DER 20. JULI IN DER PRINZ ALBRECHTSTRASSE

Was am Tag und am Abend des 20. Juli im Hauptquartier der Gestapo geschah, dürfte sich als weitaus aufschlußreicher erweisen, als das, was in Hitlers Hauptquartier oder in der Bendlerstraße geschah, wo sich das Zentrum der Verschwörer befand. Vieles wurde über diese beiden Orte veröffentlicht, aber nichts über das, was im Hauptquartier der Gestapo geschah.

F: Es gibt noch immer eine Anzahl ungelöster Rätsel historischer Art, wie ich meine, die das Attentat auf Hitler betreffen. Und da Sie mit dem Ganzen durch die nachfolgenden Untersuchungen so eng verbunden waren, möchte ich gerne, sofern Sie mögen, diese Sachverhalte mit Ihnen besprechen.

M: Sicher. Ich denke, daß wir schon viele davon zuvor erörtert haben, nicht wahr?

F: Nein, dieser Gesichtspunkt wurde noch nicht erörtert. Ich sprach über Ihre Ansichten zu verschiedenen Gruppen, die an der Verschwörung beteiligt waren. Jetzt will ich etwas genauer werden, wenn ihnen das möglich ist. Bestimmt werden Sie meine Gründe verstehen, wenn ich fortfahre.

M: Ich will auf jeden Fall Ihre Gründe begreifen.

F: Zuallererst: Hatten Sie als Chef der Gestapo vor dem Attentat irgendwelche Kenntnisse von der Verschwörung?

M: Stauffenberg im besonderen?

F: Ja, der dieser Attentatsversuch.

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M: Ich wußte von Stauffenberg. Aber ich wußte nichts von dem Mann, der ein Bombenattentat versuchen würde.

F: Und wie wußten Sie etwas von ihm?

M: Ich kannte ihn als intellektuellen Typ, der gegen die Regierung ist. Ich wußte auch, daß es eine Akte über seine vermuteten sexuellen Neigungen gab. Aber in beiden Fragen wurde nichts unternommen. Ich war nicht besonders an Leuten interessiert, die gegen die Regierung, d.h. gegen Hitler waren, aber ich war an solchen interessiert, die sich gegen den Staat oder Hitler verschworen. Was die Schwulenvorwürfe gegen höhere Offiziere anbelangt, so wußte ich einiges von der Fritsch-Sache des Jahres 1938. Ich wollte nicht erneut in eine solche Sache verwickelt werden.

F: Wenn wir hier für einen Augenblick abschweifen wollen. Sie erwähnten Fritsch.

M: Ja. Mein Mitarbeiter Meisinger hatte damit zu tun. Ich riet ihm, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Meisinger mußte passen.

F: Der Vorwurf, daß Fritsch homosexuell sei, wurde von der Gestapo in Umlauf gesetzt, nicht wahr?

M: Nein. Fritsch war zweifelsohne irgendwann in die Schwulenszene verwickelt, aber die besonderen Anschuldigungen von 1938 waren nicht in Ordnung. Es waren keine vorgetäuschten Anschuldigungen. Sie bezogen sich jedoch auf einen anderen Offizier, nicht auf den Befehlshaber der Wehrmacht. Für mich war das damals offensichtlich, und ich ordnete bewußt an, daß Meisinger die Angelegenheit zu den Akten legen sollte. Meisinger dachte, es könnte seiner Karriere gut tun und brachte den Vorfall anderen, die Fritsch nicht mochten, zur Kenntnis. Jemand wollte den Posten von Fritsch..., insbesondere

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Göring, und Meisinger waren bereit, dabei zu helfen. Es war wirklich eine abstoßende Sache.

Anstatt daß dies seiner Karriere förderlich war, wurde Meisinger nach Japan verfrachtet. Sie kennen den Rest. Wollen wir nun zum 2o. Juli zurückkehren?

F: Ja. Ist es richtig, daß Sie vor dem Attentatsversuch nichts wußten?

M: Überhaupt nichts. Es handelte sich nur um eine sehr kleine Gruppe, und die Entscheidung, die Bombe zu legen, wurde erst kurz zuvor getroffen. Es war keine Zeit da, so daß sich die Nachricht verbreiten und mir zu Ohren kommen konnte.

F: Das Attentat war also ein vollkommenes Geheimnis?

M: Oh nein, nicht so. Eine Anzahl von Leuten außerhalb des eigentlichen Verschwörerkreises wußte davon. Sie waren nicht direkt darin verwickelt, aber sie wußten, daß es losgehen sollte. Dies bedeutet, daß diese Leute von einem geplanten Verbrechen wußten, davon keine Meldung machten und sich insofern schuldig machten.

F: Beihilfe also.

M: Ja. Warum lassen Sie mich nicht aus meiner Sicht eine kurzen zeitlichen Abriß über die Ereignisse dieses Tages geben, ohne daß wir bei diesem Thema Monate verbringen müssen? Ich habe, wie ich meine, Ihnen ganz offen gesagt, daß und warum ich völlig überrascht worden bin. Lassen Sie mich nun erzählen, wie ich reagiert habe. Und meine Handlungen mögen für sich selbst sprechen. Am 20. Juli war ich in meinem Büro und versuchte einen Fall zu klären, an dem wir gerade arbeiteten. Dieser Fall hatte mit dem 20. Juli nichts zu tun. Ich versuchte, die tatsächlichen Beweise mit dem, was die Gestapo-Befragungen ergeben hatten, auf einen Nenner zu bringen. Diese Arbeit nahm fast den ganzen Morgen ein. Und ich war nicht

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besonders erfreut, als mich einer meiner Mitarbeiter anrief und mir sagte, im Führerhauptquartier sei eine Bombe hochgegangen. Eine Verschwörung wurde nicht erwähnt, und es schien sich um die Explosion einer Mine zu handeln.

