GEGENSPIONAGE
UND DAS
»UNTERNEHMEN BARBAROSSA«
Obwohl die Aufgabe der Gestapo in der inneren Gegenspionage lag, hatte Müller schon frühzeitig Bemühungen unternommen, um etwas über auswärtige Spionage zu erfahren. Obwohl dieses Gebiet genau genommen anderen Stellen vorbehalten war, vertiefte er seine Kontakte und kam dabei zu aufschlußreichen Ergebnissen.
F.: ...Wir sind stärker interessiert am Bereich Spionage der Gestapo, die Ihrer Kontrolle unterstand, als an den reinen Polizeiaufgaben, die sie ebenfalls zu erfüllen hatte. Die Gestapo war nicht die einzige Dienststelle in Deutschland, die sich mit Spionage beschäftigte, nicht wahr?
M.: Nein. Der Sicherheitsdienst und die Streitkräfte hatten ebenfalls Spionagedienste genauso wie das Außenministerium und die Reichspost. Göring selbst hatte einen besonderen Telefonüberwachungsdienst, der in erster Linie mit der Überwachung von Auslandsgesprächen befaßt war. Diesen Überwachungsdienst behielt er unter persönlicher Kontrolle.
F.: Gab es zwischen diesen Dienststellen irgendeine Abstimmung?
M.: Nein. Oft arbeiteten sie gegeneinander. Zur damaligen Zeit war dies ein wirkliches Problem. Später wurde dann die Abwehr der Wehrmacht aufgelöst und die Aufgabe aufgeteilt. Damals wurde uns die Abteilung Gegenspionage zugeteilt.
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F.: Sie hatten Ihren eigenen Agentenring, nicht wahr?
M.: Wir hatten einen gut ausgebauten Agentenring. Wir hatten die V-Leute, die vertrauenswürdige Informanten auf jeder Ebene waren, und ich entwickelte auch ausgedehnte Verbindungen im Ausland.
F.: Hatten Sie Informanten in der Regierung?
M.: Auf allen Ebenen.
F.: Selbst in Hitlers Hauptquartier?
M.: Ich hatte noch persönliche Verbindungen.
F.: Und in Himmlers Hauptquartier?
M.: Aber natürlich, obwohl es hier um berufliche Höflichkeit ging.
F.: Wie stand es mit dem Außenministerium?
M.: Natürlich. Da Ribbentrop viele und bedeutende Nachrichten bekam, war es notwendig, in dieser Dienststelle ebenfalls Verbindungen zu haben.
F.: Hatten Sie während des Krieges Zugang zur richtigen militärischen Spionage?
M.: Offiziell nicht. Auch nicht streng militärische Spionage. Manchmal stellten wir bei gewissen Militärs Nachforschungen an oder hatten Grund, wegen Spionage im Zusammenhang mit inneren Militärangelegenheiten Nachforschungen anzustellen. Streng genommen sollte das meiste in diesem Bereich von der Geheimen Feldpolizei bearbeitet werden. Aber die meisten Mitarbeiter dort waren frühere Gestapo- oder Sicherheitsleute, so daß ein Großteil des dortigen Materials auf die eine oder andere Weise in meinen Besitz kam.
F.: So hatte die Gestapo, d.h. Sie selbst, keine mittelbare Möglichkeit zur Beobachtung irgendeiner militärischen Dienststelle?
M.: Nein. Nur durch Zufall oder als Ergebnis einer anderen Nachforschung.
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F.: Falls möglich, wären wir interessiert zu erfahren, wie es die Gestapo geschafft hat, in sowjetische Regierungsstellen einzudringen. Die Akten der Abwehr der Wehrmacht sind in dieser Hinsicht enttäuschend. Während höhere Wehrmachtsoffiziere bereit sind, uns hinsichtlich der Sowjets zu helfen, so stellt man fest, daß ihre tatsächlichen Kenntnisse über die innere Arbeitsstruktur dieses Staates ziemlich - wie soll ich es sagen? - ziemlich spärlich sind. Bis zu welchem Ausmaß schaffte es die Gestapo, etwas über die innere Arbeitsweise des kommunistischen Staates zu erfahren?
M.: Nun kommen Sie auf ein Gebiet zu sprechen, über das ich ganz offen reden kann. Sind Sie in militärischer oder politischer Hinsicht interessiert?
F.: Ich meine, in dieser Hinsicht sind wir mehr am militärischen Gesichtspunkt interessiert.
M.: Sie müssen wissen, daß einer der Gründe, warum die Abwehr und Ihr Generalmajor Gehlen* hinsichtlich der Absichten, der militärischen Absichten der Sowjets nicht erfolgreich waren, darin liegt, daß alle Abteilungen der Regierung wie auch des Militärs einer sehr strengen und umfassenden Kontrolle unterlagen. Die Abwehr und die Ostarmeen konnten keine Agenten in Rußland ein-
* Reinhard Gehlen, Generalmajor seit 1.12.1944, Generalstabsoffizier in der Operationsahteilung des Generalstabes, befehligte »Fremde Heere Ost« seit Anfang 1942. Gehlen als Fachmann für sowjetische Militärfragen wurde nach dem Kriege von der amerikanischen Regierung benutzt. Man erlaubte ihm den Aufbau einer eigenen Gegenspionageabteilung mit Sitz in Pullach. Diese Abteilung wurde später zum BND (Bundesnachrichtendienst), West-Deutschlands Gegenstück zum CIA, ausgebaut. Gehlen benutzte eine beachtliche Zahl früherer Gestapo- und SD-Leute in seiner Organisation.
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schleusen. Und die meisten ihrer Nachrichten kamen vom Abhören von Radiosendern in anderen Ländern und vom Verhör von Kriegsgefangenen. Diese Nachrichten kamen selten rechtzeitig an und waren ebensowenig von dauerhaftem Nutzen. Natürlich war die Abwehr immer nur an militärischen Nachrichten interessiert, während wir, die Gestapo, uns für politische Nachrichten interessierten. In Deutschland zum Beispiel waren die Streitkräfte, besonders die Wehrmacht, eine eigene Macht, die in vielerlei Hinsicht von Partei und Staat unabhängig war. Sie konnten ihre Geheimnisse für sich behalten, und sie taten dies auch. In Rußland regiert Stalin den Staat mit Hilfe der Partei. Das Militär wird vom Staat kontrolliert und ist ihm untergeordnet. Ich bekämpfte die sowjetische Infiltrierung nach Deutschland, wie Ihnen bekannt ist.
