BENITO MUSSOLINI, ADMIRAL DARLAN UND GENERAL SIKORSKI

Der Großteil der Mitschnitte von Ferngesprächen zwischen Roosevelt und Curchill sind verhältnismäßig unbedeutend. Die historisch bedeutendsten handeln vom japanischen Angriff auf Pearl Harbor. Schließlich ist jedoch noch auf ein anderes Gespräch hinzuweisen, das historisch von besonderem Wert ist. Es wurde am 29. Juli 1943 geführt.

Im Juli 1943 landeten die 43. und 37. US-Division auf Neu-Georgien, der polnische Exilführer General Wladis-law Sikorski kam bei einem Flugzeugunfall vor Gibraltar ums Leben, die deutsche Kursk-Offensive begann, alliierte Fallschirmjäger landeten auf Sizilien, Hamburg wurde von der britischen Luftwaffe bombardiert, dabei wurden Zehntausende von Menschen getötet und am 25. Juli wurde der italienische Diktator Benito Mussolini durch eine Palastrevolution entmachtet und von Helfern des italienischen Königs unter Arrest gestellt.

Da nun einer der Achsen-Führer entmachtet war, waren sowohl Roosevelt als auch Churchill entschlossen, daß Italien die Gelegenheit gegeben werden sollte, die Seite zu wechseln. Nachrichen über Funk wie auch Botschaften gingen hin und her. Sie wurden durch mehrere persönliche Gespräche zwischen den beiden alliierten Führern ergänzt. Nachfolgend sollen zwei dieser Gespräche der Öffentlichkeit über 50 Jahre darnach zugänglich gemacht werden.; sie wurden wie bereits erwähnt am 29. Juli geführt.

In den deutschen Mitschnitten stand »A« für Amerika und »B« für Großbritannien. Dies wurde nachfolgend beibehalten. Der Klarheit wegen, wurden verschiedene Hin-

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weise auf Übertragungsgeräusche und gelegentliche sinnentstellende Wörter weggelassen:

A: Ich habe hinsichtlich der Lage in Italien einige zusätzliche Überlegungen, die ich mit Ihnen erörtern möchte. Ich habe über unsere Aktionen in Sachen Mussolini und sein mögliches Schicksal nachgedacht. Nachdem er uns übergeben worden ist.

B: Wir müssen ihn erst haben. Ich zweifle nicht daran, daß er letztendlich unser Gefangener wird, sofern sie ihn natürlich nicht zuvor umbringen, oder er seiner gerechten Strafe entgeht, indem er sich selbst tötet.

A: Und es besteht auch die Möglichkeit, daß die Nazis zu ihm vorstoßen. Wo befindet er sich jetzt?

B: Die Italiener haben uns mitgeteilt, er befinde sich z. Zt. im Gewahrsam im Polizeipräsidium in Rom. Sie wollen ihn verlegen, da es den Anschein hat, daß sich die Deutschen plötzlich entscheiden könnten, die Zahl ihrer Truppen in Italien zu verstärken, und Rom wäre das logische Ziel. Sie werden ihn wegschaffen.

A: Aber sie werden ihn nicht ausliefern, den Deutschen z. B. als eine Art Ausgleich ?

B: Ich glaube nicht. Die Italiener hassen die Deutschen, und wir haben den Königshof fest in der Tasche. Wir können ziemlich sicher sein, daß Mussolini unser Gefangener wird.

A: Winston, wäre dies ein geschickter Schachzug? Wir wären gezwungen, eine Art Hauptverhandlung durchzuführen, die sich monatelang hinziehen könnte. Und selbst wenn wir sie kontrollieren, könnte dies zu Schwierigkeiten mit der normalen Bevölkerung führen. Und ich sollte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß viele Italiener hierzulande zumindest stille Bewunderer dieser Kreatur sind. Wenn wir ihm den Prozeß machen würden,

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könnte dies zu Schwierigkeiten führen. Natürlich bestünde am Ausgang kein Zweifel; er würde am Strick enden.

Aber in der Zwischenzeit könnten sich diese Prozesse hinziehen. Ich nehme an, wir müßten auch einer Menge seiner elenden Genossen den Prozeß machen und sie hinrichten lassen. Ich kann einige schädliche Punkte bei einem solchen Vorgehen ausmachen.