Einige Zeit später, so um die 15 Minuten, kam Kalten-brunner, sehr mitgenommen aussehend, in mein Büro. Im Besprechungszimmer sei in seiner Anwesenheit eine Bombe hochgegangen. Einige seien getötet und verwundet worden. Hitler sei nicht ernsthaft verletzt worden. Kalten-brunner sei von Himmler aufgefordert worden, mit Fachleuten nach Ostpreußen zu fliegen, um eine genaue Untersuchung vorzunehmen. Ich fragte ihn ganz natürlich, ob es sich um eine größere Verschwörung handle. Und er sagte kurz angebunden zu mir, daß es das wahrscheinlich nicht sei und ich solle mir deswegen keine Gedanken machen. Seine Haltung ärgerte mich sehr. Kaltenbrunner war ein Miststück, und im Büro schenkte ich ihm keine Aufmerksamkeit. Er war tückisch, sprunghaft und gleichzeitig gemein. Ich kann mich an einen Vorfall erinnern, als er mit Pohl zusammentraf.

F: Mit Oswald Pohl?

M: Ja. Kaltenbrunner hatte einen von Pohls Spitzenleuten schikaniert und ihn aus nichtigem Anlaß Hausarrest verordnet. Pohl, der mit Himmler machtmäßig gut auskam, ließ über Himmler anordnen, daß der Mann freizulassen ist. Kaltenbrunner wurde aufgefordert, den Mann in Ruhe zu lassen. Aber kaum waren Himmler und Pohl außerhalb von Berlin, schlug er erneut zu. Dieses Mal kam Pohl persönlich zu Kaltenbrunner und machte ihm in seinem Büro eine furchtbare Szene. Jemand stürmte in mein Büro und sagte, Pohl habe Kaltenbrunner eins auf die Nase gegeben und ihn aus seinem Sessel geschlagen.

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Natürlich ging ich sofort hin, um diese Szene zu genießen. Ich sah dann, wie Pohl aus dem Gebäude stürmte und wie Kaltenbrunner mit sehr rotem Gesicht und blutender Nase in die Halle hinunterrannte. Er brüllte, er wolle, daß man Pohl festnehme, was ganz unmöglich war. Ich befragte Kaltenbrunner, der sich wieder beruhigt hatte. Besonders als ich ihm sagte, er wäre noch übler dran, wenn Himmler herausfände, daß er einen besonderen Befehl, Pohls Mann in Ruhe zu lassen, nicht befolgt hätte. So eine Type war Kaltenbrunner. Auf jeden Fall mochte ich seine Haltung nicht und ich hatte keine Absicht, mich herauszuhalten. Wenn es eine Art Aufstand war, dann war es meine Aufgabe, Nachforschungen anzustellen.

Gegen 17 Uhr erhielt ich dann einen Anruf von Himmler direkt. Er forderte mich auf, einen Oberst im Generalstab, einen von Stauffenberg, in seinem Büro in der Bendlerstraße festzunehmen, sofern möglich. Ich sollte ihn wegen des Bombenanschlages befragen. Himmler teilte mir mit, Hitler sei leicht verwundet worden, aber voll einsatzfähig. Die ganze Angelegenheit sollte mit völliger Geheimhaltung behandelt werden. Er fragte mich, ob ich etwas über die Gestapobüros erfahren hätte, und ich sagte nein. Er betonte wiederholt, meine Aufgabe sei es nur, die Vorgänge zu beobachten und mit Ausnahme der Verhaftung Stauffenbergs nichts zu unternehmen. Ich sollte äußerst vorsichtig vorgehen, als ich ihn in mein Büro bringen ließ.

Nur wer unbedingt mußte, wußte davon. Warum man wegen der Verhaftung eines Attentäters zurückhaltend sein sollte, machte mich stutzig und ich fragte Himmler direkt nach dem Grund. Er wurde ärgerlich und antwortete, es dürfe zu diesem Zeitpunkt keine Spannungen mit der Wehrmacht geben. Es verwunderte mich, daß Himmler erneut überaus ängstlich war, und daß zumindest grö-

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ßere Maßnahmen eingeleitet werden sollten, sofern es sich nicht um einen Einzelvorgang handelte. Ich gehorchte Himmler nicht und alarmierte alle Gestapo-Dienststellen im In- und Ausland mit der Aufforderung, insbesondere nach Nachrichten über einen Anschlag auf den Führer Ausschau zu halten. Ich sagte jedoch nicht, daß ein Anschlag auf den Führer stattgefunden hatte. Sofort schickte ich meinen Mitarbeiter Oberst Piffrader los mit dem Auftrag, Stauffenberg zu mir zu bringen und dabei möglichst diskret vorzugehen. Kaum war Piffrader weg, erhielt ich Berichte von einem Staatsstreich der Wehrmacht. Ich muß in zwölf Minuten ein Dutzend Anrufe und Fernschreiben bekommen haben. Das ganze Büro war in Aufruhr, das kann ich Ihnen sagen.

F: Was geschah dann?

M: Ich versuchte sofort, Himmler anzurufen, aber ich kam nicht durch. Ich versuchte es erneut zehn Minuten später, als ich mehr Nachrichten hatte. Aber wiederum hieß es, Himmler sei nicht zu sprechen. Ich nahm an, daß er in einer Besprechung ist, und so wollte ich Kaltenbrunner sprechen. Dann erfuhr ich, daß sie das Führerhauptquartier verlassen hatten und auf dem Weg nach Berlin waren. Ich stellte sofort fest, daß keiner von ihnen im RSHA-Hauptquartier war.

