Kapitel X
Die Prozesse

Gegen ehemalige Angehörige der Wachmannschaft von Majdanek wurde zwischen 1944 und 1981 von polnischen, alliierten und westdeutschen Gerichten eine Reihe von Prozessen geführt[644]. Von historischem Interesse sind nur zwei davon, nämlich das vom 27. November bis 2. Dezember 1944 vor einem Sondergericht in Lublin durchgeführte Eilverfahren gegen sechs Angehörige der Lagermannschaft sowie der Düsseldorfer Majdanek-Prozeß (1975-1981). Mit diesen beiden Prozessen wollen wir uns näher befassen.

1. Der Lubliner Prozeß von Ende 1944

Am 26. Oktober 1944 wurde vor einem Lubliner Sondergericht gegen vier SS-Männer sowie zwei Kapos, die in Majdanek Dienst getan hatten, Anklage wegen Mordes und Gefangenenmißhandlung erhoben. Der Prozeß fand vom 27. November bis zum 2. Dezember desselben Jahres statt und endete mit dem Todesurteil für die SS-Angehörigen Hermann Vogel, Wilhelm Gerstenmeier, Anton Thernes und Theo Schölen sowie für den Kapo Heinz Stalp. Der sechste Angeklagte, der Kapo Edmund Pohlmann, hatte angeblich vorher in Haft Selbstmord begangen. Bereits am 3. Dezember wurden die Todesurteile durch Erhängen vollstreckt.

Ein rechtsstaatliches Verfahren war unter den damals herrschenden Umständen ein Ding der Unmöglichkeit: Schließlich lagen der Abzug der Besatzungsmacht und das Ende einer harten Fremdherrschaft erst vier Monate zurück, und in einem großen Teil Polens tobte der Krieg erbittert weiter. Viele Einwohner von Lublin und Umgebung hatten im Lager Angehörige verloren oder selbst einige Zeit dort verbracht. Zudem war gleich nach der Befreiung von Majdanek in riesiger Aufmachung von über anderthalb Millionen Ermordeten berichtet worden, und die Bilder der vorgefunden Leichen, des Krematoriums und der »Gaskammern« wurden in der Propaganda weidlich ausgeschlachtet.

Man schrie nach Rache. In dieser aufgeputschten Atmosphäre waren die Angeklagten von vornherein chancenlos. Ob sie bei der Ausübung ihres Dienstes Verbrechen begangen haben, läßt sich selbstverständlich nicht mehr feststellen; gegen jeden beliebigen anderen SS-Mann oder deutschen Kapo wäre damals zweifellos dieselbe Strafe verhängt worden. Ob schuldig oder unschuldig - Belastungszeugen ließen sich ohne Schwierigkeiten gegen jeden finden, und die Erlangung der gewünschten Geständnisse war ebenfalls ein Leichtes.

Daß die Beschuldigten stellvertretend für ganz Deutschland - und nicht nur das nationalsozialistische - auf der Anklagebank saßen, wurde in der Urteilsbegründung unmißverständlich klargestellt:

»Dieser Prozeß enthüllte bis in die letzten Einzelheiten die ganze Ungeheuerlichkeit des Systems, die Adolf Hitler als würdiger Nachfolger der imperialistischen Methoden der Kreuzritter, der Methoden der brandenburgischen Kurfürsten, Friedrichs des Großen, des Imperialismus Bismarcks sowie der Ideen Treitschkes ausgebaut, vervollkommnet, modernisiert und mechanisiert hat. Die absurde Rassentheorie, die Doktrin vom ›Herrenvolk‹, das Schlagwort vom Erringen von ›Lebensraum‹ auf Kosten anderer Völker wurde auf die Art verwirklicht, daß nach dem Entfesseln des Kriegs die Hitleristen in allen besetzten Ländern schrittweise zur Vernichtung der Örtlichen Bevölkerung übergingen, und zwar in einem Ausmaß und mit Methoden, die in der Geschichte zuvor unbekannt waren. Die Zahl der Opfer, die wegen angeblicher Verbrechen gegen die Besatzungsmacht füsiliert oder aufgeknüpft wurden, erweist sich als gering im Vergleich zum Ausmaß der Menschenvernichtung, welche in den sogenannten Todeslagern erfolgte. Allein in Majdanek wurden 1.700.000 Menschen ermordet. Auf was für monströse Ziffern müssen wir da erst kommen, wenn wir zu dieser Zahl jene der in den anderen elf Todeslagern den Märtyrertod Gestorbenen hinzuzählen, von den gewöhnlichen sogenannten Arbeitslagern, Konzentrationslagern und Zwangsarbeitslagern ganz zu schweigen«[645].

Wie summarisch die ›Beweisaufnahme‹ erfolgt war, zeigt das Protokoll einer der im Vorfeld des Prozesses durchgeführten Zeugenbefragungen:

»1. Ihr Name? - Benen Anton.

2. Ihre Nationalität? - Holländer.

3. Wie lange im Lager? - Ein Jahr.

4. Was können Sie über das Schlagen und Morden im Lager sagen? - Ich wurde mehrmals geschlagen. Zum Schlagen hängte man mich speziell auf. Nach einer halben Stunde warf man mich ins Wasser und schlug mich aufs neue.

5. Was können sie über das Martyrium der sowjetischen Kriegsgefangenen mitteilen? - Man erstickte die Menschen in Gaskammern und erschoß sie.

6. Was können Sie erzählen? - Alles wurde so getan, daß niemand etwas sah oder hörte. Ich sah allerdings eine Kolonne von 600 Personen, die in den Tod geführt wurden.

7. Die Angehörigen welcher Nationalitäten haben Sie in Majdanek gesehen? - Ich sah Russen, Polen und Juden, kann aber nichts sagen.

8. Was wissen Sie über die Morde in den Gaskammern? - Ich weiß, daß man Menschen in den Gaskammern erstickte und dann die Leichen herauszog.

9. Waren Sie im Lager krank? Sie sehen so schlecht aus und tragen einen Verband am Hals. - Ich war vier Jahre lang in Konzentrationslagern und erkrankte, weil es zu wenig zu essen gab.

