er auch im Westen. Statt wissenschaftlich korrekt vom "Nationalsozialismus" zu reden, verbreitete sich der Begriff "Faschismus", wie er seit 1945 in der SBZ und in der DDR gebraucht worden war, um den Widerstand der sogenannten "Antifaschisten" zu belegen. Auch die Kriminalisierung der Wehrmacht nahm erst nach 1989 groteske Züge an.
Die politische Tendenz, die von den linken Gruppen verfolgt wird, ist offensichtlich: Gelingt es, die Wehrmacht als verbrecherische Organisation zu desavouieren, dann richtet sich der nächste Schlag gegen die Bundeswehr. Wenn nämlich die Väter der Bundeswehr, Zehntausende von Offizieren und Unteroffizieren, die die Bundeswehr ab 1955 aufbauten, einer Verbrecherbande angehörten, dann kann es mit der Bundeswehr nicht weit her sein. Sie haben wohl die kriminellen Maßstäbe der Wehrmacht an die jungen Offiziere und Unteroffiziere weitergegeben. Trotz aller Schranken gegen die Verwendung der Bundeswehr für Aggressionen und aller Vorkehrungen gegen gesetzeswidrige Befehle, trotz Innerer Führung und politischer Bildung sei der Bundeswehr nicht zu trauen. Gegründet von Angehörigen der "faschistischen" Wehrmacht, ist sie eine "neofaschistische" Organisation, in der die Ewig-Gestrigen das Sagen haben.
Übersehen wird bei dieser Argumentation mehreres, z.B. daß auch die Nationale Volksarmee der DDR, der Inbegriff einer sozialistischen Klassenarmee, von Wehrmachtoffizieren aufgebaut wurde. Bei der Umwandlung der Volkspolizei in die NVA wurden 1956 500 ehemalige Wehrmachtoffiziere mitübernommen. In den 82 höheren Kommandoposten stammten 61 Stelleninhaber aus der Wehrmacht. Der Kommandeur der NVA-Panzertruppen, Generalmajor Arno von Lensky, hatte als Beisitzer beim III. Senat des NS-Volksgerichtshofs an 20 Urteilen, darunter einigen Todesurteilen, mitgewirkt. Er wurde mit der "Medaille für Kämpfer gegen den Faschismus" ausgezeichnet.[1]
Die raffinierteste, einprägsamste und populärste Agitationsunternehmung gegen die Wehrmacht wurde 1995 mit der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945" gestartet. Sie ist wahrscheinlich die erfolgreichste historische Wanderausstellung, die es seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland gibt. Besondere Aufwertung erfuhr sie, als die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts die Eröffnungsrede in Karlsruhe hielt, der Oberbürgermeister von München die Schirmherrschaft übernahm und in Frankfurt/Main und Bremen jeweils traditionsreiche und ehrwürdige Plätze zur Verfügung gestellt wurden.
Hannes Heer, der im Auftrag des privaten "Instituts für Sozialforschung" in Hamburg die Ausstellung konzipierte, behauptet im Katalog, die Wehrmacht sei eine Säule des nationalsozialistischen Systems und ein "willfähriges Instrument seines Terrors" gewesen. Sie sei" an allen Verbrechen aktiv und als Gesamtorganisation beteiligt" gewesen." Die Wehrmacht spielte eine aktive Rolle beim Holocaust, bei der Plünderung der besetzten Gebiete, beim Massenmord an der Zivilbevölkerung und bei der Vernichtung der sowjetischen Kriegsgefangenen. Die Wehrmacht sei "als Teil der nationalsozialistischen Gesellschaft umfassender und bereitwilliger als bisher angenommen an diesem Verbrechen beteiligt" gewesen. Von Beginn an habe sie versucht", die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen und die Erinnerung daran zu beseitigen". Aber mit dieser Ausstellung werde sie endlich demaskiert. Das Bild von der anständigen Wehrmacht gehöre der Vergangenheit an. Die "Beweisführung" erfolgt anhand von Schautafeln mit Texten und Fotos.
Dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, den die Ausstellung erhebt, werden die Organisatoren der Ausstellung nicht gerecht. Folgende drei Kriterien zeigen, daß elementaren Forderungen wissenschaftlicher Arbeitsweise nicht entsprochen wird:
1. Die Ausstellung dient nicht der Wahrheitsfindung, weil die Wahrheit bereits bekannt ist. Die Legende von der "guten Wehrmacht", die entschleiert werden soll, hat es gar nicht gegeben. Tausende Publikationen über den Zweiten Weltkrieg zeigen, daß die Soldaten aller kriegführenden Mächte an Kriegsverbrechen beteiligt waren, auch deutsche. Völkerrechtswidrige Befehle gab es auf allen Seiten. Aber nicht einmal dem Nürnberger Internationalen Militärtribunal gelang es, die Wehrmacht als Ganzes zu brandmarken und in den Kreis der verbrecherischen Organisationen einzubeziehen. Auch wurden auf deutscher Seite alle Kriegsverbrecher abgeurteilt, deren man habhaft werden konnte. Bis 1949 wurden insgesamt 5.029 Anklagen gegen einzelne Personen erhoben. Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland sind deutsche Gerichte insgesamt 12.000 Hinweisen nachgegangen. Überführte Kriegsverbrecher und Soldaten, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatten, wurden bestraft. Das "Institut für Zeitgeschichte" in München bekam die Aufgabe, die Geschichte des Dritten Reiches aufzuarbeiten. Als es 1947 gegründet wurde, hieß es expressis verbis" Institut zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik". Die "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen" in Ludwigsburg ist seit 40 Jahren auf der Suche nach Schuldigen. Das "Militärgeschichtliche Forschungsamt" edierte neben einer großen Zahl von Monographien acht der auf zehn Bände angelegten Reihe "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg". Angesichts dieser Bemühungen zur Bewältigung der Vergangenheit leistet die Ausstellung keinen erwähnenswerten Beitrag. Alle Fakten, die sie nennt, sind seit langem bekannt. Viele bekannte Fakten ignoriert sie.