B: Bei allem gibt es schädliche Gesichtspunkte, Franklin. Meinen Sie denn, ihm sollte nicht der Prozeß gemacht werden? Was würden unsere Freunde in Italien über unser falsches Mitleid denken? Ich habe zu gewissen Kreisen in Italien die besten Verbindungen. Und unter uns, sie wollen die öffentliche Erniedrigung und den Tod von Mussolini. Wir können uns derzeit eine solche Großmut nicht leisten. Und zudem hätte sein Tod auch eine heilsame Wirkung auf die Nazis.

A: Ich stimme damit überein, aber meiner persönlichen Auffassung nach, könnte ein öffentlicher Prozeß schädliche Auswirkungen auf die Lage in diesem Land haben. Wie ich schon sagte, gibt es hierzulande unter den Italienern einige Sympathie für diese Kreatur.

Die Frage, die sich stellt, lautet: Wie wäre ihre Reaktion auf einen solchen Prozeß? Ich denke in erster Linie an die bevorstehenden Wahlen hierzulande. Der Prozeß wäre sicherlich nicht in einer Woche vorbei. Und je näher er an das Nominierungsdatum und gegebenenfalls an den Wahltag heranrückt, umso größer wäre die Gefahr, daß uns die Italiener, die bei der Wahl, so meine Meinung, ein gewisses Gewicht darstellen, entfremdet werden.

B: Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine Freilassung Mussolinis irgendeinem unserer gemeinsamen Ziele förderlich wäre. Ich meine, daß wir zu diesem Zeitpunkt der Geschichte einen Wendepunkt erreicht haben. Die Ent-

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Scheidung liegt nun bei uns. Ich meine nicht, daß der Krieg nun sofort zu Ende sein wird. Aber ich meine, daß wir uns nun auf einer via triumphalis (Straße des Sieges d.Verf.) und nicht auf einer via dolorosa (Straße des Leides d.Verf.) befinden, auf der wir so lange gingen.

A: Ich meinte nicht, daß wir den Teufel freilassen sollten. Auf keinen Fall. Ich bezog mich auf einen öffentlichen Prozeß. Sollte Mussolini vor Beginn eines solchen Prozesses sterben, dann wären wir, so meine ich, in vielerlei Hinsicht besser dran.

B: Sie schlagen also vor, daß wir ihn einfach erschießen, wenn ihn die Italiener uns ausliefern?

Eine Art Kriegsgerichtsprozeß? Natürlich nicht öffentlich. Dies könnte eine heilsame Wirkung auf die hartgesottenen Faschisten haben, die noch immer am Wirken sind, und vielleicht eine noch größere Wirkung auf die Hitleristen.

A: Nein. Ich habe darüber nachgedacht und meine, daß es uns viel besser in den Kram passen würde, wenn Mussolini stirbt, wenn er sich in italienischem Gewahrsam befindet, als wenn wir den Anschein eines Prozesses vortäuschen würden.

B: Ich glaube nicht, daß die Italiener mitmachen würden, selbst wenn ich sie um einen solchen Gefallen bitten würde. Meiner Auffassung nach wollen sie sich an ihm rächen, und zwar so lange und so öffentlich als möglich. Sie wissen ja, wie die Italiener gerne in ihren Opern über Rache klagen und trällern. Können Sie sich vorstellen, daß sie die Gelegenheit aus der Hand geben, mit den Armen herumzufuchteln und sich in Szene zu setzen?

A: Ich hatte vor, daß wir ihn beseitigen lassen, so lange er sich in ihrem Gewahrsam befindet, sofern wir zu einer Einigung gelangen. Gleichzeitig könnten wir öffentlich

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seine Auslieferung für einen Prozeß verlangen. Dies wäre etwas geschickter als die Sache mit Darlan...

B: Franklin, Ich muß an diesem Hinweis Anstoß nehmen. Dies ist vorbei, und unsere Leute sind keineswegs am wohlverdienten Schicksal eines bekannten Stiefellekkers der Nazis interessiert.

