DAS RÄTSEL ODILO GLOBOCNIK

Sowohl SS-General Odilo Globocnik als auch Heinrich Müllers Tätigkeitsbereich berührte die heute so brisante Judenfrage im Dritten Reich. Dies wird auch durch die folgende Gesprächsaufzeichnung deutlich.

F: Nun, da gibt es... Lassen Sie mich nochmals von vorne beginnen. Wir haben Probleme mit einem höheren SS-Offizier. Da Sie den Mann einigermaßen kennen, könnten Sie uns vielleicht Ihre Ansichten wissen lassen und uns Anregungen geben.

M: Ich werde tun, was ich kann.

F: Es handelt sich um SS-Gruppenführer Globocnik. Sie haben ihn schon einmal früher erwähnt. Erinnern Sie sich?

M: Natürlich erinnere ich mich daran. Was ist los mit ihm?

F: Er ist jetzt inhaftiert.

M: Gut. Der beste Platz für ihn. Haben Sie vor, ihn wegen seiner Taten vor Gericht zu stellen?

F: Nicht ausdrücklich. Darin liegt ja das Problem.

M: Jemand sagte, er sei tot.

F: Unglücklicherweise nicht. Er wurde nach dem Krieg von den Briten in Kärnten festgenommen. Er traf mit ihnen eine gewisse Vereinbarung, ihn gegen Austausch von Geld nicht gerichtlich zu belangen.

M: Typisch Globocnik. Es muß sich um eine örtliche Abmachung gehandelt haben.

F: Ja. So fing es in etwa an. Globocnik hatte eine Menge Gold und anderer Kostbarkeiten in Österreich versteckt.

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M: Gestohlen in den Todeslagern, nicht wahr. Ich habe das ja schon gesagt...

F: Und es gibt darüber auch Unterlagen. Anfangs gab er den britischen Soldaten, die ihn gefangen nahmen, eine Menge britisches Papiergeld, damit sie ihn laufen ließen...

M: Ach du liebe Güte! Papierpfunde? Natürlich waren hunderte von Millionen falscher Pfundnoten während des Krieges gedruckt worden. Er gab sie ihnen, um sein Leben zu retten?

F: Nein. Es waren echte Pfundnoten aus den Lublin-Lagern. Die britischen Soldaten nahmen natürlich das Geld...

M: Natürlich. Warum haben sie nicht das Geld genommen und ihn dann auf der Stelle erschossen? Das wäre doch eher ihr Stil. Er könnte auf der Flucht erschossen worden sein oder Selbstmord begangen haben, während er ein vergiftetes Essen aß.

F: Nein. Sie verschonten ihn, weil sie nur einen sehr kleinen Teil der Wertsachen bekamen.* Und natürlich hat sich die Nachricht davon schnell verbreitet, bis London davon hörte. Dann wurde die Angelegenheit dem örtlichen Bereich aus der Hand genommen.

M: Dann entschloß sich die britische Regierung, den Rest des Geldes zu bekommen, um es sicher zu stellen, vermute ich?

* Eine Ablichtung des Originals des US-CIC-Dokumentes, das die ganze Auflistung des riesigen versteckten Schatze* enthält, findet sich im Anhang, Anlage IV S. 325.

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F: Das war der Gedanke, aber sie erhielt nichts mehr, und Globocnik ist kein leichter Verhandlungspartner.

M: Ein Schwein der übelsten Art, glauben Sie mir. Ein Verbrecher und ein Schlägertyp. Was geschah dann mit ihm?

F: Den Briten war wegen Globocnik und seinem Helfer, den sie in Hamburg fanden, nicht wohl. Sie beschlossen, sie loszuwerden und sie uns im Austausch gegen einige Unterlagen, die wir in Deutschland ausfindig gemacht hatten, zu übergeben.

M: Unterlagen? Darf ich fragen, um was für Unterlagen es sich handelt?

F: Um einen Briefwechsel zwischen einem berühmten Mitglied der königlichen Familie und Hitler...

M: Aha! Die Briefe des Herzogs von Windsor. Möchten Sie davon gerne Ablichtungen sehen? Ich habe sie beiseite geschafft.

