DIE FLUCHT AUS BERLIN

Q: Und nun will ich Ihnen einige Fragen zu Ihrer eigenen Flucht aus Berlin stellen. Wir haben Berichte, daß Sie in den letzten Tagen des Krieges mehrere Dinge gemacht haben. Für unsere Beziehungen ist es sehr wichtig, daß diese Berichte bestätigt werden. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß es notwendig ist, daß Sie auf Ihre Weise berichten. Ich habe nicht die Absicht, Ihnen Leitfragen zu stellen. Vielmehr will ich aber Bericht hören, so wie Sie das Ende erlebt haben. Beginnen Sie bitte zum Zeitpunkt Ihrer Flucht und liefern Sie so viele Details wie möglich. Falls erforderlich, Minute für Minute.

M: Gern, ich mache einige Aufzeichnungen, um mein Gedächtnis hinsichtlich von Tag und Zeit aufzufrischen. Dann beginne ich.

F: Benötigen Sie noch mehr Papier als diesen Notizblock? Ich kann Ihnen das besorgen.

M: Danke. Das reicht.

F: Ich bitte Sie, nun zu beginnen.

M: Wollen Sie, daß wir für eine kleine Mahlzeitunterbrechen?

F: Sind Sie hungrig?

M: Nein. Ich dachte an Ihren Stenograph und an Sie.

F: Ich meine, wir können es noch für eine Weile aushal-ten. Würden Sie nun bitte beginnen?

M: Ja. Lassen Sie mich mit dem Zeitpunkt beginnen, als ich aus Berlin floh. Ich habe das Gebiet um die Reichskanzlei am 29. April sehr früh verlassen und eine Luftwaffenuniform angezogen. Ich gab mich als Major der Luftwaffe im Dienste des Luftfahrtministeriums und Fachmann für

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leichte Flugzeuge aus. Ich konnte das machen, da ich Kenntnisse im Fliegen wie auch in der Wartung habe. Was das Technische anbelangte, so hatte ich nicht die Absicht, selbst zu fliegen und hatte auch schon einen Piloten. Er war SD-Offizier und diente in der Luftwaffe. Er kannte sich sehr gut in allen modernen Flugzeugen aus. 1944 sprach ich zum ersten Mal mit ihm über diesen Plan. Er war ganz und gar einverstanden, mir zu helfen. Eine Zeitlang hatte ich ihn eingesetzt, um Agenten in die Schweiz zu bringen und aus der Schweiz wieder herauszuholen. Er haftete persönlich für diese Aufträge. Obwohl wir Agenten über verschiedene öffentliche Straßen einschleusen konnten, war es manchmal besser, nicht die Grenzkontrollen zu passieren. Dieser Mann legte die Strecken fest und flog die Leute an ihr Ziel. Zu dieser Zeit wollte ich nicht direkt in die Schweiz fliegen, weil eine deutsche Maschine, die in den Schweizer Luftraum eindringt, Probleme bekommen hätte, wenn sie von den Schweizern oder irgendjemand anderem entdeckt worden wäre. Es war daher besser, kurz vor der Grenze zu landen und die Grenze zu Fuß überschreiten. Der Pilot...

F: Könnten Sie bitte seinen Namen nennen?

M: Nein. Er hat mir einen großen Dienst erwiesen und ich habe keinen Grund, ihm Schwierigkeiten zu machen. Lassen Sie mich bitte fortfahren.

F: Natürlich.

M: Er hatte einen »leichten Storch« organisiert, ein leichtes Verbindungs- und Kurierflugzeug, das nach 50 Metern abheben konnte und sehr zuverlässig war. Auch konnte es in einem Bereich von 130 m landen. Er hatte einen Storch häufig benutzt. Er war sehr zuversichtlich, daß der Storch genau das war, was wir brauchten. Dieses Flugzeug hatte Platz für zwei Personen und etwas Raum für Gepäck. Es

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hatte auch Funk. Dieser Storch war Teil des Flugzeugparkes für den Reichsführer SS. Das Flugzeug befand sich nicht die meiste Zeit in Berlin. Daher mußte es organisiert und in Bereitschaft gehalten werden. Technisch gesehen war es in erstklassigem Zustand, und wir hatten mehr als genug guten Treibstoff, um durchzukommen. Wir hatten sogar noch Reservetreibstoff. Das gab uns eine Reichweite von 1000 km, obwohl die genaue Luftlinie nur 750 km betrug. Wir hatten also für alle Notfälle eine Treibstoffreserve. Zu diesem Zeitpunkt nun schlössen die Russen das Regierungsviertel ein und kämpften auf der Südseite der Spree beim Reichstagsgebäude.