A: Ich kenne Ihre Ansicht zur Darlan-Sache sehr wohl, und Sie kennen meine, wie ich weiß. Es ist in meinen Abwehrkreisen und anderswo bekannt, daß Sie diesen Mann haben umbringen lassen. Wir haben die Mordwaffe, und die Benutzung amerikanischer Munition hat sich nicht bewahrheitet.* Die Tatsache ist die, daß die Ermordung Darlans uns oder zumindest Ihnen in die Schuhe geschoben wird. Und alle Dementi haben wenig genutzt. Wenn Darlan von einem Franzosen erschossen worden wäre...

B: Er wurde von einem Franzosen erschossen.

B:...während er noch in Frankreich war, gäbe es keine weiteren Zweifel. Wenn Musssolini beseitigt würde, so lange er noch in italienischem Gewahrsam ist, dann gäbe es nie Zweifel, wer ihn umgebracht hat. Und diese Zweifel würden später auch nicht hier auftauchen, um die italienischen Wähler durcheinander zu bringen.

* Jean-François Darlan, Admiral der französischen Vichy-Regierung, wurde am 24. Dezember 1942 von Agenten de Gaulles ermordet. Roosevelt unterstützte die Verwendung von Vichy-Bcamten bei der Verwaltung eroberter ehemaliger französischer Gebiete. Churchill dagegen unterstützte sehr stark de Gaulle, dergegen die Verwendung ehemaliger Vichy-Leute war. Der Kampf zwischen Roosevelt und Churchill fand seinen Höhepunkt in der Ermordung von Darlan durch einen jungen Franzosen, der vom britischen SOK-Nachrichtendienst ausgebildet worden war. Die Mordwaffe, eine britische Welrod-Pistole, gelangte in amerikanische Hände und soll zuletzt im Aberdeen-Versuchsfeld in Maryland aufbewahrt worden sein.

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B: Ich kann die große Bedeutung der italienischen Stimmen in Amerika mit unseren Absichten nicht in Einklang bringen.

A: Als Sie Cockran besucht haben, ist es Ihnen da nicht gelungen, praktische Kenntnisse unseres politischen Systems zu erlangen?*

B.:Ich habe den Mann, nicht das System studiert. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine Handvoll Italiener in Ihrem Land irgendeinen ernsthaften Einfluß auf Ihre Entscheidungen haben könnte.

A: Ich versichere Ihnen, daß es für mich wichtig ist, nicht nur die strategischen Folgen all unserer Schritte zu erwägen, sondern auch den Einfluß dieser Schritte auf meine eigene Lage. Dinge, die für Sie grundlegend sind, sind es für mich nicht. Da wir gerade beim Thema sind. Ich habe einige Anmerkungen zum Vorgang Sikorski zu machen, die meine Haltung verdeutlichen.

B: Auch diese Sache ist vorbei. Ein und für alle Mal vorbei. Ich habe diesem Menschen im Parlament meinen Tribut gezollt. Sie wissen das. Und dieser Mensch ist tot.

A: Tot und zerfallen. Ich benötige keine verzweifelten Mitteilungen von Ed Kelly** aus Chicago über die Haltung der dortigen polnischen Wähler, um zu wissen, daß die

* Bourke Cockran war ein irisch-amerikanischer Politiker und ehemaliges Kongreßmitglied. Er war einer der vielen Liebhaber von Jennie Churchill, der Mutter von Winston, und war bekannt für seine Beredsamkeit und seine Bühnenauftritte. Winston Churchill besuchte ihn 1895 in Amerika und wurde von dem älteren Mann im Reden ausgebildet. Churchill betrachtete Cockran immer als seinen erfahrenen Ratgeber, vgl.: Ralph Matin: Jennie, Bd. II, 1971, S. 72-74.

** Edward Kelly war der Vorsitzende der Demokraten in Chicago.

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Beseitigung von Sikorski schlimmer als ein Verbrechen war. Mit den Worten Talleyrands: Es war ein grober Schnitzer.

B: Wir haben das schon früher erörtert...

A: Darf ich bitte weitermachen? Die Polen stimmen block weise. Und ich benötige ihre Stimmen bei der nächsten Wahl. Ich brauche auch die Unterstützung der Italiener, der Juden und der Sozialisten usw. usw. Die Beseitigung von Sikorski verursachte hierzulande jede Art von Schwierigkeiten. Glauben Sie mir das!

