I. Die These

In diesem Buch wird eine sehr ungewöhnliche These vorgestellt, die deshalb auch ein etwas ungewöhnliches Vorwort verdient. Ich habe Bedenken, diese These zu Papier zu bringen, da sie sich unglaublich, ja geradezu ungeheuerlich anhört. Sie erscheint völlig absurd, aber sie ist - so meine feste Überzeugung - wahr und auch beweisbar!

Die These befaßt sich mit einem der schauerlichsten Vorgänge der Zeitgeschichte, der sogenannten Endlösung der Judenfrage. Ich behaupte, 1. die Endlösung der Judenfrage bestand darin, daß die Juden im Ostteil von Weißruthenien angesiedelt wurden; 2. Dort werden sie heute noch von der Sowjetunion in einer Art Gefangenschaft gehalten! Ich weiß, das klingt völlig unsinnig, und ich erwarte von niemandem, daß er dieser These einfach so Glauben schenkt! Ich erwarte allerdings von jedem - oder besser von jedem an der Wahrheit Interessierten -, daß er diese These prüft, zumindest insoweit, als er dieses und das nächste Kapitel - sie sind beide kurz - liest, und sich erst dann entscheidet, ob diese These tatsächlich so absurd ist, wie es zunächst erscheint. Vielleicht gelingt es mir - und das hoffe ich -, den Leser so weit nachdenklich zu machen, daß er die folgenden etwas umfangreicheren Kapitel ebenfalls prüft. Ich bin davon überzeugt, daß ich den gewissenhaften Leser, der sich die Mühe macht, die Arbeit aufmerksam durchzulesen, von der Richtigkeit der These überzeugen kann. Ich bin auch sicher, daß alle Punkte, die offensichtlich zunächst gegen diese These zu sprechen scheinen, letztlich für mich sogar hilfreich sind, wenn der Leser erst mit bestimmten Fakten vertraut gemacht ist, die zwar weitgehend den Fachleuten bekannt, aber bislang nur isoliert betrachtet wurden. Ich muß allerdings auch darauf hinweisen, daß es sich bei dem Beweis um einen Indizienbeweis handelt, mit allen Vorzügen und Nachteilen eines solchen.

Bevor ich direkt zur Sache komme, möchte ich - und das erscheint mir notwendig - beschreiben, wie ich dazu gekommen bin, diese anscheinend so widersinnige These aufzustellen, da ich meine, daß das für den Leser hilfreich ist. Ich bin Mathematiker und freiberuflich in der Datenverarbeitung tätig. In meiner Freizeit befasse ich mich mit wissenschaftlichen Fragen aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Durch persönliche Umstände - ich komme aus Dresden - waren das Probleme der sogenannten DDR-Forschung, und ich habe hierzu auch verschiedene Arbeiten veröffentlicht.[1] Der Problemkreis »Drittes Reich« hatte mich zunächst überhaupt nicht interessiert. Bezüglich der Endlösung der Judenfrage habe ich die allgemeine Meinung der meisten politisch Interessierten in der Bundesrepublik Deutschland geteilt, daß die Juden in Auschwitz ermordet wurden. Diese Meinung stützte sich dabei weniger auf detaillierte Kenntnisse, sondern mehr auf allgemeine Eindrücke.

1978 begann ich, mich mit der Totalitarismus-Theorie zu befassen, da ich hierzu eine in verschiedenen Punkten abweichende Meinung von der allgemein vertretenen Theorie hatte. In diesem Zusammenhang wollte ich die Endlösung der Judenfrage als Beleg für eine bestimmte These heranziehen. Für die Ermordung von Millionen Juden schien mir die nationalsozialistische Weltanschauung verantwortlich zu sein.