Um mir meine Arbeit leichter zu machen, wollte ich wissen, wie weit man in Moskau war, anstatt zu warten, bis ich ihre Agenten in Deutschland fing. Wenn Stalin z. B. Unruhe in den Gewerkschaften stiften wollte, obwohl diese in Deutschland unter strenger Kontrolle der Partei standen, dann konnte es hilfreich sein zu erfahren, was er vorhatte, ehe er seine Leute in Marsch setzte. So begann ich, einige ihrer Spitzenagenten umzudrehen, mit der Absicht herauszufinden, was Stalin plante, lange bevor ich damit zu tun bekam. Ich muß gestehen, daß ich darin bis zu einem gewissen Maße erfolgreich war. Schließlich waren einige der Spitzenagenten nicht so dumm wie die meisten ihrer Landsleute, und die Russen lieben nichts mehr als zu handeln und zu feilschen. Geld beeindruckt die meisten von ihnen. Das kann ich Ihnen sagen. Aufgrund meiner Kenntnis zumindest von einigen Arbeitsweisen der Stalinschen Kommandostruktur erfuhr ich mehr und bei weitem früher mehr als die Abwehr.
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F.: Sehr gut. Und sind noch viele ihrer Leute in Rußland vor Ort?
M.: Einige sicherlich.
F.: Fahren Sie bitte fort.
M.: Zu Beginn hatte ich wenig Interesse an der militärischen Seite der Spionage. Schließlich war kein Krieg in Sicht, und so galt mein Kampf Spionen im eigenen Land, sowohl deutschen als auch britischen und sowjetischen Agenten. Aber als 1939 der Krieg ausbrach, gelangten natürlich viele Nachrichten über militärische Pläne auf meinen Schreibtisch. Dies war nicht mein Verantwortungsbereich. Aber da ich keine besonderen Beziehungen mit den Streikräftlern hatte, behielt ich diese Art von Geschäft für mich. Zudem neigten diese Militärs dazu, auf mich und den ganzen Apparat der Staatspolizei herabzusehen..... zumindest damals. Später hängten wir ziemlich viele von ihnen wegen dieser Haltung auf. Aber das interessiert Sie nicht.
F.: Wir können das später besprechen. Können Sie aufgrund Ihrer Kenntnisse einiges über das sowjetische Verhalten, sagen wir, zum Frankreich-Feldzug sagen?
M.: Sicher. Ich muß hier sagen, daß ich immer der Auffassung war, daß der Nichtangriffspakt mit Stalin ein Fehler war. Stalin hätte nach meiner Auffassung nie mit den Westmächten abgeschlossen, wie dies Hitler befürchtete. Und mit dem Zugeständnis, Stalin die baltischen Staaten und Ostpolen zu überlassen, erlaubte Hitler Stalin an die eigene Hintertür mit einem Schlüssel in der Hand zu kommen. Natürlich war ich damals nicht in der Stellung, um dies mit irgendjemanden von Einfluß zu besprechen. So hielt ich mich zurück. Ich erwähnte es einmal gegenüber Heydrich, der keine Ahnung von der Quelle meiner Nachrichten hatte. Er sagte mir mehr oder weniger, ich
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möge mich um innenpolitische Probleme kümmern und die höhere Politik anderen überlassen. Aber als später klar wurde, daß der Westfeldzug nur kurz sein und für Deutschland siegreich enden würde, bekam es Stalin mit der Angst zu tun. Sie müssen wissen, daß Stalin der Auffassung war, der neue Krieg würde wie der von 1914 wieder in einem Grabenkrieg enden. Stalin sagte sich, daß er in Deutschland einmarschieren könnte, wenn Deutschland und der Westen ausgeblutet wären. Er wollte das Ruhrgebiet haben. Und wenn er es leicht bekommen könnte, würde er es nehmen. Stalin kämpft nicht, wenn er meint, es bestehe die Gefahr, geschlagen zu werden. Aber als der Westfeldzug so schnell vorüber war, bekam er Angst, daß Hitler ihn angreifen würde, ehe er gerüstet war. Daher begann er ein sehr umfangreiches Wiederbewaffnungsprogramm und versuchte den Schaden zu begrenzen, den er mit der Liquidierung all der hochrangigen sowjetischen Militärs im Jahre 1938 angerichtet hatte. Als ich den Beweis für diese umfangreiche Wiederbewaffnung und Stalins Angriffspläne hatte, brachte ich es umgehend Heydrich zur Kenntnis, dieses Mal aber nicht im Rahmen eines Gespräches. Ich schickte ihm einen ausführlichen Bericht voller gezielter Nachrichten. Nun konnte mich Heydrich nicht länger links liegen lassen. Wenn Stalin angegriffen hätte, hätte ich auf meine formelle Warnung hinweisen können. Und wenn Heydrich sie nicht weitergegeben hätte, hätte dies sein Ende bedeutet. Natürlich wußte er das und so legte er das Material Hitler vor.
F.: Wissen Sie, wann das war?
M.: Ja. Gegen Ende des Westfeldzuges. Ich denke Anfangjuni 1940.
F.: Und Heydrich trug dies Hitler vor? Nahm Hitler davon Kenntnis?
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M.: Ja. Und er wollte mehr Informationen. Möglicherweise erhielt Hitler aus ernsthaften militärischen und politischen Kreisen weitere bestätigende Nachrichten über Stalins Absichten uns gegenüber. Und er entschied, es sei besser, sich mit Stalin zu befassen, ehe sich dieser mit ihm befaßte. Das teilte mir Heydrich zum damaligen Zeitpunkt mit. Später sagte mir Hitler persönlich das Gleiche. Ich konnte auf Produktionszahlen verweisen, aber auch einige Zahlen hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Truppen liefern. Ich bin kein Generalstabsoffizier oder Fachmann für militärische Fragen. Ich behaupte auch nicht, einer zu sein. Doch selbst ich konnte sehen, daß sehr große Truppenverbände nördlich der Sümpfe,... der Pripjet-Sümpfe, in Stellung gingen. ...Und wenn den Sowjets ein Durchbruch gelingen würde, hätten sie bis Berlin durchmarschieren können. Aufgrund ihrer Stärke wäre es sehr schwer gewesen, sie aufzuhalten. Selbst die Fachleute im Oberkommando der Wehrmacht vertraten diese Ansicht. Daher entschloß sich Hitler, Stalin zuerst anzugreifen, und er ließ die Generalstabsoffiziere die Einsatzpläne ausarbeiten. Dies geschah 1940 und zog sich bis 1941 hin. Zu einem gewissen Zeitpunkt, dessen bin ich mir sicher, drang etwas nach draußen, und Stalin erhielt Wind von den Plänen. Damals teilte mir Heydrich mit, wir müßten die Quelle schnell verstopfen, und es müsse ein Weg gefunden werden, Stalin davon zu überzeugen, daß es sich bei den Truppenbewegungen und Plänen um eine Art von Täuschungsmanöver für die Engländer handle, andernfalls könnte Stalin uns angreifen, ehe wir bereit seien.