B: Ich begreife nicht, warum dies der Fall sein soll. Wir beide waren uns einig, daß dieser Mensch im Kreml großes Unbehagen und Verärgerung ausgelöst hatte. Und mit dieser Haltung schuf er zwischen uns allen eine Kluft. Wir können uns einen solchen Bruch zu diesem Zeitpunkt nicht erlauben. Er wäre verhängnisvoll. »Onkel Joe« hätte den Nazis ungeeignete Vorschläge gemacht und eine Vereinbarung ins Auge gefaßt. Und es ist natürlich wirklich unmöglich festzustellen, ob er es macht, um die Zweite Front zu stärken, oder ob es ihm ernst damit ist. Derlei, so unangenehm es auch sein mag, muß getan werden, um unser gemeinsames Wohl voran zu bringen. Zudem kann ich mir nicht vorstellen, daß Sie unsere persönlichen Gespräche zu diesem Thema vergessen haben, als ich zuletzt in Washington war. Immerhin ist es erst zwei Monate her. Und unsere Meinung zu diesem Thema war gleich.

A: Ich habe zu keinem Zeitpunkt gesagt, daß Sikorski beseitigt werden sollte. Ich stimmte lediglich mit Ihnen und »Onkel Joe« darüber ein, daß Sikorski ein sturer Unruhestifter war, der im trüben fischte. Sicherlich stimmte ich zu, daß man ihm Zügel anlegen sollte. Er war immerhin völlig von unserer Gutmütigkeit hinsichtlich seines weiteren Lebens abhängig. Aber wie sich nun herausgestellt

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hat, bekomme ich deswegen mehr Druck, als mir lieb ist. Die polnischen Stimmen in Chicago sind wichtig. Ich brauche alle Stimmen, die ich bekommen kann.

B: Geht es dabei nicht um etwas Höheres?

A: Winston, soll ich die Sache auf Grundlegendes zurückführen?

B: Ich bitte Sie darum.

A: Wenn ich nicht nominiert werde, kann ich nicht gewählt werden. Verstehen Sie das? Und wenn ich nicht gewählt werde, wird sich mein möglicher Gegner, der sich in der Hand des Reaktionäre und der Geschäftswelt befindet, aller Wahrscheinlichkeit nach weder gegenüber Ihnen noch besonders gegenüber »Onkel Joe« als besonders freundlich erweisen. Sollte ich stürzen, dann könnte das Bündnis zerbrechen... und wahrscheinlich würde es dies auch. »Onkel Joe« könnte mit Hitler einen Separatfrieden abschließen, und wo bleibe dabei England? Hitler könnte seine Wut und seine Luftwaffe wegen Vorgängen wie dem letzten Angriff auf Hamburg gegen Euch richten. Könnte sich England ohne unsere Hilfe halten? Ich meine, Sie sollten mehr gesunden Menschenverstand entwickeln, wenn es um Fragen geht, die mehr als eine Seite haben.

B: Ich will meine Beurteilung hier nicht in Frage gestellt wissen. Sie wissen sehr gut, daß wir den Fall Sikorski in allen Einzelheiten erörtert haben, und daß Sie mit meiner Lösung voll und ganz einverstanden waren. Sie können weder Ihre Kenntnis noch Ihre Mitverantwortung leugnen. Damit bin ich nicht einverstanden.

A: Sie müssen wohl oder übel einverstanden sein. Ich wiederhole, daß ich vorher keine Kenntnis davon hatte. Und laß mich dies betonen, vorher keine Kenntnis vom unpassenden Unfall hatte, der Sikorski zustieß, während er sich unter Eurem Schutz und Eurer Kontrolle befand.

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Daß sein Ende vorhersehbar war, will ich nicht bestreiten. Aber ich will nicht, daß Sie mich der vorherigen Kenntnis von diesem glücklichen Unfall bezichtigen. Einer meiner vertrautesten Berater sagte, als er von diesem Unfall erfuhr, daß die meisten Leute, die nicht Ihrer Meinung sind, tödliche Flugzeugunfälle zu haben scheinen. Sicherlich könnte man das Schema ändern? Schiffe, die schließlich untergehen. Ich erinnere an die Lusitania.

B: Ja. Aber man kann sich bei einer solchen Tragödie schwimmend retten. Bei einem Flugzeugunfall ist es ziemlich schwierig, davon zu kommen.