Eichmann, der Organisator der Judenvernichtung, mußte sich doch irgendwie gerechtfertigt haben, als er in Jerusalem vor Gericht stand. Ich erwartete, daß Eichmann sein Morden mit der nationalsozialistischen Weltanschauung begründete. Ich suchte in einer öffentlichen Bücherei nach Material und wurde, wie ich zunächst meinte, auch fündig. Ein Buch mit Dokumenten über die nationalsozialistischen Verbrechen war rasch gefunden, darunter ein Abschnitt mit dem sinngemäßen Titel: »Eichmann über die Endlösung«.[2] Zu Hause begann ich, den einschlägigen Abschnitt zu überfliegen, da ich sofort zum Kern kommen wollte, nur erlebte ich eine Überraschung. Der Text war schockierend ob seiner »Belanglosigkeit«! Zwar kamen schreckliche Dinge zur Sprache, aber über Auschwitz, über den Massenmord wurde nicht gesprochen. Erst bei erneutem genauen Lesen fand ich sinngemäß den Nebensatz: »... das war im Osten und da wurde ja gemordet«[3]. Doch kein Aufschrei, kein energisches Nachfragen, das Gespräch ging weiter, als sei Belangloses gesagt. Zunächst war ich irritiert, zum Schluß nur noch verärgert, weil ich mit meiner Arbeit nicht weiter kam, ich suchte letztlich ja nur das erwartete Zitat.

Doch wie weiter? Ich überlegte und erinnerte mich an eine Beilage der Wochenzeitung Das Parlament zu dem Thema. Zwar setzte sich diese Nummer mit den »ewig Gestrigen« auseinander, die den Massenmord an den Juden leugneten, aber vielleicht kam ich über Literaturangaben weiter. Doch dann stieß ich auf die Arbeit von Georges Wellers Die Zahl der Opfer der »Endlösung« und der Korherr-Bericht[4]. Wellers befaßte sich mit dem Buch eines Paul Rassinier Was ist Wahrheit? Die Arbeit beeindruckte mich einerseits durch klare logische Ausführungen, andererseits war ich verblüfft, daß im Kern des Aufsatzes weder von Eichmann noch von Höß oder anderen die Rede war, sondern daß - in einem wesentlichen Bereich - statistisch auf der Basis sowjetischer Volkszählungen argumentiert wurde. Wellers stellte die Ergebnisse der sowjetischen Volkszählung vor und nach dem Zweiten Weltkrieg gegenüber mit dem Ergebnis: Millionen sowjetischer Juden waren verschwunden, um dann die rhetorische Frage an Paul Rassinier zu stellen: »Wo hat man sie versteckt, damit man sie nirgends finden konnte?«[5] Das zu fragen, fand ich nur recht und billig. Aber wieso war die Frage überhaupt stellbar? War der Massenmord nicht unwiderleglich eindeutig bewiesen? Die Sache schien so doch etwas komplizierter und ganz anders zu sein, als ich gedacht hatte. Damit geriet die logische Kette der Endlösung, so wie ich sie gesehen hatte, ins Wanken. Und ich wurde neugierig, was eigentlich in diesen dubiosen Büchern stand.