Den Ausstellern geht es nicht um die historische Wahrheit, sondern um die Verfemung der Wehrmacht. Die exemplarische Darstellung militärischer Verbrechen an drei Beispielen - 6. Armee, Weißrußland, Serbien - reichte selbst dann nicht für ein Gesamturteil aus, wenn sie ohne Tendenz durchgeführt wäre. Es wird der Anschein erweckt, als hätten nur die Deutschen Greuel begangen. Die Greuel der Roten Armee und der Partisanen werden weggelassen. Nirgendwo erfährt der Besucher, daß die Partisanen außerhalb des Völkerrechts standen, weil sie gegen den Artikel 1 der Haager Landkriegsordnung verstießen. Ihre Hinrichtung war völkerrechtlich nicht zu beanstanden. Auch Repressalien gegen die Zivilbevölkerung - so "ungerecht" sie im Sinne einer höheren Moral auch sind - waren erlaubt, wenn Attentäter und Saboteure nicht gefaßt werden konnten und der Verdacht bestand, sie würden gedeckt. Die in der Ausstellung gezeigten Hinrichtungen waren in vielen Fällen das Ergebnis kriegsgerichtlicher oder standrechtlicher Verfahren.
2. Wissenschaftliche Arbeitsweise verlangt ein differenziertes, abwägendes Vorgehen. Die Ausstellung spricht pauschal von den "Verbrechen der Wehrmacht" und läßt außer acht, daß die Wehrmacht aus drei Wehrmachtteilen bestand. Sie umfaßte vom Kriegsbeginn bis zum Kriegsende mindestens 18 Millionen Soldaten. Das Feldheer - ohne Ersatzheer - bestand aus etwa 4.500 Bataillonen. Verbrechen, die einzelne Soldaten begingen, können nicht zu Verbrechen ihrer Einheit umgemünzt werden. Verbrechensbeteiligungen von Heereseinheiten gehen nicht zu Lasten des Großverbands, zu denen sie gehörten. Das Versagen einer Armee exemplifiziert nicht das Versagen aller Heeresverbände. Der einzelne Soldat kann auch nicht durch völkerrechtswidrige Befehle höherer Führungsebenen, von denen er nie etwas erfuhr, zum Schuldigen gestempelt werden. Die verbrecherischen Intentionen des Oberbefehlshabers der Wehrmacht, Adolf Hitler, die sich in einzelnen Befehlen niederschlugen, besagen weder etwas über den Charakter der Gesamtwehrmacht noch über den einzelnen Soldaten.
Die Ausstellung differenziert nicht zwischen SS und Polizei einerseits und Wehrmacht andererseits. Die einen unterstanden der Befehlsgebung des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler, und die anderen den Weisungen des Oberkommandos ihres Wehrmachtteils. Heer, Luftwaffe und Kriegsmarine achteten auf ihre Zuständigkeiten. Die Wehrmacht hatte mit den Sonderaufträgen der SS- und Polizeiverbände nichts zu tun, auch wenn sie befehlsgemäß gelegentlich zur Hilfestellung verpflichtet war, z. B. im Partisanenkrieg, der 1942 zur Domäne der SS wurde.[2]
Die Bildkommentare sind so tendenziös, daß der Zuschauer auch bei an und für sich harmlosen Bildern den Eindruck gewinnt, es handle sich um Verbrechen. Soldaten, die Hühner wegtragen oder Schweine vor sich hertreiben, müssen noch lange keine Plünderer sein. Ein Infanterist vor einem brennenden Dorf braucht kein Brandschatzer zu sein. Ein sowjetischer Soldat, der aus einem Tümpel am Wege trinkt, muß nicht in deutscher Gefangenschaft gewesen sein. Ermordete Zivilisten können, wie in Lemberg, auch beim Rückzug der Roten Armee umgekommen sein. Die Aussagekraft von Fotos ist anzweifelbar, wenn das Wo, Wann, Warum und Wie ihrer Entstehung nicht festliegt.
Die Aussteller können zwar eine Menge von Fotos über Erschießungen und Erhängungen beibringen und Texte - mit vielen Auslassungen und Fettdrucken - anbieten, aber versuchen nicht einmal zu klären, ob es sich bei den Hinrichtungen um völkerrechtskonforme Aktionen handelte, vielleicht sogar aufgrund eines gerichtlichen Verfahrens. Sie können keine Beweise anbieten, daß deutsche Soldaten ihre Opfer gefoltert oder verstümmelt hätten. Sie fanden auch keine Befehle oder Appelle deutscher Dienststellen, die zu Mord und Totschlag aufforderten.
Aussagen von Angeklagten und Zeugen vor sowjetischen Gerichten sind erfahrungsgemäß von der Wahrheit weit entfernt. Es gibt genügend Berichte darüber, wie sie zustande kamen.[3] Etwa zur gleichen Zeit, als der Schauprozeß in Minsk stattfand, gaben 16 deutsche Soldaten zu, an der Ermordung von 15.000 polnischen Offizieren und Soldaten in Katyn beteiligt gewesen zu sein. Sieben von ihnen wurden gehenkt, Grundlage war ein Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19.4.1943, dessen Formulierung bereits das Urteil mitschwingen ließ: "Über die Maßnahmen zur Bestrafung der deutschfaschistischen Übeltäter, die sich des Mordes und der Mißhandlung an der sowjetischen Zivilbevölkerung und gefangener Rotarmisten schuldig gemacht haben, sowie der Spione und Vaterlandsverräter unter den sowjetischen Bürgern und ihrer Helfershelfer". Die Todesstrafen sollten öffentlich vollzogen werden und die Leichen zur Mahnung einige Tage am Galgen hängen bleiben.[4] Inzwischen ist aufgedeckt, daß die Katyn-Morde von den Sowjets begangen wurden.[5] Wieviele weitere deutsche Soldaten aufgrund dieses vor Propaganda triefenden Erlasses hingerichtet wurden, ist bisher unbekannt.
3. Wissenschaftliche Angaben müssen nachprüfbar sein. Überprüfbarkeit ist ein Grunderfordernis historischer Dokumentation. Aussagen, die nicht überprüft und nachvollzogen werden können, sind subjektive Behauptungen.
Von den Fotos dieser Ausstellung haben 90% keinen Quellennachweis. Sehr viele stammen angeblich aus den Taschen getöteter oder gefangener deutscher Soldaten. Dort fanden sich wohl auch Fotos der Angehörigen. Wurden sie beiseitegelegt, weil mit ihnen keine Politik gemacht werden konnte? Mit den Bildern von Ehefrauen, Kindern und Eltern, Erinnerungsstücken an Zuhause, hätte sich nur eine menschlich anrührende Ausstellung durchführen lassen.
