ROGER CASEMENT

Der irische Diplomat Roger Casement hatte keinerlei Verbindung mit dem Dritten Reich, aber in diesem kurzen Exkurs erörtert Müller am Beispiel Casements die Machenschaften des britischen Geheimdienstes, die schließlich zur Hinrichtung von Casement während des Ersten Weltkrieges führten.

F (= Fragesteller): Unabhängig von den offensichtlichen Fälschungen im Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand meinen wir, daß die Gestapo eine wirksame Fälscherwerkstatt betrieb, in der sie recht ordentliche sowjetische Dokumente und Ausweispapiere herstellte. Ist das zutreffend?

M (= Müller): Ja. Obwohl die Anfangsversuche nicht besonders gut waren, und Agenten gefangen genommen wurden, wurde diese Abteilung in der Tat sehr tüchtig.

FC: Stehen diese Fachleute zur Zeit zur Verfügung?

M: Von einigen weiß ich das, aber von den anderen... Wer weiß?

F: Könnten Sie für mich weitersuchen?

M: Ja, aber Krichbaum* wäre für Sie eine bessere Quelle.

F: Haben Sie Beispiele dieser Arbeiten in Ihren Unterlagen? Siegel und Muster z. B.?

* SS-Oberführer Willi Krichbaum war Müllers Stellvertreter im KSIIA. Er befehligte auch die Geheime Fcldpolizei . Nach dem Krieg arbeitete Krichbaum für Reinhard Gehlen als Hauptanwerber für Agenten. Seine Dienststelle befand sich in Bad Reichenhall. Krichbaum brachte seinen ehemaligen Chef in direkte Verbindung mit dem CIA.

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M: Nein. Ich habe das nicht für wichtig gehalten. Ich habe Originalpapiere in meinen Unterlagen. Da ist eine Ausnahme und diese hat eine besondere Geschichte.

F: Im Zusammenhang mit den Sowjets?

M: Nein, mit den Briten. Interessiert Sie das?

F: Das kommt darauf an.

M: Nur historisches Interesse, aber etwas jüngste Geschichte, die Sie etwas aufklären könnte.

F: Sie haben eine Art an sich, mich zu Fragen zu ermutigen...

M: Natürlich können wir dies auslassen, wenn Sie wollen.

F: Nein, offensichtlich nicht. Ich fühle, daß es wichtig ist. Fahren Sie bitte fort.

M: Wir haben von einem Schweizer eine Nachricht erhalten, daß die Briten an einen Verbrecher, einen Fälscher, namens Zwinglemann, der in der Nähe von Chur lebt, herangetreten sind, damit er deutsche Papiere fälschen soll. Die Schweizer hatten daran kein Interesse und verkauften uns die Nachricht. Wir ließen den Mann in seinem Haus beobachten, bis wir britische Agenten ausmachten, die kamen und gingen. Er lebte abseits von den anderen Leuten....

F: Haben Sie den Ort gesehen?

M: Nein. Nur Bilder. Da die Briten genauso pünktlich sind wie Schweizer Uhren, entschlossen wir uns, ihm einen Besuch abzustatten, um zu sehen, was über die Bühne ging. Er verließ selten das Haus. Einmal in der Woche kam eine Reinemachefrau. So bereitete es nur wenig Schwierigkeiten hineinzukommen. Dieser Mann war in der Tat ein Fachmann. Das kann ich Ihnen sagen. Ein ganzes Stockwerk im Haus war seinem Beruf gewidmet: erstklassiges Fälschen. Meine Fachleute sagten mir, der Mann sei ein Genie.

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F: War?

M: Ja. Er lebt nicht mehr.

F: Zu schade. Wir hätten ihn gebrauchen können.

M: Ich glaube nicht. Er war zu sehr den Briten verpflichtet, um für Sie oder .... uns zu arbeiten. Wir stellten das sehr früh in unserem Gespräch mit ihm fest. Dieser Mann lebte vor 1914 in England. Er hatte ein ausgezeichnetes Einkommen, in dem er Testamente fälschte. Er arbeitete für einige sehr bekannte britische Bevollmächtigte. Ich meine, man nennt sie irgendwie anders...

