Die Erstausgabe des Rudolf Gutachtens auf vho.org/D/rga1
Vgl. auch die revidierte Fassung dieses Abschnittes, Stand Frühjahr 1999
2.5.4. Auswirkungen auf die Bildung von Eisenblau
Aufgrund des alkalischen Verhaltens wird das wenig basenresistente Eisenblau nur eingeschränkt für Anstriche auf Beton/Zement verwendet[110,138], Degussa beschreibt deshalb die Kalkechtheit als »nicht gut«[87], meint damit aber die Echtheit auf noch nicht carbonatisierten, alkalischen Verputzen und Betonen[139]. Die Carbonatisierungsgrenze von Betonen und Mörteln kann als Grenze der pH-Stabilität des Pigments angesehen werden. Wie die Carbonatisierung ist auch die Eisenblaubildung in der dem Blausäure-Gas ausgesetzten Wand eine Reaktion, bei der das eine Edukt (Ausgangsstoff) über die Gasphase herantransportiert wird und nur in der wässrigen Phase reagieren kann[137]. Allerdings läuft die Pigmentbildung im Vergleich zur CaCO3-Bildung sehr langsam ab, wodurch es keine scharfe Reaktionsgrenze gibt. Durch Diffusionsvorgänge kann das Porensystem somit tiefgehend mit Cyanid angereichert werden. Ein die Diffusion der gasförmigen Blausäure ins Mauerwerk noch nicht behindernder hoher Wassergehalt leistet also der Cyanidanreicherung Vorschub. Die Umsetzung dieser Cyanide zum Eisenblau zieht sich über Jahre hin, beschleunigt durch einen hohen Wassergehalt im Baustoff.
Tabelle 6: Aufnahme von Blausäure durch verschiedene Baustoffe bei Einwirkung von 2 Vol.% HCN über 24 Stunden[142]. |
|
Material | HCN [mg m2] |
Klinker | 55,2 |
Ziegelstein | 73,0 |
Schlackenstein | 2880,0 |
Schwemmstein | 3790,0 |
Kalksandstein, naturfeucht | 22740,0 |
Kalksandstein, kurz getrocknet | 4360,0 |
Kalksandstein, etwa ½ Jahr bei 20°C getrocknet | 2941,0 |
Betonstein, 3 Tage getrocknet | 8148,0 |
Kalkmörtelklotz, einige Tage alt* | 4800,0 |
Zementmörtelklotz, einige Tage alt* | 540,0 |
Zementmörtelklotz, einen Monat alt* | 140,0 |
Zementklotz, rein, einige Tage alt* | 1550,0 |
* 2,5 bis 3,3 Vol.% Blausäure [ 140]. Die Vol.%-Angaben stellen laut Autoren theoretische Sollwerte dar, die in der Praxis aber oft nur zu 50% und weniger erreicht wurden durch Adsorption an Wänden und Begasungsmaterial. |
Man kann drei Bereiche verschiedener Reaktivität im Mauerwerk unterscheiden:
Im Vergleich zu Ziegelsteinen ist die Bildung von Eisenblau in Mörtelfuge und Putz begünstigt aufgrund der extrem großen inneren Oberfläche des Materials, der großen Porosität und des recht hohen Feuchtigkeitsgehalts, benachteiligt aber durch den geringeren Eisengehalt. Mit zunehmendem Wassergehalt wird die Eindiffusion der Blausäure in tiefere Mauerschichten erschwert, die Cyanidbindung konzentriert sich dann auf äußere Schichten; dies gilt besonders für Beton.
Untersuchungen über die Diffusion von Blausäure durch
Ziegelsteinmauerwerke oder verputztes Material von 5 cm Dicke ergaben nur zufällig
reproduzierbare Werte, da besonders im Fall nicht ganz abgebundener oder nur leicht
feuchter Materialien praktisch keine Blausäure hindurchdiffundierte, also komplett
absorbiert wurde[141].
In Tabelle 6 (S. 52) sind Adsorptionswerte von Blausäure an verschiedenen
Wandmaterialien angeführt, zitiert nach L. Schwarz et al.[142]. Sie
bestätigen die Annahme wesentlich höherer Reaktivität von Zementen gegenüber
Ziegelsteinen sowie die größere Neigung frischer Zemente gegenüber älteren und
allgemein feuchter Baustoffe zur Anreicherung von Blausäure. Erstaunlich hoch liegt die
Blausäure-Aufnahme des Betonsteines.