Niemand in Berlin wußte, wo sie waren. Zu dieser Zeit rief ich den Befehlshaber der SS-Leibwache in der Kaserne in Lichterfelde an und versetzte ihn in sofortige Alarmbereitschaft. Ich sagte ihm ganz offen, daß ein Staatsstreich vorbereitet werde. Er möge alle bewaffneten SS-Einheiten alarmieren, die er konnte, und sie in Alarmbereitschaft halten. Ich hatte mit ihm keine Probleme. Aber fast unmittelbar danach rief mich Kaltenbrunner an und brüllte mich an, ich möge mich nicht einmischen. General Jüttner sei

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auf direkten Befehl Himmlers hin kommandierender Offizier aller SS-Einheiten. Ich verlangte, mit Himmler zu sprechen, und Kaltenbrunner legte auf. Zu diesem Zeitpunkt wurde ich in Anbetracht all der eingehenden Meldungen wegen der Abwesenheit Himmlers und seiner ständigen Versuche, das Ganze niedrig zu hängen, mißtrauisch. Ich rief Goebbels an, kam aber nicht durch. Ich wollte wissen, ob man ausländische Kommentare über diesen Vorfall hatte. Sobald ich in Schellenbergs Büro kam, merkte ich sofort, daß etwas Seltsames im Gange war. Schellenberg war offensichtlich sehr nervös. Er telefonierte und legte sofort auf, als ich hereinkam. Sie müssen wissen, daß ich ein ausgebildeter Polizist bin. Schellenberg war nur ein armseliger Jurist, Ränkeschmied und Opportunist. Er schwitzte und zerrte an seinem Kragen. Ich fragte ihn, was vorginge. Er war sehr aufgeregt... im besten Fall war Schellenberg ein Trickser... und schaute im Zimmer herum, schaute mich aber nicht an. Er sagte, er wisse nichts von Nachrichten aus dem Ausland. Er sagte aber, er habe direkt von Himmler den Befehl erhalten, sich nicht einzumischen. Er sagte, das gelte auch für mich. Und mit falschem Mut sagte er, man befasse sich an höchster Stelle mit den Vorfällen. Ich erwiderte mit einigem Nachdruck, daß in Sachen Sicherheit ich die höchste Stelle sei. Um seine Reaktion zu prüfen, sagte ich ihm, ich persönlich hätte Hitlers Leibwache und auch die SS-Wacheinheiten in Alarmbereitschaft versetzt und aufgefordert, zum RSHA zu kommen. Ich sagte ihm, daß wir dabei seien, das Gebäude zu bewaffnen. Als ich ihm das sagte, erschrak er richtiggehend und sagte, ich hätte keine Kontrolle über die bewaffneten SS-Einheiten und liefe große Gefahr, Himmlers Befehlen zuwiderzuhandeln. Ich fragte ihn, wo Hitler und Kaltenbrunner seien. Ich sagte, ich wisse, daß

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sie in Berlin seien. Schellenberg begann, sich in seinem Sessel zu winden und sagte, er wisse nicht, wo sich die beiden befanden.

Nun mißtraute ich diesen Gestalten voll und ganz. Ich gab Anweisung, Schellenbergs Telefon sofort abzuhören. Ich vertraute dem mit dieser Aufgabe befaßten Mann. Er sollte mitschneiden und die Berichte sofort zu mir bringen. Und er sollte melden, wenn etwas von Bedeutung gesagt wurde. Nur ich sollte sofort davon unterrichtet werden.

F: Haben Sie vermutet, daß Himmler etwas damit zu tun haben könnte? Daß er in die Verschwörung verwickelt war?

M: Oh ja. Es kam mir von Anfang an in den Sinn. Aber ich mußte sehr vorsichtig sein. Gegen 18 Uhr wurde mir mitgeteilt, das Wachbataillon der Wehrmacht habe das Regierungsviertel umstellt. Ich rief sofort Goebbels an. Ich hatte einige Probleme mit einem Mitarbeiter, kam dann aber durch. Ich sagte Goebbels einiges von dem, was ich wußte. Er unterbrach mich und sagte, er bespreche sich gerade mit dem kommandierenden Offizier des Berliner Wachbataillons, und alles sei unter Kontrolle. Ich konnte feststellen, daß noch weitere Leute im Zimmer waren, und fragte, ob er Hilfe benötige falls er unter Arrest stehe. Wenn dies der Fall wäre, würden wir sofort Truppen schicken.

F: Sie meinen SS-Truppen?

M: Natürlich. Ich hatte keine Macht über die Wehrmacht. Goebbels sagte mir, ich sollte unter keinen Umständen die SS ausrücken lassen. Dies könnte zu ernsthaften Schwierigkeiten führen. Dann versicherte er mir, daß er sicher sei, und daß der Vorgang aufgeklärt werde. Es war mir nicht möglich festzustellen, wo Himmler war, bis

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der Mann, der mit der Überwachung von Schellenbergs Telefon beauftragt war, zu mir kam und sagte, er habe ein Gespräch zwischen Himmler und Schellenberg mitgehört, das ihn vermuten lasse, daß Himmler abwarte, um zu sehen, was sich abspielt. Er erwähnte den Namen König-grätz und fragte, was das bedeute. Außer der Schlacht von 1866 sagte mir das nichts. Er sagte, Himmler habe das Wort Königgrätz mehrmals erwähnt, aber sei offensichtlich in dem, was er sagte, sehr vorsichtig gewesen. Die Mitschnitte sollten so schnell wie möglich fertiggestellt werden. Ich sagte ihm, er möge mich in der Zwischenzeit mit jeder Art von Nachricht auf dem Laufenden halten.

F: Sagte Himmler irgendetwas, das auf Kenntnis des Anschlages hinwies, sagen wir, ehe dieser geschah?

