Das Rudolf Gutachten auf http://www.vho.org/D/rga/rga.html
2.4.2. Löslichkeit
Eisenblau gilt als eines der am schlechtesten löslichen Cyanokomplexe überhaupt, was Voraussetzung für seine mannigfaltige Verwendung als Farbstoff ist. Diese Eigenschaft macht man sich in der Industrie z.B. zur Passivierung von Stahlrohren gegen aggressive Abwässer zunutze, indem das im Abwasser enthaltene CN- das Rohr innen mit einer unlöslichen Schutzschicht von Eisenblau überzieht[135]. Die Degussa AG gibt für die Löslichkeit des »löslichen« Eisenblau schlicht »unlöslich«[136], für die Lösungsmittelechtheit »sehr gut« an[112]. Nicht zuletzt sind Pigmente per definitionem in Lösungs- bzw. Bindemitteln praktisch unlösliche Farbmittel (DIN 55 943 und 55 945).
Tananaev[137] untersuchte die Löslichkeit einiger Metall-Hexacyanoferrate(II) und fand für das Eisenblau einen Wert des Löslichkeitsproduktes4 von 3×10-41 (pKL=40,5) ohne Angabe der Einheit. (Das Löslichkeitsprodukt einer Verbindung ist definiert als das Produkt der Konzentrationen aller Ionen der komplett dissoziierten Verbindung:
Fe4[Fe(CN)6]3 ® 4 Fe3+ + 3 [Fe(CN)6]4-;
KL(Fe4[Fe(CN)6]3) = c(Fe3+) · c(Fe3+) · c(Fe3+) · c(Fe3+) · c([Fe(CN)6]4-) · c([Fe(CN)6]4-) · c([Fe(CN)6]4-)
= c4(Fe3+) · c3([Fe(CN)6]4-).
Der pKL-Wert entspricht dem negativen dekadischen Logarithmus des Löslichkeitsproduktes (siehe Definition des pH-Werts).
Geht man von der von ihm benutzten Summenformel aus (Fe4[Fe(CN)6]3, Einheit dann mol7 l-7), so ergibt dies eine Löslichkeit von 0,5 mg pro Liter Wasser. Es wäre damit 14 mal weniger löslich als der schwerlösliche Kalk (CaCO3, 7,1 mg pro l Wasser, KL=4,95×10-10 mol2 l-2) [138]. Spätere Veröffentlichungen bestätigen diese Werte[121], wobei zu beachten ist, daß Abweichungen von der Stöchiometrie (Zusammensetzung) des Eisenblaus und Verunreinigungen zu einer Erhöhung der Löslichkeit führen können.
Tananaev fällte aus einer entsprechenden Metallsalzlösung mit Li4[Fe(CN)6] das komplexe Metallcyanoferrat und dürfte somit einen hohen Anteil an Inklusionen (Lithium, Wasser) erhalten haben. Damit dürfte sich trotz des vierstündigen Absetzens des Niederschlages in der dann abfiltrierten Lösung noch einiges an kolloidal dispergiertem Eisenblau gehalten haben. Da er das freie Eisen(III) im Filtrat schließlich durch Fällung als Fe(OH)3 mittels Ammoniak bestimmte, wird er das Fe3+ des kolloidal dispergierten Eisenblaus mitgefällt haben, da Ammoniak den pH soweit anhebt, daß das Eisenblau nicht mehr stabil ist (siehe Abschnitt 2.4.1.).
Damit aber hat er nicht die Löslichkeit des Eisenblaus bestimmt, sondern eher das Maß der stabilen Dispergierbarkeit frischer Fällungen des Pigments.
Der von ihm zur Bestimmung des Löslichkeitsproduktes verwendete Referenzwert des Löslichkeitsproduktes von Pb2[Fe(CN)6] wird von Krleza[121] mit einem wesentlich niedrigeren Wert angegeben, was, bei Tananaev in die Berechnung eingeführt, eine Löslichkeit von nur 0,05 mg pro l ergäbe. Krleza aber findet für fast alle anderen Metalle identische Werte der Löslichkeitsprodukte, einschließlich der des Eisenblaus. Da bei so extrem geringen Löslichkeiten die konventionellen Analysenmethoden wie Gravimetrie und Titration extrem störanfällig sind, darf man sich über diese Übereinstimmungen wundern.
Aus diesem Dilemma kann man allerdings durch einige Überlegungen herauskommen:
Sicher ist, daß Eisenblau bei pH 7, also im neutralen wässrigen Medium, stabil ist. In diesem Milieu ist die freie Eisenkonzentration extrem niedrig, da das Fe(OH)3 extrem schwerlöslich ist (siehe Tabelle 5).