F.: Wo befanden sich die Schwachstellen?
M.: An irgendeiner Stelle im Generalstab. Sie übermittelten die Unterlagen den Briten, und diese gaben sie an
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Stalin weiter. Es gelang mir, die Geschichte so darzustellen, daß wir das Ganze gemachten hätten, um die Briten von unserer bevorstehenden Invasion abzulenken. Glücklicherweise schluckte dies Stalin, viele seiner Offiziere jedoch nicht. Indes sprach Stalin das letzte Wort. Ich veranlaßte einen Diplomaten auf dem Balkan, Stalin mitzuteilen, die Briten würden hinsichtlich eines deutschen Angriffes lügen, um Stalin zu erschrecken, damit er das Bündnis breche. Stalin war mit dieser Art von doppeltem Spiel vertraut. Er nahm dies auch so hin. Nichtsdestoweniger war er entschlossen, Deutschland so rasch als möglich anzugreifen, sobald er die gewünschte zahlenmäßige Überlegenheit erreicht hatte, aber nur dann, wenn wir anderswo beschäftigt waren. Es ging also darum, Stalin so lange es ging, ruhig zu stellen und ihn anzugreifen, ehe er uns angriff. Ich weiß, daß er das genaue Angriffsdatum von London mitgeteilt bekam, aber er glaubte es nicht. Was Hitler anbelangte, so hatte dieser aus diplomatischen Quellen, aber auch über die Luftaufklärung genügend Hinweise, daß er zu der Auffassung kam, er müsse Stalin so schnell als möglich vernichten. Lassen Sie mich hier sagen, daß es sich um keinen Kreuzzug gehandelt hat oder um einen Versuch, Napoleon nachzuahmen, wie einige alberne Schreiberlinge heute ausführen. Es handelte sich für Deutschland um einen Akt der Selbsterhaltung. Und als später unsere Truppen das Sowjetische Oberkommando überrannt hatten, fanden sie die Beweise für den bevorstehenden Angriff. Gefangene höhere Sowjetoffiziere bestätigten dies alles ebenfalls.
F.: Dies ist, wie ich weiß, nicht die Meinung, die im Westen offiziell vertreten wird. Dieser Angriff wird als Beispiel für Hitlers Slawenhaß beschrieben.
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M.: Ja, ja. Die armen Slawen, die allein Hitlers Übeltaten gegenüberstanden. Diese Vorstellung paßt gut zum Rest dieses Märchens. Glauben Sie mir. Stalin war im Begriff, uns auf jeden Fall anzugreifen. Hitler griff nur zuerst an, und Stalin, der Betrüger, wurde gebissen. Stalin war so sehr an Verrat gewöhnt, so daß er selbst damit nicht fertig wurde, wenn jemand ihm zuerst das Messer in die Brust stieß.
F.: Hat Hitler je von der Rolle, die Sie dabei gespielt haben, erfahren?
M.: Sicherlich. Es handelte sich um eine meiner besten Leistungen. Ich hob alle Aufzeichnungen auf. Als nach dem 20. Juli mein Verhältnis zu Hitler feste Grundlagen hatte, berichtete ich es ihm. Er war sehr verärgert und sagte, ich hätte mit diesen Nachrichten direkt zu ihm kommen sollen. Es war leicht für mich, ihm meine Berichte zu zeigen, und zu sagen, daß es die Geschäftsaufteilung nicht zuließ, daß ich ihn persönlich ansprach und ich hätte in seiner Umgebung keine Freunde. Er verstand das, war aber noch immer verärgert. Seiner Meinung mir gegenüber tat dies keinen Abbruch. Und zudem lagen die Ereignisse schon lange zurück.
F.: Sie wiesen daraufhin, daß die Partei über den Streitkräften stand. Das heißt...
M.: Nein. Die Gestapo war keine Untergliederung der Partei. Sie war eine staatliche, keine politische Dienststelle. Es ist wichtig, daß Sie dies begreifen. Wir arbeiteten für die Regierung, nicht für die NSDAP. Die meisten unserer geistesschwachen Historiker haben keine Ahnung von dem, was die Gestapo war, noch wer sie kontrollierte.
F.: Jetzt erörtern wir den Rußlandfeldzug. Ich bin gehalten, sie über Ihre Kenntnisse zum sog. Kommissar-Befehl zu befragen. Können Sie mir irgendetwas darüber im Rahmen
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des Rußlandfeldzuges sagen? General Warlimont* hat ausgesagt, dieses Programm sei auf Hitlers Befehl von der SS entwickelt worden. Er persönlich habe sich dagegen ausgesprochen und habe es unterbunden. Ist das zutreffend?
M.: Das ist ganz und gar unwahr. Alles, was mit dem Kommissar-Befehl zu tun hat, geht auf Warlimont zurück und flog ihm dann um die Ohren. Ich glaube, er war fast den ganzen Krieg damit beschäftigt, dies zu vertuschen.
F.: Warlimont hat also den Befehl gegeben, sowjetische Politoffiziere (Kommissare) ohne Verhandlung zu töten?
M.: Mit großer Sicherheit. Daran gibt es nichts zu zweifeln. Ich wußte das von Anfang an.
F.: Können Sie mir Einzelheiten mitteilen? Wir beabsichtigen, Warlimont in absehbarer Zeit in einen wichtigen Posten zu bringen. Und wir wollen nicht, daß Probleme im Zusammenhang mit seinen früheren Tätigkeiten auftauchen. Ich würde Ihre Offenheit in dieser Sache sehr begrüßen.