F: Nein. Wir gaben ihnen, so meine ich, die Originale, zumindest einige Originale, und sie gaben uns Globocnik und Wirth...

M: Ach du lieber Gott. Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen! Ich weiß, wer Wirth war; er kam während des Krieges ums Leben. Er war Sturmbannführer. Sie können mir nicht erzählen, daß er überlebt hat, nicht wahr? Ich war... Ich sah Berichte darüber. Sprechen Sie von Christian Wirth? Er wäre nun Ende 50 oder Anfang 60. Er arbeitete in der Lagerverwaltung, aber zuvor war er in Hadamar, dem Sanatorium, wo sie die unheilbar Kranken umbrachten: Idioten und Schwachköpfe. Dieser Wirth?

F: Ich glaube ja.

M: Ich bin mir sicher, daß er getötet wurde,

F: Ist das bestätigt?

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M: So weit ich mich erinnere, soll er im Partisanenkampf gefallen sein. Was geschah dann?

F: Ich bin darüber nicht genau im Bilde. Aber ich meine, ihm war klar, was mit ihm geschehen würde. Also verschwand er ... wie so viele andere, deren Namen in der Erinnerung auftauchen.

M: Ja. Sicherlich tauchen sie auf. Und wer war nun dieser Esel? Sie?

F: Das Problem liegt darin, daß die Briten ihn als Fachmann für Partisanenkrieg übergaben...

M: Nein. Beide sind richtige Mörder, keine Partisanenbe-kämpfer. Das ist die typische englische Art des Betrugs. Wenn man seine Feinde nicht anschwindeln kann, versuch es bei deinen Verbündeten. Wo liegt nun das Problem? Nicht, daß ich es nicht erkenne. Wenn jemand etwas über die beiden herausfindet, wird Ihre Regierung von der Presse in Öl gebraten. Ich zumindest habe nie Hundertausende von Juden umgebracht. Haben Sie sie verhört?

F: Ja, und zwar auf höchster Ebene. Wir hatten bis vor kurzem keine Kenntnis von dieser Sache.

Ich meine, die Armee hat damit nun voll zu tun.

M: Rühren Sie keinen der beiden an. Folgen Sie meinem Rat: Lassen Sie beide unauffällig erschießen und im Wald verscharren.

F: Leider ist da noch immer die Geldgeschichte. Das Geld wird gebraucht, und Globocnik hat nur gerade so viel herausgerückt, um seine Haut zu retten.

M.: Ich vermute, daß ich Sie fragen sollte, wozu Sie das Geld wollen.

F: Nun, was hat die SS mit dem britischen Falschgeld gemacht?

M: Wahrscheinlich das Gleiche, das Sie machen. Einen Teil für das Altenteil zurücklegen und den Rest für Spiona-

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gemaßnahmen einsetzen, die nicht der Nachprüfung durch selbstherrliche Bürokraten unterliegen.

F: Genau.

M: Und wo liegt das Problem?

F: Was soll man mit ihnen machen?

M: Abgesehen vom Erschießen, sehe ich zwei Lösungen. Sie können sie mit nach Amerika nehmen und sie Ihr Negerproblem lösen lassen. Ich bin mir sicher, sie würden wunderbare Arbeit leisten. Globocnik ist nicht einmal Deutscher, sondern ein unbeherrschter Slowene. Aber Wirth ist ein sehr geschäftsmäßiger deutscher Techniker. Wirth könnte Ihre Rassenprobleme in ein paar Monaten lösen, und Globocnik könnte die Goldzähne rausziehen und in New York eine Bank eröffnen. Schneiden Sie keine Grimassen. Und die zweite Lösung wäre, sie Stalin als Geschenk zu überreichen. Solche Kreaturen würden vom Genossen Josef mit offenen Armen aufgenommen werden. Sie wären wahrscheinlich in Rußland so beschäftigt, daß sie beim Umbringen von Stalins Feinden an Erschöpfung sterben würden. Genau die Art von Abschaum, den die Bolschewiken lieben. Es gäbe dort eine enge Sinnesverwandtschaft, glauben Sie mir. Sie alle sind auf irgendeine Weise unterdurchschnittliche Mordaffen. Genau das!

