ROOSEVELT, CHURCHILL UND PEARL HARBOR
Die Müller-Akten enthalten eine Vielzahl historisch interessanter Dokumente. Darunter befindet sich eine Auswahl an Mitschnitten der persönlichen Ferngespräche, die US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill während des Krieges geführt hatten.
Am 6. März 1942 schickte der deutsche Reichspostminister Dr. Wilhelm Ohnesorge den nachfolgenden Brief an Adolf Hitler. Ihm beigefügt war ein Mustermanuskript eines mitgeschnittenen Ferngespräches:
Der Reichspost-Minister Berlin W 66, 6. März 1942
Leipziger Straße 15
Geheime Reichssache!
U5342-11 Bfb Nr. 23 GRs
Entschlüsselung des Telefonsystems England-USA
Mein Führer!
Die Forschungsanstalt der deutschen Reichspost hat als Ergebnis ihrer jüngsten Bemühungen ein System fertiggestellt, das dazu bestimmt ist, die Ferngespräche zwischen den USA und England mitzuschneiden. Bislang war dies wegen der benutzten Kommunikationstechniken unmöglich gewesen. Auf Grund dieser bedeutenden Arbeit seiner Techniker ist die Reichspost die einzige Dienststelle in Deutschland, die nunmehr in der Lage ist, die bislang nicht lesbaren Gespräche mitzuschneiden und zu entschlüsseln.
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Ich werde diese Ergebnisse dem Reichsführer-SS , Pg. Himmler, übergeben, der sie am 22. März weiterleiten wird.
Es ist meine Absicht, und ich setze Ihre Zustimmung voraus, daß diese Mitteilungen nur einem kleinen Kreis bekannt werden, damit die Engländer von unserem Erfolg nichts erfahren. Falls ja, könnte es das Mitschneiden ernsthaft gefährden.
Heil mein Führer!
Ohnesorge*
1937 hatte die US-amerikanische »Telefon- & Telegraphen-Gesellschaft« (AT&T.) ein Gerät, A3 genannt, eingesetzt, um Telefongespräche undeutlich zu machen. Dieses Gerät ermöglichte es, Gespräche während der Übertragung zu verschlüsseln und es am anderen Ende wieder hörbar zu machen. Somit war ein Mitschneiden eines geführten Gespräches zunächst unmöglich. Die Deutsche Reichspost hatte vor dem Krieg ein Gerät von AT&T gekauft, um es bei den Fernsprechleitungen zwischen Deutschland und den USA einzusetzen.
Indes war jedes dieser Geräte anders, und in der Praxis konnten die Besitzer eines Gerätes die Übertragung eines anderen nicht mitschneiden.
Das von Roosevelt und Churchill benutzte A3-System befand sich an einem sicheren Ort des Bürogebäudes der AT&T in New York - 47 Walker Street; das britische Gegenstück befand sich in London. Roosevelts Gespräche
* National Archiv (NA) Rolle T-175, Regale 129 ff.
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mit Churchill liefen über dieses New Yorker Büro. Dort überwachten Techniker ständig die Gespräche, um sicher zu gehen, daß das übermittelte Gespräch wirklich unverständlich war, nachdem es das Mischgerät durchlaufen hatte.
Im September 1939 wurde das Gerät dann auch vom Weißen Haus genutzt, und am ersten dieses Monats hörte Roosevelt von seinem persönlichen Freund William Bul-litt, Botschafter in Frankreich, daß die Deutschen in Polen einmarschiert waren.
Die Deutschen wußten sehr wohl aus einem wenig diskreten Artikel in der »New York Times« vom 8. Oktober 1939 mit der Überschrift »Roosevelt ist in Telefongesprächen durch ein Störgerät geschützt, um den Spionen im Ausland einen Strich durch die Rechnung zu machen«, daß der amerikanische Präsident dieses Störgerät benutzte.
Die Spione im Ausland indes empfanden diese indiskrete Nachricht als Herausforderung, und Dr. Ohnesorge war entschlossen, einen Weg zu finden, um dennoch die Botschaften des amerikanischen Präsidenten zu entschlüsseln. Er beauftragte Kurt Vetterlein, einen Fachmann auf diesem Gebiet, sich damit zu befassen, wobei das A3-Gerät, das sich damals bei der Reichspost befand, als Ausgangsgrundlage benutzt werden mußte. Ende 1940 hatten Vetterlein und seine Gruppe von Spezialisten Roosevelts Sicherheitssystem dann wirklich entschlüsselt.
Vetterlein baute dann ein Gerät, das in der Lage war, jedes geführte Gespräch ohne irgendeinen Wortverlust aufzuzeichnen. Ohnesorge ordnete an, daß eine Mitschnei-destation in der besetzten holländischen Küstenstadt Noorwijk aan Zee, nördlich von Den Haag, errichtet wird. Hier baute Vetterlein in einer ehemaligen Jugendherberge all die erforderliche Technik auf, um die transatlantischen
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Ferngespräche rund um die Uhr mitschneiden und aufzeichnen zu können.
Der erste Mitschnitt erfolgte am 7. September 194l um 7.45 Uhr. Die Anzahl der täglich aufgezeichneten Gespräche, bei einem 24-Stunden-Rythmus, beliefen sich auf höchstens 60, mindestens aber auf 30. Sie wurden von Fachleuten auf ihren Nachrichtenwert hin untersucht.