Fotos ohne Quellenangabe haben keine Beweiskraft für irgendwelche Vorgänge, an denen die Fotografen möglicherweise beteiligt waren. Belege ohne Orts- und Zeitangaben sind wissenschaftlich wertlos. Von den 314 Fotos im Kleinformat tragen 208 die Bezeichnung "unbekannter Ort". 62 lassen keine Beteiligung von Wehrmachteinheiten erkennen. 19 stammen aus Polen vor 1941. 15 zeigen Kriegsgeschehen, z.B. brennende Häuser, ohne Bezug zum Thema und 10 betreffen nicht die Wehrmacht, sondern SS, SD oder RAD.[6] Selbst die Zitate, die die Bilder kommentieren, sind nur schwer nachprüfbar. Viele Texte auf den Schautafeln sind verkürzt. Die Belegstellen verweisen gelegentlich auf Gerichtsakten ohne Angabe der Aktenzeichen. Durch Fettdruck werden die Ausstellungsbesucher auf angeblich wichtige Stellen hingewiesen. Es handelt sich ausschließlich um Passagen, die die Meinung der Aussteller stützen. Einschränkungen oder Widersprüche, die sich in den Schriftstücken finden, werden dem Betrachter als gepunktete Auslassungen entzogen.
Auch vor offensichtlichen Verdrehungen scheuten die Ausstellungsmacher nicht zurück:
Welche Schlüsse kann man daraus ziehen, daß die Ausstellungsmacher keinen der als falsch erwiesenen Texte änderten und kein Foto entfernten? Wie ist es um die Glaubwürdigkeit derer bestellt, denen die wahrheitsgemäße Darstellung des Themas so gleichgültig ist?
Die wissenschaftliche Qualifikation für eine seriöse Ausstellung über die Wehrmacht bringt keiner der Ausstellungsmacher auf. Hannes Heer war während seiner Studienzeit Angehöriger kommunistischer Gruppierungen. Zur Promotion als Nachweis zur Beherrschung wissenschaftlicher Arbeitstechniken hat er es nicht gebracht. Die Publikationen der Mitarbeiter decken bereits durch ihre Titel auf, welche Tendenz sie verfolgen. Dr. Jan Philipp Reemtsma kann die Absicht unterstellt werden, er handle in dem Bestreben, die Schuld seines Vaters zu löschen, der zu den Verehrern Hitlers gehörte und Göring mit großzügigen Spenden beim Bau seines schloßartigen Privathauses Carinhall unterstützte.[14] Reemtsma sen. erreichte Ende 1943, daß seine Firma mit der Einheitszigarette Sulima-Rekord quasi das Monopol für die Belieferung der Wehrmacht bekam. Das brachte ihm bis zum Kriegsende ein Vermögen ein. Jeder deutsche Soldat erhielt täglich fünf Zigaretten zugeteilt und konnte sich weitere fünf als Marketenderware für drei Pfennige pro Stück dazukaufen. Bei 13 Millionen Soldaten des damaligen Wehrmachtpräsenzstands kann man sich das in 17 Monaten erwirtschaftete Pfennigvermögen ausrechnen.
Eine wissenschaftlich ausgewogene Ausstellung über Verbrechen im Krieg müßte sich mit den Untaten, Völkerrechtsbrüchen, Menschenrechtsverletzungen und Greueltaten aller Kriegführenden auseinandersetzen. Wenn die Wehrmacht als Bezugsgröße gewählt würde, müßten unter anderem folgende Fragen aufgeworfen und beantwortet werden:
Der Militärhistoriker Hartmut Schustereit schrieb im Auftrag der Kameradenwerke und Traditionsverbände der Wehrmacht ein Gutachten über die von Hannes Heer verfaßten Kapitel des Buches zur Ausstellung. Er weist dem Verfasser nicht nur Unkenntnis der militärischen Fachterminologie und die Verwendung sowjetrussischen Agitations- und Propagandavokabulars nach, sondern eine selektive Darstellung der Sachverhalte unter Ausklammerung aller gegenteiligen Quellen. Es fehle die Einordnung der Aufsätze in die Gesamtgeschichte des Zweiten Weltkriegs und die Auswertung der Literatur zum Thema. Die historische Forschung der letzten dreißig Jahre bleibe mehr oder weniger unberücksichtigt. Die deutsch-sowjetischen Beziehungen bis zum Ausbruch des Krieges fehlten. Die Behauptung, der Partisanenkrieg habe eigentlich erst 1942 eingesetzt, steht im Widerspruch zu den Kriegstagebüchern der im Osten eingesetzten deutschen Verbände. Insgesamt erfüllen die Aufsätze nicht die wissenschaftlichen Anforderungen, denen eine publizierenswerte Darstellung zu entsprechen hat. "Die Kombination aus Verfälschungen von Quellen und pauschalen Verleumdungen und Verunglimpfungen 'der' Wehrmacht, die sich in der Verwendung von partiell reißerisch-propagandistischen, mit mit sowjetischem Agitationsvokabular versetzten Formulierungen artikuliert, läßt die eigentliche Zielsetzung erkennen: Es geht ganz offensichtlich darum, 'die' Wehrmacht soweit wie möglich abzuwerten, um sie kriminalisieren zu können."[15]
Bodo Scheurig geht in der Kritik der Ausstellung noch einen Schritt weiter: "Der Nachdenkende fängt an zu ahnen, daß die Ausstellung darauf abzielt, uns jede Selbstachtung zu rauben. Der politische Zuschnitt der 'Sachbearbeiter' muß solch einen Verdacht nähren. "[16]
So wie sie durch die Lande tingelt, vermittelt die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945" nur ein Zerrbild des Ausstellungsgegenstands. Jugendliche Besucher, die die historischen Zusammenhänge nicht kennen, sind ihm hilflos ausgeliefert. Sie können keine Vergleiche ziehen, weil ihnen die Fakten fehlen.