A: Wir können das in Einzelheiten erörtern, wenn wir uns nächsten Monat treffen. Aber ich möchte sagen, daß es in einigen Fällen notwendig ist, sich auf die Wirklichkeit auf politische Schlachtfelder, auf denen ich täglich kämpfen muß, zu begeben. Und nun müssen wir ernsthaft das Wie einer offiziellen italienischen Kapitulation überdenken. Und überdenken Sie einige meiner Ansichten zum Thema Mussolini. Wir müssen nun alle Möglichkeiten sehr sorgfältig prüfen, insbesondere in Anbetracht einer möglichen Unruhe wegen des polnischen Problems. Sie denken darüber nach, nicht wahr?

B: Vielleicht könnten Donovans Leute* uns dabei behilflich sein. Eine Sache aufzuteilen, ist sicherlich trotz allem das Gütezeichen für echte Verbündete.

* General William (»Wild Bill«) Donovan, ehemaliger Staatsanwalt aus New York, war ein persönlicher Freund Roosevelts. Er gründete das »Office for Strategie Services« (OSS), Büro für strategische Dienste, das als amerikanischer Auslandsnachrichtendienst sowie als Geheimdienst tätig war. Nach Roosevelts Tod löste sein Nachfolger Truman im Oktober 1945 den OSS auf, da er voller bekannter Kommunisten war. Der OSS hatte eine Sonderabteilung, die sich mit Mordanschlägen befaßte und sowohl mit britischen als auch mit sowjetischen Dienststellen mit ähnlichen Aufgaben zusammenarbeitete.

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A: Ich habe dabei keine Schwierigkeiten. Lassen Sie diese Kreatur weiterhin überwachen und tue alles, damit die Nazis nicht rausbekommen, wo er sich aufhält. Ich weiß nicht, was schlimmer wäre. Ein öffentlicher Prozeß oder Mussolinis Rettung oder Flucht. Er kann noch immer großes Unheil anrichten. Ich muß nun wieder ins Bett, aber ich wünschte, ich könnte Ihnen eine Biene unter Ihre Schlafmütze setzen.

B: Mir wäre es lieber, wenn Sie mir kein Wespennest aufs Haupt stülpen würden.

A: Das ist ganz und gar nicht meine Absicht. Immerhin ist es schade, daß Joe Kennedy in England nicht mit dem Flugzeug reist.

B: Das wird kaum notwendig sein. Wir erschießen hier Spione. Was hat das mit Kennedy zu tun?

A: Ein gefährlicher Mann, Winston, aber für etwas ist er zu einflußreich. Nun, Ihr habt Eure Herzöge von Windsor und Kent, und ich habe Joe Kennedy. Ich vergesse nie, was diese Kreatur gegen mich gesagt und getan hat. Ich vergesse es seinem Sohn nie, daß er es gewagt hat, mich beim Konvent (der Demokraten) offen herauszufordern. Winston, ich bin sehr müde und muß Ihnen nun gute Nacht sagen. Wir können nächstens bei weniger Belastung darüber sprechen. Gute Nacht.

B: Gute Nacht.

Anmerkung

In einer offiziellen Mitteilung vom folgenden Tag, dem 30. Juli 1943, erörterte Roosevelt die Aussichten einer italienischen Kapitulation mit Churchill. Und er untermauerte seine Ansichten über Mussolini wie folgt: »Es ist

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meine Meinung, daß ein Versuch, den ›Oberteufel‹ in naher Zukunft gefangen zu nehmen, sich günstig auf unser Hauptziel, das darin besteht, Italien aus diesem Krieg herauszuhalten, auswirken wird. Wir können uns bemühen, uns des ›Oberteufels‹ und seiner Helfer rechtzeitig zu bemächtigen und dann ihren persönlichen Schuldanteil festlegen. Die Bestrafung wird der Straftat gerecht werden.« Lowenheim N.A., Hrsg.: ›Roosevelt and Churchill... Their Secret Wartime Correspondance‹ (Roosevelt und Churchill... Ihr geheimer Briefwechsel während des Krieges), Dutton, New York, 1975, S. 357-359, Dokument 246, Nr. 331, 30. Juli 1943.