Wichtiges Material wurde im englischen Original aufgezeichnet und dann mittels Kurier zu Hitlers militärischem Hauptquartier oder zu Heinrich Himmler nach Berlin übermittelt.
Himmler wiederum ließ Abschriften anfertigen und diese innerhalb seiner Abteilung zirkulieren. SS-General Gottlob Berger, Chef von Himmlers Hauptbüro, war einer der Empfänger. Der Chef der Abteilung Überseespionage des Sicherheitsdienstes oder SD erhielt weitere. In seiner Eigenschaft als Chef der Abteilung Gegenspionage der Regierung erhielt Müller ebenfalls gelegentlich Mitschnitte.
Zweifelsohne war es Müllers Interesse am sowjetischen Spionagebereich, das dazu führte, daß er einen Originalmitschnitt eines höchst geheimen und im Rückblick sehr explosiven Gespräches vom 26. November 1941 zwischen Roosevelt und Churchill erhielt.
Immer wenn man auf den japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 und den darauf folgenden Eintritt der USA in den Krieg, der dann zum Zweiten Weltkrieg führte, zu sprechen kam, gab es heiße und sich lang hinziehende Erörterungen hinsichtlich der historischen Rolle, die Roosevelt dabei spielte. Seine Gegner haben behauptet, daß der Präsident vom bevorstehenden japanischen Angriff sehr wohl wußte und an einer erfolgreichen Durchführung deshalb so interessiert war, weil
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sie ihm einen Kriegsgrund lieferte, der es ihm ermöglichte, aktiv gegen seinen eigentlichen Feind, nämlich Hitler, vorzugehen. Vieles ist über die Entschlüsselung der japanischen Nachrichten geschrieben worden, das im Nachhinein klar auf einen japanischen Angriff deutete. Die Kenntnis über den Informationsfluß ins japanische Außenministerium deutete für die Amerikaner allgemein auf einen japanischen Luftangriff hin, falls die japanisch-amerikanischen Streitfragen im Pazifik nicht friedlich hätten gelöst werden können.
Keine dieser diplomatischen Nachrichten verschaffte den Amerikanern jedoch genaue Kenntnisse über einen solchen Angriff. Alles, was man daraus entnehmen konnte, war die Erkenntnis, daß die Japaner keinen Krieg mit den USA wollten. Sie bemühten sich verzweifelt um irgendeine friedliche Lösung. Außer der Tatsache, daß Roosevelt dies sehr genau wußte, gab es keinen Beweis dafür, daß der Präsident von einem besonderen Angriff auf die USA Kenntnis hatte.
Am 26. November 1941 zeichnete die deutsche Mithörstation in Holland das folgende Gespräch über die Lage im Pazifik zwischen Roosevelt und Churchill auf. Es ist von derart wichtiger historischer Bedeutung, daß es im folgenden vollständig wiedergegeben wird. (Siehe dazu im Anhang die Originaldokumente, Anlage III).
»Nr.321/4l Geheime Reichssache
Zeit: 26.11.4l
Uhrzeit: 13-35
Gesprächsteilnehmer: A = Franklin Roosevelt, Washington
B = Winston Churchill, London
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In diesem Gespräch erläutert Winston Churchill Frank-lin Roosevelt die japanische Planung gegen Amerika.
Das Gespräch nahm folgenden Verlauf:
B: Franklin, es tut mir furchtbar leid, Dich um diese Zeit zu stören. Aber es haben sich höchst wichtige Dinge ergeben, so daß ich das Bedürfnis verspürte, sie Dir sofort mitzuteilen.
A: Winston, das geht vollauf in Ordnung. Sicherlich würden Sie mich nicht um diese Uhrzeit mit Nichtigkeiten stören.
B: Lassen Sie mich meiner Mitteilung eine Erklärung vorausschicken, warum ich über diese Tatsachen nicht schon früher Andeutungen gemacht habe. Zuallererst: Bis auf den heutigen Tag war die Nachricht nicht sicher. Bei Dingen von solcher Wichtigkeit neige ich nicht dazu, darüber lässig zu plaudern. Nun habe ich Berichte unserer Agenten in Japan in Händen sowie seit einiger Zeit besondere Meldungen in Form verschlüsselter Botschaften (wird unterbrochen) der japanischen Marine auf höchster Ebene.
A: Darauf waren Sie aus. Wie ernst ist es?
B: Es könnte nicht schlimmer sein. Eine starke Sondereinheit der japanischen Marine, die aus sechs Flugzeugträgern, zwei Schlachtschiffen und eine Menge anderer Einheiten, darunter Tankschiffe und Kreuzer, besteht, ist gestern aus einem geheimen Marinestützpunkt der nördlichen japanischen Inseln ausgelaufen.*
A: Wir beide wußten, daß dergleichen eintreten wird. Mir liegen auch Berichte über eine beachtliche Streit-
* Hitokappu Bay auf den Kurilen.