Kühles, feuchtes Mauerwerk wird also eine um den Faktor 8 höhere
Anreicherung von Blausäure erfahren als solches, das dauerhaft einer Temperatur von 25
bis 35°C ausgesetzt ist.
Grafik 8: Blausäure-Konzentrationsverlauf in Entlausungskammern mit Kalk- bzw. Chloranstrich [140]. |
Die große Bedeutung gassperrender Anstriche zur Vermeidung von Blausäureverlusten in
begasten Räumen ist allgemein der früheren Literatur entnehmbar. Aus Grafik
8 ist die Bedeutung eines Schutzanstriches direkt erkennbar, die
Blausäurekonzentration steigt ohne ihn nur auf 2/3 des Sollwertes
und fällt sehr rasch durch Adsorption und Absorption an der Wand ab. (Ein Teil des
Abstiegs wurde durch Gasundichtigkeiten verursacht. Siehe [142])
Die Beständigkeit recht hoher Blausäure-Konzentrationen über längere Zeiträume sogar
in trockenem, abgebundenem Zement ist der Grafik 9 (S. 53)
entnehmbar. Selbst
nach 3 Tagen geht die Konzentration nicht unter ¼ des Ausgangswertes zurück. Bei
täglichen, mehrstündigen Begasungen wird dies in diesem Beispiel zu einem Einschwingen
der Konzentration im Gemäuer bei ungefähr 100 bis 200 mg Blausäure pro m2
Gestein führen.
Die Meßwerte der Grafik 9 wurden durch eine Funktion angenähert,
die sich aus zwei Termen zusammensetzt:
c(t)= 100.e-(t/0,3) + 100.e-(t/4). (4)
c(t) = HCN-Konzentration zur Zeit t
t = Zeit in Tagen
Grafik 9: Abnahme der Blausäure-Konzentration in alten, getrockneten Zementblöcken nach 24-stündiger Begasung mit 2,5 Vol.% HCN[142] (siehe Fußnote Tabelle 6, S. 52). |
Der erste Term kann dabei als Desorptionsterm von der Oberfläche des
Materials interpretiert werden mit einem t von 0,3 Tagen. Der zweite Term beschreibt die Absorption
der Blausäure bzw. dem Umkehrprozeß mit einem t von 4 Tagen, bedingt durch langsamer ablaufende
Diffusionsvorgänge im Porenwasser des Materials. (t ist die Zeit, nach der der Wert auf das 1/e-fache
(0,368...) des Startwertes abgesunken ist.)
Für die hiermit beschriebene Konzentrationsabnahme wird man mit fortschreitender Zeit
zunehmend größere Fehler machen, da die Blausäure-Abgabe durch physikalische und
chemische Effekte (stabile Verbindungen) zunehmend gehemmt wird (siehe Abschnitt
2.3.3. a., S. 42).
Für die Blausäureaufnahme wird eine analoge Funktion angenommen:
c(t)= 100.(2-e-(t/0,3)-e-(t/4)). (5)
![]() |
Grafik 10: Simulation der relativen Blausäure-Konzentration bezüglich der Sättigung (100%) im Mauerwerk einer Entlausungskammer bei abwechselnden Begasungen und Lüftungen und idealem mathematischen Verhalten. Siehe Text. |
![]() |
Grafik 11: Simulation der relativen Blausäure-Konzentration bezüglich der Sättigung (100%) im Mauerwerk einer 'Menschengaskammer' bei abwechselnden Begasungen und Lüftungen sowie idealem mathematischen Verhalten. Siehe Text. |
Diese beschreibt den Vorgang nur dann richtig, wenn die Blausäurekonzentration der
Raumluft konstant bleibt. Dann erreicht die Funktion nach ungefähr 20 Tagen ihr
Sättigungsmaximum. Um diese Näherung machen zu können, ist man gezwungen, die
eingesetzte Begasungszeit mit konstanter Konzentration derart herabzusetzen, daß sie dem
realen Fall mit veränderlicher Konzentration gleicht. Im folgenden wird daher eine
Verkürzung der Begasungszeit vorgenommen.
