3. "Vergrabene Handschriften"
Im November 1953 -- so wird uns von Adler/Langbein/Lingens-Reiner in ihrem Buch "Auschwitz -- Zeugnisse und Berichte" versichert (Seite 94) [184] -- wurde "in Auschwitz ein Heft ausgegraben, das Fragmente einer Chronik in jiddischer Sprache enthält". Weder der genauere Fundort dieser "Chronik" noch ihr Verfasser sind allerdings bekannt. In einer Anmerkung zu den in dem erwähnten Buch wiedergegebenen Auszügen aus dieser "Handschrift" wird lediglich mitgeteilt, daß die Aufzeichnungen auf Grund von Hinweisen Überlebender "auf dem Lagergelände von Auschwitz" ausgegraben worden seien; das Original befinde sich im Jüdischen Historischen Institut in Warschau, welches die Aufzeichnungen in seinem Bulletin von Januar-Juni 1954 veröffentlicht habe. Die Autoren haben das Original dieser handschriftlichen Chronik offenbar selbst nicht gesehen (vgl. Seite 396 aaO.), sondern lediglich aus dem Bulletin abgeschrieben.
Das Dokument ist vermutlich auch nicht von Wissenschaftlern außerhalb des sowjetischen Machtbereichs auf seine Echtheit geprüft worden was wir bei Dokumenten dieser Art immer wieder feststellen müssen Die Autoren hätten sonst diese wichtige Tatsache sicherlich nicht unerwähnt gelassen. Diese jiddischsprachige Handschrift ist also eine höchst fragwürdige Urkunde, die man unabhängigen Forschern nicht offen zu präsentieren wagt, weil sie dann vermutlich sehr rasch als Fälschung erkannt werden könnte. Daß begründeter Anlaß besteht? Dokumenten aus dem sowjetischen Machtbereich mit äußerstem Mißtrauen zu begegnen, bestätigt erneut die unlängst in einem Prozeß vor dem Oberlandesgericht Frankfurt von dem Exilpolen Jan Pawlowski bezeugte Tatsache, daß z. B. im polnischen Innenministerium ein spezielles Referat existiert, zu dessen Aufgaben die Herstellung falscher Zeugnisse und Dokumente gehört [185].
Doch schon aus den in dem Buch "Auschwitz" mitgeteilten Textstellen (vgl. Seiten 94-97 aaO.) der "Chronik" wird deutlich, daß es sich dabei nur um eine -- noch dazu recht plumpe -- Fälschung handeln kann. Sie schildern nämlich Begebenheiten, die nicht nur als völlig unmöglich erscheinen müssen, sondern die auch von dem Verfasser der "Handschrift" teilweise gar nicht wahrgenommen werden konnten.
So pflegte z. B. der Hauptscharführer Moll -- wie es an einer Stelle dieser Aufzeichnungen heißt -- vier Personen in einer Reihe hintereinander aufzustellen und dann alle mit einem Schuß auf einmal umzulegen, ein Kunststück, das an die wunderbaren Erzählungen des Barons von Münchhausen erinnert. Wer sich übrigens dabei "duckte", den soll Moll lebend ins Feuer geworfen haben. Das Schauerarsenal von Auschwitz wird damit um ein offenbar ständig zu diesem Zweck unterhaltenes offenes Feuer erweitert!
An anderer Stelle wird berichtet, daß bei der Vergasung einer Reihe von Polen und holländischen Juden ein polnisches Mädchen in der Gaskammer eine "flammende Ansprache" gehalten und "die anwesenden Juden" ermahnt habe, sie -- also die Polen -- zu rächen. Die Polen seien dann niedergekniet und hätten die polnische Nationalhymne gesungen. Sie hätten mit tiefster Ergriffenheit ihre letzten Gefühle und die Hoffnung auf die Zukunft ihres Volkes ausgedrückt. Dann habe man gemeinsam (also mit den anwesenden Juden?) die Internationale gesungen. Die Häftlinge seien so "unter Gesang und in der Ekstase der Träume von einer Weltverbrüderung und einem besseren Morgen" gestorben.
Das ist nun wahrlich eine rührende Geschichte und eine geradezu feierliche "Vergasung"! Nur schade, daß sie so völlig unwahrscheinlich klingt und das "Sterben unter dem Gesang der Internationale" recht eindeutig die kommunistische Quelle dieser Geschichte verrät. Und daß ausgerechnet die Juden die Polen rächen sollten, ist geradezu makaber, wenn man bedenkt, daß die Polen zu den schlimmsten Judenverfolgern der Geschichte gehören -- das Deutschland der 20er Jahre "verdankte" diesem Umstand im wesentlichen seine Ostjuden -- und daß noch nach dem deutschen Zusammenbruch im Jahre 1945 in Polen schwerste Judenpogrome stattfanden [186]. Im übrigen wurden der "Chronik" zufolge die Juden ja mit vergast. Wie sollten sie also Rache nehmen? Woher aber wußte der unbekannte Chronikverfasser überhaupt, was alles sich in der "Gaskammer" abspielte? Er war doch selbst nicht mit in der Kammer, oder sollte es sich bei dieser "Chronik" um einen Bericht aus dem Jenseits handeln? Man kann wirklich nur den Kopf schütteln über derart unverschämte Lügen, die dem deutschen Publikum in einer als zeitgeschichtliche Quellensammlung ausgegebenen Publikation mit unüberbietbarer Dreistigkeit vorgesetzt werden!