10. Gab es andere holländische Häftlinge? - Jawohl. Es waren überwiegend Juden, die man später hierher brachte.

11. In welchen Konzentrationslagern waren Sie? - In Ostburg, Dachau und anschließend Lublin. Am schlimmsten erging es mir jedoch in Lublin.

12. Warum hat man Sie von Dachau nach Lublin überstellt? - Ich wurde zur Armee einberufen, doch ich wollte nicht, und darum sperrte man mich ein.

13. Wer pflegt Sie heute? - Um mich kümmert sich das Polnische Rote Kreuz, aber es gibt immer noch zu wenig zu essen«[646].

Damit war das Verhör beendet und ein weiterer ›Beweis‹ für die Massenmorde in Majdanek erbracht. - Im Eiltempo verlief auch die Befragung der Angeklagten während der Untersuchungshaft, etwa des SS-Rottenführers Theo Schölen:

»1. Waren Sie in Majdanek? - Ja, ich war da.

2. Wissen Sie Bescheid über alles, was sich im Konzentrationslager tat? - Einige Dinge sah ich, von anderen hörte ich.

3. Wissen Sie etwas über die Vergasung von Menschen? - Mir ist bekannt, daß man vorwiegend am Abend vergaste und die Leichen später in den Krematoriumsöfen verbrannte.

4. Wie wurde das durchgeführt? - Ich sah nur Leichen, doch wohnte ich dem Tötungsprozeß selbst nicht bei.

5. Stimmt es, daß die Menschen durch das Bad neben der Gaskammer gingen? - Ja, sie waren im Bad, und dann gingen sie in die Kammer.

6. Wie wurde das Lager Majdanek unter den Deutschen allgemein bezeichnet? - ›Vernichtungs-Lager‹; diesen Ausdruck brauchte man vom Zeitpunkt des Massenmords an Häftlingen an.

7. Ist Ihnen bekannt, Angehörige welcher verschiedenen Völker in Majdanek waren? - Ich weiß es nicht genau.

8. Welche Völker waren am meisten vertreten? - Juden, russische Kriegsgefangene, Polen, Franzosen, Italiener und andere.

9. Welche Methoden wandte man bei der Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen an? - Was die Russen betrifft, so weiß ich nicht genau Bescheid. Doch weiß ich, daß am 3. November 1943 ungefähr 18.000 - 20.000 Juden vernichtet wurden.

10. Gehören Sie der nationalsozialistischen Partei an? - Seit dem Jahre 1937; in der SS bin ich seit 1942.

11. Wer behandelte die Gefangenen besonders schlecht, und wer war schuld am Massenmord? - Es waren viele, doch weiß ich nicht alle Namen. Ich erinnere mich jedoch, daß der SS-Mann Foschted [gemeint ist möglicherweise der dritte Lagerkommandant Florstedt], Obersturmführer Thumann und Obersturmführer Mußfeld bei der Verwaltung und beim Foltern der Häftlinge eine große Rolle spielten.

12. Was taten Sie in Majdanek? - Ich war Verwalter eines Materialdepots.

13. Woher kommen die Schuhe, und auch die Kleidung von Kindern und Frauen, die man in großer Zahl im Lager vorgefunden hat? - Diese Sachen gehörten Ermordeten, vorwiegend Juden.

14. Was tat man mit den Leichen? - Ich habe gehört, daß man sie im Krematorium verbrannte.

15. Haben Sie sich an der Ermordung von Menschen beteiligt? - Nein. Ich war weit weg davon und kümmerte mich um das Materialdepot.

16. Wer hat Ihnen von der Ermordung von Menschen berichtet? - Ich kenne die Namen nicht genau; ich habe nur gehört, daß Mußfeldt und Thumann das getan haben«[647].

Das Verfahren selbst lief nach dem klassischen Muster eines stalinistischen Schauprozesses ab, bei dem die Anwälte die Rolle der zweiten Ankläger spielten. So bat Jaroslawski, Pflichtverteidiger der Angeklagten Gerstenmeier und Vogel, gleich am ersten Verhandlungstag um Entbindung von seinen Pflichten, weil

»Deutschland im Verlauf von tausend Jahren systematisch Verbrechen an all seinen Nachbarvölkern begangen hat, darunter an den slawischen; weil Deutschland die Slawenvölker zwischen Laba und Oder gänzlich ausgetilgt und gezeigt hat, daß es die slawischen Nationen vollkommen auslöschen will; weil Deutschland, seinem Führer Adolf Hitler gehorchend, im September 1939 den polnischen Staat angriff und einen entsetzlichen Weltkrieg auslöste [...]«[648]

Auch Kazimierz Krzymowski, Pflichtverteidiger des Angeklagten Thernes, ersuchte um Freistellung von seinem Amt, denn

»die Untaten, über die hier in diesem Saale ein Urteil gefällt werden soll, sind dermaßen grauenhaft und wurden auf derart satanische Art und Weise ausgeheckt und vollbracht, daß man uns, die wir in Majdanek unsere Lieben verloren haben [...], nicht zumuten darf, jene zu verteidigen, denen diese Schandtaten vorgeworfen werden«[648].

Die Gesuche der Anwälte wurden natürlich abgelehnt, und sie mußten ihre Mandanten weiterhin ›verteidigen‹.

Welch hysterische Atmosphäre beim Prozeß geherrscht haben muß, läßt sich beispielsweise aus der wahnwitzigen Behauptung des Staatsanwalts Jerzy Sawiecki ersehen, mindestens eine halbe Million Deutsche seien damit beschäftigt gewesen, die Menschenausrottung in Majdanek zu organisieren:

»Wenigstens 500.000 Deutsche - Buchhalter, Finanzleute, Kassierer, Magaziner, Eisenbahner, Postbeamte, Telefonisten, Ingenieure, Ärzte, Juristen, Agronomen, Chemiker, Pharmazeuten -, da stockt einem der Atem, verstehen Sie richtig, eine halbe Million Deutsche waren allesamt in eine wohlorganisierte Maschinerie zur Tötung wehrloser Menschen verstrickt. Wer kann die Schrecklichkeit dieser Tatsache erfassen? Eine halbe Million Menschen, alle von einem einzigen Gedanken beseelt, nämlich dem, wie man am schnellsten, am billigsten, am effizientesten andere Menschen vernichten kann. Das ist Majdanek!« [649]

Man wüßte zu gerne, ob dieser Staatsanwalt wirklich geglaubt hat, was er da von sich gab. - Als Beweismaterial dienten neben ›Sachbeweisen‹ wie leeren Zyklonbüchsen die Aussagen von insgesamt 13 Augenzeugen. Wir begnügen uns mit einer Kostprobe, einem Auszug aus der Befragung des Zeugen Jan Wolski:

»Staatsanwalt: Was wissen Sie allgemein über die Ausrottung der slawischen Völker in Majdanek?