Sie wissen auch nicht, daß parallel - oder genauer gesagt gegenläufig - zu der von der Ausstellung in Deutschland und Österreich betriebenen Kriminalisierung der Wehrmacht heute in Rußland Wehrmachtsangehörige rehabilitiert werden, die früher in den Kriegsgefangenenlagern der UdSSR zu Arbeitslager und Zuchthausstrafen verurteilt worden waren, weil sie angeblich Kriegsverbrechen und Kriminaldelikte begangen hatten. Betroffen waren 1947-1949 über 35.000 deutsche Soldaten, meist Offiziere. Die Verurteilten und ihre Angehörigen können seit einigen Jahren bei der Generalstaatsanwaltschaft der russischen Militärjustiz in Moskau (Oberst Kopalin) ihre Rehabilitierung beantragen. Von rund 10.000 Anträgen wurden bis Ende 1996 6.500 bearbeitet. Über 5.100 deutsche Soldaten konnten rehabilitiert werden, weil sie zu Unrecht verurteilt worden waren, unter ihnen der Führer des XV. Kosaken-Kavalleriekorps, General von Pannwitz, der Major Erich Hartmann, mit 352 Abschüssen wohl der erfolgreichste deutsche Jagdflieger, der Wachtmeister Boris von Drachenfels, der im Kiewer Kriegsverbrecherprozeß nur knapp der Todesstrafe entkam, und der deutsche Eichenlaubträger Generalmajor Erich Walther, in den letzten Kriegswochen Führer der Fallschirm-Panzergrenadierdivision 2.[17]
Die Wehrmacht im Krieg gegen die Sowjetunion
Kein ernsthafter Historiker sollte den Versuch machen, die an einem Krieg beteiligten Streitkräfte von Schuld freizusprechen. Es gibt keine militärische Auseinandersetzung zwischen Staaten ohne Verstöße gegen das Völkerrecht. Entweder versündigen sie sich bei der Auslegung des ius ad bellum oder bei der Anwendung des ius in bello. Überfälle, Präventivschläge, Zivilstraftaten, Kriegsverbrechen, Ausplünderung der Zivilbevölkerung und Verstöße gegen die Menschlichkeit scheinen zum Krieg zu gehören. Es wäre dumm, die Wehrmacht reinwaschen zu wollen. Mindestens drei Punkte sprechen dagegen:
Ungeachtet dieser und vielleicht anderer Anschuldigungen ist eine pauschale Kriminalisierung der Wehrmacht und ihrer Führung unhistorisch.
Die sogenannten verbrecherischen Befehle, die das OKW zur Vorbereitung des Rußlandfeldzugs im Auftrag Hitlers herausgab, enthielten Klauseln und Formulierungen, die die Wirksamkeit einschränkten. Wer sie richtig las, konnte erkennen, daß der Wortlaut in einigen Punkten sogar konterkariert wurde. Zudem schränkten Zusatzbefehle der Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile einige Anordnungen des OKW wieder ein. Das galt für den Gerichtsbarkeitserlaß des Barbarossabefehls vom 13.5.1941, der strafbare Handlungen von Soldaten gegen die russische Zivilbevölkerung "grundsätzlich" der Kriegsgerichtsbarkeit entzog, den Kommissarbefehl vom 6.6.1941, der empfahl, die politischen Leiter der Roten Armee "grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen", und den Kommunistenerlaß (Geiselerlaß) vom 16.9.1941, der "im allgemeinen" die Erschießung von 50-100 Kommunisten für einen hinterrücks umgebrachten deutschen Soldaten vorsah. Durch die einschränkenden Adverbialen "grundsätzlich" und "im allgemeinen" wurde die Entscheidung über die Ausführung der Befehle der Truppe vor Ort überlassen.
Der Kommissarbefehl und der Gerichtsbarkeitserlaß verdienen nähere Erläuterungen, weil sie das Thema dieser Dokumentation betreffen.
Der Kommissarbefehl vom 6.6.1941 ("Richtlinien über die Behandlung politischer Kommissare") - am 18.8.1941 wurden seine Bestimmungen auf die Politruks auf Kompanieebene erweitert - gehört nach den Festlegungen der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse "zu den böswilligsten, verwerflichsten und verbrecherischsten Anordnungen, die je von einer Armee ausgegeben worden sind".[26] Der Befehl habe ignoriert, daß Kommissare und Politruks Angehörige der Roten Armee waren. Sie gehörten zu den Kriegsgefangenen im Sinne der Haager Landkriegsordnung (Artikel 4-20) und der Genfer Konvention vom 27.7.1929, genau so wie die Mitglieder der bewaffneten Streitkräfte, die nicht als Kombattanten anzusehen waren, d.h. Ärzte, Veterinäre, Verwaltungsbeamte, Richter usw. Da diese Regelung bereits vor dem Zweiten Weltkrieg völkerrechtliches Gewohnheitsrecht gewesen sei, habe es keine Rolle gespielt, daß die Haager Landkriegsordnung von Italien und Bulgarien nicht unterzeichnet und von der Sowjetunion nicht übernommen und die Genfer Konvention von der Sowjetunion nicht unterzeichnet und ratifiziert worden waren.
Die Kommissare und Politruks verkörperten die kommunistische Partei (KPdSU) in der Roten Armee. Ihre Zuständigkeit lag in der Aufrechterhaltung der "Moral der Armee", eine der fünf Prinzipien der Roten Armee.[27] Sie hatten die Linientreue der Offiziere und Soldaten im Sinne der kommunistischen Ideologie zu gewährleisten und die Rotarmisten zur Kampfbereitschaft zu erziehen. Diese politische Aufgabe, die ihnen von der Parteiführung übertragen war, lieferte Hitler die Begründung, in ihnen Parteimänner zu sehen und nicht Soldaten. Er hielt sie für verkleidete Funktionäre. Deshalb glaubte er, ihnen den Kombattantenstatus absprechen zu können. In der Hoffnung, daß die Rote Armee ohne Parteisäule zerfallen werde, befahl er ihre Aussonderung und Erschießung.
