HERMANN GÖRING - Auszüge -

Wahrend der gesamten Unterredungen, die Müller mit den Amerikanern führte, machte er zahlreiche Bemerkungen über wichtige Persönlichkeiten des Dritten Reiches. Dabei ließ er sich auch in epischer Breite über den Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring aus, den 2. Mann des Dritten Reiches. Müller entwickelt ein facettenreiches Bild dieses Mannes und zeichnet Eigenschaften seines Charakters, die gerne übersehen werden.

M.: Ich hatte Göring über die Jahre hinweg mehrmals getroffen. Als er Ministerpräsident von Preußen war, hatte er die Gestapo ursprünglich gegründet, aber mußte sie dann an Himmler übergeben. Ich weiß wirklich nicht, für wen ich lieber gearbeitet hätte. Göring war eine starke Persönlichkeit. Er war exzentrisch und gefährlich, aber umgänglich. Himmler war stets korrekt, aber eine schwache Persönlichkeit. Er war exzentrisch, nicht gefährlich, aber es war schwierig, mit ihm auszukommen. Himmler konnte man beeinflussen, nicht jedoch Göring. Ich glaube, ich hätte doch nicht lieber für Göring gearbeitet, wegen der Atmosphäre. Die meiste Zeit über lebte er wie ein italienischer Prinz und widmete den Dienstgeschäften wenig Aufmerksamkeit. Er unterstützte seine Leute kaum. Ein Wort von Hitler, und er wiegte sich wie eine Feder im Wind. Natürlich war Himmler ähnlich, aber man konnte ihn ansprechen. Ich leitete die Gestapo ohne jede äußere Einmischung und hatte keine Sorgen wegen Rivalen, weil sonst keiner so hart gearbeitet hat wie ich. Schellenberg

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pflegte um mich herum zu schnüffeln und versuchte, nett zu mir zu sein. ...., eine Hyäne, breites Lächeln usw. Er wollte an meine Akten ran, um weiter zu kommen. Aber er schaffte es nie.

F.: Görings Abwehrtätigkeit war auf die Telefonüberwachung beschränkt, nicht wahr?

M.: Ja, neben der Luftaufklärung war das alles. Er zapfte die Telefonleitungen in Deutschland an, die heimischen wie die internationalen Leitungen. Natürlich machten wir das Gleiche. Aber es gab auf technischer Ebene keine Zusammenarbeit zwischen uns. Ich erinnere mich, daß mich Göring einmal dringend in seinem Büro im Luftfahrtministerium sprechen wollte. Ich hatte keine Ahnung, worum es ging, aber ich war sofort zur Stelle.

Sie wissen, daß ich einmal Mussolini traf, der sein Büro in einem alten Palast in Rom hatte. Gewöhnlich saß er hinter einem riesigen Schreibtisch in einer Ecke und starrte auf die hereinkommenden Leute. Göring hatte ein ähnliches Büro, aber er starrte nicht auf die Leute. Da gab es Wandteppiche, alte Möbel, Gemälde usw. Sah wie in einem Museum aus. Einige dieser Leute, die sich für das Schicksal der Arbeiter und Bauern einsetzten, lebten wie Könige. Sie hätten mein Büro sehen sollen. Im Vergleich dazu nichts. Nur Akten und Telegraphen usw. Keine Ölgemälde oder Wandteppiche und auch kein Marmorfußboden. Jedenfalls war Göring sehr freundlich zu mir, bot mir eine gute Zigarre an und begann umständlich über ein Problem, das er hatte, zu sprechen. Einige Leute, deutlicher wurde er nicht, müßten in die Schweiz, und da ich die Grenzpolizei unter mir hatte, hoffte er, ich könnte ihm behilflich sein. Ich hatte damit keine Schwierigkeiten, brauchte aber weitere Hinweise. Schließlich kam er damit heraus, daß es sich um zwei ältere Juden aus München

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handelte, mit denen er einmal Umgang hatte. Göring befürchtete, Bormann würde sie festnehmen und in ein Lager bringen lassen.

F.: Warum würde Bormann so was tun?

M.: Bormann war ein Ekel, der sich weit vorwagte, um Menschen, auf die er neidisch war, zu quälen, oder von denen er meinte, sie seien ihm in die Quere gekommen.

Ein Freund ihrer Großmutter war Jude? Ab ins Lager mit ihm. Ihre Tochter war in einer Klosterschule? Gut so. Mache das Kloster dicht und vertreibe alle Nonnen und Schülerinnen. Bormann tat derlei gegenüber jedermann, den er nicht mochte. Er haßte jedermann, ausgenommen Hitler. Ich drückte meine Überraschung gegenüber Göring aus und sagte offen, ich sei sicher, er könne mit Bormann fertig werden. In der Tat war Göring von allen Leuten, die ich damals kannte, bei weitem der rücksichtsloseste und kaltblütigste.