M: Nein, wer sehr tüchtig und Berufspolizist war, glaubte, daß die beiden eine gewisse Ahnung gehabt haben, aber abwarteten. Auch sollte ich erwähnen, daß Schellenberg mir gegenüber abwertend von Himmler sprach. Er sagte, er habe die Waffen-SS gegen Himmlers Befehl alarmiert und fragte sich, ob Himmler ihn ermächtigen würde, mich in Schutzhaft zu nehmen. So ein Unsinn. Himmler war offensichtlich erschreckt und teilte Schellenberg mit, sich mir möglichst fern zu halten und mir nichts zu sagen. Mir was zu sagen? Ich beschloß, mir diese Schlange vorzuknöpfen und ihn zu bearbeiten. Ich befahl einem SS-Offizier, der das Gebäude bewachte, sofort Schellenberg in mein Büro zu bringen. Sie hätten diese Figur sehen sollen, als er hereingebracht wurde. Er hatte Ahnung von geheimen Manipulationen, aber überhaupt keine Erfahrung bei Verhören. Bei verschiedenen Leuten wählt man verschiedene Methoden. Mit dem sprang ich sehr streng um. Ich schickte den Offizier aus dem Raum, nahm einen Stapel Papiere, die vor mir auf dem Tisch lagen und begann, sie

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durchzulesen. Ich schaute auf und ihm geradewegs in die Augen. Er fing an zu toben und sagte, er würde Himmler über meine Behandlung berichten. Dann forderte ich ihn auf, über seinen Anteil in der Sache Königgrätz zu sprechen. Und sofort verließ ihn sein ganzer Kampfgeist. Wenn er zuvor nur Angst gehabt hatte, so war er nun völlig erschreckt. Ich nahm meine Dienstpistole heraus und legte sie vor mir auf den Tisch. Dies erschreckte ihn offensichtlich noch mehr und ich glaube, er meinte, ich würde ihn erschießen.

F: Hätten Sie ihn erschossen?

M: Es wäre voll und ganz auf die Umstände angekommen. Ich zielte jedoch nicht auf ihn. Es diente dazu, meine Strenge zu unterstreichen, wenn Sie mir folgen können. Er sagte, er wisse über Königgrätz nichts, könnte aber den Namen gehört haben. Ich fragte ihn, ob er und Himmler sich darüber vor weniger als einer Stunde unterhalten hätten. Dann natürlich lieferte er Einzelheiten und fing an zu weinen. Auf diese Weise erfuhr ich von der ganzen Sache.

F: Dies wird äußerst aufschlußreich. Ich habe den Namen nie zuvor gehört.

M: In der Tat eine üble Sache, wenn Sie sich das vorstellen können. Es gab innerhalb der SS gewisse Kreise, die Hitler beseitigen und Himmler zum Staatsoberhaupt machen wollten. Diese Verschwörung wurde von Gottlob Berger und einigen Leuten aus der nichtdeutschen SS betrieben. All ihre Verbindungen lagen im Osten..., in Moskau. Ich sagte Ihnen einmal, daß es Stalins Hauptziel war, alle deutschen Industriegebiete vor Ihren Leuten in die Hand zu bekommen. Dies war das Ziel. Abweichler und Verräter in der Wehrmacht waren über Seydlitz und seine Leute angesprochen, sowie sowjetische Agenten im Au-

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ßenministerium angesprochen wurden. Wenn Hitler beseitigt und durch Himmler ersetzt wäre, dann würde ein Verhandlungsfrieden folgen. Himmler wäre dann Staatsoberhaupt, und die SS könnte als bewaffnete interne Polizeieinheit erhalten bleiben. Die Wehrmacht würde sich den Sowjets anschließen und sich gegen jeden westlichen Angriff auf das Ruhrgebiet zur Wehr setzen. Jedermann wäre glücklich. Wie jemand mit der geringsten Ahnung von Stalin einen derartigen Mist glauben konnte, übersteigt mein Fassungsvermögen. Stalin hätte sicherlich Himmler keine sehr lange Herrschaft gegönnt, die SS wäre zerbrochen und die Wehrmacht wäre nach der Erschießung all ihrer aristokratischen Führer bolschewisiert worden. Glauben Sie mir, das wäre auf jeden Fall eingetreten. Und Himmler wußte nicht nur davon, er gab auch seine stillschweigende Zustimmung. Ich erfuhr alles von Schellenberg, dem ich nicht weiter zusetzen mußte. Er hatte viel zu viel Angst, ich würde ihn wegen Verrats erschießen. Und er wußte nicht, woran er war, bis ich ihm sagte, ich würde in diesem Fall erst weitere Schritte unternehmen, bis ich mit Himmler persönlich gesprochen hätte. Zuerst leugnete Schellenberg zu wissen, wo Himmler war. Aber ich überzeugte ihn bald, den ›Reichsheini‹ anzurufen und ihn aufzufordern, sofort zum Prinz-Albert-Gebäude zu kommen. Schellenberg rief dann über eine Leitung an, von der er annahm, sie sei sicher. Es war aufschlußreich, ihm zuzuhören. Wenn er versucht hätte, Himmler zu warnen, hätte ich Gewalt anwenden müssen. Doch dies erwies sich als nicht erforderlich. Schellenberg schlug sich immer auf die Seite des zur Zeit Stärkeren. Ich hatte mehr als Himmler. Ich hatte von der Sache Kenntnis, und das war Macht.

In kurzer Zeit kam Himmler mit großem Gefolge, aber ohne Kaltenbrunner. Himmler war offensichtlich verär-

