Anhang II
Verweigerung der Einsichtnahme in die Akten des Strafprozesses gegen Prof. Dr. Dr. J. P. Kremer
Mit Schreiben vom 10. Juni 1976 bat ich den Präsidenten des Landgerichts Münster, im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit über das KL Auschwitz die Akten des dort gegen den zeitweiligen Auschwitzarzt Prof. Dr. Dr. Kremer durchgeführten Strafprozesses (Aktenzeichen 6d Js 473/58) einsehen zu dürfen. Auf Wunsch der Staatsanwaltschaft Münster erläuterte ich meinen Antrag mit Schreiben vom 9. Juli 1976 unter Hinweis auf Kremers Tagebuch. Wörtlich führte ich in diesem Schreiben unter anderem aus: "Da einzelne wesentliche Passagen dieses Tagebuchs -- jedenfalls so, wie sie veröffentlicht wurden -- nicht eindeutig sind, erscheint mir die Feststellung wichtig, wie Kremer sich hierzu wenn überhaupt -- bei seinen Vernehmungen geäußert hat. Zum Zwecke dieser Feststellung erbitte ich die Akteneinsicht. Sollte sich auch das Original des Tagebuchs bei den Akten befinden, so wäre ich dankbar. wenn mir auch dieses zur Einsicht zur Verfügung stehen wurde."
Daraufhin hörte ich zunächst 2 Monate hindurch nichts mehr. Mit Schreiben vom 9. September 1976 erinnerte ich daher an die Entscheidung über meinen Antrag. Auch daraufhin erfolgte keinerlei Reaktion. Als auch meine nochmalige Erinnerung vom 10. November 1976 -- mehr als 6 Monate nach der Antragstellung! -- unbeantwortet geblieben war, erhob ich am 10. Dezember 1976 Dienstaufsichtsbeschwerde bei dem Herrn Generalstaatsanwalt in Hamm. Jetzt erst bequemte sich die Staatsanwaltschaft Münster zu der nachstehenden Antwort: "Die Akten können Ihnen zur Einsichtnahme nicht zur Verfügung gestellt werden. weil nach den geltenden Bestimmungen eine Einsichtnahme durch Privatpersonen grundsätzlich nicht gestattet ist (Nr. 195 Abs.4,191 Abs. 1 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren)."
In meiner Beschwerde hiergegen an den Generalstaatsanwalt in Hamm machte ich im wesentlichen folgendes geltend: "Die Staatsanwaltschaft hat ihre ablehnende Entscheidung lediglich darauf gestutzt. daß nach den geltenden Bestimmungen eine Einsichtnahme durch Privatpersonen grundsätzlich nicht gestattet sei. Jeder Grundsatz läßt Ausnahmen zu. Ich hatte geltend gemacht, daß ich Einsichtnahme im Rahmen einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit begehre und das auch mit Schreiben vom 9.7.1976, auf das ich mich beziehe, naher begründet. § 185 Abs. 3 der Richtlinien in ihrer ab 1. 1. 1977 geltenden Fassung tragt dem jetzt ausdrücklich Rechnung. Es heißt dort: ›Für wissenschaftliche Vorhaben wird Akteneinsicht gewahrt, wenn und soweit deren Bedeutung dies rechtfertigt und die Gewahr besteht, daß ein Mißbrauch der erlangten Kenntnisse nicht zu befürchten ist.‹ (zitiert nach Kleinknecht, StPO, 33. Aufl. 1977)
Ich meine, daß die Voraussetzungen in meinem Fall gegeben sind und Bedenken gegen die erbetene Akteneinsicht schon deshalb nicht bestehen durften, da Herr Prof. Kremer inzwischen wahrscheinlich langst verstorben ist."
Der Herr Generalstaatsanwalt war nicht dieser Ansicht. Er entschied am 11. März 1977: "Nach § 185 Abs.5 RiStBV wird die Akteneinsicht Privatpersonen grundsätzlich versagt. Ausnahmsweise kann diesen für wissenschaftliche Vorhaben Einsicht gewahrt werden, wenn die Bedeutung der Arbeit es rechtfertigt und die Gewahr besteht, Daß ein Mißbrauch der erlangten Erkenntnisse nicht zu befürchten ist (Nr. 185 Abs. 3 RiStBV).
Sie haben nicht nachgewiesen, Daß Ihre Forschungsarbeit von wissenschaftlicher Bedeutung ist. Auch haben Sie keine Bescheinigung eines Instituts beibringen können, aus der sich die Bedeutung Ihrer Arbeit für die Zeitgeschichte ergibt. In Ihrem Schreiben vom 9.7.1976 an den Leitenden Oberstaatsanwalt in Münster haben Sie mitgeteilt, Daß Ihre Arbeit auf privater Basis, also nicht im Auftrag eines Instituts oder einer Organisation gefertigt wird. Sie hatten sich auch noch nicht entschlossen, ob Sie Ihre Forschungsarbeit dem Institut für Zeitgeschichte in München anbieten wollten.
Ihr lediglich privates Interesse erfüllt jedoch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Akteneinsicht nach Nr.185 RiStBV nicht. Ich muß Ihre Beschwerde daher zurückweisen."
Ein Kommentar hierzu erübrigt sich.