M.: Gerne. Nun, ich raten Ihnen, diesen Herrn überhaupt nicht zu verwenden. Warlimont ist sicherlich sehr intelligent und ein sehr sachverständiger Generalstäbler, aber er ist eine Schlange. Warlimont ist sehr ruhig und geschmeidig. Er war die ganze Zeit über Jodls Holstein**.
* Walter Warlimont, General der Artillerie, 1. 4. 1944. Diente im Stab Jodls, stellv. Chef des Wehrmachtsführungsstabes im OKW. Er wurde nach 1945 wegen des Kommissar-Befehls und anderer Tätigkeiten vor Gericht gestellt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
** Friedrich, Baron von Holstein, war Beamter im Auswärtigen Amt der Kaiserzeit. Er arbeitete hinter den Kulissen, war verschlossen, manipulierte und war nach Richelieus Berater, Pater Joseph, als die ›Graue Eminenz‹ benannt. Obwohl Holstein hochintelligent und auf seinem Posten sehr wirkungsvoll war, galt er auch als hinterhältig und arbeitete für seine, aber nicht für die Interessen seiner Vorgesetzten.
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Nun will ich diese Frage von Beginn an beantworten. Es war Anfang 1940, als die Ausarbeitungen für den Ostfeldzug begannen. Obwohl ich an diesen Planungen nicht beteiligt war, erfuhr ich später viel darüber. Es hatte den Anschein, daß die Wehrmacht mit den Sicherheitsproblemen im russischen Rückraum im Falle eines Krieges nichts zu tun haben wollte. Man wußte, daß die Sowjets Meister im Partisanenkrieg waren und man befürchtete, bei einem zu schnellen Vormarsch der Truppenmassen würden sich bewaffnete Zivilisten, unentdeckte kleine Militäreinheiten sowie fanatische kommunistische Parteikader im Rücken der kämpfenden Truppen befinden. Sie befürchteten das Aufkommen eines Bandenunwesens in diesen Gebieten und hatten einfach nicht genug Leute oder auch nicht die Absicht, sich damit zu befassen. So beschloß Warlimont, der damals im Generalstab war, daß die SS und die Polizei sich mit diesen Leuten befassen sollten. Er arbeitete eine Menge Anweisungen aus, die darauf abzielten, die möglichen Führungskräfte solcher Gruppen auszuschalten, d.h. die Gruppe der Kommissare, sowie mögliche gefährliche Gegner hinter den Linien. Zuerst ging dann General Wagner vom Generalstab zu Heydrich.
F.: Entschuldigen Sie bitte, wenn ich unterbreche. Sprach Warlimont nicht mit Heydrich persönlich?
M.: Nein. Das meine ich, wenn ich von Warlimont als einer Schlange sprach. Er schickte Wagner, so daß er später behaupten konnte, er wisse von diesem Plan nichts. Ich weiß alles darüber, weil Wagner eine Schlüsselfigur im 20. Juli-Attentat war. Und nachdem er tot war, bin ich seine ganzen Unterlagen durchgegangen. Um fortzufahren: Wagner sprach mit Heydrich darüber..., darüber, wie man das Gesetz hinter der Frontlinie durchsetzt. Wagner
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brachte zum Ausdruck, Hitler habe dies angeordnet, aber Heydrich sagte, er wolle dies zuerst mit Hitler besprechen. Daraufhin wurde Wagner erregt und sagte, Hitler wolle nicht, daß jemand wisse, daß er diesen Befehl gegeben habe, so daß er die Verantwortung dafür abstreiten konnte. Wagner sagte weiterhin, Heydrich bekäme ernsthafte Probleme, wenn er diese Sache Hitler vortrage. Natürlich durchschaute Heydrich das Ganze von Anfang an genauso, wie, als General Müller vom Oberkommando der Wehrmacht etwa zur gleichen Zeit zu mir kam. Müller war Warlimonts Strohmann. Er erwähnte mir gegenüber das Kommissar-Problem und ging davon aus, daß ich persönlich zustimmen würde, Gestapo-Männer abzustellen, um gefangene Kommissare zu liquidieren. Ich ließ Müller wissen, ich würde mich um jeden Kommissar oder führenden kommunistischen Parteifunktionär kümmern, jedoch nicht, um ihn zu töten. Ich wollte Informationen und betrachtete stets die Möglichkeit, sie umdrehen zu können. Müller war darüber nicht glücklich. Er sagte, Hitler wünsche, daß diese Leute ausgelöscht werden, da sie Juden seien.
F.: Die Kommissare?
M.: Natürlich. Stalin hatte allen militärischen Einheiten Kommissare zugeteilt. In der Tat kontrollierten die Kommissare die Einheiten und befahlen sogar den Kommandeuren, ihnen zu gehorchen. Die meisten Kommissare waren Juden. Sie hatten den Ruf, fanatische Kommunisten und sehr brutal zu sein. Tatsächlich waren zum damaligen Zeitpunkt die meisten der höherrangigen Parteifunktionäre Juden.
F.: Und Stalin unterstützte sie?
M.: Nein. Die Juden, die als Minderheit unter den Zaren verfolgt worden waren, dienten Stalin und der kommuni-
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stischen Partei sklavisch. Sie sahen sich selbst als die neue Elite und sannen auf Rache gegenüber den Russen wegen der jahrelangen Verfolgungen. Stalin benutzte jetzt diese Leute, aber er hatte später keine Verwendung für sie...
F.: Woher wissen Sie das?
M.: Einer meiner Sowjetagenten, ich spreche von einem umgedrehten Agenten, kannte Stalin und er erklärte es mir. Stalin war türkischer Abstammung, kein Jude. Und in seinem Heimatgebiet haßte man die Juden. Stalin benutzte die Juden für seine Zwecke, um die feste Umklammerung aller Bereiche der russischen Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Sie waren seine Prätorianer. Und sie wußten auch, daß es nur einer Geste aus dem Kreml bedurfte, und die Kosaken würden wieder reiten. Sie verstehen das wohl nicht, nicht wahr? Unter den Zaren wurden die Kosaken, ein Reitervolk des Südens, benutzt, um Unruhen niederzuschlagen oder Pogrome gegen die Juden durchzuführen. Sie waren ihre erbitterten Feinde. Und in der sowjetischen Armee gab es viele Kosaken-Einheiten, denen es keine Schwierigkeiten bereitet hätte, dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten. Stalin benutzte die Juden sozusagen als Jagdhunde. Aus diesem Grunde waren so viele Kommissare Juden, und daher sagte auch Himmler, man müsse diese Leuten ausrotten. Die Frage, die sich nun stellt, ist die: Wurden sie verjagt, weil sie Juden waren oder wurden sie gejagt, weil sie in erster Linie fanatische Kommunisten und erst in zweiter Linie Juden waren?