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macht vor, die in China aufgestellt wird und offensichtlich in Richtung Süden in Marsch gesetzt werden soll.*
B: Ja, wir haben davon Kenntnis. (Störung)....sind weiter als Ihr beim Lesen der verschlüsselten Botschaften der japanischen Marine.** Aber auch ohne das liegen die Absichten auf der Hand. Und sie werden sich sicherlich in Richtung Süden in Marsch setzen. Aber die Sondereinheit, von der ich sprach, bewegt sich nicht in Richtung Süden, Franklin, sie bewegt sich in Richtung Osten...
A: Sicherlich müssen Sie....Würden Sie bitte wiederholen?
B: Ich sagte nach Osten. Diese Einheit fährt in Richtung Osten..., auf Sie zu.
A: Vielleicht haben sie einen östlichen Kurs eingeschlagen, um Beobachter zu narren. Dann planen sie nach Süden zu drehen, um die Landung in diesem südlichen Bereich zu unterstützen. Ich habe...
B: Nein. In diesem Augenblick befindet sich diese Sondereinheit im nördlichen Pazifik, und ich kann Ihnen versichern, daß ihr Ziel (wird unterbrochen) die Flotte in Hawaii ist, in Pearl Harbor.
* Es gab eine solche Streitmacht; ihr Ziel war Malaysia.
** Die Amerikaner waren hinter das Verschlüsselungssystem der japanischen Marine gekommen, das von der US-Marine JN-25 genannt wurde, waren aber heim Übersetzen noch nicht so weit wie die Briten.
Die Pearl Harbor-Sondereinheit wurde von verschiedenen Stellen zu ihrem gemeinsamen Treffpunkt geschickt. Die Funker, die einen regelmäßigen Funkverkehr aufrecht erhielten, blieben zurück, um Lauscher irre zu führen.
Lange hatte man gedacht, die Entschlüsselung des sogenannten japanischen »Purpur-Codes« des diplomatischen Dienstes sei das verräterische Ergebnis eines japanischen Diplomaten und nicht den Bemühungen der US-Techniker zu verdanken.
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A. Das ist furchtbar. Können Sie die Qualität Ihrer Nachricht sagen, ..., angeben? (wird unterbrochen) zuverlässig? Ohne Ihre Quelle bloßzustellen...
B: Ja. Ich muß vorsichtig sein. Unsere Agenten in Japan haben über die zusätzlichen(wird unterbrochen) Flotteneinheiten berichtet, Und diese sind aus den japanischen Heimatgewässern verschwunden. Wir verfügen auch über höchst zuverlässige Quellen im japanischen Außenministerium und selbst beim Militär...
A: Wie zuverlässig?
B: Eine der Quellen ist derjenige, der uns das Material über die diplomatischen Verschlüsselungssysteme geliefert hat, das (wird unterbrochen), und eine Marinedienst-stelle(!), die unsere Spionageabteilung bloß gestellt hat. Franklin, Sie müssen mir vertrauen. Ich kann nicht deutlicher werden.
A: Einverstanden.
B: Wir können das Knacken des Verschlüsselungssystems nicht aufdecken. Versteh das doch.Nur ich und einige (wird unterbrochen), nicht einmal Hopkins.* Dies geht dann geradewegs nach Moskau. Sicherlich wollen wir das nicht.
A: Ich versuche noch immer zu..., was offensichtlich naheliegt: Die Japs versuchen bei Pearl Harbor ein Port Arthur.** Stimmen Sie mir zu?
* Harry Hopkins war Roosevelts Vertrauter. Die Briten verdächtigten ihn sehr stark, während seiner Besuche bei Stalin, den Sowjets höchst geheimes Material zu verkaufen.
** Im Jahre 1904 führte die japanische Flotte einen Überraschungsangriff auf die russische Flotte durch, die in Port Arthur lag. Sie fügte den ahnungslosen Russen beachtlichen Schaden zu und begann so den russisch-japanischen Krieg.
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B: In der Tat. Wenn sie nicht sogar dieser hinterhältigen Unternehmung einen Angriff auf den Panama-Kanal hinzufügen. Ich kann mir schlecht vorstellen, daß der Kanal ihr Hauptziel ist, vor allem deswegen, weil Ihre Flotte zwischen ihren Nachschubwegen mit Japan liegt. Nein. Wenn sie den Kanal angreifen wollen, dann müssen sie zuerst Ihre Flotte neutralisieren ... (wird unterbrochen).
A: Die übelste Form von Verrat. Wir können unsere Verteidigungsanlagen auf den Inseln entsprechend vorbereiten und ihnen, sofern sie kommen, einen warmen Empfang bereiten.Das würde sicherlich diesem Arsch von Kongreß etwas Dampf machen.
B: Wenn sie einen Bombenangriff machen wollen, wobei die Flugzeuge nur von den Flugzeugträgern kommen würden, welchen tatsächlichen Schaden könnten sie überhaupt anrichten? Bei welchen Zielen?
A: Ich gehe davon aus, daß ihre Torpedos im Außenbereich explodieren würden. Das Gewässer um Pearl Harbor ist zu seicht, als daß ein erfolgreicher Torpedoangriff * möglich wäre. Wahrscheinlich würden sie mittelschwere Bomben auf die Schiffe abwerfen und dann ...schießen (wird unterbrochen), eine Menge Schiffe würde beschädigt werden, und die Japs würden zweifelsohne unsere Flughäfen angreifen. Ich kann mir einigen Schaden vor-
* Dies war ein weitverbreiteter Irrtum im Denken der Amerikaner. Die Japaner hatten für ihre Lufttorpedos eine besondere Technik entwickelt, die es möglich machte, sie auch in seichten Gewässern einzusetzen. Normalerweise sinken Lufttorpedos vor dem Laufen ziemlich tief ein. In seichtem Gewässer wie um Pearl Harbor wären diese Torpedos tatsächlich im Schlamm des Hafenbodens versackt.