F: Vielleicht Rechtsanwälte.

M: Ich glaube ja. Er hatte in seinem Geschäft großen Erfolg. Dann kam der Krieg, und er erhielt Besuch vom britischen Geheimdienst. Er war auch ein As in deutscher Schrift, und so heuerte man ihn an. Einer dieser Anwälte war in der Marineabwehr tätig und meinte, dieser Fachmann könnte die britische Sache voranbringen. Kommen wir zu ihm zurück. Sein Haus wurde fünf Stunden lang von vier richtigen Fachleuten durchsucht. Sie fanden eine Menge Unterlagen, an denen er arbeitete. Und ich meine, es könnte Sie interessieren zu erfahren, daß er neben den Unterschriften höchster deutscher Regierungsbeamter auch die Unterschriftsmuster einiger hoher amerikanischer Abwehrleute und Diplomaten parat hatte. Nicht zu vergessen das Originalpapier verschiedener Dienststellen. Er hätte mit seinem Vorrat ein Papier- und Schreibwarengeschäft aufmachen können. Die Dokumente, an denen er zur Zeit unseres Besuches arbeitete, handelten von der angeblichen deutschen Entwicklung von Giftgasen, die an KZ-Häftlingen ausprobiert werden. Natürlich falsch, aber für unsere Fachleute recht überzeugend. Die Briten bezahlten ihn sehr gut.... mit britischem Pfund.

F: Blüten?

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M: Nein. Echtes Geld. Dieser unglückliche Mann war über sein Handeln so erschreckt, daß er meinen Männern entkam und in den Wald hinauslief.

F: Entkam er?

M: Das hängt von Ihrem religiösen Standpunkt ab. Er fiel in einen trockenen Brunnenschacht und brach sich das Genick. Es war dunkel, und zudem paßte er nicht auf.

F: In einen Brunnenschacht? Kommen Sie mir bitte nicht damit. Sie brauchen bei mir nicht auf begriffsstutzig zu machen.

M: Auf jeden Fall war er tot. Sie durchsuchten das Haus bis Sonnenaufgang, glaube ich. Und sie fanden einen höchst aufschlußreichen Pack an Dokumenten, den der Fälscher versteckt hatte. Kurz darauf kam überraschend ein Mann. Es stellte sich heraus, daß er Brite war. Wir hatten ein angenehmes Gespräch unter Fachleuten. Aber wie sein Freund zuvor rannte auch er in den Wald hinaus und, ob Sie es glauben wollen oder nicht, er fiel in den gleichen Brunnen.

F: Sind Sie irgendwie mit Hans Christian Andersen* verwandt?

M: Ich war gar nicht dort. Die Reinemachefrau brauchte diese Woche nicht kommen, da wir alles, was wir fanden, wegschafften. Die dort tätige Gruppe verhielt sich korrekt. Sie reinigte das Haus und füllte sogar den alten Brunnenschacht aus, so daß niemand mehr hineinfallen konnte. Die Briten waren verständlicherweise sehr aufgebracht, insbesondere weil sie sehr schlecht gefälschte Papiere über Ihre Leute erhielten.

* Christian Andersen - dänischer Märchenerzähler.

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F: Sie könnten das mit jemand anderem erörtern wollen. Was für eine Überraschung wollten Sie mir unter die Nase halten?

M: Haben Sie jemals vom »Schwarzen Tagebuch« gehört?

F: Nein.

M: Es handelte sich um ein schmutziges und belastendes Tagebuch, das vom irischen Diplomaten Roger Casement stammen soll. Kennen Sie die Geschichte?

F: Ah, diese. Die Briten haben ihn 1915 hingerichtet, nicht wahr?

M: 1916. Wegen Hochverrats. Dem Inhalt der Dokumente zufolge hatte unser Schweizer Fachmann auf besondere Anordnung des britischen Kapitäns Hall* ein ziemlich umfangreiches Werk erstellt, dessen einzige Absicht es war, den Iren in Verruf zu bringen. Er wurde schwuler Handlungen mit jungen Negern beschuldigt.