F.: Also die Frage: Wer war zuerst da? Das Huhn oder das Ei?
M.: Richtig. Um zum Thema zurückzukommen. Müller war über meine Haltung nicht glücklich. Er sagte, diese Leute müßten als gefährliche Feinde unseres Staates sofort erschossen werden. Ich antwortete, daß die Wehrmacht
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sicherlich Waffen und auch Leute hätte, sie selbst zu erschießen, wenn man diese Leute tot sehen wollte. Ich war sehr grob zu ihm und jagte ihn aus meinem Büro. So umging Warlimont uns und wandte sich an Himmler. Himmler war eine alte Dame und glaubte die Geschichte von Hitlers geheimen Wünschen. Im Gegensatz zu Hey-drich hätte Himmler solche Vorgänge Hitler nie vorgetragen. Ich kann ihn in seinem Büro herumrennen sehen wie Moses auf dem Berg, als Gott zu ihm sprach. Ich hörte Himmler früher schon sagen, es sei seine besondere Aufgabe, die Befehle des Führers auszuführen usw. usw. Wie Stalin, so wußte auch Hitler, wie man Leute benutzt. Schließlich wurde bestimmt, daß der Sicherheitsdienst hinter der Frontlinie tätig werden und zusammen mit Armeeeinheiten das Bandenunwesen beseitigen solle, das sich als sehr gefahrlich herausgestellt hatte. Beim Töten der Partisanen zeigten sie oft keinerlei Gespür, so daß Befehle erlassen werden mußten, um sie zu kontrollieren. Zudem stellte die Wehrmacht ihre eigene Polizei auf, die aus Russen bestand und bewaffnete sie. Sobald die Wehrmacht das Gebiet verlassen hatte, begannen diese Freiwilligen, ihre Feinde zu töten, darunter kommunistische Funktionäre und wahrscheinlich unerwünschte Verwandte. Sie töteten auch Juden, die keine Kommissare oder Parteifunktionäre waren, weil die Russen die Juden hassen, und es ihnen Spaß macht, sie umgehend zu töten. Die ganze Angelegenheit war schwierig für uns zu kontrollieren, einmal wegen des riesigen Gebietes und zum anderen, weil nur wenige richtige deutsche Polizei- oder SD-Einheiten zur Verfügung standen. Die Wehrmacht hatte ihre eigenen Konzentrationslager, in denen Juden und Kommunisten kurz und bündig liquidiert wurden. Die Wehrmacht überließ dem SD und den Kommandos Waf-
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fen und Fahrzeuge, um ihnen zu helfen. Ich hatte Glück, einige Kommissare in die Hand zu bekommen, um sie verhören zu können, aber ich mußte sie richtiggehend vor den Hinrichtungskommandos der Wehrmacht schützen.
F.: Was geschah mit ihnen? Mit Ihren Kommissaren? Waren es Juden?
M.: Fast die meisten Kommissare waren Juden. Wurden sie gefangengenommen, dann wurden sie sofort von ihren russischen Einheiten an die Deutschen verraten. Was mit meinen Kommissaren geschah? Wer für mich arbeitete, wurde gut behandelt. Wie allen meinen gefangenen Agenten versprach ich, ich würde ihnen das Leben retten und das tat ich auch. Wir entließen sie mit gefälschten Papieren. Wohin sie gingen, weiß ich nicht. Sie waren völlig harmlos, weil sie nicht mehr zu Stalin zurück konnten. Er hätte sie auf der Stelle erschießen lassen, da sie mit der westlichen Kultur in Berührung gekommen waren. Ich kann Ihnen nicht mit genauen Wohnanschriften dienen. Sie leben leider nicht in einem Hotel in Paris mit Namensschildern an der Tür.
Zurück nun zu Warlimont. Der Kommissar-Befehl wurde von Warlimont an höhere Wehrmachtskommandierende weitergeleitet; er fiel voll und ganz auf ihn zurück. Er schickte dann Freunde aus, um alles rückgängig zu machen. Ich stellte auch fest, daß sein erster Entwurf für diesen Befehl im Vergleich zum endgültigen Befehl sehr milde war. Der endgültige Befehl lautete: Ausrottung der jüdisch-bolschewistischen Führer usw. usw. Ich sagte zu Heydrich, dieser Befehl klinge genau so, als wolle Warlimont, daß seine Befehle so klingen wie eine Art NSDAP-Propaganda, damit er, im Bedarfsfall, uns damit belasten könnte. Heydrich stimmte dem zu. Als ich lange, nachdem dies vorüber war, mit Hitler darüber sprach, sagte er, er
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wisse nur, daß die Wehrmacht SS und Polizei gebeten hatte, ihr zu helfen, die Ordnung hinter der Front aufrecht zu erhalten. Sie müssen wissen, daß General Halder, Chef des Generalstabes, zu Generalfeldmarschall von Brau-chitsch, dem Oberbefehlshaber des Heeres, gegangen war und ihn gebeten hatte, Hitler zu veranlassen, SS- und Polizeieinheiten zur Verfügung zu stellen, um der Wehrmacht hinter der Front zu helfen. Hitler sagte nur, er werde die Angelegenheit Himmler übertragen, und die Wehrmacht begann natürlich, mit ihrer Darstellung hausieren zu gehen: »Hüten Sie sich davor, Warlimont in irgendeiner Weise zu benutzen«.
F.: Herr General, vielen Dank für diese Hinweise. Wir werden sie natürlich überprüfen. Nun, da ist noch etwas anderes, was ich in diesem Zusammenhang gerne klären möchte. Die Gestapo war im wesentlichen eine Dienststelle für Gegenspionage in Deutschland selbst. Ihre Kenntnisse über gewisse außenpolitische Vorgänge vertragen sich mit diesem Auftrag nicht. Könnten Sie das bitte erläutern?
M.: Na sagen Sie mal! Habe ich Ihnen nicht zuvor schon gesagt, daß es in meinem Interesse lag, unsere Leute beim Gegner einzuschleusen, um zu erfahren, was vor sich geht, statt darauf zu warten, bis er selbst die Initiative ergriffen hatte? Erinnern Sie sich daran? Ich kann es in der Niederschrift auffinden, wenn Sie wollen, daß ich damit meine Zeit verschwenden soll.