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gert, daß ich mich in seine Pläne einmischte. Aber vor seinen Mitarbeitern war er freundlich und höflich wie immer. Ich sagte ihm ruhig, ich hätte wichtige Nachrichten für ihn. Staatsangelegenheiten. Er zögerte, ging aber dann selbst in mein Büro. Zuvor hatte ich der Wache mitgeteilt, jeden Begleiter Himmlers aus dem Raum fern zu halten. Schellenberg war ohne Telefonanschluß in seinem Zimmer eingeschlossen. Die Wachposten vor seinem Zimmer hatten den Befehl, ihn bei einem Fluchtversuch zu erschießen. Glücklicherweise unternahm er keinen Fluchtversuch. Nun begann Himmler, mir Vorwürfe zu machen, weil ich die Waffen-SS in Berlin alarmiert hatte. Er unterstrich, er handle auf Befehl Hitlers und versuche, mit allen Mitteln einen Zusammenstoß zwischen der Partei und der Wehrmacht zu verhindern. Er hatte seine Rede gut vorbereitet und machte Anspielungen auf Entscheidungen auf höchster Ebene, die er nicht erörtern könne. Ich deutete auf ein Telefon auf meinem Schreibtisch und sagte ihm, ich hätte gerade persönlich mit Hitler gesprochen und sei über die Vorgänge im Bilde. Daraufhin wurde Himmler bleich und sagte nichts. Sobald ich die Lage kontrollierte, begann ich, ihn zu befragen, natürlich sehr vorsichtig. Ich sagte ihm, daß wohl das Hauptquartier des Ersatzheeres das Zentrum des Staatsstreiches sei, und daß es notwendig sei, es sofort einzunehmen. Ich teilte ihm mit, daß Piffrader noch nicht zurück sei, nachdem er weggeschickt worden war, Stauffenberg zu verhaften. Ich sagte ihm auch, daß ich mit Goebbels darüber gesprochen hatte. Ich sagte ihm weiterhin, daß die Wacheinheiten nun unter dem Befehl Goebbels stünden und bald den Bendler-Block besetzen würden. Die mache die Alarmierung der Waffen-SS nicht notwendig, es sei denn, es lägen Beweise vor, daß sich der Staatsstreich auf Berlin ausdeh-

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ne. Himmler hatte keine andere Wahl, als mir zuzustimmen. Ich sagte, Jüttner sei sehr wohl in der Lage, die Angelegenheit zu regeln. Ich handle selbstverständlich nur in der derzeitigen Lage. Himmler war erneut sehr höflich zu mir und dankte mir für mein schnelles Handeln. Ich konnte jedoch sehen, daß Himmler keinen Zweifel daran hatte, daß der Putsch zum Scheitern verurteilt war.

Mir war nicht klar, was er sonst noch wußte. Er wußte sicherlich, daß die Wacheinheiten eingriffen. Er konnte offensichtlich feststellen, daß die ganze Angelegenheit zum Scheitern verurteilt war. Man hätte denken können, daß Himmler als der Wächter des Staates überglücklich hätte sein müssen, daß das Ganze so schnell ein Ende findet, und daß einer seiner eigenen SS-Generäle, nämlich ich, sich in dieser Hinsicht eingesetzt hatte. Dies war überhaupt nicht der Fall. Er war höflich wie üblich. Aber es war offensichtlich, daß er vom Ausgang der Sache enttäuscht war. An dieser Stelle sagte ich sehr kühl, aber korrekt, ich hätte die Anführer für das Bombenattentat ausfindig gemacht und ich sei zutiefst enttäuscht, daß Angehörige der SS darin verwickelt seien.

F: Ich könnte mir vorstellen, daß Himmler an dieser Stelle genauso erschreckt war wie Schellenberg. Er hatte keine Möglichkeit zu wissen, ob sie wirklich mit Hitler in Verbindung getreten waren, nicht wahr?

M: Nein. Er nahm es an. Die Leute vermuten manchmal vieles zu ihrem Nachteil. Er sah betroffen aus und fragte mich sehr direkt, was ich herausgefunden hätte. Ich brauchte nur Königgrätz zu sagen, und er begann im Gesicht zu zucken. »Ich habe diesen Namen nie zuvor gehört«, sagte er. Ich antwortete ihm, ich hätte die ganze Geschichte vor einer Stunde von Schellenberg erfahren. Ich erinnerte Himmler daran, daß ich ihm einmal gesagt

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hatte, Schellenberg nicht zu trauen. Er fiel sofort ein, um zu erklären, daß er natürlich von Plänen wußte, Hitler zu ersetzen oder mit der einen oder anderen Seite Frieden zu schließen. Er aber habe dafür natürlich nichts übrig. Er habe selbstverständlich zugehört, um zu erfahren, was sich abspielte. Er habe, wie er sehr selbstgefällig sagte, Hitler über das, was vor sich ging, unterrichtet. Hitler habe seine Vorgehens weise gebilligt. Ich wollte dann wissen, warum ich als Chef der Inneren Sicherheit und Gegenspionage darüber nicht unterrichtet worden sei. Himmler rollte mit den Augen und sagte, dies bleibe am besten sehr geheim. Man hätte mich unterrichtet, wenn Himmler alle Beweise in der Hand gehabt hätte. Ja, sagte ich zu ihm, nun habe ich die Beweise von anderen, und dies wirkt sich für eine Reihe von Leuten in der SS-Führung nicht günstig aus. Ich erwähnte Gottlob Berger, den Chef des SS-Hauptamtes und getreuen Gefolgsmann Himmlers. Berger war der Verantwortliche für die Organisierung und Ausrüstung der Waffen-SS.

Ich nehme an, Sie wissen, daß die SS kein Teil der regulären Wehrmacht war, sich selbst versorgen und ihre Leute selbst rekrutieren mußte. Es gab zwei Leute, die für Himmlers Waffen-SS wichtig waren: Pohl, der für die Geldmittel sorgte, und Berger, der die Soldaten rekrutierte..., meist aus Osteuropa, anfangs Volksdeutsche und später dann fast jedermann. Sehr seltsam, Moslems und Hindus in der SS zu finden. Aber Berger hatte Himmlers Zustimmung, glauben Sie mir. Berger selbst war im Ersten Weltkrieg Frontsoldat gewesen, und niemand zweifelte an seiner Tapferkeit, aber in Sachen Politik war er ein richtiger Speichellecker. Er war Himmlers Spion und rannte ständig mit Geschichten, die er von Schellenberg hatte, zu ihm. Berger schrieb auch ständig an diesen oder jenen Offiziellen und bat, kleine Verstö-

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ße gegen die Etikette zu übersehen. Ich sagte Ihnen schon, wie besessen Himmler vom richtigen Gebrauch von Titeln usw. war. Berger war eine Nervensäge..., ein richtiger A...* Himmlers. Aber er war letztendlich ein sehr fähiger Organisator. Ich weiß einiges von Berger.

