HENRY AGARD WALLACE
Aus sowjetischen Quellen, die sich Müller nutzbar gemacht hatte, kannte er Organisationsstrukturen des sowjetischen Agentenringes in den USA und in England. Diese Listen waren nicht vollständig, da Müller nur eine Quelle zur Verfügung stand, die über besondere Kenntnisse der sowjetischen Tätigkeit in den beiden Ländern verfügte; seine Auskünfte waren demzufolge nicht vollständig. Müller verarbeitete Hinweise aus anderen deutschen Dienststellen und war so in der Lage, zusätzlich Daten zu ergänzen, bis er schließlich einen verhältnismäßig klaren Überblick bekam.
Eine der aufschlußreichsten amerikanischen Persönlichkeiten, die darin verwickelt war, war Henry Wallace, Roosevelts Vizepräsident.
F.: War jemand von diesen Personen in der Tat Agent oder gab es nur reine Sympathisanten?
M.: Oh nein. Lassen Sie mich sehr deutlich werden. Wir sprechen über echte Agenten, die Moskau entweder direkt oder über die Kommandostruktur des Spionagenetzes Bericht erstattet haben.
F.: Sie kennen also Namen?
M.: Wie ich schon sagte, ich kenne Namen.
F.: Wie steht es mit den Beweisen?
M.: In den meisten Fällen besteht der Beweis....meist in Mitschnitten von Funkmeldungen und Briefpost, die über die Schweiz und Schweden lief; z.T. auch über Portugal und Spanien. Es handelt sich, so meine ich, um eindeutige Beweise. Ich beziehe Gerüchte in meine Überlegungen mit ein, aber verlasse mich nicht auf sie. Ein
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Gerücht zeigt den Weg zu einer Tatsache. Dies setzt allerdings voraus, daß das Gerücht nahe an der Wahrheit liegt.
F.: Auf welche bedeutende Persönlichkeit sind z. B. in den USA gestoßen?
M.: Sicherlich überrasche ich Sie nicht, wenn ich sage, daß die Sowjets den Vizepräsidenten hatten.
F.: Truman? Nein...
M.: Wallace. Er hatte in der sowjetischen Botschaft Freunde, und man fand ihn sehr brauchbar. Nebenbei bemerkt, dieser Wallace ist irgendwie verrückt. Sie sollten einen Weg finden, daß er von einer Klippe stürzt, oder einen tödlichen Herzschlag erleidet. Er hatte einen angeheirateten Verwandten im diplomatischen Dienst...
F.: Bei den Sowjets?
M.: Nein, bei den Schweizern...und er erzählte ihm alles, was er wußte. Dies ging in das Land dieses Diplomaten. Ich weiß dies, weil wir seine Post lasen. In der Tat bekamen wir erstmals Verbindung mit Wallace durch unseren Lama...
F.: Sie wollen doch wirklich nicht behaupten, daß Wallace für Sie gearbeitet hat. Henry ist so weit links, daß er meint, Lenin sei ein Faschist.
M.: Nein, er hat nie für uns gearbeitet. Wir nahmen Verbindung mit ihm über einen Mittelsmann auf, der für fast jeden arbeitet, der ihn bezahlen würde. Mein Kennwort für diesen Mann war Lama. Ich werde ihnen einiges sagen, um meinen guten Willen zu beweisen. Unser Lama hieß Röhrich. Sie nannten ihn den Friedensfahne-Menschen. Genauso verrückt wie Wallace, aber ich hatte ihn in der Hand. Dieser Röhrich war ein richtiger Schwindler, und Wallace erzählte ihm alles, sogar mehr als den Sowjets oder später seinen Verwandten.
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F.: In welcher Art von Verbindung stand dieser Mann mit Wallace? Warum vertraute Wallace ihm? Nebenbei bemerkt, gab es darüber nichts bei Pegler? Briefe?
M.: Pegler?
F.: Ein amerikanischer Sensationsjournalist. Er erwähnte etwas von Wallace-Briefen an jemanden, wie Sie ihn beschreiben.
M.: Möglicherweise der gleiche Mann. Röhrich war Russe und ein Freund der Roosevelt-Familie. Er behauptete, Mystiker zu sein, der Verbindung nach Tibet und anderswohin habe. Wallace glaubte, diese Figur sei von Gott geschickt worden, um ihm zu helfen, und so kamen sie zusammen. Schließlich verkrachten sie sich, und Wallace verließ ihn. Röhrich jedoch hatte etwa 1934 mit den Deutschen Verbindung aufgenommen, um herauszufinden, ob sie interessiert wären. So kam ich an diesen Namen. Aber erst als Röhrich und Wallace keine Freunde mehr waren. Es war eine lohnende Verbindung und versetzte mich in die Lage, einen Gestapo-Informanten im persönlichen Stab von Wallace einzuschleusen. Ich würde dies als einen echten Coup bezeichnen.