Bei der Vorbereitung des Kommissarbefehls in den militärischen Führungsgremien des Deutschen Reiches spielte eine große Rolle, daß man aus dem finnisch-russischen Winterkrieg wußte, daß Stalin sich um die Beachtung der Genfer Kriegsgefangenenkonvention nicht kümmerte. Die Bitte der finnischen Regierung vom 30.11.1939, die völkerrechtlichen Bestimmungen einzuhalten, hatte er ignoriert.[28] Während im OKW Hitlers Weisung willfährig in Befehlsform gegossen wurde, war man auf den nachgeordneten Führungsebenen über die Zumutungen des Kommissarbefehls betroffen.[29] Walther von Brauchitsch, Oberbefehlshaber des Heeres, kam in arge Bedrängnis. Sein eigener Stabschef legte ihm nahe, aus Protest zurückzutreten. Generaloberst Beck, bis 1938 Chef des Stabes im OKH, forderte ihn auf, in aller Form "gegen diesen Mordbefehl" vorzugehen.[30] Brauchitsch entschloß sich lediglich zu einem Zusatzbefehl, der zwar ein paar formale Einschränkungen vorschrieb, aber die Völkerrechtswidrigkeit nicht aufhob: "Das Vorgehen gegen einen politischen Kommissar muß zur Voraussetzung haben, daß der Betreffende durch eine besonders erkennbare Handlung oder Haltung sich gegen die deutsche Wehrmacht stellt oder stellen will. ... Die Erledigung der politischen Kommissare bei der Truppe hat nach ihrer Absonderung außerhalb der eigentlichen Kampfzone unauffällig auf Befehl eines Offiziers zu erfolgen."[31] Ihm ging es mehr um die Auswirkungen der Kommissarerschießungen auf die Truppe als um das Leben der Kriegsgefangenen.
In der Praxis erwies sich der Kommissarbefehl als Segen für die Rote Armee. Die Kommissare, die alles zu verlieren hatten, wenn sie in Gefangenschaft gerieten, riefen die Soldaten zum Widerstand bis zum letzten auf. Sie hetzten die Rotarmisten zu Greueltaten gegen deutsche Gefangene auf, um sie mit sich zu kriminalisieren. Ein Beispiel dafür, daß deutsche Soldaten, die in sowjetische Gefangenschaft kamen, auf Weisung der Kommissare getötet wurden, ist der Befehl des Kommissars des Schützenregiments 406, der am 17.1.1942 vor dem Angriff auf Leski befahl: "Es werden keine Gefangenen gemacht, alle Deutschen werden erschlagen. Keiner darf am Leben bleiben."[32] Wenn die Soldaten die Verbrechen, die ihnen befohlen waren, ausführten, konnten sie nicht mehr mit Pardon auf der deutschen Seite rechnen. Das wollten die Kommissare erreichen. Den Soldaten sollte das passieren, was den Kommissaren bevorstand: die Erschießung. Kriegsgefangene Rotarmisten erklärten den zähen Widerstand ihrer Einheiten auch damit, daß die Kommissare ihnen angedroht hatten, sie zu erschießen, wenn sie die Stellung räumten.[33] Jeder Rückzug brachte die Kommissare in die Gefahr, den Deutschen in die Hände zu fallen.
Über die agitatorische Funktion der Kommissare und Politruks waren sich auch die für den Ostfeldzug vorgesehenen Generale einig. Aber die meisten gingen wie Generaloberst von Küchler, Oberbefehlshaber der 18. Armee, davon aus, daß diese Parteifunktionäre vor ein Feldgericht gestellt werden würden. Am 25.4.1941 belehrte Küchler seine Divisionskommandeure: "Die politischen Kommissare und GPU-Leute sind Verbrecher. Das sind die Leute, die die Bevölkerung knechten. ... Sie sind kurzerhand vor ein Feldgericht zu stellen und aufgrund der Zeugenaussagen der Einwohner abzuurteilen."[34] Aufgrund seiner Erfahrungen mit den Kommissaren der Roten Armee verurteilte Generalfeldmarschall Erich von Manstein die Leute in seinen Nachkriegserinnerungen als Nichtsoldaten: "Sie waren vielmehr - ohne Soldaten zu sein - fanatische Kämpfer und zwar Kämpfer, deren Tätigkeit im überlieferten Sinne der Kampfführung nur als illegal angesehen werden konnte. Ihre Aufgabe war es nicht nur, die sowjetischen militärischen Führer politisch zu überwachen, sondern vielmehr dem Kampf äußerste Härte zu geben und einen Charakter, der den bisherigen Auffassungen über soldatische Kampfführung völlig widersprach. Tatsächlich sind es auch diese Kommissare gewesen, denen in erster Linie diejenigen Methoden des Kampfes und der Behandlung Gefangener zuzuschreiben waren, die im krassen Gegensatz zu den Bestimmungen der HLKO (Haager Landkriegsordnung) standen."[35]
Im Prinzip hatte Hitler, als er den Kommissarbefehl anordnete, die völkerrechtswidrigen Funktionen der Kommissare in der Roten Armee richtig erkannt. Die Scheußlichkeiten, die "die jüdisch-bolschewistischen Kommissare" in Ostpolen, Bessarabien und im Baltikum begangen hatten, als diese Gebiete der UdSSR angegliedert wurden, dienten ihm als Rechtfertigung. Seine Befürchtung war, daß diese Männer in den deutschen Kriegsgefangenenlagern ihre Agitation im Sinne des Kommunismus fortsetzen und ihre Kameraden aufhetzen würden, möglicherweise sogar zu Übergriffen gegen die Bewacher. Ihre Trennung von den "normalen" Kriegsgefangenen war aus diesen Erwägungen verständlich. Die völkerrechtskonforme Lösung hätte in der Einrichtung von scharf bewachten Sonderlagern für Kommissare und Politruks bestanden, wo die Fanatiker unter sich gewesen wären. Dort hätten die Untersuchungen über die Verbrechen stattfinden müssen, die ihnen vorzuwerfen waren.[36]
Bei der Verteilung des Kommissarbefehls an alle Armeen, die beim sogenannten Ostfeldzug eingesetzt werden sollten, wies der Oberbefehlshaber des Heeres, Generalfeldmarschall von Brauchitsch, darauf hin, daß die Ausführung des Kornmissarbefehls von den Richtlinien, die er in seinem Manneszucht-Befehl vom 24.5.1941 niedergelegt hatte, bestimmt sein müsse. Danach hatten die Offiziere zur Aufrechterhaltung der Disziplin und der Einsatzbereitschaft ihrer Einheit auf die strenge Einhaltung der Wehrmachtdisziplinarordnung und der Kriegssonderstrafrechtsverordnung zu achten.