Wolski: Als ein deutscher General aus Berlin zur Inspektion kam, hörte ich, als ich den Tisch im Kasino deckte, seine Diskussion mit unserem Kommandanten Weiss (auch Gerstenmeier nahm daran teil) über die Frage, wie man die slawischen Völker in Majdanek ausrotten könne.

Staatsanwalt: Ist Ihnen bekannt, daß Gerstenmeier noch zusätzliche Büchsen Zyklon anforderte?

Wolski: Jawohl, ich habe davon gehört, weil er Zyklonreserven für die Zukunft wollte. Er drückte sich dabei wie folgt aus: ›Die Zeiten sind unsicher, man muß sich darauf vorbereiten, alle Gefangenen zu erledigen«[650].

Auch die Angeklagten waren gründlich auf ihre Rolle bei diesem inszenierten Spektakel vorbereitet worden und leierten die eingetrichterten Schuldbekenntnisse fügsam herunter. Hier ein Auszug aus der Befragung des Kapos Heinz Stalp:

»Staatsanwalt: Ich habe Sie nach den Kindern gefragt. Wie vernichtete man diese Kinder in der Gaskammer?

Stalp: Ich kenne einen Fall. Als ich im ›Bekleidungswerk‹ an der Pohlmannstraße war, fuhren morgens zwei Lastwagen heran, in die man Kinder von in Majdanek arbeitenden Eltern lud. Diesen hatte man erzählt, man bringe die Kinder zu Erziehungszwecken weg.

Staatsanwalt: Nahm man auch den Kindern die Kleidung ab?

Stalp: Ja.

Staatsanwalt: Wieviele Kinder waren es, und wie alt waren sie?

Stalp: Es gab ganz kleine, ein Jahr alte, und es gab dreizehn- bis vierzehnjährige.

Staatsanwalt: Wie schaffte man sie in die Gaskammer?

Stalp: Der Wagen fuhr bis an die Gaskammer heran, wobei Personal vom SD [Sicherheitsdienst] zugegen war; man brachte die Kinder auf das Frauenfeld (Feld Nr. I) und führte von dort zehn Frauen heran, welche die Kinder ausziehen mußten. Dann befahl man den Kindern, in die Kammer zu gehen, man erzählte ihnen Märchen, daß es dort gut sei; einige Kinder weinten zwar, wußten jedoch nicht, daß sie in den Tod gingen. Als sie bereits in der Kammer waren, schloß ein SD-Mann die Tür, worauf durch eine viereckige Öffnung Gasstoffe eingeführt wurde.

Staatsanwalt: Sahen Sie dann diese Kinder, die man in der Gaskammer erstickt hatte, und wie sahen sie aus?

Stalp: Ja, oft sah ich Häftlinge, die man aus der Gaskammer herausbrachte. Ihre Lungen waren offenbar geplatzt, und Blut trat aus, aber nicht bei allen. Nach zwei Tagen verfärbten sich die Leichen grünlich«[651].

Man beachte, daß ein Platzen der Lunge durch keines der beiden angeblich verwendeten Gifte, Kohlenmonoxid und Blausäure, hervorgerufen wird! - Selbstverständlich hatte auch der Kapo Heinz Stalp genau das gesagt, was er sagen mußte.

2. Der Düsseldorfer Majdanek-Prozeß

Nach langjährigen Ermittlungen, in deren Verlauf über 200 Personen einvernommen worden waren, begann jenes trübe Schauspiel, das als »Majdanek-Prozeß« in die Geschichte eingegangen ist, am 26. November 1975 in Düsseldorf. Das Verfahren schleppte sich über annähernd sechs Jahre hin und endete am 30. Juni 1981 mit dem Urteilsspruch. Ursprünglich waren 15 frühere Angehörige der Lagermannschaft angeklagt worden, darunter sechs Frauen. Eine Angeklagte, die damals 73-jährige Alice Orlowski, starb 1976 während des Prozesses; ein weiterer Angeschuldigter, Wilhelm Reinartz, wurde 1978 wegen Haftunfähigkeit freigelassen; die drei Ex-Aufseherinnen Rosy Süss, Charlotte Mayer und Hermine Böttcher sowie der Lagerarzt Heinrich Schmidt wurden 1979 vorzeitig wegen erwiesener Unschuld auf freien Fuß gesetzt. Von den restlichen neun Angeklagten wurde einer, Heinrich Groffmann, 1981 freigesprochen[652]. Die Urteile in den verbleibenden acht Fällen lauteten wie folgt [653]:

Den beiden mit den höchsten Strafen bedachten Angeklagten, Hermine Braunsteiner-Ryan und Hildegard Lächert, war Beteiligung an der Selektion jüdischer Frauen und Kinder für die Gaskammern vorgeworfen worden, den übrigen sechs Verurteilten Beteiligung an der Erschießung von Gefangenen, insbesondere im Rahmen des angeblichen Massenmords vom 3. November 1943.

Wir geben im folgenden einige längere Auszüge aus dem Düsseldorfer Urteil wieder, in denen es um die Vergasung von Häftlingen sowie um die Opferzahl des Lagers Majdanek geht :

»Die furchtbarste Belastung für die Häftlinge, insbesondere für die jüdischen Menschen, stellten die im Spätherbst des Jahres 1942 eingeleiteten und vor allem im Frühjahr und Sommer 1943 durchgeführten Selektionen zur Tötung durch Vergasung dar.