Wir starteten gegen 23 Uhr von einer Straße im Tiergarten, und dies war, im Rückblick, der schlimmste Teil des Fluges. In diesem Gebiet fanden heftige Kämpfe statt und es schlugen Granaten ein, so daß wir nicht sicher waren, ob wir nicht getroffen werden würden oder die Straße im letzten Augenblick vor uns aufreißen würde. Die Stadt lag durchweg im Dunkeln, aber im Norden und Süden brannte es, so daß der Himmel etwas erleuchtet war. Der Pilot kontrollierte die Straße, und einige Soldaten fragten ihn, was er mache. Der Pilot konnte gut reden. Er brachte einige Soldaten dazu, einen umgestürzten Baum zur Seite zu schaffen, und dann starteten wir. Dies war sicherlich der gefährlichste Augenblick. Das Flugzeug stieg schnell hoch, und wir waren umgehend über den Bäumen. Als wir an Höhe gewannen, konnten wir die Kampfhandlungen genau unter uns sehen. Wir sahen das Aufblitzen der Kanonen und hörten das Geräusch über der Maschine, nahmen jedoch überhaupt keinen Schaden. Im Storch muß der Fluggast unmittelbar hinter dem Piloten sitzen. Die Fliegerkanzel ist so angeordnet, daß man sehr leicht hinunterschauen kann. Hier und da brannte es, und starke

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Rauchschwaden stiegen nach oben. Aber wir erreichten bald ausreichend Höhe und schafften es, meist über dem Rauch zu bleiben. Die zweite Sorge neben Artilleriebeschuß galt sowjetischen Flugzeugen. Es gab schon eine Weile keine Bombardierungen Berlins mehr, weil die Russen schon in der Stadt kämpften. Amerikaner und Briten störten sich bisher daran nie, wenn sie ihre Bomben abwarfen. Zweifelsohne hatte man sich nun darauf geeinigt, keine Angriffe mehr zu fliegen. Es ginge nicht an, einige Russen zu töten. Nun wünschen sie sicherlich, sie hätten Moskau bombardiert und dies dann einen Pilotenirrtum genannt. Wir flogen nach Südwesten, um von der Stadt wegzukommen. Ich kann mich erinnern, daß ich aus dem Flugzeug rechts von uns eine Staffel von drei russischen Jägern unter uns sah. Sie flogen nach Norden. Sie waren nur Schatten gegen das Licht der Feuerbrände. Dies waren die einzigen Flugzeuge, die wir auf unserem Flug sahen, aber es war dennoch nicht angenehm ihnen zu begegnen. Wir mußten zunächst nach Südwesten und dann nach Süden fliegen, in Richtung Beelitz. Von Beelitz aus flogen wir dann auf Chemnitz zu. Unter uns befanden sich schon Russen, und unsere nächste Sorge galt einer Notlandung. Glücklicherweise trat dieser Fall nicht ein. Von Chemnitz aus flogen wir direkt nach Salzburg. Am Himmel kamen Wolken auf. Aber wir flogen darüber hinweg. Es war unmöglich, während der ganzen Zeit den Boden zu sehen, und natürlich wurden alle Lichter, so lange wir über deutschen Boden flogen, ausgemacht. Den ganzen Weg über wurde nur nach den Instrumenten geflogen. Der Pilot verstand russisch und englisch und hörte fast die ganze Zeit über den Funkverkehr mit. Ab und zu drehte er sich zu mir um und berichtete mir, was er mitgehört hatte. Es waren nur schlechte Nachrichten,

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aber nichts über Flugverkehr. Es gab auch keine Hinweise, daß die Amerikaner unterwegs waren.

Als wir weiter in Richtung Süden flogen, hörte er weiterhin ihre Wellenlänge ab, um festzustellen, ob es irgendwelche Funkverbindungen zwischen Flugzeugen gab. Dies war nur einmal der Fall; es war aber nichts Wichtiges. Bei Salzburg drehten wir nach Südwesten in Richtung Innsbruck und dann weiter westlich in Richtung Schweiz.

F: Welcher Teil der Schweiz?

M: Die Ostgrenze. Der Himmel wurde im Osten hell, über der Landefläche gab es keine Wolken. Einige Zeit zuvor waren dort die Bäume gerodet worden. Der Landeplatz befand sich fünf Kilometer vor der Grenze. Die einzige Möglichkeit dorthin zu gelangen, war durch die Luft und nur mittels Hubschrauber, von denen wir einige hatten, oder eben mit einem Storch. Der Pilot wollte landen. Daher setzte er etwas nach 4 Uhr in der Frühe die Landungslichter. Nach der Landung stieg ich nach ihm aus, und wir schoben das Flugzeug erst unter die Bäume und dann in einen Schuppen, der schon früher für solche Fälle errichtet wurde, als der Pilot noch Agenten in die Schweiz schmuggelte. Dann tauschten wir unsere Luftwaffenuniform gegen Zivilkleidung ein. Ich hatte Ausweispapiere für uns beide, aus denen hervorging, daß wir Schweizer seien. Der Pilot konnte auch Schweizerdeutsch sprechen, eine Mundart, die schwer zu meistern ist. Er sollte daher im Bedarfsfall das Reden übernehmen. Zudem hatte er vor dem Krieg im Land gelebt.