Die Oberkommandos der Heeresgruppen erhielten den Kommissarbefehl nur nachrichtlich zur Kenntnisnahme. Die Behandlung der Kriegsgefangenen lag nicht in ihrer Zuständigkeit. Die drei Oberbefehlshaber der für den Rußlandfeldzug vorgesehenen Heeresgruppen sprachen sich jedoch ab, dafür zu sorgen, daß der Befehl nicht wortgetreu ausgeführt werde. Die Sabotage eines Hitler-Befehls konnte jedoch nicht aktenkundig gemacht werden. Deshalb unterließen sie schriftliche Gegenbefehle. Die ihnen unterstellten Befehlshaber wurden nur mündlich unterrichtet. Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord, Feldmarschall Ritter von Leeb, schrieb immerhin, daß er den Befehl zwar nicht aufheben könne, aber "daß er auf seine Durchführung keinen Wert lege und seine Ausführung nicht nachkontrollieren werde".[37] Fünfmal legte er dem OKH seine Bedenken gegen den Kommissarbefehl dar.
Bei der Beweisaufnahme im Nürnberger OKW-Prozeß stellte sich heraus, daß der Kommissarbefehl in der Tat weitgehend sabotiert worden war. Im Bereich zweier Armeen wurden im ersten Halbjahr des Ostfeldzuges etwa 200.000 Gefangene gemacht, aber lediglich 96 Kommissare als erschossen gemeldet. Um die Sabotage des Kommissarbefehls zu verschleiern, gaben einzelne Verbände Phantasiemeldungen ab, wie z. B. das XXXIX. Armeekorps am 16.11.1941 über die Erschießung von 22 Kommissaren. Auch im Kampf gefallene Kommissare wurden als erschossen gemeldet. Gegen die Meldepflicht, die im Kommissarbefehl zur Kontrolle der Durchführung enthalten war, gab es keine andere Möglichkeit als zu schwindeln.[38]
Wie die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen betrieben auch die Armeeoberbefehlshaber die Aufhebung des Kommissarbefehls, allerdings mehr aus praktischen Gründen. Sie hatten bemerkt, daß die bloße Existenz des Befehls große propagandistische Auswirkungen in der Roten Armee hatte. Am 9.9.1941 schrieb das Armee-Oberkommando 2 (Generaloberst Guderian) an die Heeresgruppe Mitte (Feldmarschall von Bock): "Nach zahlreichen Feststellungen ist der zähe Widerstand der sowjetischen Truppen zu einem Teil dem scharfen Terror der politischen Kommissare und Politruks zuzuschreiben. ... Diese Haltung der Kommissare ist nach den getroffenen Feststellungen vor allem darauf zurückzuführen, daß sie überzeugt sind, als Gefangene erschossen zu werden." Am 17.9.1941 verlangte der Kommandierende General des XXXIX. (mot) Armeekorps, Generaloberst R. Schmidt, der seinen Truppenkommandeuren die Ausführung des Kommissarbefehls ausdrücklich untersagt hatte, die sofortige Aufhebung des Befehls: "Solange die Kommissare sich gemeinsam gegen den sicheren Tod wehren müssen, werden sie wie Pech und Schwefel zusammenhalten. ... Wenn aber der einzelne Kommissar weiß, daß er als Überläufer sein Leben retten kann, wird die innere Geschlossenheit des politischen Führerkorps aufhören." Aufgrund der Eingaben von den Frontverbänden und der persönlich vorgetragenen Einwände der Oberbefehlshaber der Heeresgruppen entschloß sich das OKH, die Aufhebung des Kommissarbefehls beim OKW zu verlangen. In dem Antrag vom 23.9.1941 heißt es: "Von Befehlshabern, Kommandeuren und aus der Truppe wird gemeldet, daß sich eine Lockerung des Kampfwillens auf russischer Seite dadurch erreichen lasse, wenn den Kommissaren, die ohne Zweifel die Hauptträger des erbitterten und verbissenen Widerstandes seien, der Weg zur Aufgabe des Kampfes, zur Übergabe oder zum Überlaufen erleichtert würde."
Der Vorstoß des OKW bei Hitler scheiterte. Er verweigerte jede Änderung der bisher erlassenen Befehle, wie Generaloberst Jodl, Chef des Wehrmachtführungsstabes, nach seinem Vortrag bei Hitler am 26.9.1941 vermerkte. Da Stalin am 1.8.1941 den Kommissaren und Politruks das Ablegen des Sterns am Ärmel ihrer Uniformen befohlen hatte, war es nicht mehr möglich, die Betroffenen aus den riesigen Mengen von Gefangenen an der Front auszusondern. Das Heer ermächtigte deshalb am 7.10.1941 SD und Polizei, in den Kriegsgefangenenlagern im rückwärtigen Heeresgebiet nach ihnen zu suchen. Deren Aussonderungs- und Exekutionskommandos waren dort im wesentlichen auf Denunzianten angewiesen. Die Gefundenen wurden formal aus der Kriegsgefangenschaft entlassenen und der SS übergeben. Die Zahl der nach dem Kommissarbefehl umgebrachten sowjetischen Soldaten läßt sich auch nicht im entferntesten errechnen. Angaben, es seien 580.000 bis 600.000 gewesen, sind Unsinn.[39] Im Mai 1942 gab Hitler schließlich dem Drängen der Fronttruppe nach und setzte den Kommissarbefehl im Operationsgebiet außer Kraft. Auch die Sonderbehandlung der Kommissare und Politruks in den Kriegsgefangenenlagern wurde gestoppt.
Der sogenannte Gerichtsbarkeitserlaß vom 13.5.1941 ("Erlaß über die Ausübung der Gerichtsbarkeit im Gebiet Barbarossa und über besondere Maßnahmen der Truppe") schränkte die Befugnisse der Kriegsgerichte auf zweifache Weise ein: zum einen gegenüber Freischärlern und zum anderen bei Straftaten von Soldaten gegenüber der Zivilbevölkerung.