F.: Nein, ich bin mir dessen bewußt, aber Sie sprachen über das Einsickern in sowjetische Dienststellen innerhalb Rußlands.
M.: Nun werden Sie albern. Ja, ich sagte albern. Wer kontrolliert denn das weltweite sowjetische Agentennetz? Wollen Sie mir sagen, daß es die Indianer kontrollieren?
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Die Känguruhs? Nun sagen Sie mir doch mal, wer Ihrer Meinung nach das Stalinsche Agentennetz kontrolliert? Regen Sie sich nicht auf, junger Mann. Sprechen Sie offen heraus? Wer?
F.: Ich weiß, was Sie meinen.
M.: Nein. Nun vielleicht kann ich Sie und Ihre Freunde erziehen, so daß wir künftig weniger Schwierigkeiten dieser Art haben. Das sowjetische Agentennetz besteht aus mehreren Ebenen. Aber alle werden von Moskau gesteuert, nicht vom Nordpol aus. Dies ist leicht nachvollziehbar, nicht wahr? Alles wird von Moskau aus kontrolliert. Wir sind uns nun darüber einig. Und indem ich ihre besten Agenten umdrehte, erhielt ich einen guten Einblick in den inneren Aufbau des Systems und recht viele wertvolle Hinweise und Nachrichten. Als ich den ›Rote Kapelle-Ring‹* ausschaltete, erfuhr ich noch mehr. Einer der Spitzenagenten Moskaus war ein gewisser Robinson.
F.: Ein Amerikaner?
M.: Nein, ein Deutscher. Lassen Sie mich nun fortfahren und heben Sie sich Ihre Fragen für den Schluß auf. Einverstanden?
F. : Ja. Fahren Sie bitte fort.
M.: Danke. Robinson war in Frankreich im Einsatz. Er war einer der Spitzenagenten in Europa. Später wurde er dort Chef des OMS**. Ihre Leute können Ihnen das erklären. Es handelte sich um eine sehr bedeutende Dienststelle für die Koordnierung von im Ausland operierenden Agenten mit Sitz in Moskau. Wir fingen diesen Mann, und
* vgl Sudholt Gert, Das Geheimnis der Roten Kapelle, Leoni 1978
** Meteorologische Sonderdienststelle; UdSSR
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mir war sofort klar, wie wertvoll er war. Natürlich hatte er Erfahrungen mit den kommunistischen Aufständen nach 1918 und ich mochte diese Leute überhaupt nicht, aber er war sicherlich wertvoll. Warum ihn also töten lassen? Ich drehte ihn ziemlich schnell um. So bald ich ihn in der Gewalt hatte, bekam er seinen Prozeß und wurde offiziell zum Tode verurteilt. Doch in meinem Auftrag war er erneut unterwegs. Er war eine der reichsten Quellen, auf die ich je gestoßen war, und es handelte sich um einen sehr guten Mann. Er war in Moskau hoch geschätzt, obwohl wir ihn auf dem Papier offiziell töten mußten. Dieser Mann teilte uns alles mit, was er wußte, einschließlich der Hinweise auf andere Agentenringe in Ihrem Land und in England. Der Durchschnittsagent hätte über solche Agentenringe nichts gewußt. Doch dieser Mann wußte darüber Bescheid. Er war ein Spitzenagent. Seine Spezialität war die Sabotage, aber er wußte auch genügend von anderen Gebieten, so daß er für uns überaus bedeutsam war. Durch ihn und andere, die er umdrehte, baute ich mir eine sehr klare, wenn auch eine knappe Übersicht über die Agentenringe anderswo auf. Natürlich konnte ich nichts in England oder in den USA unternehmen. Dennoch konnte ich einige Bestätigungen über dort tätige Berufsagenten erhalten, aber ich kam nicht an sie ran, um sie umzudrehen oder um zusätzliche Hinweise von ihnen zu erhalten. Eine gewisse Bestätigung kam aus der Schweiz, zugegebenermaßen. Aber der Nachrichtenfluß versiegte plötzlich, als ob ihn jemand bewußt an bestimmten Stellen unterbrechen wollte. Etwas hier und da, aber genug. Niemand wußte, daß ich Harry in der Hand hatte. Daher hielt ich alles geheim und seine Akten führte ich privat. Sie führen doch auch einige Akten privat, nicht wahr?
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F.: Ich habe mit der Verwaltung von Akten nichts zu tun, aber ich verstehe gut, daß einige Akten nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind...
M.: Wie z. B. meine. Ich bin mir sicher, daß Sie keine Heinrich-Müller-Akte in einem Schrank in Washington haben, damit jeder Einsicht nehmen kann, nicht wahr?
F.: Um Himmels willen, meine Sie, wir sind Narren?
M.: Ich hoffe nicht.
F.: Ich teilte Ihnen mit, daß niemand etwas über Sie weiß, ausgenommen auf höchster Ebene, und auch dort nur mündlich. Warum sprechen Sie das nun an?
M.: Warum? Wenn diese meine Akten..., Gestapo-Akten..., in die Hände des Feindes fielen und diese Kenntnis über Leute wie Robinson erhielten, dann gäbe es großen Ärger, nicht wahr? Geschwätzige Hausfrauen und eifersüchtige Liebhaber sind in unseren Akten zahlreich vertreten, aber keinweswegs die wirklich wichtigen. Die Robinson-Sache gibt es genausowenig wie die Müller-Akte.
F.: Ich bestreite das nicht.
M.: Nun denn. Erwarten Sie nicht, daß Sie etwas in einigen erbeuteten Akten finden, wenn ich Ihnen einen Namen sage. Solche Dinge behielt ich ganz für mich. Und schließlich gab ich all meinen Dienststellen die Anweisung, alles zu verbrennen, um meine Quellen zu schützen. Es gibt Dinge, mit denen man handeln kann. Hat aber noch jemand eine Abschrift, dann ist der Handelswert gleich Null.
F.: Ich denke, wir wollen uns über den Wert dessen, was Sie zu geben haben, sicher sein.