Von Anfang an waren für das KL Majdanek ein Krematorium und sogenannte Entlausungsanlagen vorgesehen, deren Fertigstellung sich aber wie das gesamte Bauvorhaben erheblich verzögerte. Ähnlich wie das Lager ursprünglich als ›Kriegsgefangenenlager‹ ausgegeben wurde, obwohl es in Wirklichkeit als Konzentrationslager geplant war, diente auch der Begriff ›Entlausungsanlage‹ als Tarnbezeichnung. Der bereits erwähnte Befehl Himmlers vom 19.7. 1942 [zur bis Ende jenen Jahres durchzuführenden Konzentrierung aller im Generalgouvernement lebenden Juden in einigen genau bestimmten Zonen] führte nämlich dazu, daß das Lager neben den ursprünglichen Funktionen eines Zwangsarbeits- und Durchgangslagers zeitweilig auch die Aufgabe eines Vernichtungslagers zu erfüllen hatte und mit seinen Vergasungsanlagen tatsächlich auch erfüllt hat.

[...] Die Opfer der Vergasungen waren Juden aller Altersstufen und verschiedener Nationalität, insbesondere Mütter mit Kindern, Alte, Kranke und Verletzte sowie die sonst als nicht bzw. nicht mehr voll arbeitsfähig erscheinenden Menschen. Wer zu dieser Gruppe der von vornherein durch die ›Endlösung‹ Betroffenen gehörte, oder wessen Arbeitskraft noch eine Zeitlang für das NS-Regime genutzt werden sollte, entschied das SS-Lagerpersonal weitgehend nach eigenem Gutdünken [...]. Ob in einzelnen Fällen auch nicht jüdische Häftlinge in Vergasungsaktionen mit einbezogen worden sind, zum Beispiel dann, wenn sie infolge ihres Alters oder ihres dauerhaft schlechten Gesundheitszustandes als sogenannte Muselmänner oder Gammel angesehen wurden, hat sich nicht sicher feststellen lassen; mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit war es jedoch jedenfalls zeitweise so.

[...] Die Aussonderung der als ›Arbeitskraft‹ nicht mehr brauchbar erscheinenden jüdischen Menschen bei den ›Ankunfts-Selektionen‹ fand ihre Fortsetzung in demselben Zweck dienenden Selektionen auf den einzelnen Feldern des Schutzhaftlagers, im SS-Jargon des Lagers zynisch ›Himmelskommando‹ genannt. Diese Selektionen erfolgten besonders häufig im Frühjahr/Sommer 1943, und zwar in unregelmäßigen Abständen und auf unterschiedliche Art. Durchgeführt wurden sie teils durch eine Art ›Kommission‹, die meist aus einem der SS-Lagerärzte und einer Gruppe weiterer männlicher bzw. weiblicher SS-Angehöriger bestand, teils durch das SS-Aufsichtspersonal der einzelnen Felder allein. Die Opfer waren kranke, kränklich wirkende, entkräftete, verletzte und aus sonstigen Gründen für nicht mehr ›lebenswert‹ gehaltene jüdische Menschen.

Die Vergasung der Opfer verlief durchweg immer in der gleichen Weise. Die zum Tode bestimmten Häftlinge wurden in das Barackengebäude gebracht und dort nach der Entkleidung in eine der Gaskammern getrieben. Sobald die Tür hinter ihnen luftdicht verschlossen war, wurde das Kohlenmonoxid bzw. Zyklon B in die Kammer geleitet. Beide Gifte führten zu einer Lähmung der Atmungsorgane und damit zu einem qualvollen Erstickungstod. Bei der nur in der Anfangsphase der Vergasungen erfolgten Verwendung des Kohlenmonoxid dauerte der Tötungsvorgang in der Regel etwas länger als bei Benutzung von Zyklon B. Auch dieses Gift ›wirkte‹ jedoch nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Zeit, weil die Wirkung erst in dem Masse eintrat, in welchem das Cyanid-Salz durch die langsam ansteigende Raumtemperatur in einen gasförmigen Zustand zerfiel. Sobald nach Meinung des jeweils für die Beaufsichtigung des Vergasungsvorgangs zuständigen SS-Angehörigen der Tod aller Opfer eingetreten war, wurden die Stahltüren weit geöffnet, so daß das Gas entweichen konnte. Danach wurden die Leichen von einem besonderen Häftlingskommando herausgeholt, auf Handkarren oder Fahrzeuge verladen und entweder zur Verbrennung in das alte bzw. das neue Krematorium oder zu vorbereiteten Gruben bzw. Verbrennungsstätten im Außenbereich des Lagers und der umliegenden Wälder geschafft.

Die massenweise Selektierung von Menschen zur Tötung durch Vergasung war im KL Majdanek spätestens ab Anfang des Jahres 1943 allgemein bekannt. Das hatte zur Folge, daß eine ganze Reihe von Häftlingen auch solche, unter selektionsähnlichen Umständen durchgeführte Aussonderungen für Selektionen zur Vergasung hielt, die in Wirklichkeit anderen Zwecken, und zwar hauptsächlich der Verlegung in ein anderes Lager dienten. Dies gilt vor allem für die Auswahl der weiblichen Häftlinge für die bereits erwähnten Transporte zwischen Ende Juni und Ende August 1943 in die KL Auschwitz und Ravensbrück und in das Zwangsarbeitslager Skarcysko-Kamienna, die in der Weise erfolgte, daß sich die dafür in Betracht kommenden weiblichen Häftlinge entkleiden und in der Waschbaracke des Frauenfeldes nackt in Anwesenheit von SS-Aufseherinnen einer ›Begutachtung‹ durch einen der Lagerärzte unterziehen mußten. Anders als bei in ähnlicher Art durchgeführten ›Tötungs-Selektionen‹ ging es hierbei jedoch nicht um die Aussonderung von arbeitsunfähigen, sondern von ›besonders arbeitsfähig‹ erscheinenden Menschen.

Über die Gesamtzahl der im KL Majdanek durch Vergasung, Erschießen und auf andere Weise gewaltsam getöteten, durch Seuchen und Unterernährung, infolge von Mißhandlungen und Entbehrungen sowie aus sonstigen Gründen umgekommenen Menschen hat die Beweisaufnahme keinen genauen Aufschluß erbracht. Mindestens 200.000 Opfer, darunter wenigstens 60.000 jüdische Menschen, hält die Schwurgerichtskammer jedoch für sicher«[654].