Für Straftaten deutscher Soldaten gegen russische Zivilisten beseitigte der Barbarossabefehl den Verfolgungszwang. Sie sollten "grundsätzlich" nicht bestraft werden. Die Divisionskommandeure behielten als Gerichtsherren ihres Verbandes jedoch das Recht, Verbrechen von Soldaten gegen die Zivilbevölkerung disziplinarisch zu ahnden. Kriegsgerichtliche Verfahren durften sie anordnen, "wenn es die Aufrechterhaltung der Manneszucht oder die Sicherung der Truppe erfordert". Als Beispiele wurden im Befehl "schwere Taten, die auf geschlechtlicher Hemmungslosigkeit beruhen, einer verbrecherischen Veranlagung entspringen oder ein Anzeichen dafür sind, daß die Truppe zu verwildern droht" genannt. Diese Ermächtigung räumte den Truppenführern den Spielraum ein, den sie brauchten. Die Sorge um die Disziplin gehörte zu den vorrangigen Aufgaben jedes Offiziers. Es gab keinen, der in dieser Frage ein Auge zudrückte. Deshalb arbeiteten die Feldgerichte der Divisionen auf dem Boden der UdSSR nach dem gleichen Muster wie bei den vorherigen Feldzügen. Neben den militärstrafrechtlichen Fällen, die nach dem Militärstrafgesetzbuch zu bestrafen waren, verfolgten sie die zivilstrafrechtlichen Fälle, die nach dem Reichsstrafgesetzbuch zu ahnden waren, z.B. Raub, Vergewaltigung, Brandschatzung. Von ihrer Disziplinarbefugnis machten die Kommandeure regen Gebrauch, um jede Dienstübertretung, die die Disziplin gefährden und ihre Kommandogewalt beeinträchtigen könnte, zu bestrafen. Außerdem fügte der Oberbefehlshaber des Heeres, Generalfeldmarschall von Brauchitsch, dem Barbarossabefehl am 25.5.1941 einen Zusatzbefehl an, der als "Manneszucht-Befehl" bezeichnet wird. In der Truppe kamen beide gleichzeitig an. Der Zusatzbefehl schwächte den Barbarossabefehl noch einmal ab. Während dieser die Lockerung der militärischen Disziplin in Kauf nahm, schärfte der Brauchitsch-Befehl den Kommandeuren ein, die Manneszucht unbedingt aufrecht zu erhalten. Er zeigte auch den Freiraum auf, den der Barbarossabefehl der Truppenführung gab. Im Vertrauen auf die Strenge der Offiziere schrieb Brauchitsch: "Der einzelne Soldat darf nicht dahin kommen, daß er gegenüber den Landeseinwohnern tut und läßt, was ihm gutdünkt, sondern er ist in jedem Fall gebunden an die Befehle seiner Offiziere."[40]
Ausschreitungen gegen die Zivilbevölkerung, wie ihn der Barbarossabefehl zulassen wollte, verstießen gegen das Verständnis vom Krieg, das die meisten Offiziere hatten. Der Oberbefehlshaber der 18. Armee, Generaloberst von Küchler, der im Polenfeldzug unerschrocken gegen die SS-Ausschreitungen Position bezogen hatte, sagte seinen Divisionskommandeuren am 18.4.1941, als er sie über den bevorstehenden Rußlandfeldzug informierte: "Die Landeseinwohner, gegen die wir ja nicht kämpfen, sind gut zu behandeln, ihr Eigentum ist zu schonen. Die Armee wird durch Flugblattpropaganda den Gedanken und die Absicht der Befreiung der Länder von dem bolschewistischen Joch den Landeseinwohnern klarzumachen suchen. Sollten die Einwohner sich am Kampf gegen uns beteiligen, was aber nach allen Nachrichten nicht anzunehmen ist, so werden sie als Franktireurs behandelt und den entsprechenden Strafen zugeführt.[41] Generalfeldmarschall Fedor von Bock, Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte beim Angriff gegen die Sowjetunion, fand den Barbarossabefehl "in dieser Form untragbar und mit der Manneszucht nicht vereinbar" und beauftragte den Chef des Stabes, dies dem Oberbefehlshaber des Heeres (von Brauchitsch) mitzuteilen. Am 7.6.1941 rief ihn von Brauchitsch persönlich an und sagte, "daß man das, was ich wolle, aus der Verfügung herauslesen könne, und daß sie so gemeint sei, wie ich sie ausgelegt wissen wolle, das heißt: Für die Truppe ändert sich in der Behandlung von Straftaten gegen Zivilpersonen nichts! Die Gerichtsherren entscheiden, ob eine Tat gerichtlich zu ahnden ist oder nicht; dabei soll die Aufrechterhaltung der Manneszucht eine entscheidende Rolle spielen."[42]
In der Luftwaffe wurde der Erlaß vom 13.5.1941 überhaupt nicht bekanntgegeben. Am 20.5.1941 entschied Göring nach einem Vortrag seines Chefrichters Christian Freiherr von Hammerstein, den Befehl zu ignorieren, weil die Luftwaffe in den besetzten Gebieten keine Territorialbefugnisse habe und die Beachtung der Manneszucht für die Nichtanwendung spreche. Bei Plünderungs- und Notzuchtfällen plädierte er sogar für eine besonders scharfe Handhabung der Kriegsgesetze. Der Briefumschlag mit dem Barbarossabefehl landete im Panzerschrank des Chefs des Stabes des ObdL. Der Befehl wurde in der Luftwaffe nicht praktiziert. Im Gegenteil: Im Einverständnis mit Göring und dem Luftwaffenchefrichter wurden die Straftaten gegen die Zivilbevölkerung mit besonderer Härte geahndet. In seinen Erinnerungen schrieb von Hammerstein 1957: "Mehrere Urteile, durch die Luftwaffenangehörige wegen Notzucht an Russenfrauen, ja auch an Jüdinnen -die höheren Orts für vogelfrei galten -, zu Zuchthausstrafen verurteilt waren, sind von Göring aufgehoben [worden], weil er im Interesse der Manneszucht die Todesstrafe für unerläßlich hielt. Plünderungen im Feindgebiet wurden mit schweren Zuchthausstrafen, bei den Rädelsführern mit dem Tode bestraft. Wie im Westen, so wurden auch in den besetzten Gebieten Rußlands Todesstrafen, die wegen Verbrechen gegenüber der Bevölkerung erkannt waren, am Orte, wo die Tat begangen war, vollstreckt oder doch - wenn das nicht möglich war - der Bevölkerung die Vollstreckung durch auffallende Maueranschläge bekanntgegeben, um ihr zu zeigen, daß sie gegen Gewalttätigkeiten geschützt würde."[43]