F: Während des Kriegs oder danach?

M: Während des Krieges. Sie müssen wissen, daß eine Reihe höherer SS-Offiziere der Auffassung waren, daß Deutschland wahrscheinlich den Krieg verlieren würde. Sie dachten an ihr eigenes Reich und möglicherweise ...gegen 1943... beschlossen sie, sich Hitlers zu entledigen und Himmler als Staatsoberhaupt einzusetzen. Sie hatten, wie ich später herausfand, enge Verbindungen zu den kleinen Widerstandsgruppen wie auch zum Feind, im Westen wie auch im Osten. Sie konnten ihre Spuren verdecken, da sie Polizeimacht besaßen. Und ich muß mit einiger Bestürzung sagen, daß ich davon keine besondere Kenntnis hatte. Ich wußte jedoch, wie sie ihr Reich auch nach dem Kriege finanzieren wollten: über die Operation Bernhard.

F: Falschgeld also.

M: Genau das. Das Fälschen britischer und amerikanischer Banknoten diente einem doppelten Zweck. Der erste bestand darin, in beiden Ländern verheerenden wirtschaftlichen Schaden anzurichten, Geld für Spionagemaßnahmen zu haben und etwas für sich zurückzulegen. Ich war deswegen dagegen. Als ich mich bei Himmler früher wegen dieser Bereicherungsabsicht beschwerte, sagte er mir, ich solle mich um meine Angelegenheiten kümmern. Ich frage mich, wieviel er auf die Seite geschafft hatte.

* Hier verwendet Müller einen bayerischen Kraftausdruck.

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F: So viel wie Sie?

M: Sicherlich nicht. Er war imgrunde genommen sehr moralisch und wäre entsetzt gewesen, so viel zu nehmen wie ich. Aber Sie sehen ja, daß ich hier bin, und er irgendwo in den Wäldern. Es ist besser, ein lebender Hund als ein toter Löwe zu sein, meinen Sie nicht?

F: Fahren Sie bitte fort. Haben Sie etwas davon Hitler mitgeteilt?

M: Nein. Es gibt Dinge, die man besser ungesagt läßt. Als ich Berger erwähnte, sagte Himmler, natürlich sehr erregt, er wolle nichts über den wahren Vater der SS und seinen zuverlässigsten Mann hören. Er starrte mich an und sagte, er wünschte sich, daß alle höheren SS-Offiziere loyal seien. Dann sagte er mir, ich unterstände als SS-Offizier seinem persönlichen Befehl und er verbiete mir, diese Sache weiter zu verfolgen. Ich antwortete ihm, daß ich zwar SS-Offizier sei, daß aber meine Dienststelle, die Gestapo, keine SS-Organisation sei, sondern eine staatliche Dienststelle, und daß mein oberster Dienstvorgesetzter in dieser Angelegenheit Hitler sei. Ich erwähnte den erwarteten Anruf aus dem Hauptquartier und sagte zu Himmler, wir könnten mit dem Führer darüber sprechen, wenn er dazu irgendwelche Fragen hätte. Dieser Hinweis besänftigte ihn und er begann den Kopf zu schütteln. Nein sagte er. Wir müssen ihn damit nicht stören. Möglicherweise könnte er es in seinem jetzigen Zustand falsch deuten.

Dann fragte mich Himmler, was ich von ihm wollte. Dies war meiner Meinung nach eine Bestätigung meiner Vermutungen. Er sagte, natürlich habe sich niemand des geringsten Verrates schuldig gemacht. Hitler wisse, daß er in Verbindung mit den Abweichlern stehe, aber es sei besser, Hitler den Krieg führen zu lassen, während er, Himmler, sein getreuer Knappe, an der Heimatfront sei.

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Und natürlich auch an der Front mit der Waffen-SS, die allein den Feind in Schach hielte. Ich antwortete, Schellenberg sei von heiklem Material fernzuhalten, Himmler müsse Berger bremsen und beide, und damit auch Himmler, sollten aufhören, im trüben fischen zu wollen. Es sollte keine weiteren Gnadenakte geben. Himmler verstand sehr gut und bot mir eine Beförderung an. Er regte an, ich könnte Kaltenbrunner als Chef des RSHA ablösen. Ich wurde nie in Versuchung geführt, obwohl eine Beförderung nicht schlecht gewesen wäre. Ich sah das Ende kommen und lehnte den RSHA-Posten ab. Aber ich sagte, ich müsse die Oberkontrolle über alle Nachforschungen haben, weil sonst die falschen Leute herausfinden würden, was ich schon hatte, und dies sei mit ernsthaften Schwierigkeiten für die SS im allgemeinen verbunden: schädliche Tatsachen. Himmler stimmte zu. So kam ich zu einer derartigen Stellung und ich hatte keine weiteren Probleme mit Himmler. Ich fand heraus, daß Arthur Nebe, der Chef der Kripo in die Verschwörung verwickelt war. Es dauerte fünf Monate, aber wir bekamen ihn. Furchtbar schade. Dieser Arthur Nebe war ein derart ungeignetes Stück ..., daß wir ihn am besten in den Zoo verbracht hätten. Berger ging in die Slowakei, um dort einen Aufstand niederzuschlagen, und Kaltenbrunner rannte wie ein dummer Hund, der seinen Schwanz erwischen will, im Kreis herum. Sie haben ihn ja gehängt; er hat es verdient. Kaltenbrunner war ein verrückter, sadistischer und brutaler Mensch, der ein richtiger Mörder von Juden und anderen war. Es war ein Augenblick seltenen Vergnügens für mich... und andere ..., als Pohl ihm ins Gesicht schlug. Ich wollte, ich hätte ein Bild, als Kaltenbrunner weinte und ihm das Blut aus der Nase lief. Pohl zumindest nahm weder am Verrat noch an der

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Selbstbereicherung teil. Sie sollten ihn letztendlich gehen lassen.