F: Ich habe einiges über Casement gehört, aber nicht sehr viel. Hat dieser Mann die Tagebücher gefälscht?

M: Ja. Ich meine, er wollte nicht der Bewahrer solch schmutzige Geheimnisse sein und so bewahrte er alle britischen Muster der Originalhandschrift Casements sowie ein Doppel des von ihm gefertigten Tagebuches auf. Und es gab einige weitere offizielle britische Dokumen-

* Kapitän Rcginald Hall, später Konteradmiral, wurde im Oktober 1914 zum Direktor der britischen Marineabwehr ernannt. Er war ein glänzender, aber auch völlig unmoralischer Abwehroffizier. Und im Verlauf des Krieges diktierte er in der Tat die britische Marinepolitik. Hall, der bis zu einem gewissen Grad skrupellos war, wird als die treibende Kraft hinter dem gefälschten Casement-Tagebuch angesehen.

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te. Aus ihnen ging hervor, was er für sie gemacht hatte. Es war klug, daß er sie behalten hatte. Und er muß es ihnen gesagt haben, weil er nach seiner Arbeit schließlich nicht in England in einen Brunnen fallen wollte. Dieses Paket war eine Art Versicherung. Es mag ihn vor den Briten geschützt haben, aber nicht vor uns. Diese Information hatte damals für uns einen gewissen Wert, da sie uns half, irische Aufständische zu überzeugen, für uns zu arbeiten. Aber ich hatte nie die Möglichkeit, viel daraus zu machen.

F: War Casement schuldig?

M: Pervers zu sein? Wahrscheinlich nicht. Ist es nicht seltsam, daß Leute gewöhnlich ihre Feinde ihrer eigenen Schwächen beschuldigen?

F: Sie wollen doch damit nicht sagen, daß Kapitän Hall schwul war?

M: Ich weiß nicht. Wie Sie wissen, ist eine große Anzahl von Engländern aus der Oberschicht schwul. Das kommt daher, weil sie jahrelang auf Knabenschulen gehen. Habe ich Sie gut mit meiner Geschichte unterhalten?

F: Es wäre unterhaltend, wenn ich etwas mehr darüber wüßte. Ja, Sie haben mich unterhalten. Erinnern Sie mich daran, nicht mit Ihnen im Wald spazieren zu gehen.

M: So viel Mißtrauen seitens meiner neuen Mitarbeiter!

F: Sie scheinen Wanderungen im Wald zu mögen...

M: Globocnik. Ja. Die Wälder gehen auf die Zeit des kommunistischen Aufstandes nach dem Krieg in München zurück. Viele ihrer Mörder..., der Kommunisten.., gingen in den Wäldern um München spazieren. München als Großstadt hat einige sehr dichte und selten besuchte Wälder. Ich weiß mit Sicherheit, daß Kommunisten in jenen Tagen benutzt wurden, um die Kiefern zu düngen.

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Daher kommt dieses kleine Gleichnis. Wenn Sie sich um das Wasser sorgen, dann können Sie ja einen Filter kaufen.

MU 13-75-96: 15; S. 44-46

Kommentar

Sir Roger Casement wurde am 1. Sept. 1864 in der Grafschaft Dublin in Irland geboren. Obwohl er aus einer protestantischen nordirischen Familie stammte, hatte er für die irische Nationalistenbewegung, die einen irischen Staat errichten wollte, der frei und unabhängig von der politischen und militärischen Kontrolle der Briten war, Sympathien. Als Diplomat im Dienst der britischen Regierung erwarb sich Casement große Anerkennung, indem er die zahlreichen Grausamkeiten der Belgier gegenüber den Eingeborenen in ihrer Kongo-Kolonie aufdeckte. Dies zwang die Belgier schließlich, ihre Kolonialverwaltung zu reformieren. Als er als Diplomat in Brasilien war, entdeckte er eine ähnliche mörderische Tätigkeit der Brasilianer im Flußgebiet des Putymayo. Dafür erhielt er den Sir-Titel. Aus Gesundheitsgründen zog sich Casement aus dem Dienst des Außenministeriums zurück. Er schloß sich der irischen Unabhängigkeitsbewegung an und gründet die ›Irish National Volunteers‹ (Nationalirische Freiwillige). Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ging Casement im November 1914 nach Deutschland und versuchte, deutsche Unterstützung für einen irischen Aufstand gegen die Engländer zu erhalten. Die Deutschen waren nicht bereit, bei einem solchen Abenteuer mitzumachen, und Casement kehrte am 12. April 1916 mit einem deutschen U-Boot nach Irland zurück. Es war Case-