Es sollte in naher Zukunft keinen Versuch geben, die Italiener zu zwingen, Mussolini an die Alliierten auszuliefern, da sein Schicksal nicht in Rom, sondern in Washington und London beschlossen worden war.

Kommentar

Dieses kurze Beispiel für »Realpolitik« zeigt, inwieweit die Führer demokratischer Staaten in der Lage sind, mit inneren wie äußeren Bedrohungen umzugehen nämlich in einer Art und Weise, die sicherlich realistisch, aber unerwartet ist. Und für den, der Geschichte vereinfachend als Kampf zwischen Gut und Böse sieht, ist dies ernüchternd und niederschmetternd.

General Wladislaw Sikorski war der Kopf der polnischen Exilregierung in London. Schon lange war er den Führern der Alliierten ein Dorn im Auge. Er hatte Klarheit über die Nachkriegsgrenzen zwischen Polen und Rußland verlangt. Diese Forderung erregte Stalin, der darauf nicht einging. Roosevelt wünschte weder seinen ideologischen

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Freund Stalin noch die große polnische Minderheit in den USA zu verletzen. Roosevelt sagte einmal zu Stalin:«Ich habe mehrere Millionen Polen in den Staaten...«.

Im April 1943 erreichte die Spannungskurve dann einen kritischen Höhepunkt. Am 13. dieses Monats hatten deutsche Truppen die Massengräber von Tausenden ermordeter polnischer Offizieren bei Katyn, westlich von Smo-lensk, entdeckt. Sie wurden von Einheimischen darauf aufmerksam gemacht, daß Stalins mörderischer NKWD den Wald als Friedhof für seine zahllosen Opfer benutzt hatte.

Das Gebiet wurde daraufhin untersucht und eine große Zahl von Massengräbern wurde entdeckt. Sie enthielten die sterblichen Überreste von fast 10.000 polnischen Offizieren, die von den Sowjets 1939 gefangen genommen worden waren. Diese Nachricht wurde von den Deutschen am 17. April 1943 veröffentlicht. Der polnische Minister für nationale Verteidigung im Londoner Exil erklärte öffentlich, seine Regierung fordere das Rote Kreuz auf, in dieser Sache Nachforschungen anzustellen. Stalin geriet in Wut und am 26. April brach er die diplomatischen Beziehungen mit der Londoner Exilregierung ab. Roosevelt versuchte, Stalin zu überreden, den Bruch als Unterbrechung der Gespräche und nicht als formellen Abbruch der Beziehungen darzustellen. Er betonte Stalin gegenüber erneut die Zahl der polnischen Wähler in den USA. Stalin war nicht bereit, seine Haltung zu ändern, und er beschuldigte Roosevelt und Churchill, sie hätten offensichtlich kein Interesse, seine Sowjetunion, welche die Hauptlast des Krieges in Europa trug, zu unterstützen.

Sikorski weigerte sich, seinen Standpunkt zu ändern, obwohl er vor Ort durch Churchill und aus der Ferne von Roosevelt stark unter Druck gesetzt wurde. Als sich die

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Nachforschungen der sowjetischen Morde mit beachtlichem internationalen Interesse verbreiteten, verlangte Stalin, er möge seinen Kurs ändern und nannte ihn einen Nazi-Kollaborateur. Roosevelt widersprach dem, aber stimmte zu, daß die Polen einen Fehler gemacht hatten, als sie Hilfe von außerhalb, von den Schweizern forderten.

Mit dem Tod von Sikorski verschwanden die Morde von Katyn aus den Schlagzeilen. Und nach dem Krieg versuchten die Sowjets, erfolglos, die Morde den Deutschen anzulasten.

Nun weiß man, daß die toten Polen nur die Spitze eines riesigen Eisberges waren. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fand man in ehemaligen sowjetischen Akten Unterlagen hinsichtlich des Schicksals der polnischen Offiziere. Stalin hatte über Seiten hinweg »liquidieren« hingekritzelt.

Roosevelt machte Anspielungen auf Flugzeugunfälle in seinem Gespräch. Der Herzog von Kent war der jüngere Bruder des Herzogs von Windsor, des früheren Königs Eduard VIII.