Durch Zufall gelangte ich an zwei derartige Bücher. Eines war das oben erwähnte Was ist Wahrheit?, das andere von Arthur R. Butz Der Jahrhundertbetrug. Rassiniers Buch fand ich wenig aufschlußreich, überrascht war ich nur, daß Rassinier im KZ Buchenwald gewesen und im übrigen Franzose war. Zu dem Thema war er gekommen, als er in Berichten von Mithäftlingen ausführliche Schilderungen von Gaskammern in Buchenwald gelesen, aber in Buchenwald nie etwas davon gehört oder gesehen hatte. Substantieller war das Buch von Butz. Er stellte eine Vielzahl von Dokumenten zum Massenmord an Juden vor, um dann Einwände vorzutragen. Diese schienen mir durchaus plausibel. Da er immer mit Quelle zitierte, waren seine Angaben vollständig überprüfbar, für jene sonderbare Literatur, zu der ich das Buch zunächst gerechnet hatte, sehr ungewöhnlich. Auch auf die Frage: »Wo hat man sie versteckt?« hatte Butz eine Antwort. Vereinfacht: Die Juden haben alle überlebt und in einer Art von kollektiver Übereinkunft beschlossen, unauffindbar zu sein, damit später von den Deutschen Wiedergutmachung gefordert werden konnte! Mir erschien das unsinnig, da aber meine These vielen Lesern ähnlich unsinnig erscheinen mag, will ich logische Einwände vortragen. Wenn sich die Juden, was die These impliziert, im Osten befanden, so wurden sie 1944/45 von der Roten Armee befreit. Da die Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland zum überwiegenden Teil an den Staat Israel gezahlt wurden, hätte das bedeutet, daß sich alle diese Menschen veranlaßt gesehen hätten, ihr persönliches Schicksal hintanzustellen, damit ein noch nicht existierender Staat (Israel) von einem darniederliegenden Deutschland, das 1945 mehr der Hilfe bedurfte, als daß es Hilfe geben konnte, dereinst Geld fordern konnte. Vom Hilfsarbeiter bis zum Professor, vom Kind bis zum Greis hätte nicht nur die Gründung des Staates Israel, sondern auch das deutsche Wirtschaftswunder (man beachte Wunder!) erwartet werden müssen, eine wahrlich unglaubliche Leistung. Oder anders herum: Was soll eigentlich einen jüdischen Kaufhausbesitzer veranlassen, auf sein Eigentum, das er doch einfordern konnte, zu Gunsten eines nicht existierenden Staates zu verzichten? Oder noch anders: Was soll eine Mutter - und nicht nur eine - veranlassen, für ihr Kind unauffindbar zu sein? Jüdische Kinder, die ihre Mütter suchen, gibt es genügend!

Nach derartigen Überlegungen nahm ich mir vor, mich mit diesem Thema später einmal ausführlich zu beschäftigen, die Texte von Butz genau an Hand der Quellen zu überprüfen und, falls die Einwände von Butz standhielten, die Schlüsselfrage: »Was ist aus den Juden geworden?« anzugehen. Vorerst sollte das Thema zurückgestellt werden, da ich spürte, daß es ein typisches Thema ist, in das man sich »verrennen« kann. Die zentrale Frage aber, was aus den Menschen geworden ist, hat mich nicht mehr losgelassen. Denn setzt diese Frage nicht voraus, daß die herrschenden Mächte, so auch das Dritte Reich, eine Antwort verhindern wollten? Was war da auszurichten? Wie war da überhaupt ein Ansatz zu finden, wo eine mögliche Antwort zu suchen? War es nicht aussichtslos, ja vermessen? Es schien zunächst einfach unmöglich. Wie ich dann doch einen Ansatz gefunden, wie ich eine Entdeckung gemacht habe, das soll im nächsten Kapitel beschrieben werden. Davon ausgehend habe ich gezielt Nachforschungen angestellt, die unter Fakten I und Fakten II vorgestellt werden.

 


II. Die Entdeckung

Ausgangspunkt der Überlegungen: Das unzweifelhafte Ergebnis der Endlösung der Judenfrage war, daß Millionen von Juden, die sich während des Zweiten Weltkrieges in deutschem Gewahrsam befanden, nach dem Kriege verschwunden blieben. Der Weg vieler dieser Juden, besonders aus dem westlichen Teil Europas, ließ sich bis nach Auschwitz genauestens verfolgen. Der Tag des Abtransports aus ihrer Heimat bis hin zur Ankunft in Auschwitz war in den meisten dieser Fälle den Transportlisten zu entnehmen. Nach der Ankunft in Auschwitz wurden diese Menschen einer sogenannten Selektion unterworfen. Die zur Arbeit ausgewählten Juden setzte man in den dem KZ Auschwitz angegliederten Betrieben ein. Von ihnen hat ein beträchtlicher Teil überlebt. Von den anderen Juden fehlt jede Spur. Fest steht ebenfalls, daß die Entscheidung über die Endlösung, was immer sich dahinter verbergen mag, um die Jahreswende 1941/42 getroffen wurde. Soweit die unbestreitbaren Fakten. Anzunehmen ist, daß die Entscheidung letztlich von Hitler getroffen wurde, für den die sogenannte Judenfrage eine zentrale Rolle in seinem Denken spielte. Doch wie jetzt weiter?