Anschließend begründete das Gericht, wie es zu seinen »Feststellungen« über Menschenvergasungen, Selektionen für die Gaskammer sowie über die Opferzahl des Lagers gekommen war. Die einzige Grundlage waren Zeugenaussagen, wobei die Zeugen in folgende Kategorien zerfielen:

a) Die Angeklagten selbst sowie die bereits rechtskräftig freigesprochenen vier Mitangeklagten, »soweit sie sich zur Sache geäußert haben«.

b) 75 mehrheitlich jüdische ehemalige Häftlinge des Lagers, die beim Düsseldorfer Prozeß aussagten.

c) 11 SS-Angehörige, die der Beteiligung an den den Verfahrensgegenstand bildenden Taten verdächtigt, jedoch nicht vor Gericht gestellt wurden.

d) 6 in den USA, Kanada und Australien von Mitgliedern des Gerichts befragte, nicht reisefähige Zeuginnen.

e) 37 im Wege der internationalen Rechtshilfe in Anwesenheit von Mitgliedern des Gerichts in Israel, Polen, der UdSSR und Österreich befragte, nicht reisefähige bzw. nicht reisewillige, mehrheitlich jüdische ehemalige Majdanek-Häftlinge.

f) 23 inzwischen verstorbene bzw. vernehmungsunfähig gewordene Zeugen, die ihre Aussagen in schriftlicher Form niedergelegt hatten.

g) 18 nicht verdächtigte und nicht angeklagte ehemalige SS-Angehörige bzw. SS-Aufseherinnen.

h) 3 an ihrem Wohnsitz befragte, nicht reisefähige deutsche Zeugen.

Als Feigenblatt wurden neben diesen Zeugen als Beweismaterial ein »Gutachten« des einschlägig bekannten »zeitgeschichtlichen Sachverständigen« Dr. Wolfgang Scheffler sowie der Inhalt der »ausweislich der Sitzungsniederschrift in der Hauptverhandlung, erörterten sonstigen Urkunden, Schriftstücke und Lichtbilder, soweit sie durch Verlesung bzw. Augenscheinseinnahme zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind« angeführt. Das Gericht fuhr fort:

»Die Feststellungen über die Planung und Errichtung des Lagers, die damit verfolgten Zwecke, die Entwicklung des Häftlingsbestandes und die Gesamtzahl der Opfer hat das Gericht im wesentlichen auf das Gutachten des zeitgeschichtlichen Sachverständigen gestützt. Der Sachverständige hat auch diesen Teil seiner Ausführungen und Schlußfolgerungen überzeugend begründet und mit umfangreichem dokumentarischem Quellenmaterial belegt; sie decken sich zudem weitgehend mit dem, was die Beweisaufnahme sonst hierzu ergeben hat [...]. Was die Feststellungen zur Örtlichen Lage der Gaskammern und zu ihren technischen Einrichtungen angeht, so hat ihnen die Schwurgerichtskammer neben den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des zeitgeschichtlichen Sachverständigen und dem Inhalt des Protokolls über die im Wege der internationalen Rechtshilfe durchgeführte Augenscheinseinnahme des Lagers vor allem die Aussagen der Zeugen Heinz Müller, Cezarski [... es folgen weitere acht Namen] zugrundegelegt.

Bei dem Zeugen Müller handelt es sich um einen der wenigen SS-Angehörigen, die ihr Wissen nicht hinter angeblichem Nichtwissen, mangelndem Erinnerungsvermögen, damaliger Uninteressiertheit am Geschehen im Lager oder mit sonstigen Ausflüchten zu verbergen versucht haben. Er war nach seinen Angaben von Ende 1941 an zunächst beim Wachsturmbann und ab Ende 1942 bis Frühjahr 1943 beim Kommandanturstab und hat zugegeben, im Rahmen seiner damaligen Ausbildung zum SDG [Sanitätsdienstgehilfen] dabei gewesen zu sein, wie in einer der kleinen Gaskammern eine Gruppe nackter Menschen durch das Einströmenlassen von Kohlenmonoxid getötet worden sei, und daß er das Sterben der Opfer durch das kleine Fenster beobachtet habe. Die Zeugen Cesarski, Stanislawski, Skibinska und Ostrowski haben übereinstimmend die Verwendung von Zyklon B bestätigt; dies ergibt sich zugleich auch aus den verlesenen Vernehmungsniederschriften der Zeugen Benden, Gröner und Rockinger«[655].

Das Urteil fußte also so gut wie ausschließlich auf Zeugenaussagen. Was ist davon zu halten?

Ganz allgemein ist zu bemerken, daß der Zeugenbeweis als der unsicherste Beweis gilt, da das menschliche Gedächtnis sehr unzuverlässig und leicht zu manipulieren ist. In der Wissenschaft wie in der rechtsstaatlichen Justiz gibt es eine Hierarchie der Beweismittel bezüglich ihrer Beweiskraft. Danach ist jeder Sach- und Urkundenbeweis einer Zeugenaussage an Beweiskraft überlegen[656].

Der französische Historiker Jacques Baynac charakterisiert den Wert der Zeugenaussage für den Geschichtsforscher sehr treffend:

»Für den wissenschaftlichen Historiker stellt eine Zeugenaussage nicht wirkliche Geschichte dar. Sie ist ein Objekt der Geschichte. Eine Zeugenaussage wiegt nicht schwer; viele Zeugenaussagen wiegen nicht viel schwerer, wenn kein solides Dokument sie abstützt. Das Postulat der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung, so könnte man ohne große Übertreibung sagen, lautet: Kein(e) Papier(e), keine nachgewiesenen Tatsachen«[657].