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ments Absicht, die irischen Nationalisten vom bevorstehenden Osteraufstand abzubringen. Aber er wurde eine Woche später von den Briten in Irland festgenommen und nach London verbracht. Dort wurde er unter barbarischen Bedingungen eingekerkert und brutal mißhandelt, bis ihm der Prozeß gemacht wurde. Er wurde für schuldig befunden und zum Tod durch Hängen verurteilt. Internationale Versuche, eine Begnadigung Casements wegen seiner früheren humanitären Taten zu erreichen, schlugen fehl, als der britische Geheimdienst plötzlich Tagebücher herausbrachte, von denen behauptet wurde, Casement habe sie geschrieben. In diesen fanden sich die angeblichen homosexuellen Handlungen in allen Einzelheiten. Casement wurde am 3. August 1916 gehängt. Der Osteraufstand der Iren wurde schließlich von der britischen Armee mit äußerster Grausamkeit niedergeschlagen. Man ging gleichermaßen gegen Aufständische wie gegen die Dubliner Bevölkerung vor. Zwölfjährige Knaben wurden wegen Verletzung der Ausgangssperre gehängt. Unbewaffnete Zivilisten, darunter Frauen, wurden von den Besatzungstruppen in den Straßen erschossen oder mit dem Bajonett niedergemetzelt. Einer der Anführer des Aufstandes wurde sterbend aus seinem Kerker geholt, gestreckt und dann von einem Kommando erschossen. Dies war eine äußerst schmutzige Episode in der Geschichte eines Landes mit einer offiziellen Politik, die sich in zahllosen historischen Beispielen ähnlicher Unterdrückungsmaßnahmen wiederspiegelt. Anzumerken ist noch, daß sich das Ganze nicht in irgendeinem entfernten und unbeobachteten Teil von Afrika oder Asien abspielte, sondern innerhalb der Grenzen eines eigentlich zivilisierten Englands. Und die Maßnahmen waren gegen weiße Christen gerichtet.

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Die Frage nach der Echtheit der Tagebücher tauchte sofort auf und führte auf beiden Seiten zu großer Parteilichkeit. 1959 hat die britische Regierung die Tagebücher für eine Untersuchung durch Wissenschaftler freigegeben. Es war voraussehbar, daß probritische Wissenschaftler die Tagebücher für echt erklären, während andere die entgegengesetzte Meinung vertreten würden.

Im Februar 1965 wurden die sterblichen Überreste Casements nach Irland überführt und in einem Staatsbegräbnis beigesetzt. Präsident Eamon de Valera hielt die Grabrede. Im Licht der Müllerschen Kommentare zu den Tagebuchfälschungen, die sich noch immer bei seinen Unterlagen befinden, sowie in Verbindung mit Halls anderen Taten ähnlicher Art in seiner Zeit als Chef der britischen Marineabwehr, kann die Fälschung der Casement-Tagebücher kaum noch angezweifelt werden.

Quellen: The Accusing Ghost or, Justice for Casement» (Der anklagende Geist oder Gerechtigkeit für Casement), Alfred Noyles, 1957; The Black Diaries» (Die schwarzen Tagebücher), Peter Singleton-Gates & Maurice Girodias, 1960; Lusitania, Colin Simpson, 1972; Rebels (Rebellen), Peter de Rosa, 1990.

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