Bei meinen Arbeiten zur Totalitarismus-Theorie hatte ich mich eingehend mit den sogenannten Tischgesprächen Hitlers befaßt. Hitler nahm während seines Aufenthaltes im Führerhauptquartier gern eine Mahlzeit in größerer Gesellschaft ein. An diesem Essen nahmen alle teil, die dort gerade anwesend waren, deutsche Gäste, wie z. B. Himmler, und die dort Tätigen, von Bormann angefangen bis hin zur Ehefrau von Hitlers Fahrer. Hitler hat sich hier gern und ausführlich unterhalten und über vielerlei Themen gesprochen, wobei er in der Regel den Hauptteil des Gesprächs bestritt.

Da auch vielerlei prinzipielle Dinge angesprochen wurden, sorgte Bormann dafür, daß diese Ausführungen aufgezeichnet wurden. Heinrich Heims[6] und Dr. Henry Picker[7], beide ins Führerhauptquartier abgeordnet, besorgten das.

Mir fiel auf, daß diese Tischgespräche von Hitler vorwiegend den Zeitraum Mitte 1941 bis Mitte 1942 abdecken und somit großräumig den Bereich, in dem die Entscheidung über die Endlösung fiel.

Eine weitere wichtige Annahme kam hinzu: Man entscheidet nicht über das Schicksal von Millionen von Menschen und bleibt davon völlig unberührt. Sollte das bei Hitler anders sein? Ich bin davon ausgegangen, daß sich in diesen Tischgesprächen oder Monologen von Hitler, wenn auch versteckt, ein kleiner Hinweis auf die Juden finden könnte. Nichts Bedeutendes, schließlich waren die Texte bekannt, ich selbst meinte auch, beide Bücher gründlich gelesen zu haben. War aber nicht irgendwo eine kleine Bemerkung zu dem Thema versteckt, ein Halbsatz, irgend etwas, was leicht zu überlesen war?

Unter diesem Gesichtspunkt begann ich erneut zu lesen. Schließlich fand ich unter dem 25. Oktober 1941 folgendes Zitat:

»Vor dem Reichstag habe ich dem Judentum prophezeit, der Jude werde aus Europa verschwinden, wenn der Krieg nicht vermieden bleibt. Diese Verbrecherrasse hat die zwei Millionen Toten des Weltkrieges auf dem Gewissen, jetzt wieder Hunderttausende. Sage mir keiner: Wir können sie doch nicht in den Morast schicken! Wer kümmert sich denn um unsere Menschen? Es ist gut, wenn uns der Schrecken vorangeht, daß wir das Judentum ausrotten. Der Versuch, einen Judenstaat zu gründen, wird ein Fehlschlag sein.«[8]

Hitler schickt also die Juden in den Morast.[9] Das war ein Fingerzeig, zumindest ein kleiner. Doch wo liegt dieser Morast? Vermutlich, so meine Gedanken, in der Sowjetunion, da die Entscheidung während des Rußland-Feldzuges gefallen war. Über eine Reihe von Assoziationen, daß z. B. ein Sumpf einem Morast ähnelt, und weiteren Bemerkungen von Hitler, wie: »Sümpfe wollen wir nicht bewältigen. Wir nehmen nur die bessere Erde und zunächst die allerbesten Gründe«[10], und über Hinweise auf die Pripjet-Sümpfe kam ich dazu, mir die Pripjet-Sümpfe auf einer Karte anzuschauen. Das Gebiet ist riesig, es war schon frühzeitig von deutschen Truppen besetzt. Vielleicht ist das der Morast? Bevölkerungsbewegungen von Millionen von Menschen können aber andererseits nicht spurlos bleiben! Ein Blick auf eine Karte[11] mit der Bevölkerungsdichte von Europa vor 1969 zeigt ein ungewöhnliches Bild in diesem Raum, siehe Abb. 1.