Im Fall des Düsseldorfer Majdanek-Prozesses gab es nun zusätzliche Gründe, den Zeugenaussagen mit äußerstem Mißtrauen zu begegnen:

Nicht minder gut bekannt war damals bereits, daß es in Dachau und anderen westlichen Konzentrationslagern keine Menschenvergasungen gegeben hatte, obwohl für solche in der unmittelbaren Nachkriegszeit ›Beweise‹ in Form von Zeugenaussagen vorlagen. So sagte der Dachauer Lagerarzt Dr. Franz Blaha beim Nürnberger Prozeß unter Eid aus, er habe in jenem Lager die Leichen Vergaster autopsiert[660]. Doch seitdem Martin Broszat, damaliger Mitarbeiter und späterer Leiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, im Jahre 1960 festgehalten hatte, daß in Dachau (und anderen westlichen Konzentrationslagern) keine Juden oder sonstigen Häftlinge vergast worden waren[661], galten die Gaskammern von Dachau, Buchenwald, Bergen-Belsen usw. auch bei den orthodoxen, d.h. die Ausrottungsthese verfechtenden Historikern als erledigt. Somit hatten die Zeugen auch hier die Unwahrheit gesagt. Dies alles hätte sich das Düsseldorfer Gericht vor Augen halten müssen, anstatt den Zeugenaussagen blind zu vertrauen, denn wieso sollten Augenzeugenberichte über Vergasungen in Majdanek a priori glaubhafter sein als solche über Vergasungen in Dachau?

Nun mag man einwenden, daß laut dem Gericht ja auch SS-Leute die Gaskammermorde bestätigt haben, nämlich die vier freigesprochenen Mitangeklagten, anfänglich verdächtigte, dann aber nicht angeklagte SS-Angehörige sowie schließlich solche, die gar nie in Verdacht geraten waren.

Dazu ist zunächst zu bemerken, daß der Außenstehende keine Möglichkeit hat, die Behauptungen des Gerichts zu überprüfen; wir wissen nicht, was die betreffenden SS-Aufseher genau gesagt haben, da die Verhandlungsprotokolle der Öffentlichkeit unzugänglich sind. Falls die SS-Angehörigen wirklich die Realität der Menschenvergasungen bezeugt haben sollten, drängt sich die Vermutung förmlich auf, daß sie sich ihren vorzeitigen Freispruch bzw. den Verzicht auf eine Anklage mit den von der BRD-Justiz gewünschten Aussagen erkauft haben. Schließlich entschied diese darüber, welcher ehemalige Majdanek-Aufseher auf der Anklagebank landete und welcher nicht. Falls die Justiz entschlossen war, diesen oder jenen früheren Aufseher anzuklagen und hinter Gitter zu bringen, war es gewiß nicht schwer, die gewünschten belastenden Zeugenaussagen zu besorgen. An Druckmitteln zur Erlangung erwünschter Erklärungen fehlte es der Justiz also nicht.

Recht aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang der Fall des SS-Mannes Heinz Müller, der vom Gericht dafür gelobt wurde, daß er als einer von ganz wenigen SS-Angehörigen »sein Wissen nicht hinter angeblichem Nichtwissen, mangelndem Erinnerungsvermögen, damaliger Uninteressiertheit am Geschehen im Lager oder mit sonstigen Ausflüchten zu verbergen gesucht« habe. Er gestand, einer Vergasung mit Kohlenmonoxid beigewohnt zu haben, und lieferte damit endlich auch einmal einen Zeugenbeweis für Morde mit diesem Gift: Obgleich solche in der offiziellen Literatur unisono behauptet werden, haben wir sonst keine einzige dementsprechende Zeugenaussage gefunden.

Heinz Müller wurde seine kooperative Einstellung gelohnt: Er drückte nie die Anklagebank.

Einen schlagenden Beweis für die Unzuverlässigkeit der Zeugenaussagen erbrachte das Gericht unfreiwillig selbst mit der Erklärung, »eine ganze Reihe von Häftlingen« habe auch »unter selektionsähnlichen Umständen durchgeführte Aussonderungen für Selektionen« gehalten, die »in Wirklichkeit anderen Zwecken, und zwar hauptsächlich der Verlegung in andere Lager dienten«. Daß es damit sämtliche Augenzeugenberichte über Selektionen für die Gaskammer für nicht beweiskräftig erklärte, weil ja jede »unter selektionsähnlichen Umständen durchgeführte Aussonderung« in Wirklichkeit der Verlegung in ein anderes Lager (oder der Zuteilung zu einem Arbeitskommando) dienen und von den Häftlingen als Gaskammerselektion fehlgedeutet werden konnte, kam dem Gericht offenbar nicht in den Sinn.

Um die Beschaffung von Urkunden- oder Sachbeweisen für die behaupteten Menschenvergasungen hat sich die bundesrepublikanische Justiz beim Majdanek-Prozeß (wie auch bei ähnlich gearteten NS-Verfahren) offenbar keine Sekunde lang bemüht. Von ihrer vollkommenen Unkenntnis der dokumentarischen Ausgangslage zeugt beispielsweise die Behauptung, der Ausdruck »Entlausungsanlage« habe nur als Tarnbezeichnung für Einrichtungen zur Menschentötung gedient. Hätte das Gericht sich die Mühe genommen, die erhaltenen deutschen Dokumente zu studieren, so wäre es auf die Schilderungen der im Lager herrschenden Läuseplage sowie die Baupläne für die Entlausungsanlagen gestoßen. Die Entlausungsaktionen gehen übrigens auch aus den Augenzeugenberichten hervor, denen das Gericht sonst so große Bedeutung beimaß.

Daß das in Düsseldorf gezeichnete Bild von Majdanek als Stätte der planmäßigen Menschenvernichtung durch keinerlei dokumentarischen Belege gestützt wurde, ließ sich auch durch noch so viele Erwähnungen des »zeitgeschichtlichen Sachverständigen« Scheffler nicht kaschieren, der die Feststellungen über die mit der Errichtung des Lagers verfolgten Zwecke und die Gesamtzahl der Opfer »mit umfangreichem dokumentarischem Quellenmaterial belegt« haben soll. Um welches Material es sich dabei handelte, verschwieg das Gericht wohlweislich: Da es das »umfangreiche dokumentarische Quellenmaterial« eben nicht gibt, konnte auch ein Herr Scheffler damit weder die Massenvernichtung noch die behauptete Zahl von wenigstens 200.000 Opfern beweisen.