Weder aus dem Barbarossabefehl noch aus seiner Handhabung kann abgeleitet werden, daß die deutschen Soldaten an der Ostfront freie Hand hatten, mit Zivilisten nach Gutdünken umzuspringen. Es war dem Oberbefehlshaber des Heeres gelungen, die Sühnung von Zivilstrafvergehen in vernünftige Bahnen zu lenken, indem er die Truppenführer vor Ort ermächtigte, schwere Fälle kriegsgerichtlich und leichtere disziplinarrechtlich zu ahnden. Das stellte praktisch eine Umgehung des Führerbefehls dar. Was Göring tat, war schlichtweg Gehorsamsverweigerung gegenüber einem Führerbefehl. So etwas konnte nur er sich erlauben. Auch in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen wurde bestätigt, daß sich der Barbarossabefehl nicht negativ auf die Gerichtsbarkeit über deutsche Soldaten ausgewirkt habe, weil die Gerichtsherren ihre Funktion wie bisher wahrnahmen.[44]
Das Zeugnis der Militärseelsorger
Im Reichskonkordat zwischen dem Deutschen Reich und der Kurie vom 20.7.1933 gestand Hitler den zur Armee gehörenden katholischen Offizieren, Beamten und Mannschaften sowie deren Familien eine exempte Seelsorge zu. Zum Leiter des Militärseelsorgewesens wurde vom Papst im Einvernehmen mit der Reichsregierung Franz Justus Rarkowski bestimmt. Während des Zweiten Weltkriegs übten etwa 900 katholische Geistliche die Seelsorge in der Wehrmacht aus, unter ihnen 500 hauptamtliche Kriegspfarrer. Neben ihnen betreuten etwa 10.000 Ordensleute und Kleriker ab der Subdiakonsweihe ihre Kameraden als "Priestersoldaten", entweder in der Funktion von Sanitätern oder als Soldaten der kämpfenden Truppe. Obwohl ihnen offiziell seelsorgliche Funktionen verboten waren, ließ sich ihr Tun in der Praxis nicht kontrollieren. Selbst in einigen Divisionen der Waffen-SS gab es Militärpfarrer.[45] Insgesamt gab es etwa 20.000 Priestersoldaten in der Wehrmacht: Welt- und Ordenspriester, Priesteramtskandidaten und Ordensbrüder.[46] Die Zahl der evangelischen Pfarrer und Pfarramtskandidaten betrug etwas weniger als 10.000.[47]
Welche Haltung nahmen diese Seelsorger, Verkörperungen des christlichen Gewissens, zu den angeblichen fürchterlichen Greueltaten der Einheiten ein, in denen sie Dienst taten? Es gibt keine Zeugnisse ihres Unwillens, ihrer Bestürzung oder ihres Abscheus, weder offizielle noch private. Die Seelsorger hatten auf dem Militärgeistlichen Berichtsweg die Möglichkeit, darüber zu schreiben, ohne daß ein militärischer Kommandeur etwas davon erfuhr. Von irgendwelchen Protesten des Feldbischofs gegen die Vorgehensweisen der Truppe beim OKW oder gar bei Hitler ist nichts bekannt. Es ist wohl anzunehmen, daß er irgendwelche Schritte unternommen hätte, wäre ihm von den Abscheulichkeiten berichtet worden, die passiert sein sollen. Erhalten sind zwei Beschwerden. Sie richteten sich gegen das Treiben der SS- und Polizeiverbände in der Nachbarschaft von Heereseinheiten und stammen von den beiden Divisionsgeistlichen und den Pfarrern der Kriegslazarettabteilung 4/607 der 295. Infanteriedivision. Ob sich unter den Akten, die der katholische Feldgeneralvikar Werthmann 1945 nach der Auslagerung des Archivs des Feldbischofs nach Bamberg vernichtete, weitere Meldungen befanden, wissen wir nicht.
Die Zusammenarbeit zwischen dem OKW und dem katholischen Feldbischof war bis zum Ende des Krieges ungetrübt. Er setzte 1941 die neue Bestattungsverordnung der Wehrmacht durch, die auch für die Waffen-SS galt. Bei den Begräbnissen von Gefallenen wurden die christlichen Symbole beibehalten: für jeden einzelnen Gefallenen ein Kreuz mit Namen und näheren Angaben oder ein gemeinsames Kreuz bei Massengräbern. Das Hirtenwort der bayerischen Bischöfe vom 12.8.1941, das von allen Kanzeln verlesen wurde, sagte wörtlich: "Von ganzem Herzen danken wir und mit uns wohl das ganze deutsche Volk der Wehrmacht für diese feinfühlige Pflege der Ruhestätten der toten Kameraden." Ähnliche Dankbarkeitsäußerungen liegen auch vom Erzbischof von Freiburg, Conrad Gröber, vom Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen und vom Bischof von Trier, Franz Rudolf Bornewasser, vor.
Angesichts des guten Verhältnisses zwischen Rarkowski und dem OKW ist es unwahrscheinlich, daß er in Kenntnis von deutschen Greueltaten nicht Protest erhoben hätte, wären ihm die Ungeheuerlichkeiten zu Ohren gekommen, die heute der Wehrmacht unterstellt werden. Offensichtlich war er überzeugt, daß die Kriegführung der Wehrmacht in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht stand.
Als der Krieg zu Ende war, schrieb der Münchner Kardinal Faulhaber am 10.5.1945 folgendes Hirtenwort: "Geliebte Diözesanen! Wir werden unsere Soldaten, soweit sie jetzt aus dem Feld heimkehren, mit einem dankbaren Willkommgruß empfangen. Diese braven Männer haben für die Heimat jahrelang Untragbares ertragen und Unsagbares durchgemacht. Manche von ihnen werden in den Nerven zerrüttet und für den Übergang auf nachsichtige, geduldige Liebe angewiesen sein. Der allmächtige Gott verleihe auch unseren Gefangenen baldige Heimkehr und unseren Brüdern, die ihr Leben geopfert haben, die ewige Ruhe." Räuber, Mörder und Notzüchter begrüßt man anders.
Anmerkungen
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