F: War er Schweizer?

M: Nein. Er war Sachse. Aber Sie hätten es nie gemerkt, wenn Sie ihn mit einem Schweizer sprechen gehört hätten. In einem kleinen Schuppen unter den Bäumen hatte er ein Motorrad mit Beiwagen abgestellt; es hatte Schwei-

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zer Kennzeichen. Wir luden das Gepäck in den Beiwagen. Mit mir auf dem Rücksitz ging es dann durch den Wald. Es war eine höchst interessante Fahrt über die Grenze und dann den Berg hinab. Es war eine Schmugglerstraße. Man konnte sie aus der Luft nicht sehen und selbst nicht, wenn man daraufstand. Der Pilot hatte die Fahrt rauf wie runter schon einige Male gemacht. Ich würde es nie allein versuchen wollen, es sei denn ich wäre verrückt. Schließlich kamen wir auf eine Kreisstraße, und das Problem war gelöst. Ich bemerkte, daß sehr wenige Leute unterwegs waren. Als ich dies erwähnte, sagte der Pilot: ›Sicher, Herr General, heute ist ja auch Sonntag! ‹ Ich hatte damals völlig das Zeitgefühl verloren. Es mutete seltsam an, durch Dörfer zu fahren, die keine Bombenschäden hatten, und in denen es keine Soldaten gab. Als ich mich später daran gewöhnte, erschien es mir noch seltsamer, keine Luftsirenen sowie das Fallen von Bomben in der nächsten Stadt zu hören.

F: Würden Sie bitte sagen, wo Sie waren?

M: Der Pilot besaß an einem großen See ein kleines Haus. Es war nicht allzu weit von Vaduz (Lichtenstein, d. Verf.) und dem Bodensee weg. Schauen Sie auf der Karte nach. Nach all dem schlief ich zwei Tage durch.

F: Haben Sie versucht, mit jemandem in Deutschland Verbindung aufzunehmen?

M: Nein. Ich machte mir große Sorgen um meine Familie, aber nach etwa einem Monat erfuhr ich, daß sie wohlauf waren. Natürlich konnte ich nicht direkt mit meiner Familie in Verbindung treten. Zudem war ich ja, wie Sie wissen, offiziell tot.

F: Ich habe das Grab gesehen.

M: Haben Sie Blumen niedergelegt?

F: Nein. Liegt denn irgendjemand im Grab?

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M: Ich bin mir nicht sicher. Ich meine ja. Vielleicht sollten Sie das Grab aufmachen und nachsehen, ob ich wirklich tot bin. Vielleicht haben wir dort zum Schluß Bormann ... nach seinem letzten Weg vom Bunker begraben.

F: Ich halte das Ganze nicht für humorvoll.

M: Ich auch nicht. Und ich bin mir sicher, daß Bormann dies auch nicht als humorvoll angesehen hätte. Sie wissen, daß wir Deutschen für unseren Galgenhumor bekannt sind. Aber wenn Sie meinen, ich sei ein spaßiger Geselle, dann hätten Sie hören sollen, was der Pilot zu sagen pflegte.

F: Lieber nicht.

M: Das meine ich auch.

F: Wir können die Genauigkeit Ihrer Angaben, die Sie über Ihre Reise gemacht haben, nachprüfen. Ohne den genauen Landeort, den Namen des Piloten oder dem genauen Zielort müssen wir möglicherweise weitere Nachforschungen anstellen. Es gibt Gerüchte, daß Sie Berlin mit einem Vermögen an Gold und Edelsteinen verlassen hätten. Ist da was Wahres dran?

M: Nein. Fegelein hatte eine solch große Tasche mit solchen Dingen. Ich nicht. Die Aktentasche, die mir Hitler zum Schluß übergab, war voller Schweizer Banknoten; kein Gold, keine Juwelen.

F: Viel Geld?

M: Ja. Und natürlich habe ich eine sehr beachtliche Geldsumme bei den sicheren Schweizer Banken; einiges davon ist ein Geschenk Hitlers, das meiste ist von mir. Manchmal muß man gewisse Kompromisse eingehen. Ich mußte einen Großteil der Bernhard-Gewinne Bormann und seinen Freunden abnehmen und mir nützlich machen. Ich brauche auf keinen Fall Geld von Ihnen oder irgendjemandem anderen.