F.: Aufschlußreich. Ich verhörte ihn einmal in Nürnberg und fand ihn sehr angenehm und intelligent.

M.: Oh, das war er auch. Träge und in Sachen Kleidung etwas eigen. Setzte sich gerne in Szene. Ein sehr theatralischer Mann. Und hinter all der guten Laune war Göring stets rücksichtslos. In einer schwierigen Lage war er einer der wenigen Menschen, von denen man annehmen konnte, daß sie gut funktionieren. Er hätte Bormann beseitigen lassen können, obwohl Hitler einen Anfall bekommen hätte, wenn er das gemacht hätte. Deshalb hielt sich Göring wahrscheinlich zurück. Und seltsam genug: Hitler hatte vor Göring ziemliche Angst.

F.: Hitler?

M.: Oh ja. Da war die Organisation Todt. Dr. Todt war für den Aufbau verantwortlich und er machte seine Sache sehr

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gut. Göring wollte die Kontrolle darüber, aber Todt wollte nicht mit ihm zusammenarbeiten. Also hatte Todt einen Unfall. Sein Kurierflugzeug explodierte, als es von Hitlers Hauptquartier im Februar (1942, d. Verf.) startete. Der SD stellte Nachforschungen an, und erhielt einen Durchschlag des Berichtes. Hitler wußte, daß Göring hinter dem Anschlag stand, und ergab den Posten Speer, was ein Glücksfall war, weil Speer, was man auch sonst immer über ihn sagen konnte, in der Rüstungsindustrie Wunder vollbracht hatte. Nein. Göring war rücksichtslos. Nicht gemein, aber rücksichtslos. Aber Bormann war nicht zu beseitigen. Daher wählte Göring den für ihn bestmöglichen Weg, indem er keine Angriffsfläche für Bormann bieten wollte. Er wollte wissen, ob ich ihm dabei helfen konnte. Es handle sich um anständige, harmlose Leute, die nicht leiden sollten, weil sie Juden und seine Freunde sind. Ich hatte keinerlei Probleme, ihm dabei zu helfen und sagte es ihm. Ich sagte, ich würde mich selbst darum kümmern, und er zeigte sich höchst dankbar. Ich erhielt eine Anschrift und ein stark versiegeltes Paket, das wahrscheinlich Bargeld enthielt. Ich nahm es in Empfang. Wenn ich zurückdenke, dann war dieser Vorgang schon komisch. Ich hatte in München Familiäres zu regeln. Ich nahm mir daher einige Tage frei und fuhr in meinem Dienstwagen von Berlin nach München -gepanzerter Mercedes mit Dienstflagge und Fahrer. Da ich selten Zeit für Urlaub hatte, versuchte ich die lange Fahrt zu genießen. In München kümmerte ich mich um meine Angelegenheiten und rief dann die alten Leute an. Ich sagte, ich sei früh am Morgen da. Ich benachrichtigte auch Göring in Berlin über mein Tun. Er wiederum unterrichtete seine Mittelsperson in der Schweiz. Und früh am nächsten Morgen fuhr ich quer durch München und setzte die alten Leute in mein Auto. Es waren sehr ordentliche Leute,

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aber zu alt, um ihre Koffer zu tragen. So schafften wir, ich, Chef der Gestapo, ein SS-General, und sein Fahrer, ebenfalls ein SS-Mann, die Koffer der alten Juden hinunter und luden sie in den Kofferraum meines Wagens, so als würde ich für ein Hotel arbeiten. Ich wußte, daß der Fahrer dachte, dies sei ein Witz, aber er wagte nicht, etwas zu sagen. Wir konnten die Taschen nicht zurücklassen. Dem Gewicht nach zu urteilen, mußten sie ihren Ofen hineingepackt haben.

F.: Sie berichten das mit Humor, muß ich zugeben.

M.: Es war eine lange Fahrt durch die Berge bis zur Schweizer Grenze. Ich genoß sie sehr. Ich saß vorne neben dem Fahrer und unterhielt mich auf der Fahrt mit den alten Leuten. Wie ich schon sagte, es waren anständige, gebildete Leute. Es machte mir keine Schwierigkeiten, ihnen aus dem Lande zu helfen.

F.: Niemand hielt sie unterwegs an?