F: Darüber habe ich keine Kontrolle. Und Sie wissen das. Schellenberg? Er hat überlebt.

M: Und er behielt auch sein Büro. Aber jedes Mal, wenn ich hineinschaute, um guten Morgen zu sagen, pflegte er bleich wie ein Bettuch zu werden. So lange ich um ihn herum war, zeigte er sich von seiner besten Seite. Skorze-ny, der jetzt für Sie arbeitet, sagte mir, Schellenberg sei ein Insekt, das man zertreten müsse. Der große Otto ist kein schlechter Kerl, aber kaum ein Meisterspion. Er tut, was man ihm sagt. Trotz seiner Neigung, gerne im Mittelpunkt zu stehen, ist er anständig.

F: Über Skorzeny können wir später reden.

M: Dessen bin ich mir sicher. Und ich hoffe, daß Sie die Hände von Schellenberg lassen. Sollte er schließlich für Sie arbeiten, dann könnten vielleicht Otto und ich ihn aus dem Fenster werfen. Und Globocnik können Sie ebenfalls zu dieser Bande rechnen. Nebenbei bemerkt: Nebe mochte Wirth, der jeden vergaste. Wirth befehligte sogar eine der Einsatzgruppen und ließ viele Juden abschlachten. Jene Art von Mensch, aus dem man einen Widerstandshelden macht.

F: Wir wissen alles über Schellenberg. So weit ich im Bilde bin, wird es für ihn bei unserer Dienststelle keine Zukunft geben. Ich stimme Ihrer Beurteilung seiner Person zu. Intelligent, jedoch charakterlos. Ich habe einmal ein Gespräch mit ihm gehabt und ich persönlich habe keine Verwendung für ihn.

M: Wie Warlimont und Berger. Immer flüsternd, immer Ränke schmiedend. Richtige Giftzwerge. Einmal besaßen solche Kreaturen Macht. Sie hungern immer danach, an die Macht zurückzukehren. Kleine Menschen brauchen

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viel Aufmerksamkeit. Was mich anbelangt, so hatte ich mehr Macht als jeder von ihnen, und es war echte Macht. Ich erschien bei feierlichen Anlässen nicht auf der politischen Bühne oder schleppte wie Ribbentrop meinen eigenen Fotografen mit herum. Die wirkliche Macht ist weit wichtiger als Rangabzeichen. Niemand mag Polizisten und niemand wollte mich bei pompösen Treffen dabei haben. Ich war damit zufrieden, meine Zeit mit Arbeit zu verbringen und mein Bestes zu tun, während die früheren Turnlehrer und Schaureiter in ihren Phantasieuniformen herumstolziert sind. Heydrich war ebenfalls von dieser Sorte, doch hatte er zumindest die Intelligenz, um zu wissen, was er tat, und die Fähigkeit, erfolgreich zu sein bei dem, was er tat. Er war ein guter Musiker, ein sehr guter Fechter und flog im Krieg auch für die Luftwaffe. Er war ein sehr schwieriger und oft ein sehr seltsamer Mensch, aber er war nicht wie die anderen. Kaltenbrunner war brutal, auch Bormann war brutal. Bormann war intelligenter und berechenbarer, aber ebenfalls ein Flüsterer. Ich sehe die Sache so: Wir führten einen Kampf auf Leben und Tod gegen schreckliche Feinde. Das Ziel war es, zu gewinnen und unseren Bürgern das Leben und den Besitz zu bewahren. In große Schlösser einzuziehen, in riesigen Autos herumzufahren und was in Sicht war zu klauen - so wie Frank - war sicherlich gegen meine Natur. Wenn es nach mir gegangen wäre, wären alle zu einem Himmelfahrtskommando an die Front versetzt worden.

F: Wie bitte?

M: Draußen an der Front, um die Minenfelder aufzuspüren. Bevorzugt mit den Füßen. Und dann mit einem großen Knall ab in den Himmel. Sie haben wohl keinen militärischen Sinn für Humor?

F: Für diese Art von Humor nicht.

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M: Ich erinnere mich daran, als Warlimont seinen General Müller wegen der Erschießungen von Menschen hinter der russischen Front zu mir schickte. Verbrecher. Ein schleimiger Typ voller schräger Erklärungen. Ich konnte unserem Land helfen, indem ich diese üblen Gestalten hinrichten ließ. Ich hätte sogar befördert werden können, wenn ich und die Gestapo der Wehrmacht helfen würden, einige Unruhestifter zu beseitigen. Ich hatte mit diesem Typ sofort die Schnauze voll, stand auf und sagte ihm sehr direkt, was ich von ihm und seinen Plänen hielt. Ich sagte ihm, ich würde ihn persönlich in den Bau schicken, wenn er oder sein Chef noch einmal auf mich mit solchen verbrecherischen Unfug zukommen würden. Er könnte einen längeren Besuch von Pater Philipp bekommen. Später erhielt ich von Himmler einen Brief: General Müller war so erschreckt, daß er einen Gesundheitsurlaub antreten mußte, und Warlimont jammerte, wie unzivilisiert ich sei. Sie wissen, daß die SS für die Verbrechen der Wehrmacht geradestehen mußte, aber ich persönlich wollte damit nichts zu tun haben. Andererseits eilte Arthur, der hehre Vertreter deutschen Anstandes und von Freiheit, in den Osten, um seinen Anteil an Juden und Bauern umzubringen. Als mich Himmler der Form halber fragte, lehnte ich rundweg ab, und es wurde kein weiteres Wort mehr darüber verloren.

F: Erhielten Sie im Juli von Hitler einen Anruf?

M: Nein, natürlich nicht. Aber Himmler erwartete einen solchen Anruf. Damit hält man Leute auf Zack und man hält sich auch alles offen.

F: Ich meine, Sie haben meine Fragen mehr als ausführlich beantwortet. Danke.