M.: Ich gebe nichts. Ich bringe mich und meine Kenntnisse ein. Dies sind belegbare Kenntnisse. Akzeptieren Sie mich und dann auch die Tatsachen. Dies wäre die beste Vorgehensweise. Sie sitzen aufgeregt hier, und ich bin mir
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sicher, daß Sie mich wahrscheinlich nicht mögen. Das macht nichts. Ich mag Sie auch nicht. Aber in diesem Geschäft spielen persönliche Gefühle keine Rolle, ausgenommen dann, wenn Ihr Instinkt Sie über die Beweggründe des Ihnen Gegenübersitzenden warnt. Wir haben dieses Problem nicht. Ich habe Ihnen etwas anzubieten, und Sie benötigen es. 1945 hätten Sie mich als Kriegsverbrecher verurteilt. Heute sitzen Sie in meinem Haus, essen Erstklassiges, das mein Koch zubereitet hat, und genießen meine ausgezeichneten Weine. Niemand weiß, was in einigen Jahren geschieht. Vielleicht greifen die Russen Sie an, und ich bin dann ein Held. Vielleicht greifen sie auch nicht an, und dann brauchen Sie mich nicht mehr. Doch ich bezweifle das. Ein guter Polizist wird immer gebraucht, nicht geliebt, wohlgemerkt, aber benötigt. Und Sie brauchen Hilfe, um den ganzen kommunistischen Mist, der sich jahrelang bei Ihnen angehäuft hat, zu beseitigen.
F.: Sie sprachen zuvor von der »Roten Kapelle«. Wir wissen darüber einiges. Ich persönlich nahm am Verhör von Manfred Roeder teil.
M.: Ich weiß nicht, was Sie sich von ihm erhofften.
F.: Einiges. Er erwähnte Sie mehrmals...
M.: Ich kann mir vorstellen, was er gesagt hat. Einmal nannte er mich einen furchtbaren und grausamen Menschen: Er stand im Ruf, ein guter Fahnder zu sein, aber er blieb nicht in der Spur. Ich sagte ihm einmal, er koste den Staat viel Zeit und Geld, wenn er mit diesen Leuten seine Spielchen triebe. Ihre Schuld stand außer Frage, und die Verhöre waren sinnlos. Die meisten gestanden zu irgendeinem Zeitpunkt. Roeder begann die Nerven zu verlieren und fühlte Mitleid mit den beteiligten Frauen. Er wollte sie retten. Warum weiß ich nicht. Die Schulze-Boysen war lesbisch, und die Harnack war so häßlich wie eine Boh-
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nenstange. Ich glaube also nicht, daß er in sie verliebt war. Schließlich machte Hitler dem ein Ende. Sie wurden hingerichtet, und damit war der Fall erledigt. Zeitverschwendung.
F.: Roeders Auffassung nach hätten gesetzliche Vorschriften beachtet werden müssen.
M.: Warum? Es herrschte Krieg, und diese Kreaturen waren überführte Verräter, ich sagte überführte Verräter. Was soll man darüber mehr sagen. Zeitverschwendung.
MU 13-75-96: 4 S. 3-18
Kommentar
Läßt man weitschweifige Erörterungen über Truppenstärken und verschiedene militärische Planspiele für Feldzugspläne gegen die Sowjetunion beiseite, dann stellt sich beim Unternehmen Barbarossa noch die Frage, ob es sich dabei um einen Ausdruck von Hitlers oft beschworenen wachsendem Größenwahn handelte oder um einen berechtigten Präventivschlag gegen ein Land, das sich zur Invasion anschickte. Die anfänglichen militärischen Planspiele wurden als eine Untersuchung betrachtet, wie ein Krieg mit der Sowjetunion, sollte er einmal notwendig werden, beschaffen sein könnte. Die ersten Planspiele stammten vom Juli 1940, als Frankreich besiegt und und das britische Expeditionskorps vom Festland vertrieben worden war. Gleichzeitig mit den militärischen Planspielen versuchte Hitler selbst eine politische Bewertung der Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland. Es steht außer Zweifel, daß Stalin den Druck entlang der Westgrenze verstärkte und die dortigen Streitkräfte erheblich auf-
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stockte. Im August 1940 verfügte Stalin über insgesamt 151 Infanterie-Divisionen, 32 Kavallerie-Divisionen und 38 motorisierte Brigaden. Davon standen ihm 118 Infanterie-Divisionen, 23 Kavallerie-Divisionen und 28 motorisierte Brigaden für einen Einsatz gegen Deutschland zur Verfügung. Gegen Juni 1941 besaß Stalin als Ergebnis einer verstärkten Mobilisierung allein 118 Infanterie-Divisionen, 20 Kavallerie-Divisionen und 40 motorisierte Brigaden, die an der deutsch-russischen Grenze bereit standen. Zudem konnte er auf weitere 27 Infanterie-Divisionen, 5 1/2 Kavallerie-Divisionen und eine motorisierte Brigade im europäischen Teil Rußlands in Bereitschaft zurückgreifen. Der Großteil dieser Truppen stand nördlich der Pripjet-Sümpfe; die restlichen im Süden dieser ausgedehnten natürlichen Grenze aus sumpfigem Waldgebiet. Obwohl die deutsche Abwehr Schwierigkeiten hatte, genaue Zahlen über die Stärke des sowjetischen Aufmarsches zu erhalten, so konnte dennoch kein Zweifel daran bestehen, daß eine wesentliche Truppenverstärkung im Gange war. Aufklärungsflüge der Luftwaffe, Berichte ausländischer Diplomaten sowie verstärkter sowjetischer Funkverkehr deuteten auf die starke Ansammlung russischer Truppen hin.
Die Frage stellt sich, ob die sowjetische Truppenkonzentration defensiver oder offensiver Natur war. Historiker haben darauf hingewiesen, daß niemals Beweise für sowjetische Invasionsabsichten aufgetaucht sind. Eine ausgewogene Betrachtung der Truppenbewegungen könnte sehr wohl andeuten, daß beide Sichtweisen richtig sind. Da ist die Frage der Aufstellung sowjetischer Artillerieeinheiten längs der Grenze. Die Sowjets konzentrierten dort im großen Stil ihre Artillerie, um einen Hauptangriff vorzubereiten. Die Art, wie diese Artillerie in Stel-
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lung gebracht wurde, deutete unzweifelhaft auf Angriffsabsichten.
Die Aufstellung von Schützenpanzereinheiten der Infanterie hinter der Artillerie waren nur dann zu erklären, wenn diese Streitkräfte als Spitze für einen Angriff dienen sollten. Eine Defensivaufstellung hätte bedeutet, daß die Artillerie im Rückraum der ersten sowjetischen Linien gestanden hätte, um einen angreifenden Gegner beschießen zu können. Eine Defensivverteidigung hätte es auch verboten, derartig viele Panzereinheiten in Frontnähe zu massieren. Für einen Verteidigungsfall hätten sie weiter hinten postiert werden müssen, um bei einem feindlichen Durchbruch mehr Bewegungsraum zum Gegenanngriff zu haben.