Für diese - völlig aus der Luft gegriffene - Zahl wurde vom Gericht nicht der geringste Versuch einer Begründung unternommen. Der Hinweis auf die Augenzeugen war hier ein ganz besonders jämmerliches Argument, denn selbst wenn man die Vergasungen als tatsächlich geschehen ansah, konnten die Zeugen nur einzelnen Mordaktionen beigewohnt haben und nie und nimmer über die Gesamtopferzahl des Lagers Bescheid wissen. Zu deren Ermittlung hätte die erste Voraussetzung in der Abklärung der Zahl der nach Majdanek deportierten Häftlinge bestanden; das Gericht hätte also zunächst einmal versuchen müssen, die Transportlisten ausfindig zu machen. Nichts dergleichen geschah.

Sogar hinsichtlich der »Örtlichen Lage der Gaskammern« und ihren »technischen Einrichtungen« ließ sich die Schwurgerichtskammer von den »überzeugenden Ausführungen des zeitgeschichtlichen Sachverständigen« leiten. Zwar wird behauptet, »im Wege der internationalen Rechtshilfe« sei zusätzlich noch eine »Augenscheinseinnahme des Lagers« erfolgt, doch allzu gründlich kann diese nicht ausgefallen sein. Ansonsten wäre den Inspizierenden doch zumindest aufgefallen, daß eine der »Menschentötungsgaskammern« ein Fenster besitzt, welches die Opfer sofort eingeschlagen hätten.

Was bei einem unpolitischen Mordprozeß eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich ein Gutachten über die Tatwaffe, erschien dem Düsseldorfer Gericht im Fall eines so spektakulären und bestialischen Verbrechens wie der behaupteten Massenvergasung wehrloser Menschen offenbar überflüssig.

Durch ein Gutachten über die »Tatwaffe« - worunter in diesem Fall gleichermaßen die als »Gaskammern« bezeichneten Räume wie die beiden angeblich eingesetzten Gifte zu verstehen sind -, wären die Augenzeugenberichte über Vergasungen bis ins Mark erschüttert worden. Das war aber nicht der Zweck des Prozesses, weshalb ein solches Gutachten unterblieb und man sich, statt einen Chemiker oder Toxikologen zu Rate zu ziehen, mit dem »zeitgeschichtlichen Sachverständigen« Scheffler begnügte.

Leider hat es die Verteidigung versäumt, hier einzuhaken und auf die Erstellung eines Gutachtens über die »Tatwaffe« zu bestehen. Ganz offensichtlich ließen sich die Anwälte wie bei ähnlichen NS-Prozessen von opportunistischen Erwägungen leiten und zogen es vor, das Bild vom »Vernichtungslager« nicht in Frage zu stellen, sondern lediglich auf die persönliche Unschuld ihrer Mandanten zu pochen.

Ebenso wie im Fall der behaupteten Vergasungen gab sich das Gericht im Fall der angeblichen Massenerschießung vom 3. November 1943 mit Augenzeugenberichten zufrieden, die es völlig unkritisch akzeptierte.

Zum Beweis für das Massaker vom 3. November 1943 werden - neben dem obligaten »zeitgeschichtlichen Sachverständigen« Scheffler - im Urteil folgende Zeugen zitiert:

Einer der zwar verdächtigten, aber nicht angeklagten Belastungszeugen war der SS-Mann Georg Werk. Über ihn heißt es im Urteil:

»Der Zeuge Werk hat seinen Angaben zufolge damals der Dienststelle in Lublin angehört, war für das Exekutionskommando eingeteilt, will aber selbst nicht mitgeschossen, sondern sich auf das ›Zuschauen‹ beschränkt haben, weil seine Maschinenpistole - so wörtlich - ›glücklicherweise‹ nicht funktioniert habe. Das letztere ist alles andere als glaubwürdig; nicht den geringsten Zweifel hat das Gericht jedoch daran, daß seine sonstigen Angaben, insbesondere darüber, wie sich die Opfer dachziegelförmig übereinanderlegen mußten und sodann durch Schüsse in den Hinterkopf bzw. in das Genick getötet wurden, der Wahrheit entsprechen«[662].

Es braucht wenig Phantasie, sich vorzustellen, wie sich die Justiz die Aussage dieses Belastungszeugen erkauft haben dürfte: Als Gegenleistung für die gewünschte Schilderung des Massenmordes blieb Georg Werk von einer Anklage verschont, obgleich er, da das Gericht seine Ausrede von der nicht funktionierenden Maschinenpistole ja als unglaubwürdig einstufte, dessen Logik zufolge wegen Beihilfe zum Mord hätte angeklagt und verurteilt werden müssen. - Der SS-Mann Emil Laurich, der jede Beteiligung an Exekutionen kategorisch abstritt[663], wurde hingegen durch die Aussage des Zeugen Zacheusz Pawlak »überführt« und zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt.

Zu den entlarvendsten Passagen des Urteils gehörte jene über den Zeugen Stanislaw Chwiejczak. Dieser belastete den Angeklagten Heinz Villain, dem Beteiligung an der angeblichen Massenerschießung vom 3. November 1943 vorgeworfen worden war, mit der Aussage, Villain habe an jenem Tag zusammen mit einem anderen SS-Mann von einem zur Erschießung bestimmten Juden einen Wertgegenstand entgegengenommen, den dieser in der Hoffnung, damit sein Leben zu retten, aus einem Versteck hervorholte, und den Juden dann doch zu den Erschießungsgräben abgeführt. Das Gericht hielt Chwiejczaks Aussage für unglaubhaft, und zwar mit folgender Begründung:

»Was [...] den Zeugen Chwiejczak angeht, so hat er zwar bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung am 17./18.9.80, ebenso wie der Zeuge Pych, den Angeklagten Villain als einen der beiden SS-Angehörigen bezeichnet, die den jüdischen Häftling zu dem Versteck begleitet hätten. Diese Bekundung beinhaltet jedoch - wie vom Zeugen zugestanden worden ist - das genaue Gegenteil dessen, was er rund 10 Monate zuvor bei seiner am 6.11. 1979 in Anwesenheit von Mitgliedern des Gerichts in Warschau durchgeführten Anhörungen hierzu erklärt hatte, daß nämlich der Angeklagte Villain nicht daran beteiligt gewesen sei. Die vom Zeugen für diesen Widerspruch gegebene Begründung, er habe nach seiner Vernehmung in Warschau noch einmal nachgedacht und sich dabei daran erinnert, daß der Angeklagte Villain doch dabeigewesen sei, kann zutreffend sein; von ihrer Richtigkeit überzeugt ist das Gericht jedoch nicht, weil einiges dafür spricht, daß der Zeuge in der Zeit zwischen seiner Vernehmung in Warschau und seinem Erscheinen zur Hauptverhandlung sein Erinnerungsvermögen nicht nur durch ›Nachdenken‹, sondern auch durch Einholung von Informationen von dritter Seite ›aufzufrischen‹ versucht hat«[664].