Ins Auge fallend ist ein rechteckiges Feld zwischen Minsk und dem Pripjet mit einer Ausdehnung von etwa 120 km auf 40 km Größe, das eine Bevölkerungsdichte zwischen 100 und 200 Einwohnern pro qkm aufweist. Bevölkerungszusammenballungen befinden sich aber in der Regel bei Industriezentren, Häfen, Bodenschätzen oder bei Regierungszentren. Laut paralleler Karten über die Verteilung von Bodenschätzen und Industrien[12] gibt es in dieser Region keinen Grund für eine derartige Zusammenballung von Menschen. Zieht man jetzt eine frühere Karte über die Bevölkerungsverteilung[13] heran, so sieht man das folgende Bild, siehe Abb. 2.

Bevölkerungsdichte 1969 nach Dierke WeltatlasBevölkerungsdichte 1950 nach Dierke Weltatlas
0-1010-2525-5050-100100-200  0-2020-40  
Einwohner je qkmEinwohner je qkm
Abbildung 1Abbildung 2

Bei dem Vergleich der Karten ist zu beachten, daß die Bevölkerungsklassen auf beiden Karten unterschiedlich gewählt sind! Trotzdem erkennt man, daß in diesem Raum ein ungewöhnlicher Bevölkerungszuwachs stattgefunden hat. Der Zuwachs reicht über das beschriebene Rechteck hinaus, wenngleich er in diesem Rechteck besonders deutlich wird. Das Rechteck hat in etwa eine Fläche von 120 km × 40 km gleich 4800 qkm. Nimmt man jeweils die minimale Bevölkerungsdichte an, so ergibt sich als früherer Stand:

früher: 96 000 Einwohner
später: 480 000 Einwohner.

Danach hat sich die Zahl der Einwohner etwa verfünffacht. Ich kann mir eine solche drastische Zunahme nicht mit einer normalen Bevölkerungszunahme erklären, zumal es in diesem Gebiet im Zweiten Weltkrieg schwere Kämpfe gab. Nur, wann hat diese Zunahme stattgefunden, wodurch wurde sie ausgelöst? Um den Zeitpunkt einzugrenzen, sei auf eine Besonderheit dieses Gebietes hin gewiesen. Bis 1939 war das Gebiet geteilt. Der westliche Teil gehörte zu Polen, der östliche zur Sowjetunion. Es ist nicht anzunehmen, daß beide Länder das Rechteck quasi gemeinsam besiedelt haben. Aber derartige Bevölkerungsnester sind auch an vielen anderen Stellen von Weißrußland zu finden. Sie liegen teils völlig unmotiviert im Raum, andere sind um Gomel und Mogilew anzutreffen. Nur noch einmal: wann kann es zu diesen Zunahmen gekommen sein?

Die Basis für die vorliegenden Karten bilden sicher Volkszählungen. In diesem Raum haben folgende Volkszählungen stattgefunden:

1926 in der Sowjetunion
1931 in Polen
1939 in der Sowjetunion, eine Zählung aus dem Jahre 1937 wurde annulliert.
1959 in der Sowjetunion.

Der Raum wurde kontrolliert:

1926 - 1939 von Polen und der Sowjetunion
1939 - 1941 von der Sowjetunion
1941 - 1944 von Deutschland
ab 1944 von der Sowjetunion.