Seine prodeutschen Ansichten waren wohl bekannt und eine Quelle des Ärgernisses für Churchill. Er starb bei einem Flugzeugunglück während des Krieges. Selbst an der Steuerung des britischen Transportflugzeuges von Charles de Gaulle, einst ein Günstling Churchills, aber später in Opposition zu ihm hinsichtlich seiner eigenen Rolle in einem befreiten Frankreich, war manipuliert worden. Nur ein verzögerter Start verhindert einen tödlichen Absturz.

Während des Konvents der Demokraten im Juli 1940 war Joseph Kennedy jr. Delegierter und sprach sich für James Farley aus. Während des Konvents wollten die Roosevelt-Anhänger, daß die Nominierung ihres Kandida-

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ten einstimmig erfolgt. Der junge Kennedy weigerte sich jedoch, sein Stimmverhalten trotz des beträchtlichen Drucks seitens des Roosevelt-Lagers auf ihn und seinen Vater zu ändern. Der alte Kennedy war ein Roosevelt-Anhänger gewesen. Als Belohnung für seine früheren Verdienste für die Partei erhielt er den Botschafterposten in England. Auf diesem Posten machte Kennedy die Briten wegen seiner negativen Haltung zu ihrer Regierung und seinem Rat an Roosevelt, die Briten nicht weiter militärisch zu unterstützen, wütend. Alle Funksprüche vom amerikanischen Außenministerium wurden vom britischen Geheimdienst mitgeschnitten und entschlüsselt. Und die amerikanische Botschaft in London war verwanzt - mit dem Ergebnis, daß viele Anti-Roosevelt-Kom-mentare, die angeblich von Kennedy stammen sollten, von Churchill an Roosevelt weitergeleitet wurden. Der Botschafter wurde schließlich abberufen. Und nach dem Krieg hat eine Reihe britischer Autoren versucht, Kennedy als deutschen Spion darzustellen, allerdings ohne die geringste Spur eines Beweises.

Am 12. August 1944 flog Joseph Kennedy jr. einen Spezialbomber voller Sprengstoff. Es war beabsichtigt, das Flugzeug zu einem deutschen Raketenstützpunkt in der Nähe der französischen Küste zu steuern. Er sollte mit dem Fallschirm abspringen, während die »fliegende Bombe« weiter auf ihr Ziel zufliegen sollte. Kurz nach dem Abheben explodierte das Flugzeug allerdings bereits mitten in der Luft. Kennedy und sein Co-Pilot waren auf der Stelle tot. Die Zündschnüre im Flugzeug, welche den Sprengstoff zur Explosion bringen sollten, waren so gebaut, daß sie von einem FM-Radioleitstrahl entzündet werden sollten. Im Augenblick der Explosion ging plötzlich eine britische FM-Station, deren eigentliche Aufgabe

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es war, falsche Radiosignale auszusenden, um anfliegende V2-Raketen von der Bahn abzubringen, auf Sendung. Die Briten entschuldigten sich später für diesen Irrtum und erklärten, sie hätten überhaupt nichts von Kennedys Sonderauftrag gewußt.

Noch 1944 sagte Joe Kennedy anläßlich einer Strategietagung der Demokraten in Boston zum damaligen Senator Harry Truman: »Warum zur Hölle machst Du für diesen verkrüppelten Hurensohn, der meinen Sohn Joe umbringen ließ, Wahlkampf?«

Quellen: Ein Bericht über Stalins Wut und Roosevelts Versuch, ihn zu besänftigen, findet sich in James MacGre-gors Buch ›Roosevelt: Soldier of Freedom 1940-1945‹ (Roosevelt: Soldat für den Frieden 1940 - 1945), Harcourt Brace Jovanovich, New York 1970, S. 372-373. Ein ausgezeichneter Bericht über die Ermordung der polnischen Kriegsgefangenen durch den NKWD findet sich bei Montgomery Beigion ›Victor's Justice‹ (Siegerjustiz), Regnery 1949, S. 65-78. Die Quelle für den Tod von Joseph Kennedy jr. ist Hank Searls ›Young Joe, the Forgotten Kennedy‹ (Der junge Joe, der vergessene Kennedy), Random House, New York 1992, S. 231-265. Hinsichtlich der Bemerkungen seines Vaters über Roosevelt und den Zwischenfall siehe David McCullough ›Truman‹, Simon & Schuster, New York 1992, S. 324.

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