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stellen, aber ich glaube nicht, daß ein Flugplatz oder ein Schlachtschiff sehr viel abbekommen würde. Welches Datum nennen Ihre Leute als das genaue Angriffsdatum?
B: Das genaue Angriffsdatum ist der 8. Dezember*. Dies ist ein Montag.
A: Die Flotte ist über das Wochenende im Hafen. Unter der Woche läuft sie oft aus...
B: Die Japs fragen regelmäßig (wird unterbrochen) nach dem genauen Standort Ihrer Schiffe.
A: Aber Montag ist seltsam. Sind Sie dessen sicher?
B: So steht es im Kalender. Montag ist der 8. (wird unterbrochen)....er ist es wirklich, ich versichere es Ihnen.
A:.. .dann muß ich das Gesamtproblem überdenken. Ein japanischer Angriff auf uns würde zu einem Krieg mit uns führen.....und sicherlich auch mit Ihnen. Er würde sicherlich zwei der wichtigsten Erfordernisse unserer Politik erfüllen. Harry berichtete mir häufig..., und ich vertraue ihm mehr als dem sowjetischen Botschafter.., daß Stalin darüber sehr verzweifelt ist. Die Nazis stehen vor den Toren Moskaus, seine Armeen schmelzen dahin, die Regierung wurde bereits evakuiert. Und obwohl Harry und Marshall meinen, daß Stalin durchhalten und gegebenenfalls Hitler besiegen kann, so kann man nicht sagen, was geschehen wird, wenn die Japs plötzlich Stalin in den
* Das von Churchill erwähnte Datum gibt genau das Datum an, das aus dem Funkverkehr der japanischen Marine mitgeschnitten wurde. Leider haben weder Churchill noch der britische Nachrichtendienst gemerkt, daß es sich beim 8. um die Ortszeit von Tokio handelte. Und diese ist, im Vergleich zu Pearl Harbor, ein Tag früher. Die internationale Datumsgrenzc verläuft zwischen Hawaii und Japan.
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Rücken fallen. Trotz aller Vereinbarungen zwischen ihnen, und der Tatsache, daß die Japaner Matsuoka fallen ließen, gibt es innerhalb der hohen japanischen Militärs noch immer starke anti-russische Gefühle. Ich meine, wir müssen uns entscheiden, was wichtiger ist....die Russen weiterhin im Spiel zu behalten, um die Nazis bis zu ihrer möglichen eigenen Vernichtung ausbluten zu lassen (wird unterbrochen) und Stalin mit Waffen zu beliefern. Aber denken Sie daran, er ist Ihr Verbündeter, nicht meiner. Hierzulande gibt es starke isolationistische Gefühle und ziemlich viele Anti-Kommunisten.
B: Faschisten...
A: Richtig: Aber sie würden alles in ihren Kräften Stehende tun, jeden Versuch meinerseits zu blockieren, Stalin mehr als etwas finanziell zu unterstützen.
B: Aber auch wir beide haben unsere großen Probleme. Unsere Schiffe, von denen unsere Nation abhängt, werden von den Hunnen schneller versenkt, als daß wir sie ersetzen können (wird unterbrochen), die Japaner greifen uns beide im Pazifik an? Wir könnten Malaysia verlieren, unser Hauptlieferant für Gummi und Zinn. Und sollten die Japs Java mit seinem Öl einnehmen, dann könnten sie sich nach Süden, nach Australien, wenden. Und ich habe Ihnen wiederholt gesagt, wir können sie nicht lange aufhalten (wird unterbrochen)* und in der
* Die hier fehlender Wörter lauten offensichtlich »Ich habe versprochen«. Das hatte er talsächlich. Die Lieferung bestand aus zwei Schlachtschiffen, der Repulse und der Prince of Wales. Er schickte sie nach Singapur. Sie wurden sofort von japanischen Bombern am 10. Dezember 1941 bei Kuantun versenkt.
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Tat, ich kann nichts schicken. Wir brauchen jeden Mann und jedes Schiff, um Hitler in Europa zu bekämpfen.., auch in Indien. Muß ich Ihnen sagen, daß das Empire daran zugrunde gehen wird? Wir können auf unserer kleinen Insel nicht überleben, Franklin (wird unterbrochen.). Laß zu, daß die Japs Euch angreifen, dann können Sie schließlich Ihre Kriegserklärung vom Kongreß bekommen, (wird unterbrochen)
A:... nicht so fähig, wie Sie es beim Übersetzen ihrer Meldungen sind. Die Armee und die Marine sind aufeinander eifersüchtig. Es geht so viel ein, daß jedermann verwirrt ist. Wir haben keine Agenten vor Ort in Japan und jeden Tag gehen Dutzende von Meldungen ein (wird unterbrochen), die sich widersprechen oder nicht gut übersetzt sind. Ich habe drei verschiedene Übersetzungen der gleichen Nachricht mit drei völlig verschiedenen Bedeutungen gesehen (wird unterbrochen). Ich verstehe Ihre Befürchtungen hinsichtlich der britischen Besitztümer im Pazifik... Wenn die Japaner uns beide angreifen, sind wir möglicherweise in der Lage, sie zu zerschmettern und all unsere verlorenen Gebiete zurück zu erhalten. Was mich anbelangt, so wäre ich wirklich froh, die Philippinen los zu werden.