Logischerweise müßte diese Besiedlung zwischen 1939 und 1959 stattgefunden haben, da die Bevölkerungskarte von 1969 auf Informationen des Jahres 1959 beruhen dürfte. Eine andere Quelle ist für mich nicht ersichtlich. So bleiben nur zwei Möglichkeiten: entweder erfolgte die Besiedelung während der deutschen Zeit oder ab 1944 durch die Sowjetunion. Gegen letzteres spricht eine einfache Überlegung: Welchen Grund sollte die Sowjetunion gehabt haben, diesen Raum zu besiedeln? Verfügt sie nicht über andere Gebiete, vor allem östlich des Urals, wo eine Besiedelung viel sinnvoller wäre? Im deutschen Machtbereich allerdings dürfte diese Region eine der am schwächsten besiedelten gewesen sein. Doch das sind keine Beweise. Konkret also die Frage: Hat es zwischen 1941 und 1944 eine bedeutende Zunahme der Bevölkerung in diesem Raum gegeben? Aufschluß über eine derartige Besiedelung müßten eigentlich die Akten der deutschen Dienststellen in Weißruthenien, wie jenes Gebiet damals hieß, geben. Normalerweise sollten die Akten im Bundesarchiv Koblenz lagern. Nur gibt es dort keine Aktenbestände des Generalkommissars für Weißruthenien![14]

Informationen über Ansiedlungen sollten aber auch deutsche Heereskarten über diesen Raum enthalten. Allerdings ist zu unterscheiden, ob vorhandene Orte ausgebaut oder ob neue gegründet werden. Beides sind Möglichkeiten, um die Siedlungsdichte eines Gebietes zu heben. Um zu sinnvollen Aussagen zu gelangen, werden zudem mindestens zwei Karten eines Gebietes benötigt, und beide müssen innerhalb der deutschen Besatzungszeit erstellt worden sein, denn nur dann hatten die Kartographen unmittelbaren Zugang zu dem Gebiet. Die Beschaffung solcher Karten stieß auf größere Schwierigkeiten als gedacht. Das Bundesarchiv Koblenz verfügte diesen Raum betreffend nur über eine sogenannte Führungskarte, die für diesen Zweck völlig ungeeignet ist. Das Militärarchiv Freiburg konnte einen vollständigen Satz von Heereskarten zur Verfügung stellen, allerdings war die Karte, die den wesentlichen Teil des erwähnten Rechtecks umfaßt, nur aus der Zeit vor 1941 vorhanden. Auf verschiedenen Wegen gelangte ich schließlich dazu, von der Deutschen Heereskarte 1:300000[15] drei verschiedene Ausgaben des Blattes U54: Minsk zu erhalten. Das Blatt liegt mir aus dem Jahre 1941 und in zwei Nachträgen aus II.43[16] und aus VIII.43[17] vor. Dieses Blatt deckt den interessanten Großraum ab, wenngleich das besagte Rechteck nicht oder nur wenig von dem Blatt erreicht wird. Von Bedeutung sind natürlich die Nachträge. Für die Untersuchung wird hier ein Ausschnitt südöstlich von Minsk gewählt. Man betrachte den nachfolgend abgebildeten Ausschnitt aus II. 43:

Ausschnitt aus Heereskarte Minsk 1:300000, II.43

Und vergleiche damit einen Ausschnitt aus der Karte VIII. 1943:

Ausschnit aus Heereskarte Minsk 1:300000, VIII.43

Es ergibt sich folgendes: In diesem Rechteck hat die Zahl der Ortschaften erheblich zugenommen. Waren auf der Karte Stand II.43 nur 18 Ortschaften verzeichnet, so sind es auf der Karte Stand VIII.43 mindestens 45 Orte. Wichtig ist dabei der auf dieser Karte neue Ort Marjina Gorka. Er ist mit Abstand der größte Ort dieses Raumes, doch auf der Karte Stand II.43 ist er überhaupt nicht verzeichnet. Daraus kann der Schluß gezogen werden, daß er neu gegründet wurde. Bei der Bedeutung von Heereskarten für die Kriegführung muß angenommen werden, daß der Stand II.43 einen aktuellen Stand des Gebietes während der deutschen Besetzung wiedergegeben hat. Aber nicht nur für diesen Kartenausschnitt ist eine erhebliche Zunahme an Orten festzustellen, sondern auch für die weitere Umgebung.