Bei einer Wechselbelastung des Mauerwerks (n Stunden Begasung, m Stunden Lüftung) wird
sich unter diesen Bedingungen im Mauerwerk ein quasistationärer Zustand annähernd
konstanter Blausäure-Konzentration ausbilden.
[!!!-->]
Bei Verwendung obiger Funktionen steigt die mittlere
Blausäure-Konzentration dabei ungefähr linear mit der mittleren Begasungszeit
an, wenn die Begasungszeit die Lüftungszeit nicht überschreitet. Bei
Überschreitung erfolgt nurmehr eine geringe Erhöhung der Konzentration. Grafik
10 (links) zeigt die Ergebnisse zweier rechnerischer Simulationen am
Beispiel einer Entlausungskammer mit unterschiedlichen Begasungsweisen.
Aufgetragen ist der relative Blausäuregehalt des Mauerwerks bezüglich seiner
Sättigungskonzentration, also der maximal durch die Wand aufnehmbaren
Blausäuremenge (100%). Fall eins zeigt den HCN-Konzentrationsverlauf in der
Mauer einer Entlausungskammer bei gleichmäßig abwechselnder Be- und Entlastung
im Langzeit-Dauerbetrieb, d.h. abwechselnd vier Stunden Begasung und Lüftung,
also drei Begasungen täglich. Die mittlere Konzentration pegelt sich bei dieser
Belastungsweise bei ca. 50% der Sättigungskonzentration ein. Bei damals
üblichen Begasungszeiten von 2 bis maximal 10 Stunden erscheint die Annahme von
vier Stunden konstanter Konzentration unter den gegebenen technischen
Voraussetzungen eher etwas zu hoch. Vergleiche dazu Abschnitt 3.3.
Sachentlausungsanlagen (S. 59) und 4.4. Zusammenfassung (S. 93). Wie unter 3.3.
noch gezeigt wird, wäre eine täglich dreimalige Nutzung der Entlausungskammern
aus Mangel an Zyklon B nicht möglich gewesen. Der realistische Fall zwei zeigt
daher den Fall einer einmaligen Begasung mit entsprechend etwa dem dritten Teil
der relativen quasistationären mittleren Konzentration (etwa 15% gegen 46%).
Grafik 11 (S. 54) enthält als Fall drei und vier die
Ergebnisse der Simulation der relativen Blausäure-Konzentration bezüglich des
Sättigungswertes des Mauerwerks durch eine 12 und eine 24minütige, tägliche
Begasung einer 'Menschengaskammer' mit anschließend 23 Std. und 48 bzw. 36 min.
Lüftung mit gleicher Blausäurekonzentration wie im Entlausungsfall. Die dabei
auftretenden mittleren Blausäuregehalte des Mauerwerkes liegen bei knapp 0,76%
bzw. rund 1,5% der Sättigungskonzentration.
Vergleichbar werden die Fälle der Entlausungs- und 'Menschengaskammer' erst,
wenn man die absoluten Blausäurekonzentrationen im Mauerwerk betrachtet. Zieht
man z.B. in Betracht, daß die Sachentlausungskammern warme, trockenen Wände
hatten, die angeblichen 'Menschengaskammern' in den Krematorien II und III aber
kühle und sehr feuchte, so muß man bei gleichen Begasungskonzentrationen die
relativen Konzentrationen der 'Menschengaskammern' mindestens mit dem Faktor 8
der achtfach erhöhten Blausäureaufhahmefähigkeit kühl-feuchter Wände
multiplizieren (siehe Seite 52). Der absolute, mittlere Blausäuregehalt der
'Menschengaskammer' läge also bei einem Wert, der vergleichbar wäre einem
absoluten Gehalt einer ca. mit 6% gesättigten, trocken-warmen
Entlausungskammerwand (12 nun Begasung) bzw. ungefähr 12% im 24minütigen Fall.
Man erkennt, daß selbst bei solch geringen Begasungszeiten die
'Menschengaskammer' durch den hohen Feuchtigkeitsgehalt ihrer kühlen Wände
einen Blausäuregehalt aufweist, der nur um den Faktor 1,3 für eine 24minütige
und 2,7 für eine 12minütige Begasung unter der einer vierstündigen
Entlausungsbegasung mit konstanter Blausäurekonzentration liegt.
[<--!!!]
Anmerkungen
Nächstes Kapitel
Vorheriges Kapitel
Zurück zum Inhaltsverzeichnis