F.: Das denke ich auch.
M.: Und darüberhinaus hatte die Schwester von Wallace den Schweizer Gesandten für die Vereinigten Staaten, einen gewissen Bruggmann geheiratet... lassen Sie mich den Namen für Sie buchstabieren B-r-u-g-g-m-a-n-n. Wallace erzählte ihm alles, so bald er es wußte. Bruggmann schickte das Material nach Bern, wo wir es lesen konnten. Im Schweizer Außenministerium füllte dann jemand die Lücken aus. Ich hatte so wenige Tage danach einen faszinierenden Einblick in Roosevelts Kabinettssitzungen. Unglücklicherweise las auch die Abwehr dieses Material. Aber sie hatten keinen Agenten vor Ort, wodurch sie über
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beachtliche Informationen verfügte, aber ich hatte mehr. Wir verfügten dank Walllace über ausführliche Berichte von Roosevelts bedeutendsten Entscheidungen, sobald er sie getroffen hatte. Ich wußte von Anfang an, daß Roose-velt jede Möglichkeit nutzen würde, um Ihr Land in einen Krieg mit Hitler hineinzutreiben. Er provozierte, wo er nur konnte, hatte aber damit bei Hitler keinen Erfolg. Ich wußte, daß Hitler über die Schiffskonvois und die Hilfe für die Briten sehr verärgert war. Hitler war aber klug genug, nicht nach diesem Köder zu schnappen. Da wandte Roo-sevelt seine Aufmerksamkeit den Japanern zu, die nicht so schlau waren. Und sie tappten richtiggehend in die Falle. So hatte ich bis 1944 eine Quelle, die sich in der unmittelbaren Nähe Roosevelts befand. Und ich würde sagen, es war eine sehr genaue und kostbare, wenn auch ahnungslose Quelle. Sicherlich hätte sich Wallace wegen seiner kommunistischen Neigungen erschossen, wenn er davon gewußt hätte. Oder er hätte sich zumindest erschießen müssen. Jedes Land hat in höchsten Stellen seine Verrückten. Wir hatten Hess, Sie hatten Wallace, die Briten hatten Churchill und die Sowjets Stalin.
F.: Sie nannten ihn, diesen Röhrich, den Friedensfahnen-Mann. Woher kam diese Bezeichnung?
M.: So weit ich mich erinnere, hegte er den Gedanken, besondere Fahnen an Kirchen und anderen Gebäuden zu hissen, so daß diese während des Krieges nicht bombardiert oder beschossen werden sollten. Das zeigt, was für ein verrücktes Huhn er war.Warum hat Ihre Seite die meiste Zeit des Krieges damit verbracht, Kirchen und historische Baudenkmäler zu bombardieren?
F.: Das ist aber wenig anständig. Zumindest erinnere ich Sie an den Luftangriff auf Coventry und die Zerstörung Amsterdams. Sie erinnern sich doch daran, nicht wahr?
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M.: Natürlich. Coventry war ein wichtiger Industriestandort, und in Amsterdam starben sehr wenig Menschen. Amsterdam war zur Festungsstadt erklärt worden. Innerhalb der Stadt wurde gekämpft. Und die meisten Feuerschäden entstanden, als ein Gebäude, voll mit Fetterzeugnissen, Feuer fing. Andererseits hat Ihre Luftwaffe fast eine Million deutscher Zivilisten getötet. Und Dresden war eine völlig offene Stadt, ohne Fabriken und ohne militärische Bedeutung, als Sie und Ihre britischen Freunde sie niederbrannten. Sie haben mehr als 250.000 Menschen verbrannt, darunter eine beachtliche Zahl ihrer eigenen Kriegsgefangenen. Nicht zu vergessen die Zerstörung aller Arten von Baudenkmälern, Kirchen und Kunstwerken. Natürlich können wir nicht sagen, es war die Schuld Amerikas. Sie halfen einfach ihren britischen Freunden. Sie haben ihnen sicherlich nur ausgeholfen, nicht wahr? Die Briten haben die Stadt nur in Brand gesteckt, aber Ihre hilfreichen Leute flogen am nächsten Tag mit den Jabos* darüber hinweg und haben Tausende von Flüchtlingen in den Parkanlagen mit Maschinengewehrfeuer niedergeschossen. Dabei darf auch nicht das Versenken mehrerer Hospitalschiffe, die deutlich mit dem Roten Kreuz gekennzeichnet waren, vergessen werden. Es hat mich in der Tat sehr geschmerzt zu erfahren, daß sie voller verwundeter alliierter Kriegsgefangener waren. Sollen wir mit den Terrorangriffen weitermachen?