Mit großer Sicherheit kann folglich festgestellt werden: In der beschriebenen Region sind während der deutschen Besetzung neue Orte gegründet und Menschen angesiedelt worden. Die Frage ist, wer dort aus welchem Grund angesiedelt wurde?

Im Vorgriff ein Hinweis, der zunächst paradox erscheint: keine Juden! Der weiterhin interessierte Leser sei auf das folgende Kapitel verwiesen.

Zwei Fragen werden sich sicher auch dem geneigten Leser aufdrängen: Warum hat keiner der von deutscher Seite daran Beteiligten auf eine derartige Ansiedlung nach dem Kriege hingewiesen? Und: Warum melden sich die Juden nicht? Beide Fragen meine ich eindeutig beantworten zu können. Da hierzu aber vielerlei Fakten vorzulegen wären, soll die Antwort auf diese Fragen erst in dem Kapitel »Fragen« gegeben werden.


Anmerkungen

A. Anmerkungen zu: Die These

  1. z.B. Steffen Werner: Kybernetik statt Marx? Politische Ökonomie und marxistische Philosophie in der DDR unter dem Einfluß der elektronischen Datenverarbeitung. Stuttgart 1977.
  2. Leider kann ich das Buch nicht angeben, da ich es in der Reutlinger Stadtbücherei nicht mehr finden kann. Letztlich ist der Titel für meine Arbeit belanglos. Der zitierte Zwischentitel wurde aus der Erinnerung wiedergegeben.
  3. Hier gilt das bei der vorigen Fußnote Gesagte.
  4. Georges Wellers: »Die Zahl der Opfer der ›Endlösung‹ und der Koherr-Bericht«. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B30/78 vom 29. Juli 1978, S. 22f.
  5. ebda, S. 36.

 

B. Anmerkungen zu: Die Entdeckung

  1. Werner Jochmann (Hrsg.), Adolf Hitler, Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims. Hamburg 1980.
  2. Dr. Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier. Stuttgart 1977.
  3. Werner Jochmann . . ., aaO., S. 44.
  4. Neben diesem Zitat gibt es noch mehrere andere mit ähnlichem Bezug. Darauf wird ausführlich im nächsten Kapitel eingegangen.
  5. Werner Jochmann . . ., aaO., S. 55.
  6. Dierke Weltatlas, Braunschweig 1969, 149. Auflage, S. 83. Der Ausschnitt wurde vergrößert und neu gezeichnet.
  7. ebda, S.78f. und S. 80f.
  8. Dierke Weltatlas, Braunschweig 1950. 83. Auflage, S.74. Der Ausschnitt wurde vergrößert und neu gezeichnet.
  9. Gerhard Greiner: Das Bundesarchiv und seine Bestände. 3.erg. und neubearbeitete Auflage. Boppard am Rhein 1977, S.156.
  10. Deutsche Heereskarte 1:300000 von 1941, herausgegeben vom OKH/Generalstab des Herres. Dieses Kartenwerk wurde laufend aktualisiert, es erschienen einzelne Nachträge.
  11. Deutsche Heereskarte 1:300000, Sonderausgabe 1942, überarbeitet II.1943. Zusammendruck Wilna-Dawidgrodek T55/U55, herausgegeben vom OKH/Generalstab des Heeres. Es handelt sich um dieselbe Ausgabe wie vor, nur wurden sechs Einzelblätter zu einer Karte zusammengefaßt. Quelle: Hauptstaatsarchiv Stuttgart M640-T55/U53. Alle Rechte vorbehalten.
  12. Deutsche Heereskarte 1:300000 von 1941, Blatt Minsk U54, Nachtrag VIII.1943, herausgegeben vom OKH/Generalstab des Heeres.


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