Das "Dokument" ist schließlich auch nicht frei von Widersprüchen. So wird darin berichtet, daß noch Ende 1944 ein Transport aus der Slowakei in die Gaskammer gebracht worden sei. Andererseits schließt das "Dokument" mit dem Datum des 26. November 1944, wobei der Verfasser zum Ausdruck bringt, daß er nun wohl auch vergast werden würde. Von dem Ende 1944 vergasten Transport kann er also erst nach seinem Tod erfahren haben. Also doch eine Stimme aus dem Jenseits?!
Ebenso steht das "Dokument" zu anderen Unterlagen und Zeugenaussagen im Widerspruch. Sein Verfasser behauptet nämlich, daß am 14. Oktober 1944 die Mauern des Krematoriums III "abgetragen" worden seien und daß man am 25. November 1944 mit dem "Abreißen der Mauern des Krematoriums I" begonnen habe; danach solle das Krematorium II "abgetragen" werden. Ein Motor, der "zum Auspumpen der Luft" gedient habe und "die Rohre" seien zuerst abmontiert und nach dem KL Mauthausen bzw. Groß Rosen geschickt worden. Wörtlich fährt der Bericht dann fort: "Da sie" -- also der Motor und die Rohre -- "nur für Vergasungen in größerem Umfang dienen und in den Krematorien III und IV es solche Einrichtungen nicht gab, liegt der Verdacht nahe daß in den erwähnten Lagern die gleichen Vernichtungsanlagen für Juden errichtet werden."
In den Krematorien III und IV gab es also keine Vergasungseinrichtungen, wenn dieser Bericht stimmen sollte. In zahlreichen anderen Berichten der Nachkriegszeit und auch des im vorigen Abschnitt erwähnten WRB-Reports wird jedoch das Gegenteil behauptet. Ferner gibt es Berichte von "Zeugen" darüber, daß das KL Mauthausen schon lange vorher "Vergasungseinrichtungen" gehabt habe [187]. Heute steht allerdings zeitgeschichtlich unanfechtbar fest, daß nirgendwo in den KL des früheren Reichsgebiets, zu dem das KL Mauthausen gehörte, jemals "vergast" wurde.
Die Zeitangaben für die angebliche Zerstörung der Krematorien stimmen im übrigen nicht einmal mit dem überein, was darüber an anderer Stelle des Buches von Adler/Langbein/Lingens-Reiner gesagt wird. So soll Himmler nach der Zeittafel auf Seite 385 die Zerstörung der Gaskammern und Krematorien am 26. November 1944 befohlen haben. An diesem Tage wurde indessen -- wie oben bereits erwähnt -- die "Chronik" abgeschlossen. Ihr Verfasser muß also seherisch den Befehl Himmlers "vorausgeahnt" haben. Nach der von Langbein verfaßten Einleitung des Buches wurden alle Gaskammern und Krematorien Ende November "von der SS gesprengt", also nicht "abgerissen" oder "abgetragen", während nach einem Bericht von Primo Levi (Seite 163ff. aaO.) das aus Häftlingen bestehende Sonderkommando im November 1944 "eines der Krematorien in die Luft gesprengt" haben soll. Die Zeittafel im Anhang des Buches (Seite 385) verlegt dagegen diese Zerstörung eines Krematoriums durch Häftlinge des Sonderkommandos es soll sich um das Krematorium IV gehandelt haben- auf den 7. Oktober 1944 und spricht statt von Sprengung von einer Vernichtung durch Inbrandsetzung. Beide Versionen verbindet ein gewisser Israel Gutmann, der behauptet, das Krematorium IV sei bei einem Aufstand des Sonderkommandos in Brand gesteckt und gesprengt worden; über den genauen Zeitpunkt schweigt er sich aus (Seite 273 aaO.). In einer kleinen Schrift von Kazimierz Smolen steht dagegen zu lesen, daß bei diesem -- auch hier nicht näher datierten -- Häftlingsaufstand das Krematorium IV in Brand gesetzt und das Krematorium III beschädigt worden sei [188]. Nach der gleichen Schrift wurden die Krematorien II und III erst am 20. Januar 1945 und in der Nacht vom 25. zum 26. Januar 1945 auch noch das Krematorium V durch SS-Männer gesprengt (Seite 99 aaO.). Der ehemalige Birkenau-Häftling Otto Wolken weiß dagegen in einem mit dem 17. Januar 1945 beginnenden Bericht über die letzten Tage des Lagers Auschwitz-Birkenau nur von der Sprengung des Krematoriums V, die seiner Darstellung zufolge in der Nacht vom 23. zum 24. Januar 1945 erfolgt sein soll [189]. Eine völlig andere Version des ehemaligen SS-Mannes Pery Broad geht dahin, daß alle "Bauwerke, die zur Durchführung des größten Massenmordes der Menschheitsgeschichte gedient" hätten, im Januar 1945 wegen des Vorrückens der Russen gesprengt worden seien [190].