Auf die Idee, daß neben S. Chwiejczak auch andere Zeugen die ihnen reichlich zur Verfügung stehende Zeit genutzt haben könnten, um ihr »Erinnerungsvermögen [...] durch Einholung von Informationen von dritter Seite ›aufzufrischen‹«, kam das Gericht offenbar nicht.

Daß sich der eine oder andere unter den in Düsseldorf Angeklagten schuldig gemacht hat - durch Häftlingsmißhandlung oder sogar durch Mord -, läßt sich nicht ausschließen. Eine einwandfreie, rechtsstaatlichen Grundsätzen Rechnung tragende Beweisführung war hier mehr als drei Jahrzehnte nach Kriegsende ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Für die drei zentralen Fragen, ob es in Majdanek Gaskammern zur Menschentötung gab, ob dort am 3. November 1943 mindestens 17.000 Juden durch Erschießen ermordet wurden, und ob im Lubliner Lager wirklich 200.000 oder mehr Menschen den Tod gefunden haben, wären solche individuellen Verbrechen ohnehin nicht ausschlaggebend gewesen.

Der unabweisliche Schluß kann nur lauten, daß es sich beim Majdanek-Prozeß um einen politischen Schauprozeß gehandelt hat, bei dem die Schuld oder Unschuld der Angeklagten im Grunde völlige Nebensache war und der in Wirklichkeit hauptsächlich oder ausschließlich dem Zweck diente, das Bild vom »Vernichtungslager« mit einem Urteilsspruch juristisch abzusichern und somit zur Umerziehung des deutschen Volkes beizutragen.

Daß die Polen vier Monate nach der Befreiung von Majdanek einen Schauprozeß gegen Angehörige einer Feindnation führten, die immer noch einen Teil ihres Landes besetzt hielt, kann man begreifen. Dafür, daß die BRD über drei Jahrzehnte nach Kriegsende ein Verfahren durchführte, bei dem elementare rechtsstaatliche Normen wie die Unterordnung des Zeugenbeweises unter den Sach- und den Urkundenbeweis außer acht gelassen wurden, gibt es keine Rechtfertigung, sondern allenfalls mildernde Umstände.

Als mildernden Umstand wird man den Düsseldorfer Richtern wohl zugute halten müssen, daß sie unter stärkstem Druck seitens in- und ausländischer Medien, antifaschistischer Organisationen, ausländischer Regierungen - insbesondere der israelischen und der polnischen - sowie mit größter Wahrscheinlichkeit auch der BRD-Regierung standen. Schon der vorzeitige Freispruch einiger Angeklagter hatte zu einer Flut von Protesten geführt. Das Gericht sprach einen Teil der Angeklagten schuldig, weil es sie schuldig sprechen mußte, und verurteilte sie, weil es sie verurteilen mußte. Die Urteile wurden dann im In- und Ausland prompt als zu milde gegeißelt[665]. Von einer unabhängigen Rechtsprechung konnte unter solchen Umständen schwerlich die Rede sein.

Zwar ist die Beweislage für die behauptete Zahl von 200.000 oder mehr Majdanek-Opfern, die Menschenvergasungen in Majdanek sowie das Massaker vom November 1943 auch mit dem Düsseldorfer Prozeß nicht besser geworden, doch können sich die an der Aufrechterhaltung des offiziellen Geschichtsbild Interessierten seit jenem Verfahren darauf berufen, daß diese Massenverbrechen ja eine gerichtsnotorische Tatsache seien und folglich keines Beweises mehr bedürften. Dies entbindet die deutschen Historiker, angefangen bei dem famosen »zeitgeschichtlichen Sachverständigen« Wolfgang Scheffler, ihrem Selbstverständnis nach vermutlich auch weiterhin von der Aufgabe, ernsthafte wissenschaftliche Forschung über dieses Lager zu betreiben.


Anmerkungen

  1. Zu diesen Prozessen siehe Czesław Pilichowski, aaO. (Anm. 62), S. 423-436.
  2. Sentencja wyroku. Specjalny Sad Karny w Lublinie, 2. Dezember 1944. APMM, sygn. XX-1, S. 99/100.
  3. Anklage gegen Hermann Vogel u.a., Ebenda, S. 51.
  4. Ebenda, S. 50/51.
  5. Majdanek. Rozprawa przed specyalnym sądem karnym w Lublinie [Majdanek. Verhandlung vor dem Sondergericht in Lublin], Spółdzielnia Wydawnicza ›Czytelnik‹, Krakau 1945, S. 6.
  6. Ebenda, S. 79, 80.
  7. Ebenda, S. 40.
  8. Ebenda, S. 27, 28.
  9. C. Pilichowski, aaO. (Anm. 62), S. 432-434.
  10. Landgericht Düsseldorf, aaO. (Anm. 56). Die Urteile und Urteilsbegründungen stehen auf den Seiten 778-795.
  11. Ebenda, S. 86-90.
  12. Ebenda, S. 97-101.
  13. E. Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, F. Vahlen, München 1987, S. 188, 304; wiedergegeben nach M. Köhler, »Der Wert von Aussagen und Geständnissen zum Holocaust«, in: Ernst Gauss (Hg.), aaO. (Anm. 16), S. 61.
  14. Le Nouveau Quotidien, Lausanne, 3. September 1997.
  15. IMT VII, S. 469.
  16. F. Kadell, Die Katyn-Lüge, Herbig, München 1990.
  17. IMT V, S. 198.
  18. Die Zeit, 19. August 1960.
  19. Landgericht Düsseldorf, aaO. (Anm. 56), Bd.II, S. 486.
  20. Ebenda, Bd.II, S. 510.
  21. Ebenda, Bd.II, S. 492.
  22. C. Pilichowski, aaO. (Anm. 62), S. 435.

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