F: Schauen Sie sich bitte diesen Bericht an. Wir dürfen uns nicht hinreißen lassen.

M: Machen Sie mir keine Vorschriften. Sie haben das Problem, nicht ich. Wenn es nach mir ginge, würde ich Globocnik zwingen, das Geld auszuspucken, und ihn dann so schnell ich könnte beseitigen, bevor jemand was herausfinden würde. Was Wirth anbelangt, so hat er kein Geld. Also ab mit ihm in einem Sack in den Wald. Wäre es nach mir gegangen, so hätte ich Globocnik schon 1943

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aufgehängt; aber es ging nicht nach mir. Ich hetzte die SS-Rechtsabteilung auf Globocnik. Er war Himmlers Freund, und so kam am Ende nichts heraus. Verpflanzen sie ihn in die Erde, so schnell sie können. War ich Ihnen behilflich?

F: Deswegen habe ich das Thema mehr oder weniger angesprochen.

M: Warum belästigen Sie mich mit einem Problem, dessen Lösung so einfach ist? Was wollen Sie mit ihnen machen?

F: Vielleicht folgen wir Ihrer Anregung. Das Problem liegt darin, daß Globocnik wahrscheinlich einiges über die Briten und nun über uns erzählt. Und wir brauchen das Geld. Wahrscheinlich schickt sie die Armee nach Syrien oder in den Libanon, um dort mit den Arabern zusammen zu arbeiten.

M: Was sollen sie dort machen? Kamele vergasen?

F: Es gibt Befürchtungen wegen des neuen jüdischen Staates...

M: Sie und Ihre Leute müssen phantasierende Idioten sein! Was denken Sie nun? Es ist jammerschade, daß Sie Himmler umgebracht haben, denn Sie hätten ihn auch dorthin schicken können. Wieso haben Sie Ärger mit den Juden?

F: Die Briten sind gegen sie aufgebracht...

M: Das wundert mich überhaupt nicht. Sie mußten Palästina verlassen und all das ganze Öl dort zurücklassen, nicht wahr? Ich sagte Ihnen ja, daß die Briten die Juden aus diesem Gebiet heraushielten, als ich versuchte, sie dorthin zu schicken. Die Araber wollten sie nicht dort haben, und die Briten lieben ihre Juden auch nicht, obwohl es in ihren Oberschichten nur von Juden wimmelt.

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Und was wäre, wenn die Zionisten alles über das Pfadfinderlager voller SS-Leute herausfinden würden? Wenn das geschieht, gibt es Probleme.

F: Nun, das ist Sache der Armee, nicht unsere. Wenn das Geld gefunden wird, wird es zu gleichen Teilen zwischen den Briten und der Armee aufgeteilt.

M: Hören Sie nun mal zu. Wir brauchen uns darüber nicht weiter zu unterhalten. Und ich kann Ihnen jetzt in diesem Augenblick sagen, daß ich mit den Arabern, Globocnik und besonders Wirth nichts zu tun haben will. Ich kann noch immer nicht glauben, daß Wirth nicht im Krieg umgekommen ist. Wenn die Juden beide erwischen, werden sie sicherlich sterben. Diese Juden haben ihre Gegner dort drunten in großen Mengen umgebracht. Nicht daß ich sie deswegen besonders beschuldige. Sie wollen sich doch nicht in all dies dort einmischen, nicht wahr?

F: Dieses Gebiet steht nicht länger unter britischer Kontrolle, und Washington ist besorgt über die sowjeti-schen Verbindungen mit Israel. Die Juden bekommen Waffen von den Sowjets. Sie könnten die arabischen Staaten angreifen und die Kontrolle über die Ölfelder gewinnen.