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F: Gab Hitler Ihnen noch etwas, als sie ihn zum letzten

Mal sahen?

M: In der Aktentasche waren Bündel mit Schweizer Franken, eine Schachtel mit einem sehr hohen Orden, ein persönlicher Brief von Hitler, in dem er mir für meine Treue dankte und mit dieser Auszeichnung bedachte. Es war die höchste Auszeichnung, die er zu vergeben hatte.

F: Das Ritterkreuz?

M: Nein, nein. Das war eine militärische Auszeichnung. Diese Auszeichnung nannte man den Deutschen Orden, und nicht einmal Göring oder Himmler besaßen ihn.

F: Haben Sie ihn noch?

M: Ich habe ihn in den See geworfen. Natürlich habe ich ihn noch; auch Hitlers Brief. Und sein silbern eingerahmtes Bild. Auch habe ich einige Bilder meiner Familie.

F: Wäre es möglich, den Brief Hitlers zu sehen?

M: Nein. Dies ist eine persönliche Angelegenheit.

F: Haben Sie während Ihres Aufenthaltes in der Schweiz Verbindung zu Gestapo-Agenten gehabt?

M: Vielleicht.

F: Haben Sie seit Ihrer Ankunft in der Schweiz das Land je verlassen?

M: Nein. Ich zog es vor, mich ruhig zu verhalten und ein friedliches Leben zu führen.

F: Es wird berichtet, man habe Sie in München gesehen. Waren Sie nach dem Krieg je wieder in München?

M: Ich sagte, ich habe das Land nie verlassen, und München liegt in Deutschland.

F: Haben Sie jemals mit jemandem vom sowjetischen Geheimdienst gesprochen?

M: Mehrmals. Wenn sie inhaftiert waren. Aber nicht mehr seit dem Krieg. Vermutlich wollen sie jetzt mit mir

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sprechen, aber ich glaube nicht, daß dies geschehen wird, nicht wahr?

F: Hoffentlich nicht. Vielleicht habe ich später noch einige Fragen zu Hitlers* Flucht. Sind Sie bereit, dies mit jemand anderem zu erörtern? Es steht im Bericht, wie Sie wissen. In diesem Bericht.

M: Ich werde all das wiederholen, was in diesem Bericht steht. Aber ich habe nicht die Absicht, Ihren Leuten zu helfen, Hitler aufzuspüren. Dies können Sie sich aus dem Kopf schlagen. Sie haben mich verstanden?

F: Wir hatten gehofft.

M: Nein. Und erzählen Sie mir bitte nicht, der amerikanische Geheimdienst sei überrascht zu erfahren, daß Hitler verschwunden ist. Ich weiß genau, daß Ihre Leute herumschnüffeln und nach ihm suchen. Sie würden Ihre Zeit nicht verschwenden, wenn Sie wüßten, daß er tot ist, nicht wahr?

F: Es gibt da Gerüchte....

M: Würden Sie ihnen nicht glauben, "würden Sie nicht nach ihm suchen, nicht wahr?

F: Diese Gerüchte müssen überprüft werden. Sie wissen, daß auch die Russen nicht glauben, daß er in Berlin gestorben ist...

M: Glauben Sie, was ich gesagt habe?

F: Ja. Wir wollen indes weitere Hinweise. Vielleicht Spanien...

M: Vielleicht können die Russen nach Madrid fliegen und zu Franco sagen: Wir suchen nach Hitler. Helfen Sie bitte? Und das wäre das Letzte, was man von diesen Russen hören

* Anm. des Verlages: vgl. Vorwort zur deutschen Ausgabe.

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würde. Wahrscheinlich würden sie dann als Dünger für Apfelsinenbäume enden. Und wäre ich Sie, dann würde ich dieses Spielchen auch nicht versuchen, oder sie könnten in einem Grab unter einem Apfelsinenbaum enden.

F: Nun, ich meine, wir haben das so weit wie möglich durchgesprochen. Ich rege an, daß wir jetzt, wie zuvor vorgeschlagen, etwas essen. Wir können damit beginnen zu umreißen, wie wir Ihre Rolle in unserer Organisation sehen.

M: Sind Sie auch dazu voll ermächtigt?

F: Ja. Natürlich müssen Sie zuerst noch mit mehreren Leuten zusammentreffen, aber der Vertrag ist von vorn herein beschlossen. Wenn Sie ihn wollen.

M: Es ist etwas über die Nutzung meiner Fähigkeiten für ein höheres Ziel zu sagen, aber jetzt ist essen wichtiger. Aufgeschoben, ist nicht aufgehoben, wie Sie wissen.

MU 13-75-96: 16; S. 37-42

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