B: Ich sehe das Ganze als Spiel (wird unterbrochen)... wie wäre Ihre Entscheidung? Wir können uns damit nicht allzu lange aufhalten. Uns bleiben höchstens elf oder zwölf Tage. Können wir uns jetzt nicht im grundsätzlichen verständigen? Ich sollte erwähnen, daß einige Berater empfohlen haben, Sie davon nicht zu unterrichten, und alles seinen Gang gehen zu lassen. Sie ersehen aus meiner Mitteilung, wo meine Loyalität liegt. Bei jemanden, der mit Herz und Seele auf unserer Seite gegen Hitler ist.
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A: Winston, ich schätze Ihre Loyalität. Was wird hier andererseits geschehen, wenn einer unserer Abwehrleute in der Lage ist, die gleiche Nachricht mitzuschneiden, sie zu entschlüsseln und sie an mich weiterleiten wird? Ich kann das nicht übergehen... alle meine Abwehrleute werden dann davon wissen. Ich kann das nicht übergehen.
B: Aber wenn es nur eine verschwommene Nachricht sein sollte?
A: Nein. Es müßte eine besondere Nachricht sein. Ich könnte sie nicht einfach unter den Teppich kehren, (wird unterbrochen)
B: Natürlich nicht. Ich denke, wir sollten sich die Dinge einfach so entwickeln lassen.
A: Ich glaube, ich kann vielleicht einen Grund finden, daß ich von Washington weg bin, während sich die Krise entwickelt. Was ich nicht weiß, kann mich nicht berühren. Auch ich kann Nachrichten mißverstehen, vor allem auf längere Entfernungen (wird unterbrochen)
B: ...vollständig. Meine besten Wünsche für Sie.
A: Danke für Ihren Anruf.
Nr. 321/41 GRs«
Kommentar
Roosevelts Rolle beim Angriff auf Pearl Harbor war schon früh Gegenstand von Mutmaßungen. Seine Gegner behaupteten, er habe die Japaner bewußt in den Krieg getrieben, damit es ihm möglich ist, seinen Erzfeind Hitler zu bekämpfen. Seine Anhänger haben diese These heftig bestritten. Die Vielzahl von Büchern, Fachaufsätzen und Mediendramen scheint kein Ende zu finden.
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Von Roosevelt-Anhängern wurden verschiedene gewichtige Argumente ins Feld geführt, die eine sorgfältige Betrachtung erforderlich machen. Der erste Punkt befaßt sich mit der Arbeit der amerikanischen Militärabwehr und handelt in erster Linie vom Mitschnitt verschlüsselter japanischer Nachrichten. Es wurde festgestellt, daß der japanische Diplomatencode, Purpur genannt, von den Amerikanern entschlüsselt worden war, und folglich alle hochrangigen diplomatischen Nachrichten zwischen Tokio und den japanischen Diplomaten in der ganzen Welt, sofort nachdem sie aufgegeben worden waren, gelesen werden konnten. (Die durchschnittliche Übersetzungszeit betrug zwei Tage).
Mit dem Code der japanischen Armee und Marine war es etwas anderes. Die amerikanische Regierung hat jahrzehntelang steif und fest behauptet, diese Codes seien nicht entschlüsselt worden oder, falls doch, dann seien sie nicht vor 1945 übersetzt worden. Während fast alle Purpur-Mitschnitte veröffentlicht worden sind, so sind bisher nur sehr wenige verschlüsselte Nachrichten der japanischen Marine gedruckt worden. Und wenn dies doch der Fall ist, dann enthalten sie nichts Bedeutendes.
Das japanische Pearl-Harbor-Sonderkommando funkte auf der Fahrt zu den Hawaii-Inseln nicht, jedoch das Marinehauptquartier zum Sonderkommando. Der Inhalt dieser Funksprüche ist bis heute unbekannt. Vielleicht wird es auch nie bekannt werden, obwohl die National Security Agency (Amt für nationale Sicherheit), bei der sich diese Dokumente befinden, mitgeteilt hat, sie wolle die Mitschnitte des Funkverkehrs der japanischen Marine, bekannt als JN-25, irgendwann in der Zukunft freigeben.
Das Argument, das vor allem von Roberta Wohlstetter vorgebracht wurde, lautet, daß so viel Material mitge-
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schnitten worden sei, daß es für die amerikanischen Abwehrstellen äußerst schwierig gewesen wäre, die Spreu vom Weizen zu trennen. In der Rückschau ist es mehr als offensichtlich, daß die Japaner irgendeinen Angriff planten. Aber das Ziel dieses Angriffes sei im Wust umfangreicher und schwierig zu übersetzender Nachrichten untergegangen.