MU 13-75-96: 18; S. 31-33, 36-47, 52-55, 60-67

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Kommentar

Unterlagen, die über den 20. Juli veröffentlicht worden sind, behandeln in erster Linie die Geschichte der Verschwörer. Die Untersuchung ihrer Beweggründe, ihres Hintergrundes und ihrer Taten, die umfangreiche Akten sowie in US-amerikanischen als auch deutschen Archiven füllen, werden weitgehend außer acht gelassen, es sei denn, es geht darum, die Ermittler zu diskreditieren. Da die meisten Berichte in die Hand der Gestapo fielen, haben sich Historiker, die den Verschwörern freundlich gesonnen sind, in ihren Veröffentlichungen darauf beschränkt, für ihr Vorhaben günstige Auszüge auszuwählen, während sie gleichzeitig alles Negative weglassen.

Die Reaktion durch die Gestapo wird nur kurz erwähnt. Hoehne erwähnt in seinem Buch »Order of the Death's Head« (Orden unterm Totenkopf), Müller habe keine Ahnung von dem gehabt, was tatsächlich in Berlin geschah und habe keine Gegenmaßnahmen ergriffen. Er erwähnt die Tatsache, daß Müller erst am Nachmittag des 20. Juli von den Aktivitäten der Verschwörer Kenntnis erhalten habe, obwohl die Bombe schon um die Mittagszeit gezündet worden war. Die Gestapo hatte in ganz Deutschland ein telefonisches Überwachungssystem aufgebaut. Insofern hätten die Gestapo-Techniker von einem sich anbahnenden Aufstand sofort erfahren müssen. Daß erst sechs Stunden nach der Bombenexplosion Gegenmaßnahmen ergriffen wurden, führt Hoehne als Beispiel für die Machtlosigkeit Müllers an. Tatsächlich wurde jedoch, wie der vorliegende Bericht zeigt, Kaltenbrunner schon Minuten nach der Explosion unterrichtet, und knapp eine Stunde später war ein Flugzeug voll besetzt mit Spurensicherungsfachleuten auf dem Weg nach Rastenburg.

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Es sollte festgehalten werden, daß die Verschwörer in Berlin erst tätig wurden, nachdem Stauffenberg zurückgekehrt war. Und auch dann erst nach beachtlichem Drängen und der Falschaussage des Attentäters. Bis in den späten Nachmittag hinein gab es keine Verschwörung, gegen die Gegenmaßnahmen hätten ergriffen werden müssen. Es gab keine Befehle über Fernschreiber und Telefon. Es gab keine unerlaubten Truppenbewegungen in der Hauptstadt. Als der Verschwörungsapparat sich in Bewegung setzte, wurde Müller sofort aufmerksam. Historiker beachten selten Zeitabläufe. Stattdessen konzentrieren sie sich allzugern auf thematische Gliederungen, um sich nicht als bloße Chronisten zu degradieren. Diese Nichtbeachtung der handwerklichen Grundlagen der Historeographie zeigt zuweilen fatale Folgen. 1956 beispielsweise erschien ein Buch, das als Erinnerung des Walter Schellenberg vom SD ausgegeben wurde, unter dem Titel »The Labyrinth« (Das Labyrinth). Es wurde sofort von ernsthaften Historikern als wertvolle Untersuchung über die interne Arbeitsweise des deutschen Geheimdienstes akzeptiert und ausführlich zitiert. Alan Bullock, ein sachkundiger britischer Wissenschaftler, schrieb das Vorwort, in dem er seine Zweifel über die Echtheit des Buches zum Ausdruck brachte. Nach Schellenbergs Tod im Jahr 1952 war ein Manuskript aufgetaucht, das in der Branche für absolut echt gehalten wurde. Schellenbergs Frau, die als Sachverständige auftrat, behauptete, sie habe ihren Mann Monate vor seinem Tod daran arbeiten gesehen. Mitte der 50er Jahre lagen keine umfangreichen oder genauen Untersuchungen gedruckt vor. Was gedruckt vorlag, war größtenteils ungenau, anekdotenhaft und ideologisch verbrämt. Trotz Bullocks sorgfältig geäußerter Zweifel wurde »The Labyrinth« voller Bestandteil der geschichtli-

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chen Überlieferung. Nachdem nun 40 Jahre später Archivmaterial leichter zugänglich ist, ist es offensichtlich, daß Schellenbergs Erinnerungen in die gleiche Reihe wie die Hitler-Tagebücher einzureihen und als Quelle gleichermaßen nutzlos sind. Wenn Berichte über Schellenbergs Tätigkeit veröffentlicht werden, ehe es das fragliche Buch gab, dann wird ausführlich zitiert. Gab es nichts, was zuvor veröffentlicht worden war, dann findet man in diesem Buch nichts darüber. Zur Verschwörung gegen Hitler im allgemeinen und das, was sich am Tag des Putsches in Berlin abgespielt hat, findet man im Buch kein einziges Wort. Weitere historisch wichtige Ereignisse, von denen bekannt ist, daß Schellenberg darin eine wichtige Rolle gespielt hat, fehlen ebenfalls völlig. Der zweifelsfreie Grund: Darüber war vor 1956 nichts veröffentlicht worden. Hätte Schellenberg tatsächlich diese Erinnerungen geschrieben, dann hätte er sich nicht auf die schöpferische Kraft eines anderen Schreibers verlassen müssen, um sich an seine eigenen Erlebnisse zu erinnern.

Es ist äußerst schwierig, etwas über Königgrätz in irgendwelchen Unterlagen zu erfahren. Ein abgestuftes Dokument des CIC (USA) enthält einen kurzen Hinweis darauf. Hoehne hat neben anderen auf Himmlers seltsame Untätigkeit und seinen offensichtlichen Unwillen, in den Stunden unmittelbar nach dem Attentatsversuch Entscheidendes anzuordnen, hingewiesen. Dieses zögerliche Verhalten bei einem Mensch, der normalerweise für sein schnelles Erfassen und Tätigwerden bekannt war, wird im Licht der Müllerschen Ausführungen verständlich.

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