M: Das ist, wie ich annehme, eine Möglichkeit. Aber achten Sie darauf, wie Sie das alles bewerkstelligen wollen. Zuerst unterstützt Ihr Präsident Israel und dann ordnet er an, daß sich die Armee auf einen Angriff vorzubereiten habe. Zumindest könnte es so für andere ausssehen. Ich sagte Ihnen schon zuvor: Kümmern Sie sich um die Kommunisten in Ihrem eigenen Land und machen Sie sich wegen der Juden keine Sorgen. Und wenn Stalin Sie je angreifen sollte, dann wird er eher Saboteure und Spione als Panzer und Flugzeuge einsetzen. Er wird auf jeder Ebene einen Geheimkrieg gegen Sie führen, aber keine direkte

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Gewalt anwenden. Nach dem Tod von Roosevelt, wird Stalin es schwerer haben. Aber unterschätzen Sie ihn nicht. Letztendlich müssen Sie mit einem Geheimangriff rechnen. Warum versuchen Sie nicht, jetzt mit den Zionisten Freundschaft zu schließen? Wenn Stalin kein Glück bei ihnen hat und wahrscheinlich wird er auch keines bei ihnen haben, weil die Juden nie etwas zustimmen können, wird er sich hinter die Araber klemmen. Und dann hat er Kontrolle über das Öl, das Sie brauchen. Auf diesem Gebiet kann ich Ihnen helfen. Aber ich will in keine weiteren antijüdischen Aktionen verwickelt werden, selbst nicht aus der Entfernung. Dies war Hitlers größter Fehler. Hätte er die Juden in Ruhe gelassen, könnte er noch immer in Berlin sitzen und zusehen, wie Speer Gebäude hochzieht.

F: Aber es gibt in einigen Gebieten Probleme mit den Juden.

M: Es gibt in einigen Gegenden immer mit jemandem Probleme. Katholische Bayern hassen protestantische Preußen, Franzosen hassen Deutsche, Slowaken hassen Tschechen, Russen hassen Ukrainer, weiße Amerikaner hassen schwarze Amerikaner und die Japaner hassen jeden. Daher sind Polizisten immer in Mode.

F: Hoffentlich kommt eine Zeit......

M: Nie! Wenn zwei Völker auf der Welt übrig bleiben, werden sie einander jagen. Was dann übrig bleibt, sind Ratten und Kakerlaken. Und Gott kann das Ganze wieder von vorne beginnen. Und das nächste Mal wird er keinen Staub benutzen, um daraus Menschen zu machen. Vielleicht nimmt er dann besser Rattenkot.

F: Ich meine, wir sollten uns an dieser Stelle wieder dem zuwenden, was ich auf meiner Frageliste habe.

MU 13-75-96: 8; 78-86 174


Kommentar

Anfang 1980 tauchte in den Händen eines britischen Forschers eine Akte über Odilo Globocnik auf. Da dieser Finder den Inhalt für einen Druck als zu widersprüchlich ansah, ging die Akte an einen Kollegen, der sich in die Nachkriegsgeschichte von Heinrich Müller hineingearbeitet hatte. 1988 wurde eine Abschrift dieser Akte an Gitta Sereny übermittelt, eine Amerikanerin ungarischer Abstammung, die ein Buch über Stangl, einen der Lagerkommandanten Globocniks, geschrieben hatte.

Sie fand den Inhalt von ausreichender Bedeutung, um eine bedeutenden britische Zeitung darauf erfolgreich aufmerksam machen zu können. Diese beauftragte sie, einen Artikel über die Akte zu verfassen. Um die Bedeutung besser verstehen zu können, sollen zunächst sieben wichtige Seiten dieser Akte vorangestellt werden.

Diese Papiere stammen aus Berichten der Gegenspionage (CIC) der US-Armee. Sie sind auf 30. November 1948 datiert und wurden vom Hauptsitz für das CIC-Gebiet VIII mit Sitz in Berlin vorbereitet. Der Verfasser des ersten Berichtes ist Severin F. Wallach, ein CIC-Spezialagent, sowie ein aus Wien stammender Jude, die sich auf die Auswertung deutscher Quellen spezialisiert hatten. Das Deckblatt des Berichtes trägt den Vermerk WD 34/1 Juni 1947; es handelt sich um ein übliches Formular des Kriegsministeriums. Es trägt die Aufschrift Agentenbericht und war ursprünglich als geheim eingestuft; diese Einstufung wurde nach und nach zurückgenommen. Teile dieses Berichtes sind stark zensiert; eine vollständige Abschrift findet sich im Anhang (Anlage V, S. 335).

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