Dies sind nur Kommentare, die nicht als Beweis für irgendetwas gedacht sind. Wichtiger ist die Meinung von General Franz Halder, des Oberbefehlshabers des Heeres, zu Beginn des Unternehmens Barbarossa. Halder war ein erbitterter Gegner Hitlers, was ihm später die Entlassung einbrachte.
In seinem Buch »Hitler als Feldherr«, das 1949 in München erschien, und das später, 1950, als »Hitler as War Lord« ins Englische übersetzt und in England veröffentlicht wurde, widmet Halder dem »Unternehmen Baraba-rossa« beachtlichen Raum. Er verdient es, ausführlicher zitiert zu werden (engl. Ausgabe S. 38 f):
›...der Horizont im Osten wurde ständig dunkler. Rußland marschierte mit zunehmender Stärke in die baltischen Staaten ein, die als russisches Interessensgebiet zugestanden wurden. An der deutsch-russischen Demarkationslinie standen über eine Million russischer Soldaten in voller Kriegsordnung mit Panzern und Flugzeugen einigen wenigen deutschen Sicherheitskräften gegenüber, die
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zudem noch über weite Strecken hinweg verteilt waren. Im Südosten hatte Rußland rumänisches Gebiet besetzt: Bessarabien und das Buchenland (Bukowina). Zudem reagierte Rußland auf Hitlers politische Manöver nicht. Der letzte Versuch, Rußland als Partner für die Aufteilung der Welt gemäß Hitlers Vorstellungen zu gewinnen, war bei einem zweitägigen Treffen mit Molotow Mitte November 1940 gescheitert. Der Politiker Hitler war mit seinem Latein am Ende. Im Dezember 1940 erging sein Befehl an die drei Waffengattungen der »Barbarossa-Befehl«, Pläne für einen Angriff auf Rußland auszuarbeiten unter der Voraussetzung, daß sich die deutsch-russischen Beziehungen grundsätzlich ändern würden. Es war eine vorbereitende Maßnahme. Eine Entscheidung war nicht gefallen. Man muß es dem Politiker zugestehen, hinhaltend zu taktieren und die endgültige Entscheidung erst im letzten Augenblick zu treffen. Wann genau Hitler diese Entscheidung traf, kann wahrscheinlich nicht mehr festgestellt werden. Erklärungen, Reden und Befehle, um die Maschinerie, sollte es erforderlich sein, materiell wie psychologisch in Gang zu setzen, können bei diesem Meister der Doppeldeutigkeit nichts bedeuten. Indes kann angenommen werden, daß die Entscheidung erst nach den schnellen Erfolgen beim Balkanfeldzug fiel, im Verlauf dessen Rußlands Feindschaft Hitler gegenüber deutlich sichtbar geworden war. Die Entscheidung, Rußland anzugreifen, fiel Hitler nicht leicht. Sein Geist war voll der Warnungen seiner militärischen Berater. Der Schatten Napoleons, Vergleiche mit ihm hörte er gerne, lag über den geheimnisvollen Weiten dieses Landes. Andererseits hatte er die feste und begründete Überzeugung, daß sich Rußland auf einen Angriff auf Deutschland vorbereitete. Heute wissen wir aus guten Quellen, daß er recht hatte. Rußland würde
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natürlich dann angreifen, wenn Deutschland in einer wenig günstigen Ausgangslage war, anders ausgedrückt: Wenn der Westen wieder handlungsfähig war. Der Zweifrontenkrieg, den der Generalstab lange vor 1938 in einer Denkschrift vorausgesagt hatte, wäre dann eine Tatsache.«
Halder hatte sicher eine Stellung inne, die es ihm ermöglichte, die militärische Lage richtig einzuschätzen. Nach dem Einmarsch und den schnellen Niederlagen der sowjetischen Streitkräfte fand man dann wie gesagt genügend Material, das die ersten Einschätzungen bestätigte. Da Halder ein strenger Kritiker Hitlers war, sind seine Kommentare zu diesem Thema, welche die Notwendigkeit militärischen Handelns widerspiegeln, weitaus wertvoller als etwa die Einschätzung aus der Feder eines Hitleranhängers.
Der Partisanenkrieg, der hinter der deutschen Front während dieses Feldzuges herrschte, war von höchster Grausamkeit gekennzeichnet. Keine Seite gab nach. Die Sowjets hatten sich darauf spezialisiert, in befriedete Gebiete einzudringen, gegen deutsche Objekte im Hinterland vozugehen und ihre Landsleute die Last der Gegenmaßnahmen tragen zu lassen. Müllers Kommentare über die Kommissare und die kommunistischen Parteifunktionäre sind durchweg zutreffend; auch die Tatsache, daß Angehörige der beiden Gruppen, sofern man sie gefangen nahm, hingerichtet wurden, ist zutreffend. Man machte Warlimont in Nürnberg wegen seiner Befehle in der Kriegführung gegen die Partisanen den Prozeß. Er wurde nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis nie von den USA in Dienst gestellt.
Die Rote-Kapelle-Angelegenheit, die Müller erwähnte, betraf einen kleinen sowjetischen Agentenring, der von dem Luftwaffenoffizier Harro Schulze-Boysen geleitet
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wurde. Dieser arbeitete eng mit sowjetischen Agenten zusammen und belieferte sie mit hochwertigen militärischen Nachrichten. Obwohl die Wehrmacht diese Gruppe zuerst ausfindig machte, übernahmen Müller und die Gestapo die Untersuchung. Manfred Roeder war Beisitzer bei einem Militärgericht der Luftwaffe; er führte die Verhandlungen. Roeder stand im Ruf, ein erfolgreicher Staatsanwalt und damit herrisch, aber stets anständig zu sein. Müller benutzte den Vorgang, um für sein Gegenspiona-geprogramm mehr Quellen zu erhalten. Er bekam einen verschwommenen Einblick in Roeders häufig unwirksames Treiben. Roeder andererseits betrachtete Müller mit gewisser Beklommenheit. So verhielten sich die meisten anderen, die mit dem Gestapo-Chef zu tun hatten.
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