Bei pH 7 ergibt sich für die freie Eisen(III)konzentration:
c(Fe3+) = KL(Fe(OH)3) / c3(OH-)
= 2,67 ×10-39 mol4l-4 / 10-21 mol3l-3 = 2,67×10-18 mol l-1 (2)
Würde die freie Fe3+-Konzentration durch höhere Löslichkeit des Eisenblaus über diesen Wert ansteigen, so würde dieses Fe3+ als Hydroxid gefällt, dem Pigment also zunehmend entzogen und letzteres somit zerstört werden. Da dies nicht passiert, muß die von Eisenblau freigesetzte Fe3+-Konzentration unterhalb 10-18 mol pro l liegen. Damit ergibt sich für die Löslichkeit von Eisenblau ebenfalls ein Wert unterhalb von 10-18 mol pro l (genau: ¼ der freien Fe3+-Konzentration, KL kleiner als 4,1×10-124 mol7 l-7, pKL größer als 123,6), was bei einer Molmasse von 1110 g mol-1 (Fe4[Fe(CN)6]3 · 14 H2O) 10-15 g pro l entspräche. Damit verdient das komplexe Eisenpigment in der Tat den Namen unlöslich, da nun auf ein Teilchen gelöstes Eisenblau statistisch mindestens 1020 Teilchen Wasser kommen (100000000000000000000). Die tatsächliche Löslichkeit wäre somit um den Faktor 1011 niedriger als die von Tananaev bestimmte, was für sogenannte unlösliche Verbindungen wie Quecksilbersulfid (HgS) durchaus noch viel wäre. Zu bedenken bleibt, daß sich die Chemie des Fe3+ in wässriger Lösung nicht durch die einfachen Begriffe 'gelöstes' und als Fe(OH)3 'gefälltes' beschreiben läßt, da in einem weiten pH-Bereich eine Vielzahl unterschiedlicher, z.T. polymerartiger Hydroxo-Aquo-Komplexe besteht (vergleiche dazu Abschnitt 2.3.2.).
In Grafik 6 ist der Zusammenhang zwischen pH-Wert, freier Eisen(III)-Konzentration (siehe Anmerkung oben) und dem daraus resultierenden Mindest-pKL-Wert von Eisenblau zu entnehmen, den es haben muß, wenn es bei dem entsprechenden pH-Wert noch stabil ist. Man erkennt deutlich, daß bei dem von Tananaev angegebenen pKL-Wert das Pigment nur bis pH 3 stabil wäre. Danach müßte es sich schon bei seinem Eigen-pH von ca. 4 (siehe Abschnitt 2.4.1.), der sich in Dispersionen einstellt, selbst zersetzen. Dies verdeutlicht die Größe des Fehlers in den Ergebnisse von Tananaev, Krleza u.a.

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Grafik 6: Freie Fe3+-Konzentration in Abhängigkeit vom pH-Wert und der daraus resultierende minimale pKL-Wert von Eisenblau unter Voraussetzung der Stabilität beim entsprechenden pH. pKL-Wert nach Tananaev: 40,5; nach eigenen Überlegungen: größer 123.
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Diese Überlegungen zeigen, daß das im Festkörper als Hydroxid bzw. Oxid gebundene Eisen im neutralen Medium gegenüber dem Eisenblau überaus bevorzugt in Lösung geht, da seine freie Gleichgewichtskonzentration weitaus höher ist als die des Eisenblaus.
Für die tatsächliche Lösungsgeschwindigkeit einer Substanz ist neben ihrer Löslichkeit in Wasser vor allem der Zustand und die Menge des zugeführten Wassers ausschlaggebend. Wässer mit einer annähernden oder gänzlichen Sättigung an Eisen sind nicht mehr zu einer Auflösung weiteren Eisens fähig. Gerade im Inneren feinporöser Festkörper ist selbst bei hohen Wasserständen der Wasserdurchsatz extrem gering und die Sättigungskonzentration an Eisen schnell erreicht, die zudem wie oben ausgeführt weit eher vom nicht komplexierten Eisen des Festkörpers erzeugt wird als vom Eisenblau. Wesentlich aggressiver zeigen sich an den Außenflächen herniederrinnende Wässer, die vor allem erodierende Wirkung haben.
Amerkungen
N.G. Chen, J. Appl. Chem. USSR 1974, 74 (1), S. 139-142.
DIN-Sicherheitsdatenblatt VOSSEN-Blau®, in: Schriftenreihe Pigmente Nr. 50, Degussa AG, Frankfurt 1985.
I.V. Tananaev, M.A. Glushkova, G.B. Seifer, J. Inorg. Chem. USSR 1956, 1, S. 72ff.
R.C. Weast (Hg.), aaO. (Anm. 102
), B 222.
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