Ein weiterer gut vorgebrachter Einwand ist die Behauptung, daß es schwierig gewesen wäre, den endgültigen Angriff auf Pearl Harbor geheim zu halten, wenn die amerikanische Abwehr davon erfahren hatte. Zu viele Übersetzer und weiteres Militärpersonal wären damit befaßt gewesen.
Am Freitag, dem 28. November, verließ Roosevelt tatsächlich in seinem gepanzerten Sonderzug Washington, um, wie er es nannte, zu einem verspäteten »Thanks-giving« (Erntedankfest) nach Warm Springs in Georgia zu fahren. Obwohl Roosevelt nicht gerne freitags reiste, tat er es bei dieser Gelegenheit dennoch. Die Reise dauerte über 23 Stunden. Er hielt sich lange genug in Warm Springs auf, um eine Rede zu halten und den Erntedankfest-Trut-hahn anzuschneiden. Er wurde durch verzweifelte Botschaften von Henry Stimson, dem Kriegsminister, und Cordell Hull, seinem Außenminister, zurückgerufen. Roosevelt kam am l. Dezember wieder in Washington an und hatte sich mit einer wachsenden Krise zu befassen.
Armee und Kriegsmarine der damaligen Zeit waren verhältnismäßig klein, und die meisten höheren Offiziere in beiden Waffengattungen kannten einander sehr gut, da sie jahrelang zusammen gedient hatten. Mangels jedes konkreten Beweises hinsichtlich des Empfangs japani-
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scher Nachrichten, die sich mit einem Angriff auf einen bestimmten amerikanischen Standort befaßt hätten, sei es unglaubwürdig gewesen, daß diese höheren Offiziere einem Angriff gegen amerikanische Militäreinheiten zugesehen hätten.
Die Warnung an Roosevelt konnte also nicht von unteren Chargen kommen, sondern von einer gleichrangigen Ebene und zudem von einer ausländischen Abwehrquelle, die weitaus besser ausgestattet war, um die japanischen Meldungen entschlüsseln und übersetzen zu können.
Ein weiterer Punkt, der von Interesse ist, lag in Roose-velts möglicher Absicht, den Druck auf die Japaner zu verstärken. Als geeignetes Mittel hierzu erwies sich ein Ölembargo, das Japan dann tatsächlich in den Krieg trieb. Roosevelts Motive waren einerseits die Zuneigung zu China, andererseits sein Haß auf Hitler und die Deutschen. Die persönliche Verbindung zu China läßt sich leicht erklären: sein Großvater mütterlicherseits betrieb dort noch höchst einträglichen Opium- und Einwanderungsschmuggel.
Beide Gründe sind zwar gewichtig, erklären jedoch nicht Roosevelts gefährliches Spiel mit dem Feuer im Umgang mit Japan. Aus den mitgeschnittenen Meldungen der japanischen Diplomatie ergibt sich klar, daß Tokio nicht nur nicht an einer Verschärfung der Krise mit den USA interessiert, sondern ernsthaft bemüht war, die gefährliche Lage, deren schnelle Zuspitzung die Japaner beunruhigte, zu entschärfen. Roosevelt und seine Berater waren sich der günstigen Lage, in der sie mit der japanischen Regierung ein wirkungsvolles Gespräch führen konnten, sehr wohl bewußt. Jegliche Annäherungsversuche der Japaner wurden schroff abgewiesen. Als sich die diplomatische Krise verschärfte, war es für
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Washington klar ersichtlich, daß Japan militärisch handeln würde.
Die Hintergründe, warum Roosevelt seine Gangart gegenüber Japan verschärfte, indem er Verhandlungen abblockte, sind bereits ausführlich erforscht worden. Die zutreffendste Antwort liegt in dem vorliegenden mitgeschnittenen Telephongespräch, wo es sich um die sowjetischen Fragen dreht.
So sehr Roosevelt den Kriegseintritt gegen Deutschland wünschte, so hinderte der Kongreß ihn doch daran, einen persönlichen Krieg zu führen. Ein de facto -Krieg gegen Deutschland fand bereits im Atlantik statt, wo US-amerikanische Schiffe im offenen Schlagabtausch mit deutschen U-Booten standen. Hitler ging jedoch auf diese Provokation der USA nicht ein und ließ sich nicht zu einer einseitigen Kriegserklärung verleiten, die sich Roosevelt erhoffte, um den Kongreß an seine Seite zu zwingen. Eine Zeit lang war Roosevelt deshalb in seinem Ehrgeiz gebremst.
Mit Hitlers Einmarsch in Rußland im Juni 1941 schien die Erfüllung von Roosevelts Zielen in greifbare Nähe zu rücken. Er hatte sehr gewichtige Gründe, Stalin in dessen »Vaterländischen Krieg« gegen die Wehrmacht zu unterstützen. In Europa gab es keinerlei Kräfte, die Hitler gewachsen waren. Frankreich war besiegt, Englands Armee war zerschlagen und die Insel wurde belagert. Die Briten waren auf dem Kontinent von den deutschen Streitkräften klar geschlagen und 194l waren sie aus Griechenland und von Kreta vertrieben worden. England war nicht in der Lage, irgendeine ernsthafte Militäraktion gegen Deutschland zu unternehmen, und die USA waren, formal-juristisch betrachtet, noch immer neutral.