So widerspricht alles einander und es bleibt nur der Eindruck, daß nicht allein die angeblich auf dem Gelände von Auschwitz "vergrabene Handschrift", sondern alle diese Berichte äußerst fragwürdig sind. Dies um so mehr, als ein gewisser Bernhard Klieger uns darüber aufklärt, daß im Winter 1944/45 vier Krematorien mit den zugehörigen Gaskammern abgerissen, das Gelände eingeebnet und mit einer Grasnarbe bedeckt worden sei; lediglich das noch verbliebene fünfte Krematorium habe dem täglich anfallenden Bedarf gedient [191]. Gab es vielleicht überhaupt nur ein Krematorium? Denn das Anlegen einer "Grasnarbe" über dem Terrain, auf dem die Krematorien gestanden haben sollen, dürfte doch in jenen Wintermonaten kaum möglich gewesen sein.
Doch zurück zu unserer "Chronik", die noch weitere Rätsel aufgibt. Am Schluß dieser Aufzeichnung teilt ihr angeblicher Verfasser die Orte mit, an denen er die verschiedenen Niederschriften seines Berichts versteckt haben will. So soll eine davon "im Grab mit Knochen im Krematorium I" niedergelegt worden sein. Dieses Krematorium wurde jedoch seinen eigenen Angaben zufolge bereits vor Abschluß der "Chronik" nämlich am 25. November 1944 niedergerissen. Eine weitere Niederschrift soll " in einem Knochenhaufen" an der Südseite des Hofes vom Krematorium I lagern. Ferner will er Abschriften "unter der Asche im Krematorium II eingegraben" haben, das -- wie er vorher mitgeteilt hatte -- ebenfalls abgetragen werden sollte.
Das alles gibt erneut zu der Frage Anlaß, wo denn nun eigentlich diese vom Jüdischen Historischen Institut in Warschau veröffentlichte Aufzeichnung entdeckt wurde. Sie scheint jedenfalls bisher die einzige "Entdeckung" dieser Art zu sein. Die für die Niederschriften angegebenen "Verstecke" sind selbstverständlich ebenso mysteriös wie unglaubwürdig. Denn bei der Verbrennung von Leichen in einem Krematorium pflegen keine Knochenreste übrig zu bleiben. Auch läßt man Menschenasche gewöhnlich nicht im Krematorium liegen. Diese jederzeit veränderlichen Merkmale für die angeblichen "Verstecke" geben natürlich die Möglichkeit, an beliebigen Stellen des früheren KL-Geländes weitere "Funde" zu machen, weil die genaue Lage der angeblichen Fundorte nicht mehr ermittelt werden kann. Vielleicht erfahren wir also bald mehr über die "noch fehlenden" Handschriften. Erste Ankündigungen in dieser Richtung finden sich bereits in dem Wiener Magazin "Profil" Nr. 22/1975. Dort schreibt ein gewisser Walfried Reismann [192]:
"Bisweilen werden vermoderte Handschriften gefunden, die von Häftlingen des Sonderkommandos (sie hatten die Krematorien und Gaskammern zu bedienen) in Flaschen, Einmachgläsern oder Konservenbüchsen als Dokumente für die Nachwelt vergraben worden sind. Die Auswertung dieser Schriften wird erst im Jahre 1980 ein erstes abgerundetes, wissenschaftlich begründetes Bild von Auschwitz-Birkenau ermöglichen..."
Bis zum Jahre 1980 wird es also noch dauern, obwohl die Fälscherwerkstätten vermutlich mit Hochdruck an diesen "Dokumenten" arbeiten, wobei die immer schwerwiegender werdenden Einwände unabhängiger Wissenschaftler gegen die Existenz der angeblichen Gaskammern berücksichtigt werden müssen. So leicht wie noch vor wenigen Jahrzehnten kann man es sich heute damit nicht mehr machen. Man wird weiteren "Funden" von "vergrabenen Handschriften" jedenfalls mit größter Skepsis begegnen müssen.