M.: Sie machen wohl Spaß? Ich war in voller Uniform, das Auto war ein Dienstwagen, und ich hatte meine Dienstflagge drauf. Kein Verkehrspolizist hätte es gewagt, zweimal nach mir schauen. An der Grenze gab es eine Unterkunft für die Grenzpolizei und eine für die Zöllner. Ich stieg aus und suchte beide auf. Ich sagte ihnen, sie sollten reingehen und warten, bis ich zurückkomme. Und wehe dem, der meinem Befehl nicht Folge leistete. Die Schweizer warteten auf der anderen Seite. Und dies war noch peinlicher: Ich und mein Fahrer mußten die Koffer zum Treffpunkt tragen. Dort befand sich ein schweizerischer Offizieller, den ich kannte. Ich konnte sehen, wie er dachte, daß dies sehr erheiternd ist. Ich sagte ihm, ich hätte für seinen Humor nichts übrig, und er könne das Gepäck für den Rest des Weges tragen. Ich gab den alten Leuten Görings Umschlag, und sie gaben mir eine Nachricht für ihn.

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F.: Was teilten sie ihm mit?

M.: Woher sollte ich das wissen? Die Nachricht war persönlicher Natur und zudem versiegelt. Auf dem Rückweg erinnerte ich mich, daß Göring mir einen Weidenkorb voller Nahrungsmittel für die Reise gegeben hatte. Ich hatte ihn im Kofferraum verstaut und mit einer Decke zugedeckt. Als wir auf der Rückfahrt an einem Rastplatz anhielten, holten wir ihn schließlich raus. Der Fahrer und ich aßen alles auf. Das Essen kam von Horcher in Berlin; eine gute Speisegaststätte. Während des Krieges hatte man Schwierigkeiten, ordentliches Essen zu bekommen. Ich hatte mit dem Fahrer ein kurzes Gespräch und ersuchte ihn, nichts über die Vorgänge dieses Tages verlauten zu lassen. Er versprach dies und meinte, es sei viel klüger, die Nahrung zu verzehren, den Wein zu trinken und alles zu vergessen.

F.: Ich nehme an, daß Göring höchst erfreut war.

M.: In der Tat. Er fragte mich, was er für mich tun könnte. Ich sagte ihm, daß ich es schätzen würde, wenn mein Sohn zur Luftwaffe käme, wenn er einrücken müßte. Ich meine, daß Göring weitaus mehr von mir als diese Forderung erwartete. Er war darüber sehr froh und versicherte mir, er würde meinen Sohn zur Luftwaffe bringen.

F.: Machte Göring solche Sachen sehr häufig?

M.: Göring war, wie ich schon sagte, in vielerlei Hinsicht sehr anständig. Und ich weiß sicher, daß er viele Leute rettete, einige sogar aus Lagern. Seine Frau kam vom Theater und kannte viele Juden, und Göring selbst hatte jüdische Freunde. Sie müßten gehört haben, was er sagte, als jemand ihm mitteilte, dieser und jener in seinem Ministerium sei Jude? ›Ich bestimme, wer Jude ist.‹ Nein... Wenn Hitler aus irgendeinem Grund vor dem Krieg gestorben wäre, wäre Göring Staatsoberhaupt geworden. Und

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es hätte sicherlich keine Schwierigkeiten mit den Juden und keinen Krieg gegeben.

F.: Ja. Aufgrund der Erfahrungen, die ich mit ihm machte, würde ich zustimmen. Er schien wirklich ein sehr anständiger Mensch zu sein, aber er hatte ein wenig von einem Räuber an sich, wenn es um Kunst ging.

M.: Oh ja, das war sehr wohl bekannt. Aber Göring hatte Probleme mit dem Herzen und hatte vor, die Sammlung dem Staat zu hinterlassen. Ich meine, es machte ihm große Freunde, Dinge an die Wand zu hängen und sie anzuschauen. Sicherlich wird die Geschichte mit ihm viel freundlicher umgehen als mit Hitler. F.: Und wie steht es mit Ihnen?

M.: Man weiß von mir nur, daß ich die Gestapo leitete. Ich zog es so während der letzten Regierung vor und ich ziehe es sicherlich gerade jetzt erst recht so vor. F.: In dieser Sache sind wir uns wohl beide einig. M.: Und wir sind uns auch bei Göring einig. F.: Ja. Von Kleinigkeiten abgesehen, haben Sie recht. M.: Oh ja. Und noch etwas zu den alten Juden. Ich hatte ihre Wohnung offiziell versiegeln lassen und die Münchener Gestapo angewiesen, niemand möge auch nur den Versuch machen, dort einzudringen. Sie wohnten in einem Gebiet Münchens, das nicht zerbombt worden war. Wenn der Krieg vorüber war, hätten sie wieder zurückkommen können. Ich weiß nicht, ob sie das taten, vielleicht. Aber es wäre weiser gewesen, in der Schweiz zu bleiben. Nach dem Krieg war man in Deutschland übel dran. Es gab da eine Redewendung: ›Genieße den Krieg, denn der Friede wird furchtbar sein.‹ Und dies war zutreffend.

MU 13-75-96 15. S. 9-16

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