Mit dem Beginn seiner Präsidentschaft hatte sich Roosevelt rührig um die Unterstützung der gut organisierten
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kommunistischen Partei in den USA bemüht. Die KP war besonders im Staat New York stark verankert und tätig. Roosevelt war dort zuvor Gouverneur gewesen, und indem die Kommunisten geschlossen wählten, entschieden sie häufig wichtige Wahlen. Roosevelts Regierung war voll von aktiven wie passiven Kommunisten, welche die New-Deal-Programme, also die politische Annäherung zur Sowjetunion, nachhaltigst unterstützten. Als 1939 der Hitler-Stalin-Pakt unterzeichnet wurde, machten viele US-amerikanische Kommunisten eine ernsthafte Gewissenskrise durch. Aber als im Juni 194l Hitler »Mütterchen Rußland« einmarschierte, wurden sie von ihrer Kollektiv-Angst erlöst, und Stalin nahm erneut seinen Platz als Idol für die Arbeiter und Bauern ein, als das beau ideal (das schöne Ideal) für verbitterte Intellektuelle und Akademiker auf der ganzen Welt.
Alle Ziele Roosevelts wurden durch die nun mögliche Unterstützung Stalins betroffen. Jedoch, der schnelle Vormarsch der Wehrmacht in Rußland und die massiven Land-, Material- und Menschenverluste der Roten Armee, verursachten in Washington und London große Bestürzung. Wenn, so wie es im Herbst 1941 aussah, Rußland zusammenbrechen würde, dann wäre die letzte große Hoffnung verloren, Hitler und sein Land aufhalten und zerstören zu können.
Der sowjetische Machtbereich war schnell in den asiatischen Teil Rußlands zurückgedrängt worden, als die Vorhut der deutschen Wehrmacht vor Moskau stand, und sich die ganze Sowjetarmee schon im Oktober 1941 in einem sich hinziehenden Todeskampf um die Hauptstadt befand. In dieser heiklen Lage bestand die Gefahr, daß die Japaner, Erzfeinde Rußlands und mutmaßliche Verbündete Deutschlands, die Chance hätten nutzen können, daß
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Stalins Armeen im Westen gebunden waren und die offene Flanke hätten angreifen können, indem sie in seine östlichen Provinzen einmarschieren würden - ein Gebiet, das außergewöhnlich schwierig zu versorgen war, wie bereits die Generale des Zaren 1904 herausgefunden hatten.
Die Feindschaft zwischen Russen und Japanern fand ihren Höhepunkt im russisch-japanischen Krieg, den Rußland verlor. Die öffentliche Erniedrigung, die Rußland erdulden mußte, wurde durch den Aufstieg Japans zur Weltmacht ausgeglichen. Die Feindseligkeit zwischen den beiden Ländern legte sich allerdings trotzdem nie. Im Juli 1938 wandte ein expansionistisches Japan, das in einen furchtbaren Krieg mit den chinesischen warlords verwickelt war, seine Aufmerksamkeit Rußland zu und versuchte, sich bei Changkufeng in der Nähe des wichtigen sowjetischen Marinestützpunktes Wladiwostok, Gebiete innerhalb der Sowjetunion anzueignen. Die Sowjets gingen zum Gegenangriff über und trieben die Japaner auf ihr eigenes Gebiet zurück. Unverzagt griffen die Japaner die Russen im Mai 1939 erneut an. Monatelang fanden zwischen den beiden Staaten schwere Kämpfe statt. Schließlich führte Ende August der Sowjetgeneral Schukow einen massiven Gegenangriff gegen die Japaner und setzte dabei neun Divisionen und 600 Panzer ein. Die Japaner wurden hart geschlagen, verloren 18.000 Mann und eine beachtliche Zahl von Flugzeugen.
Aufgrund dieser peinlichen Niederlage gab es im japanischen Oberkommando eine Strömung, die einen Krieg gegen die Sowjetunion vorbereiten wollte. Japanische Pläne für einen Großangriff auf Wladiwostok wurden Hitler Anfang März 194l von Baron Oshima, dem prodeutschen japanischen Botschafter, gezeigt. Hitler erörterte
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mit Mitgliedern seiner militärischen Umgebung die Möglichkeiten dieses Angriffes während des ganzen Jahres hindurch. Matsuoka, der im Mitschnitt erwähnt wird, war jener Yosuke Matsuoka, ein Vertreter der harten antisowjetischen Richtung, der im Juli 1941 aus der Regierung entfernt wurde, um die Russen zu beruhigen. Seine Rückkehr an die Macht war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auszuschließen.
Das Hauptproblem für Roosevelt lag somit auf der Hand. Stalin war der Schlüssel für die amerikanisch-britische Politik. Wenn Stalin fiel, würde Hitler die russische Militärstruktur zerschlagen können. Und dies durfte nicht geschehen. Roosevelt gab Stalin daher Geld, konnte aber dem Diktator zunächst keine weitere Unterstützung gewähren, ohne sich mit Deutschland in Kriegszustand zu begeben. Sollten sich die Japaner entschließen, gegen Stalins östliche Provinzen vorzugehen, dann müßte er einen Zweifrontenkrieg führen und würde aller Wahrscheinlichkeit nach schnell besiegt werden können.