F.: Dies ist hierfür nicht geeignete Ort. Und in Dresden starben nur 30.000 Menschen. Der offizielle Bericht der US-Luftwaffen...
* Jabo - Soldatenausdruck für Jagdbomber.
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M.: Lügen! Ich habe den offziellen Bericht des Dresdener Polizeipräsidenten in meinen Unterlagen. Eine Viertelmillion Flüchtlinge, alte Menschen, Frauen, Kinder usw. Ein richtiges Schlachtfest, an dem Dschingis Kahn seine Freude gehabt hätte. Sprechen Sie auf keinen Fall mehr mit mir darüber. Ich will nicht, daß es mit unseren Geschäftsbedingungen Probleme gibt. Die Erörterung dieser Frage würde sicherlich dazu führen.
F.: Ich verstehe Sie, aber ich halte mich nur an unseren Bericht. Könnten Sie mir davon eine Abschrift zukommen lassen, um den Sachverhalt richtig zu stellen. Und könnten Sie das bestätigen?
M.: Natürlich können Sie eine Abschrift haben. Und ich werde dies bestätigen. Gehen wir nun zum Ausgangspunkt zurück. Ich glaube, wir erörterten die Frage sowjetischer Spione in den USA.
F.: Und in England.
M.: Diese Liste sieht wie das Berliner Telefonbuch aus!
F.: Wie schnell können wir das haben?
M.: So bald wir unser Geschäft zum Abschluß gebracht haben.
F.: Würden Sie Wallace als richtigen Kommunisten einstufen?
M.: Ich will Ihre Leute mit meiner Meinung nicht enttäuschen. Wallace war und ist kein berufsmäßiger Sowjetagent wie Hopkins. Wallace ist ein Mann, der an das grundsätzlich Gute gewisser politischer Systeme vor allem sozialistischer, glaubt. Und wenn er die Macht hätte, würde er eine schöne sozialistische Welt schaffen, in der jeder auf den Straßen tanzen würde und in der alle junge Frauen Jungfrauen sind. Oh ja! Ich weiß alles über derlei alberne und irregeführte Leute. Und die Sowjets wissen das auch. Das versichere ich Ihnen. Wallace ist ein Mensch mit der
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Seele eines Dichters und einem großen Maul. Er war kein Spion. Hopkins arbeitete für Geld. Nur darum ging es diesem Mann. Geld und Macht. Auch er war kein Kommunist, aber er leistete, drücken wir es so aus, Stalin sehr wertvolle Dienste mit den Ratschlägen, die er Roosevelt gab.
F.: Wir wissen das. Sie müssen wissen, daß der Präsident 1946 Wallace aus seinem Kabinett warf. Der Präsident meint, Wallace ist Kommunist, aber die allgemeine Meinung in Washington geht dahin, daß Wallace geistig verwirrt ist.
M.: Das klingt wie beim armen Hess.
F.: Aber Hess war nicht gefährlich.
M.: Nein. Auf eine seltsame Weise war er anständig. Hess und Wallace leben in einer anderen Welt. Überraschend wie derart seltsame Menschen in so hohe Stellungen gelangen. Unlängst sah ich einen Bericht, demzufolge der Premierminister von Kanada ebenfalls verrückt sei.
F.: Pflegte mit seiner toten Mutter zu sprechen.
M.: Hat sie ihm geantwortet?
F.: Wer weiß das und wen kümmert das?
M.: Sie würden sich darum kümmern, wenn er seine Leute auffordern würde, Milzbrand in die öffentliche Wasserversorgung zu schütten, weil Mama ihm das gesagt hat. Ihr Roosevelt plante, Milzbrand und andere Krankheiten in unsere Wasserversorgung schütten zu lassen. Haben Sie das gewußt? Und er plante, Giftgas gegen die deutschen Truppen in Italien einzusetzen, weil es scheinbar keinen anderen Weg gab, die Deutschen aus den Bergen zu vertreiben.
F.: Wo haben Sie über Milzbrand gehört?
M.: Weil es mir die Mama des kanadischen Pemiers im Traum gesagt hat. Letztendlich, junger Freund, gibt es
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keine Geheimnisse. Hochrangige Spionage ist kein Ort für Idealisten.
MU 13-75-96: 9; S. 35-38
Schnellhefter 110-89-45 gRS (Geheime Reichssache)
Kommentar
Nur wenige Historiker, die sich mit der Ära Roosevelt beschäftigen, finden die Erwähnung von Henry Wallace mit seinen widersprüchlichen Meinungen und Taten überraschend.