Für Roosevelt bestand die dringende Notwendigkeit, Japan daran zu hindern, irgendwelche militärischen Schritte gegen Rußland zu unternehmen. Indem der amerikanische Präsident diplomatischen und wirtschaftlichen Druck auf Japan ausübte, hoffte er, die Japaner an einem russischen Abenteuer zu hindern und sie zu ermutigen, sich in die andere Richtung zu bewegen, sollten sie sich bewegen wollen. Der US-Präsident hätte wenig zu verlieren gehabt, wenn sich Japan statt auf das sowjetische Festland gen Pazifik orientiert hätte, denn die USA hatten im Fernen Osten militärisch wenig investiert, sieht man von einigen Inseln im Mittleren Pazifik und den Philippinen ab, deren Unabhängigkeit für 1948 geplant war. Die Briten hatten dagegen, worauf Churchill Roosevelt nach-
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drücklich hinwies, im Fernen Osten große militärische Anstrengungen unternommen. Roosevelt, der zur damaligen Zeit alle Trümpfe in der Hand hielt, wischte Churchills Befürchtung, das Empire zu verlieren, mit dem vagen Versprechen weg, daß verloren gegangene Gebiete später wiedererlangt werden könnten. Roosevelt war jedoch ein erbitterter Gegner des damals bestehenden Kolonialsystems und hatte nicht die Absicht, die einmal befreiten Gebiete an ihre Herren zurückzugeben.
Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden sowohl Australien als auch Neuseeland aufgefordert, Truppen für Nordafrika zur Verfügung zu stellen. Als es wahrscheinlich wurde, daß es im pazifischen Raum zum Krieg mit Japan kommen könnte, holte Churchill die Empfehlung seiner Militärberater ein hinsichtlich der Wirksamkeit des Einsatzes britischer Streitkräfte zur Verteidigung der britischen Besitzungen im Pazifik ein. Der Bericht fiel höchst negativ aus. Churchill sah nun ein, daß es nicht möglich wäre, den großen Marinestützpunkt in Singapur zu verstärken oder bei der Verteidigung Australiens oder Neuseelands gegen einen japanischen Angriff zu helfen. Keines der beiden Länder erhielt zunächst eine Abschrift dieses Berichtes. Seine spätere Entscheidung, ihnen dennoch eine Abschrift zukommen zu lassen, wurde dem Militärbefehlshaber in Singapur übermittelt. Schließlich wurde dieser Bericht auf dem Seeweg mit der SS »Automedon« geschickt, die vom deutschen Hilfskreuzer »Atlantis« aufgebracht wurde. Der Geheimbericht wurde sowohl an die japanische Regierung als auch nach Berlin geschickt. Das Wissen um die Tatsache, daß Großbritannien seine Interessen im Pazifik weder verteidigen konnte noch wollte, war für die Japaner offensichtlich von großem Interesse.
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Der amerikanische Druck auf die Japaner einen Angriff auf Rußland zu unterlassen, ist sicherlich die einfachste Antwort auf die vielschichtigen Fragen, die in der Nachkriegszeit wegen des Kriegsausbruchs im Pazifik gestellt worden sind.
Und in der Tat war Roosevelt bei seinen Matadorbewegungen zur Ablenkung des japanischen Bullen ganz und gar erfolgreich. In pragmatischer Hinsicht hat er seine Ziele völlig erreicht, was man heute nüchtern feststellen muß. In der Geschichtsschreibung gibt es keinen Platz für moralische Erwägungen. Moral und Ethik sind ausgezeichnete Normen, aber kaum wirksame historeographische Hilfestellungen.
Müllers Unterlagen enthalten mehrere Dutzend weiterer Mitschnitte von Gesprächen zwischen Roosevelt und Churchill. Einer handelt vom geheimnisvollen Tod des polnischen Generals Sikorski und ein weiterer beinhaltet die Frage »Wohin mit jüdischen Flüchtlingen aus Polen?«. Dieses Gespräch ist zu offen und direkt, als daß man es in Zukunft kaum aus einer ernsthaften historischen Untersuchung ausklammern kann. Es geht hierbei um die Bemerkungen Churchills hinsichtlich der Persönlichkeit, des Charakters und der Tätigkeit des US-Präsidenten gegenüber dem britischen Botschafter in Washington.
Der britische Premierminister war zweifellos der größte Verlierer im allgemeinen Endspiel, das der Zweite Weltkrieg darstellte. Er war mit allen Mitteln bemüht, das zu bewahren, was vom britischen Weltreich übrig geblieben war, und mußte dann dennoch seine wirtschaftliche und geopolitische Zerstörung mit ansehen. Roosevelt war dagegen der nachrägliche Gewinner, wenn man die US-Vorherrschaft in der Welt nach dem Krieg mit einbezieht.
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Hitler verschwand von der Bühne, und Stalin schuf einen schrecklichen Machtbereich, der schließlich fünfzig Jahre später auseinanderbrechen sollte. Die Japaner bauten ihre zerstörten Fabriken wieder. Aus den Ruinen ihrer Häuser stiegen sie zu einer mächtigen Weltwirtschaftsmacht auf. Ihr »Bushido-Kodex« wurde vom Schlachtfeld in den Sitzungssaal übertragen. Und dies mit größerem Erfolg, wie die Errichtung ihres großen ostasiatischen Wohlstandsgebiets beweist.
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