Überraschend ist jedoch, daß Roosevelt voll und ganz über die Haltung seines Vizepräsidenten im Bilde war und daß er, obwohl er genau wußte, daß Wallace bis zu einem gewissen Grad exzentrisch und ein überzeugter Linker war, darauf bestand, ihn auch bei der Präsidentenwahl 1944 in seiner Mannschaft zu haben, ehe ihm der Nationale Ausschuß der Demokraten eröffnete, daß man Roosevelt die Unterstützung versagen würde, wenn er seinen Vize-Präsidenten nicht fallen lassen würde. Aufgrund der Drohung, daß seine Partei ihn fallen lassen würde, gab er Wallace, ohne zu murren, dann sofort den Laufpaß. Der Konvent der Demokraten benannte Senator Harry Tru-man aus Missouri. Nach Roosevelts Tod 1945 wurde Tru-man Präsident. Wallace, der landesweit bei den Wählern im Mittleren Westen sowie bei dem ultraliberalen Flügel bekannt war, wurde in der Regierung Truman Handelsminister. Aber das exzentrische Verhalten und die politische Ausrichtung von Wallace waren für den neuen Präsidenten zu viel. Im Rahmen einer geheimen Säuberung wurde Wallace 1946 erneut entmachtet.
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Die erwähnten Briefe von Wallace an Röhrich wurden in einer Zeit geschrieben, als beide noch freundschaftlich verbunden waren. Sie tauchten vor dem Präsi-dentschaftswahlkampf 1944 auf, als die Anhänger des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Wendell Willkie drohten, sie der Presse zu übergeben. Westbrook Pegler, ein Anti-Roosevelt-Kommentator, erhielt Abschriften von den Briefen und beschrieb den Inhalt als dümmlich und als Erzeugnis von jemandem, der es nicht verdient, in unmittelbarer Umgebung des Präsidenten der USA zu wirken. Teile der Briefe wurden veröffentlicht, und Peglers Auffassung kann noch als sehr zurückhaltend betrachtet werden.
Im April 1942 beauftragte Roosevelt seinen Kriegsminister Stimson, ein Geheimprogramm heimlich zu finanzieren, um Waffen zur Nahrungsmittelvergiftung zu entwickeln und den Einsatz von Milzbranderregern im großen Stil zu ermöglichen. Das Vorhaben wurde auf Eis gelegt, als man herausfand, daß die Deutschen Nervengase entwickelt hatten (Tabun, Sarin und Soman), die furchtbarer Natur waren und die sicherlich im Gegenzug zum Einsatz gebracht worden wären, hätten die US-Amerikaner versucht, die deutsche Zivilbevölkerung zu vergiften. Dieser Hinweis findet sich in der Stimson Sicherheits-Akte im US-Nationalarchiv.
Der gemeinsame Angriff von Briten und US-Amerikanern auf die sächsische Hauptstadt im Februar 1945 wurde von Churchill in der Absicht befohlen, die Moral der Deutschen zu untergraben. Die offene Stadt war voll von Flüchtlingen aus dem Osten, die vor der anrückenden Roten Armee geflohen waren, und hatte einige der schönsten Barock-Gebäude Europas. Der folgende Bericht stammt aus den Akten Müllers:
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H.S.S.P.F. Dresden
Dresden, d. 22. März 1945
110-89-45 gRs
»An den SS-Gruppenführer Mauer
RSHA Berlin
Schnellbrief
Der folgende Bericht wurde aus Unterlagen zusammengestellt, die von Polizei - und Zivildienststellen stammen und durch Berichte der Wehrmacht des Roten Kreuzes ergänzt wurden. Der Bericht des Polizeipräsidenten ist in diese Zusammenfassung eingearbeitet und als Anhang beigefügt.
(Es gibt einen längeren Bericht von den Luftangriffen des 13., 14. und 15. Februar 1945 mit einer Auflistung der zerstörten Gebäude).
Bis zum 20. März 1944 wurden 202.040 Leichen, überwiegend Frauen und Kinder, geborgen. Auf der Grundlage der Bergungszahlen bis zu diesem Zeitpunkt geht man davon aus, daß die Zahl der Toten 250.000 übersteigt. Nur etwa 30% der geborgenen Leichen können identifiziert werden. Der Grund: die schlimme Verbrennung und die Entstellung der Opfer. 68.650 wurden eingeäschert, und die Aschenüberreste einem ordentlichen Begräbnis überantwortet. Die Bergung weiterer Opfer wird fortgesetzt.«
Quellen: »The Roosevelt Myth« (Der Roosevelt-Mythos), Flynn, Devin-Adair, New York 1948; »Truman«, McCullough, Simon & Schuster, New York 1992; FDR, Morgan, Simon & Schuster, New York 1985; The Garne of the Foxes (Das Spiel der Füchse), Farago, McKay, New York 1971.
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